Inhalt

VGH München, Beschluss v. 20.04.2023 – 22 ZB 22.1451
Titel:

Klage gegen Untersagung der Ausübung eines Gewerbes

Normenkette:
GewO § 35
Leitsatz:
Bei der Prüfung der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit ist auch bei einer strafrechtlichen Verurteilung eine Gesamtwürdigung des Sachverhalts vorzunehmen. Eine Unzuverlässigkeit kann bei rechtswidrigem Verhalten des Gewerbetreibenden nicht ausnahmslos in jedem Fall bejaht werden. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
gewerberechtliche Unzuverlässigkeit, Straftaten, Gesamtwürdigung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 09.02.2022 – M 16 K 21.2040
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10155

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 9. Februar 2022 – M 16 K 21.2040 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 26. März 2021 weiter, mit dem ihm die Ausübung des Gewerbes „Vermittlung und Beratung von Personal“ als selbstständigem Gewerbetreibenden im stehenden Gewerbe sowie die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter einer Gewerbetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher selbständigen Tätigkeit im stehenden Gewerbe untersagt wurde.
2
Der Kläger war im Rahmen seiner Tätigkeit als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Punkt3 Personalmanagement GmbH strafrechtlich in Erscheinung getreten. Gegen ihn wurde mit Urteil vom 28. Oktober 2020 wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung in Tatmehrheit mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 12 Fällen eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen verhängt.
3
Das Verwaltungsgericht wies die gegen den Bescheid vom 26. März 2021 gerichtete Klage mit Urteil vom 9. Februar 2022 ab.
4
Der Kläger beantragte fristgerecht,
die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zuzulassen und begründete mit Schriftsatz vom 13. Juli 2022 seinen Antrag innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Mit Schriftsatz vom 30. September 2022 erwiderte er auf das Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 2. August 2022.
5
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.
II.
6
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil sich aus dem der rechtlichen Prüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ergeben.
7
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestehen dann, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – juris Rn. 15; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.).
8
Das Verwaltungsgericht hat seine Annahme, der Kläger sei gewerberechtlich unzuverlässig, auf dessen strafrechtlich geahndetes Verhalten gestützt. Die Straftaten des Klägers stünden in Zusammenhang mit seiner Betätigung in seiner Funktion als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer einer gewerblich tätigen Gesellschaft und wiesen den zu fordernden gewerberechtlichen Bezug auf. Aus dem ausschließlich sicherheitsrechtlichen, zukunftsbezogenen Regelungszweck von § 35 GewO folge, dass es auf ein Verschulden des Gewerbetreibenden hinsichtlich der die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigenden Umstände nicht ankomme. Dies bedeute aber nicht, dass die die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigenden Umstände bei rechtswidrigem Verhalten des Gewerbetreibenden ausnahmslos in jedem Fall bejaht werden könnten, ohne dass hierbei die Frage in den Blick genommen würde, inwieweit Pflichtverletzungen vorsätzlich bzw. fahrlässig begangen wurden. Nicht das Strafurteil, sondern nur das Verhalten des Gewerbetreibenden, das zu dem Urteil geführt habe, könne eine Gewerbeuntersagung erfordern. Für die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers sprächen aber nicht nur die Tatsache, dass er sich bereit erklärt habe, rein formal für eine Gesellschaft die Geschäftsführerstellung zu übernehmen, dann seinen dennoch bestehenden gesetzlichen (Überwachungs-)Pflichten nicht ausreichend nachgekommen sei, was zu seiner strafrechtlichen Ahndung geführt habe, sondern auch die Ausführungen des Insolvenzverwalters in dem von der Klagepartei vorgelegten Sachstandsbericht vom 5. August 2020.
9
Demgegenüber führt der Kläger im Zulassungsverfahren unter Berufung auf sein erstinstanzliches Vorbringen aus, dass auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung der einschlägigen Umstände die negative Zukunftsprognose hinsichtlich seiner gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit nicht gerechtfertigt sei. Er habe sich fahrlässig dazu bereit erklärt, pro forma das Amt des Geschäftsführers zu bekleiden und habe keine Ahnung von der Pflichtwidrigkeit seines Tuns gehabt. Er sei von einer Straftäterin gnadenlos ausgenutzt und betrogen worden. Das Ermittlungsverfahren wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt zum Nachteil der A... Bayern sei inzwischen eingestellt. Das Verwaltungsgericht habe es rechtsfehlerhaft unterlassen, die Strafakten beizuziehen.
10
Damit zieht der Kläger die Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils jedoch nicht ernsthaft in Zweifel. Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (BayVGH, B.v. 20.7.2016 – 22 ZB 16.284 – juris Rn. 9 f.; B.v. 6.4.2016 – 22 ZB 16.366 – juris Rn. 20) – auf die auch der Kläger Bezug genommen hat – davon ausgegangen, dass eine Gesamtwürdigung des Sachverhalts, der der strafrechtlichen Verurteilung des Klägers zugrunde liegt, vorzunehmen ist und die die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigenden Umstände bei rechtswidrigem Verhalten des Gewerbetreibenden nicht ausnahmslos in jedem Fall bejaht werden können, ohne dass hierbei die Frage in den Blick genommen würde, inwieweit Pflichtverletzungen vorsätzlich bzw. fahrlässig begangen wurden. Das Verwaltungsgericht ist bei seiner in die Zukunft gerichteten Prognose zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass auch unter Berücksichtigung dieser Kriterien von einer gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers auszugehen ist.
11
In die Würdigung des Verwaltungsgerichts ist eingeflossen, dass sich der Kläger bereit erklärt hat, eine „pro forma“-Geschäftsführung überhaupt zu übernehmen (zur Unzuverlässigkeit des Strohmanngeschäftsführers vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 3.81 – juris Rn. 22) und den sich aus der Geschäftsführertätigkeit ergebenden gesetzlichen Pflichten nicht nachgekommen ist bzw. die faktische Geschäftsführerin nicht ausreichend überwacht hat. Es trägt nicht zu einem positiven Gesamturteil bezüglich der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers bei, dass er sich leichtfertig nicht über die sich aus der Übernahme einer Geschäftsführertätigkeit ergebenden Pflichten informiert bzw. diese vorsätzlich ignoriert hat.
12
Das Verwaltungsgericht hat ferner berücksichtigt, dass der Kläger von der faktischen Geschäftsführerin „betrogen wurde und in dem Glauben gelassen wurde, dass die Geschäfte ordnungsgemäß liefen“. Es hat diesbezüglich festgestellt, dass das Verhalten der faktischen Geschäftsführerin und der dem Kläger dadurch entstandene Schaden bereits bei der Strafzumessung im Strafurteil vom 28. Oktober 2020 zu Gunsten des Klägers strafmildernd berücksichtigt wurden. Die Straftaten, die der Verurteilung zugrunde lagen, wurden aber dennoch vorsätzlich begangen.
13
Ob die faktische Geschäftsführerin vorbestraft ist bzw. mehrere Strafverfahren gegen sie laufen, ist nicht weiter entscheidungserheblich, so dass es entgegen dem Vorbringen des Klägers keiner Beiziehung der Strafakten bezüglich dieser Strafverfahren bedurfte. Das gegen den Kläger ergangene Strafurteil lag dem Verwaltungsgericht vor.
14
Soweit der Kläger im Zulassungsverfahren darauf verweist, dass die gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren wegen des Vorenthaltens/Veruntreuens von Arbeitsentgelt zum Nachteil der A... inzwischen eingestellt seien, ist festzustellen, dass diese Straftaten bzw. nunmehr Ordnungswidrigkeiten (Febr. 2019 und Dez. 2018) nicht Gegenstand der strafrechtlichen Verurteilung waren bzw. nicht maßgeblich in die Strafzumessung der Verurteilung im Urteil vom 28. Oktober 2020 eingeflossen sind (Dez. 2017). Zudem dient die strafrechtliche Ahndung eines Verhaltens einem anderen Zweck. Die ordnungsrechtliche Entscheidung über die künftige Zuverlässigkeit des Betroffenen dient der Gefahrenabwehr, während im strafgerichtlichen Verfahren begangenes Unrecht geahndet wird, so dass aus der Einstellung des Strafverfahrens nicht zwangsläufig auf eine künftige Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden geschlossen werden kann.
15
Das Verwaltungsgericht hat die Prognose zur gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers auch auf den Bericht des Insolvenzverwalters gestützt. Gegen eine gewerberechtliche Zuverlässigkeit des Klägers spricht, dass er einen Eigeninsolvenzantrag für die GmbH erst am 6. Februar 2020 gestellt hat, obwohl die GmbH bereits seit dem 19. Januar 2018 zahlungsunfähig gewesen ist und mehrere Gläubiger der GmbH bereits im Laufe des Jahres 2019 Insolvenzanträge gestellt hatten. Einer Zusammenarbeit mit dem Insolvenzverwalter hat sich der Kläger zunächst entzogen und sich erst nach Androhung von Zwangsmitteln bereit erklärt, einen Besprechungstermin zur Erstellung des Insolvenzgutachtens zu vereinbaren. Mit diesen gegen eine künftige gewerberechtliche Zuverlässigkeit des Klägers sprechenden Gesichtspunkten setzt sich der Kläger im Zulassungsantrag nicht auseinander.
16
Soweit der Kläger im Schriftsatz vom 30. September 2022 auf die Ausführungen der Beklagten erwidert und ergänzend zum bisherigen Vortrag vorbringt, dass die Gewerbeuntersagung unverhältnismäßig sei, weil dem Kläger ein Hang zur Missachtung von Vorschriften nicht ernsthaft vorgeworfen werden könne und keine Verfehlungen im privaten Bereich vorlägen, die Rückschlüsse auf das künftige gewerbliche Verhalten des Klägers zuließen, ist dieses Vorbringen außerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erfolgt und daher unbeachtlich.
17
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
18
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 54.2.1 und Nr. 54.2.2 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
19
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).