Titel:
Erweiterte Gewerbeuntersagung wegen Rückständen bei der Rentenversicherung
Normenkette:
GewO § 35
Leitsätze:
1. Die die Unzuverlässigkeit begründende wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit besteht auch bei der Nichterfüllung von öffentlich-rechtlichen Zahlungsverpflichtungen, so bei beharrlichen Verstöße gegen die Verpflichtung zur Abführung von Rentenversicherungsbeiträgen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei gewerbeübergreifender Unzuverlässigkeit ist die erweiterte Gewerbeuntersagung grundsätzlich verhältnismäßig. Dass bei Einstellung jeglicher gewerblichen Tätigkeit keine Erträge mehr erzielt werden, um die Verbindlichkeiten zu begleichen, ist regelhafte Folge der Gewerbeuntersagung, die deren Unverhältnismäßigkeit nicht begründet. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
erweiterte Gewerbeuntersagung, Rentenversicherungsbeiträge, Unzuverlässigkeit, Schuldnerverzeichnis
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 27.01.2022 – M 16 K 21.3041
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10153
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 27. Januar 2022 – M 16 K 21.3041 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Kläger wendet sich gegen eine erweiterte Gewerbeuntersagung.
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Der Kläger zeigte im Jahr 2011 die Ausübung verschiedener Gewerbe bei der Beklagten an. Die Deutsche Rentenversicherung teilte der Beklagten mit Schreiben vom 5. Mai 2021 mit, der Kläger habe Beitragsrückstände in Höhe von 17.231,09 Euro; es bestehe eine Ratenzahlungsvereinbarung, der Kläger zahle aber seit Juli 2019 die laufenden Beiträge nicht. Die Stadtkasse teilte der Beklagten am 2. Dezember 2020 mit, dass der Kläger Gewerbesteuerrückstände in Höhe von 13.440,99 Euro habe. Nach Mitteilung vom 6. Mai 2021 hatte sich dieser Rückstand bis dahin auf 7.383,30 Euro verringert; eine Ratenzahlungsvereinbarung werde eingehalten. Das Finanzamt teilte der Beklagten am 14. Dezember 2020 einen Steuerrückstand des Klägers in Höhe von 14.193,30 Euro mit, der nach einem Schreiben vom 10. Mai 2021 zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bestand. Am 13. November 2020 und am 5. Mai 2021 hatte der Kläger neun Eintragungen im Schuldnerverzeichnis, davon zuletzt vier Eintragungen wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft und fünf Eintragungen wegen Ausschlusses der Gläubigerbefriedigung.
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Nach Anhörung des Klägers erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 17. Februar 2021, das eingeleitete Gewerbeuntersagungsverfahren bis zum 30. März 2021 ruhen zu lassen, und bat um Vorlage von Nachweisen über die Bezahlung der Forderungen der Rentenversicherung, der Stadtkasse und des Finanzamts oder entsprechende Ratenzahlungsvereinbarungen sowie um Vorlage von Nachweisen über die Löschung der Eintragungen im Schuldnerverzeichnis. Am 30. März 2021 legte der Kläger Nachweise über Zahlungen an verschiedene Gläubiger, an das Finanzamt sowie eine Ratenzahlungsvereinbarung mit der Stadtkasse vor. Mit Schreiben vom 1. April 2021 forderte die Beklagte den Kläger zur Vorlage weiterer Nachweise bis zum 5. Mai 2021 auf; dem kam der Kläger nicht nach.
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Mit Bescheid vom 10. Mai 2021 untersagte die Beklagte dem Kläger die Ausübung des ausgeübten Gewerbes als selbstständigem Gewerbetreibenden im stehenden Gewerbe (Nr. 1 des Bescheids) sowie die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher gewerblichen Tätigkeit im stehenden Gewerbe (Nr. 2 des Bescheids). Der Kläger sei gewerberechtlich unzuverlässig, weil er seinen Zahlungsverpflichtungen seit Jahren nicht nachkomme, die Ratenzahlungsvereinbarung mit der Deutschen Rentenversicherung nicht einhalte und keine Nachweise für die Löschung der Einträge im Vollstreckungsportal vorgelegt habe.
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Die gegen den Bescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 27. Januar 2022 ab, das dem Bevollmächtigten des Klägers am 30. März 2022 zugestellt wurde. Der Kläger beantragte am 12. April 2022 beim Verwaltungsgericht die Zulassung der Berufung und begründete den Antrag am 23. Mai 2022 beim Verwaltungsgerichtshof.
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Die Beklagte ist dem Antrag entgegengetreten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da sich aus den Darlegungen in der Antragsbegründung des Klägers (vgl. zu deren Maßgeblichkeit § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) nicht ergibt, dass einer der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt.
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Der Kläger macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend, die jedoch nicht vorliegen.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestehen dann, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – juris Rn. 15; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.).
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1. Der Kläger trägt vor, er sei zu Unrecht als gewerberechtlich unzuverlässig angesehen worden. Er habe zwar diverse Zahlungsrückstände, doch habe das Verwaltungsgericht übersehen, dass es sich bei den Gläubigern nicht um Privatpersonen, sondern nur um Institutionen handele. Daher stelle der Kläger für die Allgemeinheit keine Gefährdung dar, denn er bringe keine Geschäftspartner in Zahlungsschwierigkeiten.
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Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Beklagte sei zu Recht von der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers ausgegangen, weil dieser erhebliche Rückstände bei der Deutschen Rentenversicherung gehabt habe und das vereinbarte Sanierungskonzept, wonach ihm die Zahlung monatlicher Raten in Höhe von 1107,58 Euro gestattet worden sei, nicht eingehalten habe. Dabei sei es nicht beachtlich, dass er möglicherweise aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse einem Irrtum unterlegen sei, da es für die Unzuverlässigkeit nicht auf ein Verschulden ankomme. Zudem sei der Kläger mehrfach wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft bzw. Ausschlusses der Gläubigerbefriedigung im Schuldnerverzeichnis eingetragen gewesen.
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Ernstliche Zweifel an den Ausführungen des Verwaltungsgerichts bestehen nach dem klägerischen Vortrag nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Oberverwaltungsgerichte besteht die die Unzuverlässigkeit begründende wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit auch bei der Nichterfüllung von öffentlich-rechtlichen Zahlungsverpflichtungen (vgl. etwa BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146.80 – juris Rn. 13; BayVGH, U.v. 27.1.2014 – 22 BV 13.260 – juris Rn. 15 f.). Beharrliche Verstöße gegen die Verpflichtung zur Abführung von Rentenversicherungsbeiträgen beeinträchtigen den Versicherungsanspruch der Arbeitnehmer und schädigen das Vermögen des Versicherungsträgers (vgl. Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, Stand März 2022, § 35 Rn. 55 m.w.N.). Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht die Prognose der Unzuverlässigkeit darüber hinaus auf die Eintragungen im Schuldnerverzeichnis, die private Gläubiger betreffen, gestützt.
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2. Der Kläger bringt weiter vor, bezüglich der angeblichen Unzuverlässigkeit und Leistungsunfähigkeit könne nicht allein auf Zahlungsrückstände abgestellt werden. Er habe sich aktiv bemüht, seine Zahlungsschwierigkeiten in den Griff zu bekommen; so habe er seine Gewerbesteuerrückstände bei der Stadtkasse zum Stand 6. Mai 2021 auf 7383,30 Euro verringert und eine Ratenzahlungsvereinbarung eingehalten. Auch habe er die Steuerrückstände beim Finanzamt zum Stand 10. Mai 2021 auf null reduzieren können.
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Das Verwaltungsgericht hat – wie im Wesentlichen schon unter 1. ausgeführt – seine Entscheidung darauf gestützt, dass im Zeitpunkt des Bescheiderlasses erhebliche Rückstände bei der Deutschen Rentenversicherung bestanden hätten und ein vereinbartes Sanierungskonzept nicht eingehalten worden sei sowie dass der Kläger mehrfach wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft und Ausschlusses der Gläubigerbefriedigung im Schuldnerverzeichnis eingetragen gewesen sei und die im Verwaltungsverfahren vorgelegten Nachweise über Zahlungen an Gläubiger nicht erkennen ließen, ob es sich hierbei um die den Eintragungen im Schuldnerverzeichnis zugrunde liegenden Forderungen handele und ob diese vollständig bezahlt worden seien.
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Auch insoweit werden ernstliche Zweifel an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht erkennbar. So hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung gerade nicht auf die Gewerbesteuerrückstände bei der Stadtkasse und die – zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses nicht mehr bestehenden – Steuerrückstände beim Finanzamt gestützt, sondern nur auf die Beitragsrückstände bei der Rentenversicherung und die Eintragungen im Schuldnerverzeichnis. Es trifft zwar zu, dass es dem Kläger offenbar teilweise gelungen ist, Schulden zu tilgen, doch verblieben im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses erhebliche Rückstände bei der Rentenversicherung, ohne dass ein erfolgversprechendes Sanierungskonzept eingehalten wurde, und die nicht gelöschten Eintragungen im Schuldnerverzeichnis. Diese beiden Umstände tragen bereits die Prognose der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit, ohne dass es auf die übrigen Zahlungsrückstände ankäme. Insbesondere ändert sich auch dadurch nichts an der aus den Rückständen bei der Rentenversicherung und den Eintragungen im Schuldnerverzeichnis folgenden gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers, dass es ihm gelang, andere Rückstände auszugleichen.
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Die im Zeitpunkt des Bescheiderlasses erstellte Prognose der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit wurde im Übrigen dadurch bestätigt, dass sich nach Mitteilung der Beklagten die Rückstände des Klägers bei der Rentenversicherung bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 18. Januar 2022 auf 18.069 Euro erhöht hatten und die der Stadtkasse geschuldeten Raten bezüglich der Gewerbesteuerrückstände im November und Dezember 2021 nicht bezahlt worden seien. Darüber hinaus hat die Beklagte in ihrer Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 22. Juni 2022 mitgeteilt, dass zum Stand 23. Mai 2022 beim Finanzamt Steuerrückstände des Klägers in Höhe von 35.116,19 Euro bestanden hätten.
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3. Schließlich meint der Kläger, die „vollständige“ Gewerbeuntersagung sei nicht verhältnismäßig, weil es ihm dadurch insgesamt unmöglich werde, in der Baubranche sein Gewerbe fortzuführen und seine Verbindlichkeiten zu bezahlen.
19
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit des Klägers angenommen und deshalb eine erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ausgesprochen. Die Erstreckung der Gewerbeuntersagung auf andere gewerbliche Tätigkeiten sei erforderlich, weil zu erwarten sei, dass der Gewerbetreibende auf andere gewerbliche Tätigkeiten ausweichen werde; dazu genüge das Festhalten an der gewerblichen Tätigkeit trotz Unzuverlässigkeit. Auch sei die Erweiterung der Gewerbeuntersagung nicht unverhältnismäßig, denn in der Rechtsprechung sei geklärt, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen auch der erweiterten Gewerbeuntersagung diese grundsätzlich nicht hinsichtlich ihrer Folgen unverhältnismäßig sein könne; Anhaltspunkte für das Vorliegen eines extremen Ausnahmefalles seien nicht ersichtlich.
20
Auch insoweit bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Dieses hat zu Recht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hingewiesen, wonach bei gewerbeübergreifender Unzuverlässigkeit die erweiterte Gewerbeuntersagung grundsätzlich als verhältnismäßig angesehen wird (BVerwG, B.v. 12.1.1993 – 1 B 1.93 – juris Rn. 5). Der Vortrag des Klägers im Zulassungsverfahren lässt auch nicht erkennen, dass vorliegend von diesem Grundsatz eine Ausnahme gemacht werden müsste. Dass der Kläger bei Einstellung jeglicher gewerblichen Tätigkeit aus dieser keine Erträge mehr erzielen und auf diesem Weg seine aktuellen Verbindlichkeiten nicht begleichen kann, ist eine regelhafte Folge der (erweiterten) Gewerbeuntersagung, die deren Unverhältnismäßigkeit nicht begründet. Stattdessen steht es dem Kläger aber frei, sich eine abhängige Beschäftigung zu suchen, die es ihm ebenfalls ermöglichen kann, Schulden zu begleichen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. der Empfehlung in Nrn. 54.2.1, 54.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
22
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).