Inhalt

VGH München, Beschluss v. 11.05.2023 – 20 CE 23.626
Titel:

Maqui-Beeren-Extrakt als Bestandteil eines Nahrungsergänzungsmittels 

Normenketten:
Nahrungsergänzungsmittel-RL
LFGB § 40 Abs. 1a S. 1 Nr. 2
Novel-Food-VO
Leitsatz:
Ein Verdacht im Sinne des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB kann sich nur auf die Tatsache beziehen, dass ein nicht zugelassener oder verbotener Stoff in einem Lebensmittel enthalten ist. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Stoff nicht zugelassen oder verboten ist, ist dagegen die volle Überzeugungsgewissheit notwendig. Zweifel gehen zu Lasten der Behörde. (Rn. 18)
Schlagworte:
Nahrungsergänzungsmittel, neuartiges Lebensmittel, nicht zugelassener Stoff im Anwendungsbereich der Vorschriften des LFGB, Maqui-Beeren-Extrakt
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 16.03.2023 – W 8 E 23.186
Fundstelle:
GRUR-RS 2023, 10149

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 16. März 2023 wird geändert. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, gemäß § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB folgende Informationen zu veröffentlichen:

Verantwortliche Behörde

Landratsamt W.

Datum

Einstelldatum:

(Datum der Veröffentlichung)

Probe genommen am:

27.09.2022

Lebensmittelunternehmen

Name … …

Straße, Hausnummer … 

PLZ, Ort … 

Kategorie Lebensmitteleinzelhandel

Betroffenes Lebensmittel

Verstoß:

Nicht zugelassener oder verbotener Stoff

Produkt:

Maqui- …-Kapseln … 

Los-/Chargennummer: 0...-08

MHD:

21.1.2024

Grenzwert:

Analyseergebnis:

Anmerkungen/unternehmerische Maßnahmen

II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf jeweils 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
2
Die auf der Grundlage des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB geplante Veröffentlichung erweist sich nach dem im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu erlangenden Erkenntnisstand des Senats derzeit als rechtswidrig. Sie würde auf nicht gerechtfertigte Weise in die Grundrechte der Antragstellerin eingreifen, vor allem in deren Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, B.v. 21.3.2018 – Az. – juris Rn. 25 ff.; VGH BW, B.v. 28.1.2013 – 9 S 2423/12 – juris Rn. 10; HessVGH, B.v. 8.2.2019 – 8 B 2575/18 – juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 4.11.2022 – 20 CE 22.2069 – LMuR 2023, 89).
3
Der Antragstellerin steht ein (durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu sichernder) Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung gegenüber dem Antragsgegner zu, da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht vorliegen. Dies rügt die Beschwerdebegründung, so dass der Prüfungsrahmen des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO eröffnet ist.
4
Bei dem Produkt „Maqui- …-Kapseln … …“ handelt es sich nicht um einen nicht zugelassenen oder verbotenen Stoff in einem Lebensmittel im Sinne von § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB, weil die Verwendung von Maqui-Beeren in Nahrungsergänzungsmitteln – unabhängig von der Einstufung des streitgegenständlichen Produkts als neuartiges Lebensmittel im Sinn der VO (EU) Nr. 2015/2283 durch den Antragsgegner – nicht zulassungsbedürftig und nicht verboten ist (1.). Die Rechtsauffassung des Antragsgegners, es handele sich allein aufgrund der hohen Konzentration von Anthocyanen um ein zulassungsbedürftiges neuartiges Lebensmittel und deshalb um einen nicht zugelassenen Stoff im Sinn des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB kann aus mehreren Gründen die geplante Veröffentlichung nicht tragen (2.). Zum einen handelt es sich bei der Frage, ob ein Lebensmittel ein neuartiges Lebensmittel im Sinn der VO (EU) Nr. 2015/2283 ist und damit einem Zulassungs- oder Anzeigeverfahren nach Art. 10 ff. VO (EU) Nr. 2015/2283 unterliegt, um eine Rechtsfrage, die in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, wie es in den Fällen des § 40 Abs. 1a LFGB einer Veröffentlichung vorausgeht, nicht abschließend geklärt werden kann. Deshalb spricht Überwiegendes dafür, dass das Vorhandensein von Stoffen in Lebensmitteln, die lediglich möglicherweise einer Zulassungspflicht nach der VO (EU) Nr. 2015/2283 unterliegen, eine Veröffentlichungspflicht nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB nicht begründen kann (a). Darüber hinaus legt der Antragsgegner keine Anhaltspunkte dafür dar, dass das streitgegenständliche Produkt aufgrund der Konzentration seiner Inhaltsstoffe einer Zulassungspflicht nach der VO (EU) Nr. 2015/2283 (Novel-food-VO) unterliegen könnte. Solche Anhaltspunkte sind auch sonst nicht ersichtlich (b). Unabhängig davon vermag eine entsprechende Rechtsauffassung der Behörde einen hinreichend begründeten Verdacht nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB schon deshalb nicht zu begründen, weil sich ein „Verdacht“ nach dem Wortlaut der Norm stets auf Tatsachen, also regelmäßig darauf beziehen muss, ob ein nicht zugelassener oder verbotener Stoff in einem Lebensmittel tatsächlich vorhanden ist, nicht aber auf die rechtliche Frage, ob der Stoff nicht zugelassen oder verboten ist (c).
5
1. Das streitgegenständliche Nahrungsergänzungsmittel ist – unabhängig von der Konzentration der in ihm enthaltenen Stoffe – nach den anwendbaren Rechtsvorschriften im Bereich des LFGB weder zulassungspflichtig noch verboten.
6
Die europarechtlichen Vorgaben zu Inhaltsstoffen und Zusammensetzung von Nahrungsergänzungsmitteln sind in der RL 2002/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juni 2002 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nahrungsergänzungsmittel geregelt. Nach Art. 2 lit. a) der Richtlinie 2002/46/EG bezeichnet der Ausdruck „Nahrungsergänzungsmittel“ Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die normale Ernährung zu ergänzen und die aus Einfach- oder Mehrfachkonzentraten von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung bestehen und in dosierter Form in Verkehr gebracht werden, d.h. in Form von z.B. Kapseln, Pastillen, Tabletten, Pillen und anderen ähnlichen Darreichungsformen, Pulverbeuteln, Flüssigampullen, Flaschen mit Tropfeinsätzen und ähnlichen Darreichungsformen von Flüssigkeiten und Pulvern zur Aufnahme in abgemessenen kleinen Mengen. Der Ausdruck „Nährstoffe“ in Art. 2 lit. b) der Richtlinie bezeichnet Vitamine und Mineralstoffe. Eine Legaldefinition des Begriffs der „sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung“ findet sich weder in der Richtlinie noch in der Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV). Erwägungsgrund 6 der Richtlinie erläutert, dass neben Vitaminen und Mineralstoffen Aminosäuren, essentielle Fettsäuren, Ballaststoffe und verschiedene Pflanzen- und Kräuterextrakte enthalten sein können.
7
Extrakte sind im allgemeinen Stoffgemische, die durch selektive Anreicherung charakteristischer Bestandteile aus einem Ausgangsmaterial unter Verwendung von (Extraktions-) Lösungsmitteln (ggf. unter Einbezug anderer Technologien) gewonnen werden. Im Fall von Pflanzenextrakten stellen Pflanzen oder Teile davon in verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand das Ausgangsmaterial dar (https://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/geschaeftsstelle/publikationen/stellungnahmen_papiere/2006/sklm_stellungn…06.pdf, Anhang).
8
Präzisiert hat die Kommission die Inhaltsstoffe von Nahrungsergänzungsmitteln in ihrem Bericht vom 5. Dezember 2008 „Über die Verwendung anderer Stoffe als Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln“ (KOM (2008) 824 endgültig) und dessen Begleitdokument („Market Document“). Dort sind die in Europa wirtschaftlich wichtigsten der schätzungsweise über 400 „sonstigen Stoffe mit ernährungsspezifischer und physiologischer Wirkung“ i.S.v. Art. 2 lit. a) und § 1 NemV gelistet und in sechs Gruppen zusammengefasst: Aminosäuren, Enzyme, Präbiotika und Probiotika, essentielle Fettsäuren, Pflanzen und Pflanzenextrakte sowie „andere Stoffe“ (vgl. auch Stellungnahme zur Beurteilung von Nahrungsergänzungsmitteln mit anderen Stoffen als Vitaminen und Mineralstoffen, Endfassung vom 26. September 2006, erstellt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Beurteilung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit von Lebensmitteln, abgedruckt bei Kügel/Hahn/Delewski, Nahrungsergänzungsmittelverordnung – NemV, 1. Aufl. 2007; ebenso zu den „Botanicals“ Rathke/Hahn in Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, Stand Juli 2022, VO (EG) 1924/2006 Art. 2 Rn. 7; Klaus in Streinz/Meisterernst, Basis-VO/LFGB, Art. 23 Basis-VO Rn. 18 bis 23; zur Problematik des Kriteriums der ernährungsspezifischen und physiologischen Wirkung: https://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Downloads/01_Lebensmittel/ALS_ALTS/ALS-Stellungnahme_Nahrungserg%C3%A4nzungsmittel_mit_ sonstigen_Stoffen_2015.pdf? blob=publicationFile& v=5 Ziffer 6.)
9
Vorgaben zu erlaubten Inhaltsstoffen in Nahrungsergänzungsmitteln macht das EU-Recht nur für Mineralstoffe und Vitamine und deren Zusammensetzungen (vgl. Anlage zu RL 2002/46/EG), nicht jedoch für die sonstigen Stoffe in Nahrungsergänzungsmitteln. Zu den erlaubten Inhaltsstoffen hinsichtlich Reinheit, Qualität, und Dosierung der sonstigen Inhaltsstoffe enthalten weder die RL 2002/46/EG, noch die zu ihrer Umsetzung ergangene NemV Regelungen (vgl. hierzu https://projekte.meine-verbraucherzentrale.de/media246045A, Seite 3).
10
Einzig die VO (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates in der Fassung vom 21. Dezember 2022 über den Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen sowie bestimmten anderen Stoffen zu Lebensmitteln listet in Anhang III verbotene oder zu prüfende Stoffe, die auf der Grundlage von Art. 8 der VO (EG) Nr. 1925/2006 einem Sicherheitsbewertungsverfahren unterworfen und von der EFSA als gesundheitlich bedenklich eingestuft wurden. Die diesbezüglichen Verfahrensvorschriften sind in der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 307/2012 der Kommission vom 11. April 2012 (ABl. L 102 vom 12.4.2012, S. 2 bis 4) geregelt. In Deutschland wird eine Stoffliste beim BVL als Hilfestellung für die Beurteilung von Wirkweisen und gesundheitlichen Risiken von Pflanzenstoffen geführt (https://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Berichte/08_Stoffliste_Bund_Bundeslaender/Pflanzenliste_Eintraege_A-K_%202_Aufl_10_2020. html?nn=11035366& cms_dlConfirm=true; vgl. zur fehlenden Regelung für Nahrungsergänzungsmittelzutaten insgesamt auch: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages – Sachstand: Listen für Botanicals in Nahrungsergänzungsmitteln 2021 – WD 5 – 3000 – 100/20).
11
Grundsätzlich hat der Lebensmittelunternehmer für die gesundheitliche Unbedenklichkeit seines Produkts Sorge zu tragen. Ein Verfahren zur Zulassung von Nahrungsergänzungsmitteln sieht aber weder das europäische noch das nationale Recht vor.
12
Nach den genannten Kriterien ist die Verwendung eines Maqui-Beeren-Extrakts als Bestandteil eines Nahrungsergänzungsmittels nicht zulassungspflichtig und nicht verboten. Pflanzenextrakte sind traditionell und nach den Erwägungsgründen der Richtlinie 2002/46/EG Bestandteil von Nahrungsergänzungsmitteln. Aristotelia chilensis gehört nicht zu den nach Anlage III der VO (EG) Nr. 1925/2006 verbotenen Stoffen. In der Stoffliste des Bundes wird die hier verwendete Pflanze ohne Angabe von Risiken, kritischen Inhaltsstoffen und ohne Angabe einer therapeutisch wirksamen Dosierung unter Hinweis auf das Konsultationsverfahren zum NF-Status geführt. Ein Zulassungsverfahren ist für Stoffe in Nahrungsergänzungsmitteln nicht vorgesehen.
13
Die Frage, ob die Inhaltsstoffe der Maqui-Beere ernährungsspezifische oder physiologische Eigenschaften haben, berührt die hier allein in Streit stehende Frage der Zulassungspflicht oder des Verbots dieser Stoffe nicht.
14
2. Vor diesem Hintergrund kann die Rechtsauffassung der Behörde, es handele sich aufgrund der hohen Konzentration von Anthocyanen möglicherweise um ein zulassungsbedürftiges neuartiges Lebensmittel, einen zur Veröffentlichung verpflichtenden Verdacht im Sinne des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB nicht begründen.
15
a) Die von dem Antragsgegner aufgrund der Konzentration der pflanzlichen Inhaltsstoffe behauptete Neuartigkeit des Produkts der Antragstellerin und die damit bejahendenfalls bestehende Anzeige- oder Zulassungspflicht kann nicht Gegenstand des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zur Feststellung der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung eines lebensmittelrechtlichen Verstoßes sein und dort nicht inzident abschließend geklärt werden. Einträge in den Novel-Food-Katalog der Kommission haben nur Indizwirkung und binden die Gerichte nicht. Auch haben nicht einmal ausdrückliche Verbotsentscheidungen der Europäischen Kommission auf der Grundlage von Art. 7 Novel-Food-VO über das konkrete Zulassungsverfahren hinaus Bindungswirkung (BGH, U.v. 16.4.2015 – 1 ZR 27/14 – GRuR 2015, 1140 Rn. 33 unter Bezugnahme auf EuGH, ECLI:ECLI:EU:C:2011:249 Rn. 36 = ZLR 2011, 339 = BeckRS 2011, 80394). Solange die Novel-Food-Eigenschaft eines Lebensmittels nicht zweifelsfrei feststeht, ggf. durch eine bestands- oder rechtskräftige Entscheidung gegenüber dem Lebensmittelunternehmer, ist für die Anwendung des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB kein Raum. Denn erst dann handelt es sich um einen nicht zugelassenen Stoff in einem Lebensmittel.
16
Für diese Auffassung spricht auch die Entstehungsgeschichte des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB. Die Norm wurde mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches vom 24. April 2019 (BGBl. I S. 498) eingefügt. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass der Bundesrat und der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft eine Klarstellung dahin wünschten, dass die seit Einfügung des Artikels 1a in § 40 LFGB mit Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 15. März 2012 (BGBl. I S. 476) aufgenommene Informationspflicht in § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 nicht nur bei der Überschreitung zulässiger Grenzwerte, Höchstgehalte und Höchstmengen, sondern erst recht beim Nachweis verbotener oder nicht zugelassener Stoffe (sog. „Nulltoleranz“) gelten sollte (BR-Drs. 369/18 und 124/19; BT-Drs. 19/8349 S. 19). Die Gesetzesbegründung zum Ersten Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches vom 24. April 2019 (BT-Drs. 17/7374 S. 20) verweist zur Terminologe der Überschreitung gesetzlich festgelegter Grenzwerte, Höchstgehalte oder Höchstmengen auf die Änderung des Verbraucherinformationsgesetzes in Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 15. März 2012 (BGBl. I S. 476) und verwendet die Formulierung, dass „bei Rechtsverstößen durch Grenzwertüberschreitungen unabhängig vom jeweiligen Schweregrad des Verstoßes ein besonderes Interesse der Verbraucher besteh[e] zu erfahren, welche Lebensmittel oder Futtermittel mit unzulässigen Schadstoffen belastet sind unter weiterem Verweis auf Nr. 10 des Aktionsplans „Verbraucherschutz in der Lebensmittelkette“ der Bundesregierung vom 14. Januar 2011. Nachdem § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 LFGB also auf die Schädlichkeit von Stoffen bei Überschreitung von Grenzwerten, Höchstgehalten und Höchstmengen abstellt, die in Rechtsvorschriften im Anwendungsbereich des LFGB festgelegt sein müssen (vgl. auch Rathke in Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, Stand Juli 2022, § 40 LFGB Rn. 100) und die Gesetzesmaterialien zur Einfügung von § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 n.F. unmittelbar Bezug auf die Informationspflicht bei Grenzwertüberschreitungen u.a. nach Nr. 1 nehmen, folgt daraus, dass § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB vor allem auf Stoffe i.S. des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 Anwendung finden dürfte. Unter die Kategorie der nicht zugelassenen Stoffe fallen zum Beispiel Stoffe, die als Lebensmittelzusatzstoffe verwendet werden können, jedoch nicht in die Unionsliste nach Art. 4 der VO (EG) 1333/2008 (vgl. die Veröffentlichung in VO (EU) Nr. 1129/2011 der Kommission vom 11. November 2011; vgl. auch EFSA www.efsa.europa.eu/de/topics/topic/food-additives) aufgenommen wurden (Rathke in Sosnitza/Meisterernst, a.a.O. § 40 LFGB Rn. 102) oder Stoffe, die in den Anwendungsbereich von Anhang I der Aromastoffverordnung (Art. 1 Satz 2 lit. a) VO (EG) 1334/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008) fallen. Unter die Fallgruppe der verbotenen Stoffe sind z.B. die in Tabelle 2 der VO (EU) Nr. 37/2010 aufgeführten Stoffe mit pharmakologischer Wirkung zu zählen.
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b) Zudem spricht vorliegend gegen eine Veröffentlichung wegen der Einstufung des streitgegenständlichen Produkts als neuartiges Lebensmittel iSd Art. 3 Abs. 2 Buchst. a VO (EU) 2015/2283, dass die Maqui-Beere im Novel-Food Katalog in ihrer Verwendung als und in Nahrungsergänzungsmitteln mit dem Status „FS“ gelistet ist. Wird ein Lebensmittel mit dem Status „FS“ gekennzeichnet, bedeutet dies nach den Erläuterungen der Kommission, dass nach den vorliegenden Informationen, welche von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten erteilt wurden, dieses Produkt nur als oder in Nahrungsergänzungsmitteln vor dem 1. Mai 1997 verwendet wurde. Der Eintrag mit dem Status „FS“ stellt ein Indiz für die fehlende Neuartigkeit dar (BVerwG, U.v. 1.3.2012 – 3 C 15.11 – NVwZ 2012, 1343; Erwägungsgrund 13 der Novel-Food-Verordnung, vgl. auch Art. 3 Abs. 2 lit. a) ix) der Novel-Food-Verordnung). Jeder andere Gebrauch dieses Produkts als Lebensmittel muss nach der Novel-Food-Verordnung zugelassen werden (vgl. RASFF-Fenster der Europäischen Kommission zu Maqui-Beeren-Pulver in einem portugiesischen Webshop https://webgate.ec.europa.eu/rasff-window/screen/notification/566080). Nachdem sich aber aus dem Recht der Nahrungsergänzungsmittel – wie unter 1. ausgeführt – keine weiteren Anforderungen an die Qualität, Reinheit oder Konzentration der Inhaltsstoffe ergeben, ist eine Veröffentlichung, die allein auf die (bislang ungeklärte) Novel-Food-Eigenschaft aufgrund des hohen Anthocyan-Gehalts des Produktes gestützt ist, nicht zulässig.
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c) Letztlich scheitert die beabsichtigte Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB auch daran, dass sich der „Verdacht“ nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen richten muss, also regelmäßig darauf, dass nicht mit letzter Gewissheit feststeht, ob und ggf. in welchem Umfang ein nicht zugelassener oder verbotener Stoff in einem Lebensmittel enthalten ist, die Information der Öffentlichkeit aber aus überwiegenden Gründen des Verbraucherschutzes dennoch gerechtfertigt ist. Die Ungeklärtheit einer reinen Rechtsfrage, ob es sich bei einem mit Gewissheit in einem Lebensmittel vorhandenen Stoff um einen Stoff handelt, der nach Vorschriften im Anwendungsbereich des LFGB nicht zugelassen oder verboten ist, ist dagegen nicht ausreichend. Für die Beantwortung der Frage, ob ein Stoff nicht zugelassen oder verboten ist, ist vielmehr die volle Überzeugungsgewissheit notwendig. Zweifel gehen zu Lasten der Behörde.
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Auf die Frage, ob die Veröffentlichung unverzüglich hätte erfolgen sollen, kommt es nach alldem nicht mehr an.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Der Streitwert war mangels Anhaltspunkten für die Bedeutung der Sache für die Antragstellerin im Sinne von § 52 Abs. 1 GKG in Höhe des Auffangstreitwerts nach § 52 Abs. 2 GKG festzusetzen. Da der Antrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache abzielt, war dieser nach der Empfehlung der Ziff. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 nicht zu halbieren, obwohl es sich vorliegend um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes handelt.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.