Titel:
Erfolglose Anhörungsrüge
Normenketten:
VwGO § 86 Abs. 3, § 104 Abs. 1, § 108 Abs. 2, § 152a Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör gibt den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten ein Recht darauf, dass sie Gelegenheit erhalten, zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis zu nehmen. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn die angefochtene Entscheidung auf Tatsachen oder Beweisergebnisse gestützt wird, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (§ 108 Abs. 2 VwGO), oder wenn das erkennende Gericht das (entscheidungserhebliche) tatsächliche oder rechtliche Vorbringen der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen und nicht erwogen hat. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anhörungsrüge, Versäumung Begründungsfrist, Antrag auf Zulassung der Berufung, rechtliches Gehör, Recht zur Äußerung, fehlende Kenntnisnahme, Überraschungsurteil, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 14.10.2022 – AN 16 K 21.120, AN 16 K 21.1079
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10144
Tenor
I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Rügeverfahrens als Gesamtschuldner.
Gründe
1
Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg. Das durch den Senatsbeschluss vom 22. März 2023 (19 ZB 23.479) abgeschlossene Verfahren über den Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 14. Oktober 2022 ist nicht fortzuführen, weil der Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör durch die genannte Senatsentscheidung nicht verletzt worden ist (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
2
Der in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör gibt den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten ein Recht darauf, dass sie Gelegenheit erhalten, zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis zu nehmen (vgl. BVerfG, B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 996/91 – juris Rn. 35). Damit gibt Art. 103 Abs. 1 GG den Beteiligten ein Recht zur Äußerung über Tatsachen, Beweisergebnisse und die Rechtslage. Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht darüber hinaus, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist dann verletzt, wenn die angefochtene Entscheidung auf Tatsachen oder Beweisergebnisse gestützt wird, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (§ 108 Abs. 2 VwGO), oder wenn das erkennende Gericht das (entscheidungserhebliche) tatsächliche oder rechtliche Vorbringen der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen und nicht erwogen hat (vgl. BVerfG, B.v. 30.1.1985 – 1 BvR 393/84 – NJW 1985, 115). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten bei seiner Entscheidung auch berücksichtigt (Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 117 Rn. 14 m.w.N. zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt nur dann vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen war (vgl. § 86 Abs. 3, § 104 Abs. 1 VwGO). Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, die Beteiligten auf jeden denkbaren Gesichtspunkt hinzuweisen, auf den es für die Entscheidung ankommen kann, sondern grundsätzlich nur auf Gesichtspunkte, die nicht schon früher im Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren erörtert wurden oder auf der Hand liegen oder mit deren Erheblichkeit die Beteiligten aus welchen Gründen auch immer, insbesondere auch nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen konnten und mussten (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 86 Rn. 23 m.w.N.).
3
Gemessen an diesen Grundsätzen ist vorliegend eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu erkennen.
4
Die Kläger lassen zur Begründung der Anhörungsrüge im Schriftsatz vom 30. März 2023 vortragen, dass „auf den obigen Vortrag und die hierzu erfolgten Beweisantritte“ verwiesen werde.
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Bei dem „obigen Vortrag und die hierzu erfolgten Beweisantritte“ handelt es sich um einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung sowie um die (verspätet nachgeholte) Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung aufgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sowie der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache.
6
Mit diesem Vortrag haben die Kläger nicht aufgezeigt, dass der Senat bei der Verwerfung des Antrags auf Zulassung der Berufung entscheidungserheblichen Vortrag der Kläger nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass die im fristgerecht eingereichten Antrag auf Zulassung der Berufung in einem separaten Schriftsatz angekündigte Begründung für diesen Antrag innerhalb der nicht verlängerbaren gesetzlichen Frist gerade nicht eingereicht wurde. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen dieses Fristversäumnisses wurde mit Beschluss des Senats vom 27. April 2023 abgelehnt (19 ZB 23.479); auf die Gründe dieses Beschlusses wird Bezug genommen.
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Damit liegen Ausführungen der Kläger, die das Gericht bei seiner Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Berufung zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen gehabt hätte, schon gar nicht vor. Es ist auch nicht dargetan, welche seinerzeitigen Ausführungen der Kläger bei der damaligen Entscheidung des Senats keine Berücksichtigung gefunden gehabt hätten; vielmehr wird insbesondere auf die aktuellen (und auch verspäteten) Ausführungen zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung verwiesen, die ersichtlich zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts vom 22. März 2023 noch nicht vorgelegen hatten. Deshalb kann mit einer solchen Begründung eine Anhörungsrüge nicht erfolgreich sein.
8
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 VwGO.
9
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).