Inhalt

VGH München, Urteil v. 18.01.2023 – 16b D 22.2183
Titel:

Disziplinarverfügung gegen dauerhaft erkrankten Beamten- (keine) Verstöße gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht

Normenketten:
BDG § 7
BBG § 61 Abs. 1 S. 3, § 77 Abs. 1 S. 2
BayBG Art. 81 Abs. 2 S. 1, Art. 82 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Leitsätze:
1. Ein Beamter, der sich seit dem Jahr 2011 durchgehend im Krankenstand befindet, legt kein außerdienstliches Verhalten an den Tag, das den Vorwurf rechtfertigen könnte, er sei der ihm gemäß § 61 Abs. 1 S. 3 BBG obliegenden berufserforderlichen Achtungs- und Vertrauenspflicht nicht gerecht geworden (sog. Wohlverhaltenspflicht), wenn er sich im Jahr 2014 zu einem der Vorstände eines großen Naturschutzvereins wählen lässt und sich für die Vereinszwecke engagiert sowie erfolglos für den Gemeinderat seiner Gemeinde kandidiert. (Rn. 15 – 17) (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Kandidatur eines langzeiterkrankten Beamten für einen Sitz im Gemeinderat bei der Kommunalwahl ist grundsätzlich nicht geeignet, unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens zu einer Ansehensschädigung des Berufsbeamtentums beizutragen und stellt daher auch keine außerdienstliche Pflichtverletzung dar. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Übernahme der unentgeltlich ausgeübten Position des Vorstands eines Naturschutzvereins handelt es sich nicht um eine genehmigungspflichtige Nebentätigkeit eines Beamten, so dass auch ein dauerhaft erkrankter Beamter keine Genehmigung seines Dienstherren einholen muss. Ist die Ausübung dieser erlaubnisfreien Tätigkeit mit der Art der Erkrankung des Beamten zu vereinbaren und erscheint sie sogar für die Gesundung förderlich, ist eine Beeinträchtigung der Integrität und Glaubwürdigkeit des öffentlichen Dienstes in der Öffentlichkeit nicht zu befürchten. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Disziplinarverfügung, Beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht, Geldbuße (500 Euro), Tätigkeit als Vorstand eines Vereins während langandauernder Dienstunfähigkeit, Kandidatur für Gemeinderat, Dienstpflichtverletzung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 16.10.2018 – AN 12a D 17.1029
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10142

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 16. Oktober 2018 wird aufgehoben. Die Disziplinarverfügung vom 25. August 2015 und der Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 2017 werden aufgehoben.
II. Die Beiziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren wird für notwendig erklärt.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.  

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Aufhebung einer disziplinarrechtlich verhängten Geldbuße.
2
Der 1984 geborene Kläger wurde mit Wirkung zum 28. September 2011 als Polizeimeister (BesGr A 7, Polizeivollzugsdienst der Bundespolizei) in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen. Seit 18. November 2011 befand er sich im Krankenstand. Ein erster Versuch, ihn mit Bescheid vom 9. Dezember 2015 in den Ruhestand zu versetzen, blieb vor dem Verwaltungsgericht Bayreuth (U.v. 21.2.2017 – B 5 K 16.246 – juris) ohne Erfolg. Mit Ablauf des Monats Oktober 2019 wurde er erneut in den Ruhestand versetzt; die hiergegen gerichtete Klage nahm der Kläger zurück. Mit Wirkung zum 1. September 2022 wurde er nach Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit erneut in das Beamtenverhältnis berufen.
3
Die Bundespolizeiabteilung Bayreuth leitete mit Schreiben vom 7. November 2014 ein Disziplinarverfahren ein und verhängte gegen den Kläger mit Disziplinarverfügung vom 25. August 2015 eine Geldbuße in Höhe von 500 Euro. Die Verfügung wurde mit Verstößen gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht während der Zeit seines Krankenstandes begründet. Er habe mit etwa 150 weiteren Personen am 30. Juni 2014 an der Gründungsversammlung des „Vereins N* … S* …“ teilgenommen und sich dort zu einem der drei gleichberechtigten Vorsitzenden wählen lassen. In Fernsehberichten am 28. Juli und 15. Dezember 2014 sei er in Waldarbeiterausrüstung gezeigt worden, wie er trotz langandauernder Krankschreibung medienwirksam mit der Kettensäge Holzarbeiten verrichtet habe. In einigen der Medienberichte habe sich der Kläger als Polizeibeamter zu erkennen gegeben. Außerdem habe er im Rahmen der Kommunalwahl 2014 für den Gemeinderat der Gemeinde R. kandidiert. Entlastend sei, dass seine ehrenamtlichen Aktivitäten, wären sie nicht im Krankenstand durchgeführt worden, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zur einer Beanstandung geführt hätten.
4
Der gegen die Disziplinarverfügung vom 25. August 2015 erhobene Widerspruch des Klägers wurde – nach Aussetzung des Widerspruchsverfahrens ab 2. März 2016 – mit Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 2017 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 16. Oktober 2018 ab. Es stehe fest, dass sich der Kläger im Rahmen der Kommunalwahl 2014 als Kandidat für den Gemeinderat der Gemeinde R. beworben habe, ohne gewählt worden zu sein. Außerdem habe er am 30. Juni 2014 an der Gründungsversammlung des „Verein N* … N* …“ teilgenommen, von der er zu einem der drei gleichberechtigten Vorstandsmitglieder gewählt worden sei. Im Rahmen der Aktivitäten des Vereins sei er an einem Informationsstand in der Bamberger Fußgängerzone tätig gewesen. Mit dem gesamten Verhalten habe der Kläger gegen die Verpflichtung zu außerdienstlichem Wohlverhalten verstoßen. Denn es stelle aus Sicht eines verständigen Dritten ein die Beamtenschaft in ihrem Ansehen schädigendes Verhalten dar, wenn ein mehr als zwei Jahre dienstunfähig erkrankter Beamter öffentlichkeitswirksame politische bzw. gesellschaftliche Aktivitäten zeige. Der verständige Betrachter könne nur zu dem Schluss kommen, dass sich der Beamte nicht um die Wiederherstellung seiner Gesundheit kümmere und sein Dienstherr dieses Verhalten hinnehme, ohne dagegen vorzugehen. An dieser Beurteilung ändere auch das vorgelegte ärztliche Attest des Klinikums Bamberg nichts, denn es empfehle zur Förderung des Gesundungsprozesses lediglich ehrenamtliche Tätigkeiten in einem beschränkten zeitlichen Umfang, bezeichne sie aber nicht als zwingende Voraussetzung. Der zeitliche Aufwand eines Vorstandsmitgliedes eines mitgliedsstarken Vereins übersteige die in dem Attest angesprochene Zeitdauer bei weitem. Zwar unterfielen die Betätigungen des Klägers dem grundrechtlichen Schutz, die disziplinarrechtliche Würdigung richte sich jedoch nicht gegen die Wahrnehmung der Grundrechte, sondern gegen die Art und Weise der Tätigkeiten. Damit habe er die – zumindest billigend in Kauf genommene und damit vorsätzliche – Ansehensschädigung verursacht. Ausgehend von einem Dienstvergehen eher geringen Gewichts stelle sich zur rechtlich gebotenen Pflichtenmahnung des Klägers die Verhängung der Geldbuße in Höhe von 500 Euro als angemessen und ausreichend dar.
5
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vom Senat mit Beschluss vom 1. Februar 2021 zugelassenen Berufung. Der Kläger habe sich wegen depressiver Phasen, die nicht zuletzt aus dem Beamtenverhältnis herrührten, im Krankenstand befunden; hierzu habe auch die später rechtskräftig aufgehobene (erste) Ruhestandsverfügung 2017 geführt. Die streitgegenständliche Disziplinarverfügung sei letztlich nur verhängt worden, um das eigentlich von der Beklagten verfolgte Ziel der Zurruhesetzung voranzubringen. Weder die Kandidatur für den Gemeinderat noch die Tätigkeit für den Naturschutz stellten außerdienstliche Aktivitäten dar, die dem Ansehen der öffentlichen Verwaltung auch nur ansatzweise schaden könnten. Im Gegenteil hätten die ehrenamtlichen Tätigkeiten des Klägers, der insoweit einer ärztlichen Empfehlung gefolgt sei, letztlich der Wiedererlangung seiner Dienstfähigkeit gedient. Die Kandidatur für den Gemeinderat sei auch aus Sicht eines verständigen Betrachters nicht geeignet, eine Ansehensschädigung zu bewirken. Der dem zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2013 (2 A 2.12) zugrundeliegende Sachverhalt sei nicht mit dem vorliegenden vergleichbar, weil es dort um die Kandidatur für das Amt eines hauptamtlichen Bürgermeisters gegangen sei. Die bloße Kandidatur eines erkrankten Beamten für einen Sitz im Gemeinderat verstoße nicht gegen die Wohlverhaltenspflicht, sondern sei im Hinblick auf das bestehende passive Wahlrecht uneingeschränkt rechtmäßig. Auch die Tätigkeiten für den Naturschutz schädigten nicht das Ansehen der öffentlichen Verwaltung, selbst wenn damit öffentlichkeitswirksame Auftritte verbunden seien, zumal die entsprechenden medialen Veröffentlichungen hier keine Verletzung der Wohlverhaltenspflicht zu erkennen gäben. Im Übrigen könne § 2 Abs. 2 BDG nicht dazu dienen, die durch die zwischenzeitliche Ruhestandsversetzung eingetretene zeitliche Zäsur zu überbrücken.
6
Er beantragt,
7
die Disziplinarverfügung der Bundespolizeiabteilung Bayreuth vom 25. August 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 3. Mai 2017 sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 16. Oktober 2018 aufzuheben.
8
Die Beklagte tritt der Berufung entgegen und beantragt,
9
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
10
Das dem Kläger vorgeworfene Verhalten könne durchaus seiner Genesung förderlich gewesen sein, jedoch liege der Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht nicht in dem Engagement als solchem, sondern darin, dass er seine Tätigkeiten während attestierter Dienstunfähigkeit ausgeübt habe und ein objektiver Betrachter damit den Eindruck gewinnen müsse, ein Beamter im Krankenstand könne sich „alles erlauben“. Der Kläger könne sich wegen des Grundsatzes der Einheit des Dienstverhältnisses (§ 2 Abs. 2 BDG) nicht auf die zeitweise Ruhestandsversetzung berufen.
11
Mit Beschluss vom 10. März 2021 (16b D 21.348) setzte der Senat das Berufungsverfahren im Hinblick auf den Ausgang des vorgreiflichen Klageverfahrens (B 5 K 20.314), mit dem der Kläger seine Versetzung in den Ruhestand zum 1. November 2019 angefochten hatte, aus. Nach Klagerücknahme in diesem Verfahren wurde der Status als Ruhestandsbeamter ab 1. November 2019 rechtskräftig. Nach seiner erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis am 31. August 2022 durchläuft der Kläger ab 5. September 2022 eine Wiedereingliederung mit dem Ziel, anschließend einen Lehrgang zum Laufbahnwechsel zu absolvieren.
12
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Behördenakten sowie die verschiedenen Gerichtsakten Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Senat am 18. Januar 2023.

Entscheidungsgründe

13
Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, der Disziplinarverfügung vom 25. August 2015 sowie des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheids vom 3. Mai 2017.
14
1. Der Senat geht in Übereinstimmung mit der Disziplinarbehörde der Beklagten und dem Kläger von den folgenden beiden Sachverhaltskomplexen aus, die ihm in der streitgegenständlichen Disziplinarverfügung als außerdienstliches Dienstvergehen (§ 77 Abs. 1 Satz 2 BBG, § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG, in der bis 6.12.2018 geltenden Fassung) in Form einer Verletzung der ihm obliegenden Pflicht zum achtungs- und vertrauensgerechten Verhalten (§ 61 Abs. 1 Satz 3 BBG, § 34 Satz 3 BeamtStG, in der bis 14.6.2017 geltenden Fassung) vorgehalten werden:
15
1.1 Der Kläger ließ sich für die am 16. März 2014 durchgeführte Wahl zum Gemeinderat seiner Heimatgemeinde R. aufstellen, ohne einen Gemeinderatssitz zu erlangen. Obwohl er sich seit 18. November 2011 durchgehend im Krankenstand befand, traute er sich die Übernahme des öffentlichen Amtes eines Mitglieds des Gemeinderats zu.
16
1.2 Am 30. Juni 2014 ließ er sich zu einem von drei gleichberechtigten Mitgliedern des Vorstandes des neu gegründeten Vereins „N* … N* …“ wählen. Der Verein umfasste zum 25. August 2015 ca. 1.000 Mitglieder. Die Vereinsgründung rief große mediale Resonanz nicht nur in den örtlichen Medien, sondern auch in der Fernsehberichterstattung des Bayerischen Rundfunks hervor. In zwei Berichten (am 28.7. und 5.12.2014) wurde der Kläger in Waldarbeiterkleidung mit Helm und Schnittschutzhose, mit einer Kettensäge arbeitend, gezeigt. Außerdem betreute er einen Informationsstand in der Bamberger Innenstadt am 8. November 2014.
17
2. Das diesen Vorwürfen zugrundeliegende Verhalten ist nicht geeignet, eine Pflichtverletzung des Klägers zu begründen. Insbesondere hat der Kläger nicht gegen seine Pflicht gemäß § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG verstoßen, denn die ihm vorgeworfenen Verhaltensweisen lassen nicht den Rückschluss zu, er sei außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen, die sein Beruf erfordert, nicht gerecht geworden (sog. Wohlverhaltenspflicht).
18
2.1 Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BBG). Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den besonderen Umständen des Einzelfalles in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (§ 77 Abs. 1 Satz 2 BBG). Ein einmaliges außerdienstliches Fehlverhalten eines Beamten lässt nicht ohne besondere qualifizierende Umstände den Rückschluss auf mangelnde Gesetzestreue oder mangelndes Verantwortungsbewusstsein bei der Erfüllung der dem Beamten obliegenden Dienstpflichten zu (BVerwG, U.v. 30.8.2000 – 1 D 37.99 – juris Rn. 22), selbst wenn es den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt.
19
Bei außerdienstlichem Verhalten ist ein Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht (§ 61 Abs. 1 Satz 3 BBG) Tatbestandsmerkmal eines Dienstvergehens. Nur wenn durch das Verhalten des Beamten Ansehen und Vertrauen in Bezug auf sein Amt im konkretauch funktionellen Sinn beeinträchtigt wird oder das Ansehen des Berufsbeamtentums generell infrage steht, liegt eine Pflichtverletzung nach dieser Bestimmung vor. Den Tatbestand eines Dienstvergehens verwirklicht ein derartiges pflichtwidriges außerdienstliches Verhalten nur, wenn die in § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG normierten besonderen Voraussetzungen der allgemeinen Bedeutsamkeit für das Amt und der besonderen einzelfallbezogenen Eignung erfüllt sind (BVerwG, U.v. 30.8.2000 – 1 D 37.99 – juris Rn. 18 f.).
20
Die Beeinträchtigung der Achtung und des Vertrauens muss sich entweder auf das Amt des Beamten im konkret-funktionellen Sinne (Dienstposten), d.h. auf die Erfüllung der dem Beamten konkret obliegenden Dienstpflichten, oder auf das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beziehen (BVerwG, U.v. 30.8.2000 a.a.O. Rn. 20; U.v. 25.3.2010 – 2 C 83.08 – juris Rn. 16; U.v. 19.8.2010 – 2 C 13.10 – juris Rn. 14). Die konkrete Möglichkeit einer Beeinträchtigung von Achtung oder Vertrauen liegt vor, wenn das vorgeworfene Verhalten (objektiv gesehen) Rückschlüsse darauf zulässt, dass der Beamte die ihm obliegenden Dienstpflichten nicht oder unzureichend erfüllen wird. Je enger der Zusammenhang seines außerdienstlichen (Fehl-) Verhaltens zu dem ihm übertragenen Aufgabenbereich ist, umso eher kann davon ausgegangen werden, dass sein Verhalten geeignet ist, die Achtung und/oder das Vertrauen zu beeinträchtigen, die sein Beruf erfordert (BVerwG, U.v. 30.8.2000 a.a.O. Rn. 22; BayVGH, B.v. 29.2.2016 – 16a DZ 13.177 – juris Rn. 11). Besteht etwa eine enge Verbindung, beispielsweise indem ein mit der Verfolgung von Straftaten betrauter Polizeibeamter selbst eine Straftat begeht, ist von einer derartigen Beeinträchtigung auszugehen (BVerwG, U.v. 8.5.2001 – 1 D 20.00 – juris Rn. 28).
21
2.2 Mit keinem der beiden hier streitgegenständlichen Sachverhalte, die im Übrigen jeder strafrechtlichen Relevanz entbehren, hat der Kläger ein (außerdienstliches) Verhalten an den Tag gelegt, das den Vorwurf rechtfertigen könnte, er sei der ihm gemäß § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG obliegenden berufserforderlichen Achtungs- und Vertrauenspflicht nicht gerecht geworden.
22
Zunächst ist festzuhalten, dass die Beklagte dem – im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids zur Disziplinarverfügung bereits seit mehr als fünf Jahren – dienstunfähig erkranken Kläger nicht vorwirft, gegen seine Verpflichtung, alles für seine Gesundung zu tun und dem Genesungsprozess abträgliches Verhalten zu unterlassen, verstoßen zu haben (vgl. hierzu: Herrmann in Herrmann/Sandkuhl, Beamtendisziplinarrecht, Beamtenstrafrecht, 2. Aufl. 2021, § 10 Rn. 994-996; BVerwG, U.v. 27.6.2013 – 2 A 2.12 – juris Rn. 18); denn das beanstandete Verhalten war der Wiederherstellung der Dienstfähigkeit des Beamten nicht nur nicht abträglich, sondern sogar förderlich, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat. Dafür spricht auch das ärztliche Attest vom 6. Februar 2015, das dem Kläger die Aufnahme ehrenamtlicher Tätigkeiten „in beschränktem Zeitrahmen“ empfiehlt, um den therapeutischen Prozess im Hinblick auf die vorliegende „schwere psychiatrische Erkrankung“ zu unterstützen.
23
2.2.1 Die Kandidatur eines langzeiterkrankten Beamten für einen Sitz im Gemeinderat im Rahmen von Kommunalwahlen ist grundsätzlich nicht geeignet, unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens zu einer Ansehensschädigung des Berufsbeamtentums beizutragen und stellt daher auch keine außerdienstliche Pflichtverletzung (nach Maßgabe der unter 2.1 dargestellten Kriterien) dar.
24
Der Kläger hat mit der Bewerbung für einen Sitz in einer Kommunalvertretung von seinem passiven Wahlrecht und seinem Recht auf politische Betätigung für eine Partei Gebrauch gemacht (vgl. Art. 38 Abs. 1, 2 i.V.m. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG). Diesen grundrechtlichen Positionen steht die Wohlverhaltenspflicht als Teilaspekt der beamtenrechtlichen Treuepflicht und das Disziplinarrecht entgegen, die ihrerseits auf der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums gemäß Art. 33 Abs. 5 GG beruhen (BVerwG, U.v. 27.6.2013, a.a.O. Rn. 28). Die widerstreitenden Verfassungsgüter sind im Sinne praktischer Konkordanz und unter Rückgriff auf verfassungsrechtliche Bestimmungen und Prinzipien zu einem schonenden Ausgleich zu bringen (vgl. BVerfG, U.v. 24.11.2010 – 1 BvF 2/05 – juris Rn. 147).
25
Im vorliegenden Fall überwiegt der dem Kläger zukommende grundrechtliche Schutz seines Verhaltens die Befürchtung der Beklagten vor einem Ansehensverlust des Berufsbeamtentums. Nicht begründen lässt sich ein Ansehensverlust mit dem Hinweis auf die Sicht eines „verständigen Betrachters“, der den Eindruck haben müsse, der Kläger kümmere sich nicht um die Wiederherstellung seiner Gesundheit, sondern könne sich im Krankenstand „alles erlauben“. Das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 27.6.2013, a.a.O. Rn. 24) verlangt in diesem Zusammenhang ein Abstellen auf die Sichtweise eines verständigen Betrachters, „der alle relevanten Umstände des Einzelfalles kennt“. Dazu gehört im vorliegenden Fall insbesondere die Kenntnis von der zugrundeliegenden psychischen Erkrankung des Klägers, denn erst die Kenntnis über die Art der Erkrankung des Klägers ermöglicht einem außenstehenden Dritten eine differenzierte Betrachtungsweise, die etwa auch den Schluss zuließe, die Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit könne im konkreten Fall einer Gesundung zuträglich sein. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass mit der Kandidatur für den Gemeinderat sogar eine Ansehensmehrung einhergehen könnte, denn die Ausübung eines der Allgemeinheit zugutekommenden Ehrenamts (hier: Gemeinderatsmitglied, vgl. Art. 121 BV i.V.m. Art. 31 Abs. 2 Satz 1 GO) dürfte in der Öffentlichkeit grundsätzlich ein positives Echo hervorrufen.
26
Die Beklagte beruft sich zur Begründung ihrer Annahme einer Pflichtverletzung des Klägers auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2013 (a.a.O.). Dort hatte ein seit etwa zwei Jahren krankgeschriebener Beamter als hauptamtlicher Bürgermeister kandidiert und acht publikumswirksame, zwei- bis vierstündige Wahlkampfauftritte absolviert. Das Bundesverwaltungsgericht bejahte einen Verstoß gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht mit der Begründung, einem verständigen Betrachter könne es „als widersprüchlich erscheinen“, wenn der Beamte einerseits seit langem krankgeschrieben sei, sich jedoch andererseits sogar die Erfüllung der Aufgabe eines hauptamtlichen Bürgermeisters zutraue und für dieses Amt bewerbe, ohne sich um die Wiederherstellung seiner Gesundheit zu kümmern.
27
Diese Situation unterscheidet sich jedoch maßgeblich von der hier vorliegenden. Zum einen ist in das Amt eines hauptberuflichen Bürgermeisters bereits vom Aufgaben- und Verantwortungsumfang her betrachtet nicht zu vergleichen mit dem eines ehrenamtlichen tätigen, nicht berufsmäßigen Mitglied eines Gemeinderats (vgl. Art. 30f., 34f. GO). Zum anderen hat im konkreten Fall der Kläger keinerlei Wahlkampfauftritte in der Öffentlichkeit absolviert. Zumindest hat die Beklagte keine entsprechenden Erkenntnisse über medienwirksame Veranstaltungen im Rahmen des Kommunalwahlkampfs, an denen der Kläger teilgenommen hätte, mitgeteilt. Die bloße Anwesenheit an einem Informationsstand seiner Partei, um Informationsmaterial zu verteilen und mit Gemeindebürgern ins Gespräch zu kommen, kann dem Kläger nicht im Sinne des ihm vorgehaltenen widersprüchlichen Verhaltens zur Last gelegt werden.
28
2.2.2 Auch die Teilnahme des Klägers an der in der Region viel beachteten Gründungsversammlung des Naturschutzvereins „N* … N* …“, die Annahme der Wahl zu einem von drei gleichberechtigten Mitgliedern des Vorstands sowie das nachfolgende Engagement für die Erreichung des Vereinszwecks – insbesondere in Form einiger medienwirksamer Auftritte – vermag der Senat nicht als Verstoß gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht zu bewerten. Zwar war der Kläger am 30. Juni 2014, dem Tag der Gründungsversammlung, bereits seit mehr als zweieinhalb Jahre dienstunfähig erkrankt, dennoch war der parallel zur Erkrankung geleistete Einsatz für den Vereinszweck nicht geeignet, die Voraussetzungen einer Pflichtverletzung zu erfüllen; weder lässt das Verhalten des Klägers Rückschlüsse auf die Art der Erfüllung seiner Dienstpflichten zu, noch führte es zu dem von der Beklagten angenommenen Ansehensverlust für das Berufsbeamtentum.
29
Es ist bereits unklar, welchen zeitlichen Umfang die Betätigung des Klägers als Vorstand in Anspruch genommen hat. Die Beklagte bezieht sich im Wesentlichen auf Fernsehberichte (vom 1./28.7. und 15.12.2014) und auf einige in den Behördenakten enthaltenen Zeitungsartikel, in denen zum Teil der Beruf des Klägers („Polizeibeamter“) angeführt wird, sowie auf die Tätigkeit an einem Informationsstand des Vereins. Der Kläger selbst hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, er habe das Amt bis zum Jahr 2018 in einem Umfang ausgeübt, den auch ein gesunder Beamter neben der Berufsausübung hätte leisten können; die Tätigkeit habe ihm gutgetan. Schon vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, worin konkret der Ansehensverlust für das Berufsbeamtentum in der Öffentlichkeit liegen sollte. Der Senat folgt nicht der Ansicht des Verwaltungsgerichts, die im ärztlichen Attest vom 16. Februar 2015 gemachte Anregung, dem Kläger werde die Aufnahme von ehrenamtlichen Tätigkeiten nur in beschränktem zeitlichen Umfang empfohlen, sei „bei weitem“ überschritten. Für diese Annahme fehlen nicht nur genaue Sachverhaltsfeststellungen der Beklagten. Auch die glaubhafte Aussage des Klägers, ihm sei es während dieses Zeitraums erheblich bessergegangen, spricht gegen eine übermäßige Beanspruchung in zeitlicher Hinsicht. Dass in einigen der öffentlichen Verlautbarungen der Beruf des Klägers von ihm selbst oder von Dritten genannt wurde, bedeutet keinen selbstständigen Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht, sondern ist den Gebräuchen der Medienberichterstattung geschuldet, wonach die Berufe von Personen, über die berichtet wird, mitunter in „abrundender“ Weise mitgeteilt werden. Es ist hingegen nicht erkennbar, dass der Kläger mit der Angabe seines Berufs „Werbung“ für den Verein machen wollte, erst recht nicht, dass er sich rühmte, seine Tätigkeit als Vereinsvorstand während der Fortzahlung seiner Bezüge infolge Krankschreibung auszuüben.
30
Dem Kläger kann weiter nicht die im Ermittlungsbericht der Bundespolizeiabteilung Bayreuth vom 23. Januar 2015 (S. 6) angesprochene „Störung des Betriebsklimas innerhalb der Behörde“ infolge der „liegengebliebenen Arbeit“, die nun von anderen Kollegen erledigt werden müsse, im Disziplinarverfahren zur Last gelegt werden. Dieser Umstand besteht ungeachtet des während seiner Krankschreibung gezeigten außerdienstlichen Verhaltens und beruht wohl zum Teil auch darauf, dass die Kollegen schon aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht über Hintergründe der Erkrankung des Klägers im Bilde gewesen sein dürften. Ohne die langjährige Krankschreibung des Klägers wären im Übrigen entsprechende Aktivitäten als Vorstand eines Vereins – auch bei gleicher Medienwirksamkeit – beanstandungslos geblieben. Daher erscheint es auch schwer vorstellbar, dass das gleiche Verhalten nur deswegen einen Verstoß gegen § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG darstellen soll, weil es während der Zeit einer Krankschreibung ohne Beeinträchtigung des Genesungsprozesses an den Tag gelegt wurde. Dies gilt unabhängig davon, dass der Umfang der ehrenamtlichen Betätigung des Klägers vermutlich in tatsächlicher Hinsicht deswegen größer war, weil er von seinen Dienstpflichten infolge Dienstunfähigkeit befreit war.
31
Entscheidend ist, dass auch hier der dem Kläger zukommende grundrechtliche Schutz (Art. 5 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 GG), einen Verein zu gründen, sich zu einem Vorstandsmitglied wählen zu lassen, für den Verein tätig zu sein und damit seiner Meinungsfreiheit Ausdruck zu geben, die Wohlverhaltenspflicht als Teilaspekt der beamtenrechtlichen Treuepflicht (s.o. 2.2.1) in ihrer Gewichtigkeit überwiegt. Einem entsprechend umfassend informierten Dritten drängt sich gerade nicht der Eindruck auf, ein Beamter könne während einer auf einer psychischen Erkrankung beruhenden Dienstunfähigkeit „machen, was er wolle“, ohne auf seine Gesundung hinarbeiten zu müssen. Insoweit kann auf die entsprechenden Ausführungen (s.o. 2.2.1) zur Kandidatur des Klägers für den Gemeinderat verwiesen werden.
32
Der Senat hat keine Zweifel am Vorliegen einer lang andauernden (psychischen) Erkrankung des Klägers. Auch die Beklagte selbst hat zu keinem Zeitpunkt Zweifel an der tatsächlich bestehenden Erkrankung geäußert und die ihm vorgeworfenen Aktivitäten offenbar bis zu einem gewissen Grad als „Therapiemaßnahme“ anerkannt, jedoch in der Öffentlichkeitwirksamkeit seines Auftretens als Vorstand eines in der öffentlichen Diskussion stehenden mitgliederstarken Vereins einen Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht gesehen. Soweit die Beklagte dem Kläger nicht die Wahrnehmung seiner Grundrechte als solche, sondern nur die Art und Weise im Hinblick auf eine „übertriebene“ Medienpräsenz vorwerfen will (BVerwG, U.v. 27.6.2013, a.a.O. Rn. 29), übersieht diese Argumentation jedoch die Notwendigkeit einer Gesamtbetrachtung seines Verhaltens. Gerade das Ehrenamt eines im Bereich des Naturschutzes und damit zugleich auch im (umwelt-)politischen Bereich tätigen Vereinsvorsitzenden erfordert die Erzeugung von Medienaufmerksamkeit und kann nicht, wie etwa die Tätigkeit als Vorsitzender eines lokalen Sportvereins, überwiegend im „Stillen“ ausgeübt werden. Eine Trennung beider Aspekte verbietet sich, denn die Aufgaben eines Vereinsvorstands bestehen insbesondere auch darin, den Bekanntheitsgrad des von ihm vertretenen Vereins dadurch zu fördern, dass er für dessen Ziele öffentlich wirbt und sie dadurch verbreitet.
33
Dem Kläger kann schließlich nicht vorgehalten werden, dass er mit der Übernahme der Vorstandstätigkeit während der Zeit seiner Erkrankung einer Nebentätigkeit ohne entsprechende dienstrechtliche Genehmigung nachgegangen ist (vgl. zum Widerruf einer zu Erwerbszwecken erteilten Nebentätigkeit bei längerer Dienstunfähigkeit und Beeinträchtigung des Ansehens der öffentlichen Verwaltung: BayVGH, B.v. 27.4.2020 – 3 CS 20.535 – juris Rn. 6). Denn bei der Übernahme der unentgeltlich ausgeübten Position eines Vereinsvorstands handelt es sich nicht um eine genehmigungspflichtige Nebentätigkeit (vgl. Art. 81 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayBG); der Kläger hätte auch ohne Erkrankung keine Genehmigung einholen müssen. Ist aber die Ausübung einer erlaubnisfreien Tätigkeit mit der Art der vorliegenden Erkrankung zu vereinbaren und erscheint sie sogar für die Gesundung förderlich, ist eine Beeinträchtigung der Integrität und Glaubwürdigkeit des öffentlichen Dienstes in der Öffentlichkeit nicht zu befürchten.
34
3. Nach alldem können die weiteren Rechtsfragen, die sich im Falle der Bejahung einer Dienstpflichtverletzung ergeben würden, offenbleiben. Hierzu zählt insbesondere die Problematik der möglicherweise überlangen Verfahrensdauer (vgl. BVerwG, U.v 12.1.2017 – 2 WD 12.16 – juris Rn. 40-42), die Frage, ob die behauptete Ansehensschädigung schuldhaft – hier: mit bedingten Vorsatz – begangen wurde und ob sich (ggf. welche) Auswirkungen der zeitweiligen Ruhestandsversetzung des Klägers für das gerichtliche Disziplinarverfahren ergeben.
35
4. Die Beklagte hat gemäß § 77 Abs. 1 BDG, § 154 Abs. 1 VwGO als unterlegene Partei die Kosten des Klageverfahrens in beiden Rechtszügen O zu tragen.
36
Die Revision war mangels Vorliegen der Voraussetzungen nicht zuzulassen (§ 69 BDG, § 132 VwGO, § 191 Abs. 2 VwGO, § 127 BRRG).