Titel:
Entziehung der Fahrerlaubnis bei ärztlich verordneter Einnahme von Medizinalcannabis
Normenketten:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 7, Abs. 8 S. 1, § 46 Abs. 1 S. 2, Anl. 4 Nr. 9
Leitsatz:
Der Mischkonsum von Medizinalcannabis und Alkohol im Zusammenhang mit der Verkehrsteilnahme ist als missbräuchliche Einnahme iSd Anl. 4 Nr. 9.4 FeV anzusehen bzw. einer solchen gleichzustellen und führt zur Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen (vgl. VGH München BeckRS 2019, 8194 Rn. 38). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis, Cannabispatient, Missbräuchliche Einnahme von Medizinalcannabis, Verkehrsteilnahme nach Mischkonsum von Medizinalcannabis und Alkohol, Feststehende Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen, Austausch der Rechtsgrundlagen, Fahrerlaubnis, Entziehung, Cannabis, Medizinalcannabis, Mischkonsum, Austausch von Rechtsgrundlagen
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 22.12.2022 – RO 8 S 22.2356
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10133
Tenor
I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 22. Dezember 2022 wird in Nr. I und II aufgehoben.
Der Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 8. August 2022 wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse AM, B, und L.
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Der 1997 geborene Antragsteller ist in der Vergangenheit mehrfach wegen unerlaubten Besitzes von Cannabis aufgefallen. In einem Urteil des Amtsgerichts Amberg – Jugendgericht – vom 18. Juni 2014 heißt es, der Antragsteller habe kurz nach dem Tod seines Bruders im Jahr 2007 begonnen, regelmäßig Drogen, insbesondere Gras und Kräutermischungen, zu konsumieren. Zuletzt sprach ihn das Amtsgericht Amberg – Jugendgericht – mit Urteil vom 17. August 2020 des vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs mit Betäubungsmitteln in 16 Fällen für schuldig und erlegte ihm die Zahlung eines Geldbetrags auf. In dem Urteil heißt es, er habe im Zeitraum zwischen 2018 und Ende Januar 2019 gut 174 Gramm Marihuana zum Eigenkonsum erworben.
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Am 2. Februar 2020 gegen 1:30 Uhr kontrollierte die Polizei den Antragsteller als Fahrer eines Kraftfahrzeugs und stellte dabei drogenbedingte Auffälligkeiten fest. Der Antragsteller räumte einen Cannabis-Konsum ein und zeigte auf seinen Namen ausgestellte Rezepte für Medizinalcannabis vor. Ein freiwilliger Atemalkoholtest ergab eine Atemalkoholkonzentration von 0,31 mg/l. Gegenüber der Polizei erklärte der Antragsteller, innerhalb der letzten 24 Stunden zwei Bier à 0,5 l getrunken zu haben. Dem Bericht des Blutentnahmearztes lässt sich entnehmen, dass der Antragsteller Cannabis nach eigenen Angaben zuletzt am 31. Januar 2020 um 20 Uhr konsumiert hat. Die am 2. Februar 2020 um 1:53 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0,71 Promille sowie Konzentrationen von 10 ng/ml THC, 3,7 ng/ml 11-Hydroxy-THC und 37 ng/ml THC-Carbonsäure im Serum/Plasma. Die Tat wurde rechtskräftig als Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 und 2 StVG geahndet.
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Mit Schreiben vom 6. Mai 2020 forderte das Landratsamt Amberg-Sulzbach (Fahrerlaubnisbehörde) den Antragsteller auf, ein aktuelles ärztliches Attest einzureichen, u.a. zu der Frage, welche Grunderkrankung bei ihm vorliege und wie diese zuvor behandelt worden sei. Der Antragsteller übersandte ein ärztliches Attest seines Internisten vom 3. Juni 2020. Darin heißt es, bei dem Antragsteller liege ein ängstlich-depressives Syndrom mit nichtorganischer Schlafstörung vor, das durch den Tod seines Bruders ausgelöst worden sei. Die neurologisch eingeleiteten Psychopharmaka hätten zu paradoxen Wirkungen sowie typisch bekannten Nebenwirkungen geführt, sodass im letzten Jahr die Therapie mit Cannabinoiden eingeleitet worden sei. Der gewünschte therapeutische Erfolg mit seelischer Stabilisierung habe sich rasch eingestellt und damit auch die Stabilisierung der Arbeitsfähigkeit. Es bestehe kein Hinweis auf Missbrauch anderer Substanzen wie Alkohol. Der Alkoholkonsum werde sogar verneint.
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Auf Nachfrage des Landratsamts reichte der Antragsteller eine Reihe von Rezepten ein, mit denen Cannabisblüten der Sorten Red. No 2 und Blueberry, täglich 4 x 0,2 g bei Bedarf, verschrieben wurden. Als Diagnose genannt wird dort eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (F 33.1).
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Mit Schreiben vom 22. Dezember 2020 forderte das Landratsamt den Antragsteller auf, ein ärztliches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen. Nach Ziffer 7.5 der Anlage 4 zur FeV sei nicht in der Lage zum Führen eines Kraftfahrzeugs, wer u.a. an einer Manie oder sehr schweren Depression leide. Schlafstörungen könnten nach Ziffer 11.2 der Anlage 4 zur FeV zu übermäßiger Tagesschläfrigkeit führen. Die damit verbundenen Aufmerksamkeitsdefizite seien häufig Ursache von Verkehrsunfällen. Nach Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV sei ein Fahrerlaubnisinhaber, der aufgrund einer Dauerbehandlung mit psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter dem erforderlichen Maß aufweise, nicht in der Lage, Kraftfahrzeuge zu führen. Daher werde nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ausräumung der Zweifel an der Fahreignung auf Grundlage des § 11 Abs. 2 FeV i.V.m. § 46 Abs. 3 FeV und Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV eine ärztliche Begutachtung angeordnet. Zu beantworten seien u.a. die Fragen, ob bei dem Antragsteller eine Erkrankung vorliege, die nach Nr. 7 oder Nr. 11.2 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stelle und ob der Antragsteller in diesem Fall (wieder) in der Lage sei, den Anforderungen vollständig gerecht zu werden. Zudem wurde gefragt, ob vor dem Hintergrund einer Dauerbehandlung mit Cannabis die erforderliche Leistungsfähigkeit vorliege; die dazu erforderliche psychophysische Leistungstestung und deren Bewertung seien als psychologischer Befund zu erheben und im Rahmen der Erstellung des ärztlichen Gutachtens beizuziehen.
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Nachdem innerhalb der bis zum 30. März 2021 verlängerten Frist kein Gutachten vorgelegt wurde, entzog das Landratsamt dem Antragsteller mit Bescheid vom 30. Juni 2022 nach Anhörung die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn unter Androhung eines Zwangsgelds, seinen Führerschein innerhalb von sieben Tagen abzuliefern. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehbarkeit dieser Verfügungen an. Aus der Nichtvorlage des Gutachtens sei nach § 11 Abs. 8 FeV auf fehlende Fahreignung zu schließen.
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Am 8. August 2022 erhob der Antragsteller Widerspruch und ließ am 27. September 2022 einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO beim Verwaltungsgericht Regensburg stellen.
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Mit Beschluss vom 22. Dezember 2022 stellte das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder her bzw. ordnete diese – hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung – an. Der Schluss aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf mangelnde Eignung sei nicht gerechtfertigt, da die Beibringungsanordnung bei summarischer Prüfung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Das Landratsamt hätte hinsichtlich der Grunderkrankung des Antragstellers zunächst weitere Auskünfte des behandelnden Arztes, u.a. zum Schweregrad des ängstlich-depressiven Syndroms, einholen und dahin bewerten müssen, ob sich daraus hinreichende Anhaltspunkte für das Fehlen der Fahreignung ergäben. Damit sei die thematisch nicht teilbare Fragestellung im Ganzen rechtswidrig.
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Zur Begründung der dagegen gerichteten Beschwerde macht die Landesanwaltschaft Bayern für den Antragsgegner geltend, das Verwaltungsgericht überziehe die Anforderungen an eine Vorabklärung. Das Landratsamt habe den Antragsteller zwei Mal um Vorlage eines Attests seines behandelnden Arztes gebeten, ohne dass die gestellten Fragen vollständig beantwortet worden seien. Unabhängig davon sei der Antragsteller bereits mit Blick auf den Mischkonsum von Medizinalcannabis und Alkohol als ungeeignet anzusehen. Nach der Rechtsprechung des Senats bestehe bei Cannabispatienten im Fall des fahreignungsrelevanten Mischkonsums mit Alkohol keine Fahreignung. Die festgestellte Konzentration von THC und 11-Hydroxy-THC sprächen, wie das untersuchende Labor auf Nachfrage bestätigt habe, für einen zeitnahen, d.h. wenige Stunden vor der Kontrolle liegenden Cannabis-Konsum.
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Der Antragsteller tritt der Beschwerde entgegen.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
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Die zulässige Beschwerde ist begründet. Aus dem Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt sich, dass der Widerspruch als Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird. Damit fällt die Interessenabwägung zu Gunsten der sofortigen Vollziehbarkeit des angegriffenen Bescheids aus und war der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung abzulehnen.
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1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. März 2023 (BGBl I Nr. 56), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), ebenfalls zuletzt geändert durch das vorgenannte Gesetz vom 2. März 2023, hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde.
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Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei ärztlich verordneter Einnahme von Medizinalcannabis richtet sich nach Nr. 9 der Anlage 4 zur FeV. Danach entfällt bei Einnahme von ärztlich verordnetem Cannabis die Fahreignung grundsätzlich nicht schon wegen regelmäßigen Cannabiskonsums (Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV), wenn es sich um die bestimmungsgemäße Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels im Sinne von Nr. 3.14.2 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27. Januar 2014 (Vkbl S. 110) in der Fassung vom 17. Februar 2021 (Vkbl S. 198) handelt. Insoweit definieren Nr. 9.4 und Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV speziellere Anforderungen für Eignungsmängel, die aus dem Gebrauch psychoaktiver Arzneimittel resultieren (BayVGH, B.v. 29.4.2019 – 11 B 18.2482 – ZfSch 2019, 414 Rn. 23 m.w.N.). Soll eine Dauerbehandlung mit Medizinalcannabis nicht zum Verlust der Fahreignung führen, setzt dies voraus, dass die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist (Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, S. 303), das medizinische Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien [StAB] zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation, aktualisierte Fassung vom August 2018, abgedruckt in Schubert/Huetten/Reimann/Graw, a.a.O., S. 443; vgl. auch BayVGH, B.v. 16.1.2020 – 11 CS 19.1535 – Blutalkohol 57, 133 = juris Rn. 22; B.v. 22.8.2022 – 11 CS 22.1202 – BeckRS 2022, 22199 Rn. 25; OVG NW, B.v. 5.7.2019 – 16 B 1544/18 – Blutalkohol 56, 342 = juris Rn. 4 ff.; VGH BW, B.v. 16.1.2023 – 13 S 330/22 – NJW 2023, 861 Rn. 6; OVG Saarl, B.v. 8.11.2021 – 1 B 180/21 – ZfSch 2022, 57 = juris Rn. 14; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 2 StVG Rn. 62a). Eine missbräuchliche Einnahme, die z.B. bei einer Einnahme des Medikaments in zu hoher Dosis oder entgegen der ärztlichen Verschreibung angenommen werden kann, beurteilt sich nach Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV und schließt danach die Fahreignung aus (BayVGH, B.v. 16.1.2020, a.a.O. Rn. 25).
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Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens u.a. angeordnet werden, wenn nach Würdigung des ärztlichen Gutachtens gemäß § 11 Abs. 2 FeV ein medizinisch-psychologisches Gutachten zusätzlich erforderlich ist. Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder wenn er das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 19 m.w.N.). Steht zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, dass dem Betroffenen die Fahreignung fehlt, hat sie die Fahrerlaubnis hingegen ohne Weiteres zu entziehen. Gemäß § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt in diesem Fall die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens.
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2. Daran gemessen steht, wie die Landesanwaltschaft Bayern zu Recht einwendet, die Nichteignung des Antragstellers mit Blick auf seine Verkehrsteilnahme nach einem Mischkonsum von Medizinalcannabis und Alkohol im Sinne des § 11 Abs. 7 FeV fest, ohne dass es auf die Rechtmäßigkeit der Beibringungsanordnung ankommt.
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a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Mischkonsum von Medizinalcannabis und Alkohol im Zusammenhang mit der Verkehrsteilnahme als missbräuchliche Einnahme im Sinne der Nr. 9.4 der Anl. 4 zur FeV anzusehen bzw. einer solchen gleichzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2019 – 11 B 18.2482 – ZfSch 2019, 414 Rn. 35, 38; s. zum Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen auch die Handlungsempfehlung zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation, Schubert/Huetten/Reimann/Graw, a.a.O., S. 440/444). Zur Begründung hat der Senat dabei auf die Handlungsempfehlung zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation verwiesen, wonach der zusätzliche Einfluss von Alkohol bei der Verkehrsteilnahme aufgrund der damit verbundenen erheblichen Steigerung des Unfallrisikos generell auszuschließen ist (vgl. Schubert/Huetten/Reimann/Graw, a.a.O., S. 440/447; s. dazu auch Health Canada, Information for Health Care Professionals, Cannabis [marihuana, marijuana] and the cannabinoids, 2018, S. 172 ff., abrufbar unter www.canada.ca; zur additiven, möglicherweise sogar synergistischen Wirkungen des Mischkonsums vgl. zudem BVerwG, U.v. 14.11.2013 – 3 C 32.12 – BVerwGE 148, 230 Rn. 21). In Einklang damit weist auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung in ihren Empfehlungen zur Verordnung von Medizinalcannnabis unter dem Gesichtspunkt der Fahrtüchtigkeit darauf hin, dass bei der Einnahme von medizinischem Cannabis kein Alkoholgenuss stattfinden darf (vgl. Wirkstoff aktuell, Ausgabe 3/2019, Cannabisarzneimittel, abrufbar unter kbv.de).
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Unter zeitlichem Blickwinkel gilt dabei, nicht anders als mit Blick auf den Mischkonsum von Alkohol und nichtmedizinischem Cannabis, keine „handlungsbezogene“, sondern eine „wirkungsbezogene“ Betrachtungsweise. Maßgeblich ist nicht die gleichzeitige Einnahme der Substanzen, sondern eine Einnahme, die eine kombinierte Rauschwirkung zur Folge haben kann. Ein fahrerlaubnisrelevanter Mischkonsum von Medizinalcannabis und Alkohol setzt folglich in zeitlicher Hinsicht eine Einnahme der Substanzen voraus, die zu einer Wirkungskumulation führen kann (so BVerwG, U.v. 14.11.2013, a.a.O. Rn. 26 zu Mischkonsum von nichtmedizinischem Cannabis und Alkohol).
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b) Eine solche kombinierte Rauschwirkung im Zusammenhang mit der Verkehrsteilnahme ist hier zu bejahen. Die am 2. Februar 2020 beim Antragsteller entnommene Blutprobe ergab neben Konzentrationen von 10 ng/ml THC, 3,7 ng/ml 11-Hydroxy-THC und 37 ng/ml THC-Carbonsäure auch eine Blutalkoholkonzentration von 0,71 Promille. Dies belegt nicht nur eine Wirkungskumulation beider Substanzen, sondern, wie das untersuchende Labor auf Nachfrage des Landratsamts nachvollziehbar ausgeführt hat, sogar einen zeitnahen, d.h. wenige Stunden vor der Blutentnahme liegenden Cannabiskonsum. Das deckt sich mit Erkenntnissen, wonach THC bei regelmäßigem Konsum nach Abstinenz zwar durchaus mehrere Tage nachgewiesen werden kann, allerdings nur im niedrigen ng/ml-Bereich von z.B. 1,2 bis 6,4 ng/ml Serum, und nach ca. 4,8 bis 6,3 Stunden wieder die Ausgangskonzentration an THC erreicht wird (vgl. Skopp/Graw/Mußhoff, Blutalkohol 2022, 5/7 f.). Somit muss der Cannabiskonsum in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Genuss von Alkohol erfolgt sein. Ob – was zu verneinen sein dürfte – eine andere Beurteilung gerechtfertigt sein kann, wenn die Wirkung des Alkohols nicht in eine akute Phase erhöhter THC-Konzentration, sondern in die sog. späte Eliminationsphase (vgl. dazu Skopp/Graw/Mußhoff, a.a.O. S. 8) fällt, bedarf daher keiner Erörterung. Gleiches gilt für die fahrerlaubnisrechtliche Bewertung eines Mischkonsums von Medizinalcannabis und Alkohol ohne Verkehrsteilnahme.
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Wenn der Antragssteller vorbringt, aus der Höhe der Blutalkoholkonzentration könne nicht auf den Zeitpunkt des Alkoholkonsums geschlossen werden, war dem schon mit Blick auf die vorgenannten „wirkungsbezogene“ Betrachtungsweise nicht näher nachzugehen. Ebenso wenig verfängt nach dem Vorstehenden der Einwand, die Eingrenzung des Konsums dahin, dass er „wenige Stunden“ vor der Blutentnahme stattgefunden habe, sei nicht konkret genug.
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c) Damit steht die missbräuchliche, weil mit Alkoholkonsum kombinierte Einnahme von Cannabis fest. Der Antragsteller hat bisher auch weder nachgewiesen, dass er seine Fahreignung während des laufenden Widerspruchsverfahrens wiedererlangt hat, noch bestehen Anhaltspunkte in diese Richtung, denen die Fahrerlaubnis- bzw. Widerspruchsbehörde nachgehen müsste. Folglich ist der Antragsteller als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, ohne dass es weiterer Aufklärung bedürfte.
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Dabei ist unerheblich, dass der angegriffene Bescheid sich auf § 11 Abs. 8 FeV stützt. Die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig ist, richtet sich, sofern höherrangiges oder spezielleres Recht nichts Abweichendes vorgibt, nach dem Recht, das geeignet ist, seinen Spruch zu tragen. Erweist sich dieser aus anderen als den angegebenen Rechtsgründen als rechtmäßig, ohne dass diese anderen Rechtsgründe wesentliche Änderungen des Spruchs erfordern würden, dann ist der Verwaltungsakt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig (BVerwG, U.v. 19.8.1988 – 8 C 29.87 – BVerwGE 80, 96 = juris Rn.13; BayVGH, B.v. 23.6.2016 – 11 CS 16.907 – juris Rn. 23). Daher kann ein Bescheid, der auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV gestützt ist und einem Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines angeordneten Gutachtens entzieht, auf der Grundlage des § 11 Abs. 7 FeV rechtmäßig und aufrechtzuerhalten sein, wenn die Nichteignung des Betroffenen zum maßgeblichen Zeitpunkt feststeht. § 11 Abs. 7 und Abs. 8 Satz 1 FeV sind keine Ermessensvorschriften, sondern zwingendes Recht. Die Rechtsgrundlagen sind daher insoweit austauschbar (BayVGH, B.v. 21.1.2019 – 11 ZB 18.2066 – juris Rn. 18 m.w.N.).
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d) Der Antragsteller ist daher darauf zu verweisen, seine Kraftfahreignung in einem etwaigen Wiedererteilungsverfahren im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV zu belegen. Dabei wird angesichts des Konsums von nichtmedizinischem Cannabis in der Vergangenheit zumindest auch der Frage nachzugehen sein, ob der Antragsteller zusätzlich zur Medikation weiterhin unerlaubt THChaltige Stoffe konsumiert und ob eine etwaige Verhaltensänderung als stabil einzustufen ist. Ferner wird das Trennungsverhalten des Antragstellers nach Konsum von Cannabis und Alkohol bezüglich der Teilnahme am Straßenverkehr abzuklären sein, zumal die Einschätzung des ihn behandelnden Arztes im Attest vom 3. Juni 2020, es bestehe kein Hinweis auf Missbrauch anderer Substanzen, wie auch Alkohol, offensichtlich nicht zutrifft. Klärungsbedarf besteht auch hinsichtlich der Indikation von Cannabis bei Depression, zumal bei längerfristigem unerlaubten Cannabiskonsum vor der ärztlichen Verordnung.
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3. Davon ausgehend überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angegriffenen Bescheids das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Bei Kraftfahrern, denen die erforderliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs fehlt, ist das Erlassinteresse regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 8.6.2021 – 11 CS 20.2342 – juris Rn. 17). Dem steht das Interesse des Antragstellers am Führen von Kraftfahrzeugen nicht entgegen. Denn dem Schutz der Allgemeinheit vor Verkehrsgefährdungen kommt angesichts der Gefahren durch die Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrer am Straßenverkehr besonderes Gewicht gegenüber den Nachteilen zu, die einem betroffenen Fahrerlaubnisinhaber in beruflicher oder in privater Hinsicht entstehen (vgl. BVerfG, B.v. 19.7.2007 – 1 BvR 305/07 – juris Rn. 6; B.v. 15.10.1998 – 2 BvQ 32/98 – DAR 1998, 466 = juris Rn. 5, zu einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO; BayVGH, B.v. 17.2.2020 – 11 CS 19.2220 – juris Rn. 17; OVG NW, B.v. 22.5.2012 – 16 B 536/12 – juris Rn. 33).
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4. Der Beschwerde war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).