Inhalt

VGH München, Beschluss v. 27.04.2023 – 10 C 23.523
Titel:

Bemessung des Streitwertes für den Fall der Abschiebung 

Normenketten:
RVG § 32 Abs. 2 S. 1
GKG § 39 Abs. 1, § 52 Abs. 1, Abs. 2, § 68 Abs. 1, Abs. 3
AufenthG § 11 Abs. 4 S. 1
Leitsätze:
1. Die Empfehlungen des Streitwertkatalogs sehen speziell für den Fall der Abschiebung in Nr. 8.3. einen halben Auffangwert pro Person vor. Davon sind auch Rechtsschutzbegehren im Zusammenhang mit der Rückgängigmachung der Abschiebung umfasst. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Feststellungsantrag, dass die Abschiebung rechtswidrig gewesen ist, begründet gegenüber dem Rückholungsantrag keinen weitergehenden eigenen Streitgegenstand. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dagegen rechtfertigt der Antrag gerichtet auf Aufhebung bzw. Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 S. 1 AufenthG die Annahme eines eigenständigen Streitgegenstand, der mit dem Auffangstreit nach § 52 Abs. 2 GKG zu veranschlagen ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Streitwertbeschwerde, Bevollmächtigter, Eigenständige Streitgegenstände, Streitwert, Bemessung, Abschiebung, Rückgängigmachung, Rückkholungsantrag, Einreise- und Aufenthaltsverbot, eigenständiger Streitgegenstand, Auffangwert, Streitwertkatalog
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 08.03.2023 – Au 6 K 22.2400
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10122

Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 8. März 2023 wird der Streitwert für das Verfahren Au 6 K 22.2400 auf 7.500,-- Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

1
Die Bevollmächtigte des Klägers begehrt mit ihrer der Sache nach aus eigenem Recht gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG erhobenen Streitwertbeschwerde in Bezug auf den Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. März 2023 die Heraufsetzung des dort festgesetzten Streitwerts in Höhe von 2.500,- Euro auf 10.000,- Euro.
2
Die Streitwertfestsetzung betraf eine Klage des Klägers mit den Anträgen gerichtet auf Feststellung, dass seine am 16. Dezember 2022 durchgeführte Abschiebung rechtswidrig war (Nr. 1), auf Verpflichtung des Beklagten – unter Aufhebung des die Aufhebung und Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots versagenden Bescheides vom 6. März 2023 −, den abgeschobenen Kläger wieder in das Bundesgebiet zurückzuholen (Nr. 2), auf Aufhebung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rückwirkend auf den 16. Dezember 2022 – ebenfalls unter Aufhebung des vorgenannten Bescheides − (Nr. 3) sowie auf Aufhebung der Gebührenfestsetzung in dem vorgenannten Bescheid (Nr. 4).
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1. Über die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung entscheidet gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG und § 66 Abs. 6 Satz 1 Hs. 2 GKG im Umkehrschluss der Senat, weil die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts durch die Kammer getroffen wurde (vgl. Senatsakte, Bl. 14 f.).
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2. Die Streitwertbeschwerde ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
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a) Die eingelegte Streitwertbeschwerde ist nach § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass sie als Streitwertbeschwerde der Bevollmächtigten des Klägers aus eigenem Recht gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG zu werten ist, die als solche auch zulässig ist.
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Die Bevollmächtigte des Klägers hat eine Streitwertbeschwerde mit dem Ziel der Streitwerterhöhung (vgl. Senatsakte, Bl. 16 Rückseite: „Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt“ u. Bl. 4: „Antrag, den Streitwert … auf 10.000,00 € festzusetzen“) erhoben. Dabei hat sie es zwar unterlassen, ausdrücklich die Person zu benennen, in deren Namen sie die vorgenommene Streitwertfestsetzung angreift. Dem Kläger, der den Rechtsstreit verloren hat und damit kostenpflichtig ist, würde es indes für das Rechtsschutzbegehren gerichtet auf die Heraufsetzung des Streitwerts von 2.500,- Euro auf 10.000,- Euro an dem erforderlichen anerkennenswerten Rechtsschutzbedürfnis fehlen, mit der Folge, dass sie als unzulässig zu verwerfen wäre. Angesichts dessen ist nach den wohlverstandenen Interessen des Klägers und dessen Bevollmächtigter die Streitwertbeschwerde in dem vorgenannten Sinne auszulegen. Gründe, die der Zulässigkeit entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist auch die Beschwerdesumme in Höhe von 200,- Euro gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 Euro überschritten.
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b) Die Streitwertbeschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang teilweise begründet, weil statt des von dem Verwaltungsgericht festgesetzten Streitwerts in Höhe von 2.500,- Euro ein addierter Streitwert in Höhe von 7.500,- Euro festzusetzen ist, nicht jedoch, wie von der Bevollmächtigten des Klägers beantragt, in Höhe von 10.000,- Euro, so dass die Beschwerde im Übrigen zurückzuweisen ist.
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aa) Gemäß § 52 Abs. 1 GKG ist in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist nach § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000,- Euro anzunehmen.
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Eine Orientierungshilfe für die Verwaltungsgerichte bietet insofern der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (i.d.F.v. 31.5./1.6.2012 u. v. 18.7.2013 – im Folgenden: Streitwertkatalog). Der Streitwertkatalog spricht Empfehlungen aus, denen das Gericht bei der Festsetzung des Streitwerts beziehungsweise des Wertes der anwaltlichen Tätigkeit aus eigenem Ermessen folgt oder nicht. Diese Orientierungshilfe ist gleichwohl unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung als gewichtig anzusehen, zumal darin neben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Streitwertpraxis der Oberverwaltungsgerichte beziehungsweise der Verwaltungsgerichtshöfe auch Anregungen der Bundesrechtsanwaltskammer und des Deutschen Anwaltsvereins eingeflossen sind.
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bb) Gemessen daran ergibt sich im vorliegenden Fall Folgendes:
11
(1) Grundlage der Wertberechnung ist nach § 52 Abs. 1 GKG die Bedeutung der Sache für den Kläger. Die Empfehlungen des Streitwertkatalogs sehen speziell für den Fall der Abschiebung in Nr. 8.3. einen halben Auffangwert pro Person vor. Davon sind auch Rechtsschutzbegehren im Zusammenhang mit der Rückgängigmachung der Abschiebung umfasst. Dies ist Gegenstand des in Nr. 2 der Klageanträge aufgeführten Rückholungsantrags. Aufgrund dessen ist hierfür entgegen dem Vorbringen der Bevollmächtigten in der Streitwertbeschwerde nicht der volle, sondern der halbe Auffangstreitwert nach § 52 Abs. 2GKG anzusetzen. Folglich ist in Anwendung von § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs für den in Nr. 2 aufgeführten Rückholungsantrag ein Streitwert in Höhe von 2.500,- Euro zu veranschlagen.
12
(2) Der in Nr. 1 der Klageanträge aufgeführte Feststellungsantrag, dass die Abschiebung rechtswidrig gewesen ist, begründet gegenüber dem in Nr. 2 aufgeführten Rückholungsantrag keinen weitergehenden eigenen Streitgegenstand. Der mit dem Rückholungsantrag geltend gemachte Anspruch auf Folgenbeseitigung, um den es dem Kläger vordringlich geht, kann nur dann begründet sein, wenn durch die Abschiebung ein rechtswidriger Zustand unter Verletzung subjektiver Rechte des Betroffenen entstanden ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.1.2023 – 10 CE 22.2618 u. 10 CS 22.2630 – juris Rn. 24 m.w.N.). Der Feststellungsantrag geht daher in dem Rückholungsverlangen auf. Entgegen dem Vorbringen der Bevollmächtigten des Klägers findet daher insoweit keine Addition nach § 39 Abs. 1 GKG statt.
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(3) Gleiches gilt für den in Nr. 4 der Klageanträge aufgeführten Aufhebungsantrag bezüglich der festgesetzten Gebühren für den ablehnenden Bescheid des Beklagten vom 6. März 2023. Die Gebührenfestsetzung kann nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nur dann Bestand haben, wenn die getroffene Regelung rechtmäßig ist. Die Gebührenfestsetzung ist insofern akzessorisch. Daher wird im Falle der Anfechtung eines behördlichen Bescheids, die festgesetzte Verwaltungsgebühr regelmäßig nicht als eigener Streitgegenstand angesehen. Eine Ausnahme hiervon ist dann anzunehmen, wenn ein Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Gebühr der Höhe oder dem Grunde nach inmitten steht. Hierfür wäre dann allerdings nicht, wie die Bevollmächtigte annimmt, der Auffangstreitwert nach § 52 Abs. 2 GKG einschlägig, sondern die Höhe der festgesetzten Gebühr. Anhaltspunkte für die Annahme einer Ausnahme sind indes weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich. Soweit in dem in Nr. 4 der Klageanträge aufgeführten Aufhebungsantrag von einem Vorverfahren die Rede ist, geht dies aufgrund von Art. 12 Abs. 1 und 2 AGVwGO ins Leere.
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(4) Anders verhält es sich hingegen bezüglich des in Nr. 3 der Klageanträge aufgeführten Antrags gerichtet auf Aufhebung beziehungsweise Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG.
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(a) Gegen die Annahme eines eigenen Streitgegenstandes spricht, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot hier erkennbar deshalb beseitigt, mithin aufgehoben, werden soll, weil dies nach Auffassung der Klägerseite den Weg für die Rückholung des Klägers ebnet. Dies ergibt sich daraus, dass auch der in Nr. 2 aufgeführte Rückholungsantrag die Aufhebung des ablehnenden Bescheides des Beklagten vom 6. März 2023 enthält. Die im Kern begehrte Rückholung des Klägers wird mit der Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gleichsam vermischt. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot steht der Rückholung einer abgeschobenen Person jedoch nicht stets entgegen. Hat eine Abschiebung zu einem rechtswidrigen Zustand unter Verletzung subjektiver Rechte des Betroffenen geführt, steht das daraus folgende Einreise- und Aufenthaltsverbot einer Folgenbeseitigung nicht entgegen, da sonst die rechtswidrige Rechtsverletzung perpetuiert und vertieft würde (vgl. OVG NW, B.v. 15.8.2018 – 17 B 1029/18 – juris Rn. 33). Der Senat hat allerdings insoweit mit Beschluss vom 5. Januar 2023 die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen, weil dieser den für die begehrte Rückholung in das Bundesgebiet erforderlichen Anordnungsanspruch gemäß § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO nicht glaubhaft gemacht hatte (vgl. BayVGH, B.v. 5.1.2023 – 10 CE 22.2618 u. 10 CS 22.2630 – juris Rn. 23 ff.).
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(b) Für die Annahme eines eigenständigen Streitgegenstandes spricht im vorliegenden Fall indes, dass neben der Aufhebung auch eine Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG beantragt wird. Jedenfalls die Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bedeutet für den Kläger auch unabhängig von einer etwaigen Rückholung eine Verbesserung seiner Rechtslage. Dies rechtfertigt es nach Auffassung des Senats, in dem hierauf gerichteten und behördlich gesondert verbeschiedenen Begehren einen eigenständigen Streitgegenstand zu sehen, der mit dem Auffangstreit nach § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,- Euro zu veranschlagen ist (vgl. zu einer nachträglichen Verkürzung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots: VGH BW, B.v. 25.1.2021 – 12 S 2894/20 – juris Rn. 40).
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(5) Im Ergebnis sind daher der Streitwert bezüglich des in Nr. 2 der Klageanträge aufgeführten Rückholungsantrags in Höhe von 2.500,- Euro und der Streitwert bezüglich des in Nr. 3 der Klageanträge aufgeführten Antrags auf Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nach § 39 Abs. 1 GKG zu addieren. Für die von der Bevollmächtigten des Klägers begehrte darüber hinaus gehende Streitwertfestsetzung besteht dagegen kein Anlass.
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3. Eine Kostenentscheidung ist aufgrund von § 68 Abs. 3 GKG nicht veranlasst.
19
4. Dieser Beschluss ist nach § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG sowie § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.