Inhalt

VGH München, Beschluss v. 04.05.2023 – 19 ZB 22.1890
Titel:

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung in einem ausländerrechtlichen Verfahren (Ausweisung)

Normenkette:
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte haben bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen, wobei die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine positive Entscheidung über die Straf(rest) aussetzung zur Bewährung kommt als Entscheidungsgrundlage für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr nur geringes Gewicht zu, wenn sie nicht oder nur rudimentär erkennen lässt, auf welcher Tatsachengrundlage sie beruht und im Wesentlichen mit nicht weiter substantiierten Wendungen begründet wird (Anschluss an VGH Mannheim BeckRS 2020, 41389). (Rn. 18 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Selbst das Fehlen verwandtschaftlicher Beziehungen im Herkunftsstaat ist bei Volljährigen kein Umstand, aus dem sich im Rahmen der Abwägung von Ausweisungsinteresse und Bleibeinteresse die Unzumutbarkeit der Rückkehr ableiten lässt (Anschluss an OVG Berlin BeckRS 2018, 4782). (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, Angolanischer Staatsangehöriger, Gewaltdelikte, Anti-Gewalt-Training, Faktischer Inländer, Lingala, Wiederholungsgefahr, Ausweisungsinteresse, Bleibeinteresse, Abwägung, Strafrestaussetzung, Indizwirkung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 05.07.2022 – AN 11 K 19.2491
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10119

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
2
Der am … Oktober 1996 im Bundesgebiet geborene, im Asylverfahren erfolglose (Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 29.5.2000; bei seinem am 24.12.1994 im Bundesgebiet geborenen Bruder wurde ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG wegen einer Krankheit <homozygote Sichelzellanämie> festgestellt), zunächst ab dem 28. Mai 2002 eine Aufenthaltsbefugnis, dann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG und zuletzt eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG besitzende, ledige und kinderlose Kläger, angolanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 5. Juli 2022, durch das seine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 4. November 2019 abgewiesen worden ist. Mit diesem Bescheid wies die Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. I des Bescheids), erließ ein Einreise- und Aufenthaltsverbot und befristete es auf die Dauer von fünf Jahren beginnend mit der Ausreise bzw. Abschiebung (Nr. II des Bescheids), ordnete die Abschiebung des Klägers unmittelbar aus der Haft heraus, insbesondere nach Angola, frühestens eine Woche nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheids an (Nr. III des Bescheids), forderte den Kläger auf, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche nach Unanfechtbarkeit des Bescheids zu verlassen (Nr. IV des Bescheids), und drohte dem Kläger die zwangsweise Abschiebung, insbesondere nach Angola, an (Nr. V des Bescheids).
3
Das Verwaltungsgericht führt zur Abweisung der Klage insbesondere aus, die Ausweisungsverfügung sei rechtmäßig. Sie finde ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG. Das persönliche Verhalten des Klägers gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Der Kläger trete seit 2012 in sich steigernder Qualität strafrechtlich in Erscheinung. Er habe in strafrechtlich relevanter Weise verschiedene Rechtsgüter, dabei auch das hohe Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit, verletzt. Schon durch sein Verhalten bis zur Anlasstat habe der Kläger gezeigt, dass er es an der Achtung der Rechtsgüter anderer Menschen missen lasse. Die Kammer verkenne nicht, dass der Kläger zum Teil die Straftaten als Jugendlicher begangen habe. Jedoch habe der Kläger durch sein Verhalten wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass er nicht davor zurückschrecke, den Körper und das Vermögen anderer zu verletzen und sich davon auch nicht durch strafgerichtliche Verurteilungen abhalten lasse. Der Kläger habe die richterliche Weisung aus dem Urteil vom 3. März 2015 nicht befolgt, so dass ein Ungehorsamsarrest verhängt worden sei. Auch eine einschlägige laufende Bewährung habe ihn nicht davon abgehalten, erneut wegen eines Betrugsdelikts straffällig zu werden. Der Kläger zeige eine enorme Rückfallgeschwindigkeit auf. Er schrecke nicht einmal zurück, ihm nahestehende Personen zu verletzen. Trotz ausländerrechtlicher Verwarnung und auch nach Zustellung der Anhörung zur beabsichtigten Ausweisung habe er wieder Straftaten begangen. Durch diese wiederholten Straftaten trotz vorhergehender Maßnahmen in strafrechtlicher und ausländerrechtlicher Hinsicht bringe der Kläger offen seine fehlende Einsicht zum Ausdruck, die Rechtsordnung der Bundesrepublik zu akzeptieren. Dies umso mehr, als er sich am 29. Oktober 2019 seiner Festnahme massiv widersetzt und Hoheitsträger nicht unerheblich verletzt habe. Die Kammer erkenne, dass der Kläger in der Strafhaft an einem Anti-Gewalt-Training teilgenommen habe, jedoch lasse sich der vorgelegten Bestätigung nicht entnehmen, dass der Kläger einen Einstellungswandel vollzogen habe und in der Lage sei, zukünftig gewaltfrei zu leben bzw. dass er seine Aggressionen kontrollieren könne. Schon im jugendlichen Alter sei der Kläger durch aggressives Verhalten aufgefallen. Dafür, dass sich der Kläger von seinem bisherigen Verhaltensmuster gelöst habe und zukünftig Konflikte und Probleme tatsächlich ohne Gewalt bewältigen werde, seien keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich. Da zudem eine Zäsur im Lebenslauf des Klägers nicht erkennbar sei – seine Familie habe ihn schon in der Vergangenheit nicht von der Begehung von Straftaten abhalten können und eine wesentliche Veränderung des sozialen Empfangsraums sei nicht ersichtlich – sei die Kammer der Überzeugung, dass im entscheidungserheblichen Zeitpunkt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehe, dass der Kläger wieder vergleichbare Straftaten begehen werde. Die Kammer gehe auch auf Grund der Persönlichkeit des Klägers von einer Wiederholungsgefahr aus. Diesem sei es bislang nicht gelungen, sich längerfristig in das Wirtschaftsleben der Bundesrepublik Deutschland zu integrieren. Der Kläger habe zwar einen Schulabschluss erreicht, jedoch habe er seine begonnene Berufsausbildung zum Anlagenmechaniker wegen der Inhaftierung abgebrochen. In der Haft habe er zwar erneut eine Ausbildung begonnen und zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kurz vor deren Abschluss gestanden, jedoch habe er trotz des kurzfristig anstehenden Termins zur Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung ab 18. Juli 2022 keinen Arbeitsplatz für die Zeit nach der Strafhaft vorweisen können. Die Ausweisung trügen auch generalpräventive Gründe. Der Kläger sei zuletzt mit amtsgerichtlichen Urteil vom 9. Juni 2020 wegen Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen rechtskräftig verurteilt worden. Das generalpräventive Ausweisungsinteresse sei im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch aktuell. Entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten sei nicht davon auszugehen, dass bei nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern, zu denen der Kläger aufgrund seiner Geburt im Inland zählen könnte, eine Ausweisung nicht auf generalpräventive Gründe gestützt werden könne. Die Verwurzelung sei im Rahmen der erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung und der Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bewerten. Vor diesem Hintergrund der unterschiedlichen Zielsetzungen von Ausweisung und Strafvollzug sei es nicht widersprüchlich, sondern gerade folgerichtig, dass im Strafvollzug ein besonders hoher Wert auf das Nachtatverhalten gelegt werde. Im Rahmen von Ausweisungsentscheidungen sei dieses jedoch auch nicht irrelevant, sondern fließe in die Prüfung der Verhältnismäßigkeit mit ein. Die Ausweisung des Klägers sei unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1, 2 AufenthG gerechtfertigt, weil das öffentliche Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG das Bleibeinteresse des Klägers nach § 55 AufenthG überwiege. Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse nach § 53 Abs. 1 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1a lit. b) AufenthG stehe ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber. Wäge man nun unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die besonders schützenswerten Belange des Klägers, insbesondere seine Stellung als in der Bundesrepublik Deutschland geborener Ausländer, mit den von ihm wiederholt begangenen Straftaten nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG ab, komme die Kammer zu dem Ergebnis, dass die begangenen Straftaten und die damit verbundene konkrete, nicht ausgeräumte erhebliche Rückfallgefahr die Bindungen des Klägers im Bundesgebiet überwögen. Der Kläger sei im Bundesgebiet geboren und halte sich seit etwa 25 Jahren rechtmäßig hier auf. Der Aufenthalt des Klägers in Deutschland falle daher als intensive Bindung erheblich ins Gewicht. Ob man den Kläger dabei als sog. faktischen Inländer bezeichne oder nicht, sei unerheblich, da in jedem Fall selbst für faktische Inländer kein generelles Ausweisungsverbot bestehe. Der Kläger sei im Familienverband mit seinen Eltern und Brüdern im Bundesgebiet aufgewachsen. Mit Unterstützung von Jugendhilfemaßnahmen habe er nach Aktenlage einen qualifizierten Hauptschulabschluss erworben, habe jedoch vor der Inhaftierung keine Ausbildung abschließen können. Dem Kläger, der die deutsche Sprache beherrsche, sei eine Integration in die Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland angesichts der Vielzahl der von ihm begangenen Straftaten jedoch nicht geglückt. Er sei seit seinem Heranwachsen immer wieder und in sich steigernder Weise auch wegen Gewaltdelikten straffällig geworden. Die zahlreichen Vorverurteilungen und auch die ausländerrechtlichen Maßnahmen hätten ihn nicht von der Begehung weiterer schwerwiegender Straftaten abhalten können. Die Chance der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe habe er nicht wahrgenommen, sondern sei während des laufenden Bewährungszeitraums erneut straffällig geworden. Es mangle dem Kläger offenkundig an der Akzeptanz der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Zuletzt habe er nicht einmal davor zurückgeschreckt, massive und andauernde Gewalt gegen Polizeibeamte als Hoheitsträger anzuwenden, obwohl diese Respektspersonen seien, was er bei seiner Festnahme am 29. Oktober 2019 unter Beweis gestellt habe. Nach Angola als Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Kläger habe, habe er nach seinen Darlegungen kaum Bezug; es sei aber anzunehmen, dass der Kläger als Kind zweier angolanischer Eltern die Kultur und die Werte des Landes vermittelt bekommen habe. Auch wenn er keine der dortigen Amtssprachen beherrschen sollte, sondern nur Lingala, eine Sprache einer Minderheit in Angola, so sei davon auszugehen, dass er mit diesen Sprachkenntnissen in der Lage sein werde, sich zurechtzufinden. Auch seine Eltern, die etwa 1994 aus Angola ausgereist seien, schienen mit dieser Sprache in Angola zurechtgekommen zu sein, ansonsten hätten sie wohl zu Hause eine andere Sprache gesprochen. Sollte es manche Landesteile geben, in der diese Sprache unbekannt sein sollte, dann sei es dem Kläger zumutbar, einen entsprechend geeigneten Landesteil aufzusuchen, sollte dies erforderlich sein. Der Kläger sei jung, gesund und arbeitsfähig. Selbst wenn der Vortrag des Klägers, dass er über keinerlei persönlichen Kontakte – insbesondere nicht zum Vater – in Angola verfüge, zutreffend sei, so sei das Gericht der Überzeugung, dass er sich nach einer Eingewöhnungsphase, die möglicherweise mit Anstrengungen verbunden sein werde, mit seinen nur 25 Jahren in das wohl für ihn eher unbekannte Leben in Angola einfinden könne. Insofern sei irrelevant, ob der Vater verstorben sei oder der Kläger aus persönlichen Gründen keinen Kontakt zu ihm haben wolle. Der Kläger habe einen Schulabschluss und stehe kurz vor dem erfolgreichen Abschluss einer qualifizierten Berufsausbildung. Er sei daher in der Lage, Lernerfolge zu erzielen. Eine Ausreise des ledigen und kinderlosen Klägers hätte auch für Dritte keine unzumutbaren Folgen. Es sei ihm als erwachsenen Mann zumutbar, von seiner Mutter und seinen Geschwistern getrennt zu leben. Er sei nicht auf deren Fürsorge und Unterstützung angewiesen. Der Kontakt könne über soziale Medien, Fernkommunikation oder auch Besuche in Angola aufrechterhalten werden. Es werde nicht verkannt, dass der Kläger in der Haft eine Berufsausbildung begonnen habe, seine Führung im Strafvollzug im Wesentlichen ordnungsgemäß gewesen sei und sich die streitgegenständliche Ausweisung in Anbetracht der langen Aufenthaltsdauer des Klägers im Bundesgebiet und seiner hier bestehenden familiären und sozialen Bindungen als gravierender Eingriff darstelle. Jedoch sei der Kläger ein Straftäter mit einer enormen Rückfallgeschwindigkeit, weise ein hohes Aggressionspotential auf und zeige sich völlig unbeeindruckt von Strafurteilen, Weisungen oder ausländerrechtlichen Maßnahmen. Die Ausweisung erweist sich auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG, Art. 8 Abs. 1, Abs. 2 EMRK und Art. 7 GrCH als verhältnismäßig. Der Kläger habe zwar nach seinem Vortrag keinerlei familiären Anknüpfungspunkte in Angola und spreche nur eine Minderheitensprache, jedoch seien angesichts der enormen Straffälligkeit und Rückfallgeschwindigkeit des Klägers, seiner Aggressivität und der fehlenden wirtschaftlichen Integration im Bundesgebiet diese für den Kläger möglicherweise empfindlichen Folgen seiner Ausweisung hinzunehmen. Besonders schützenswerte familiäre Beziehungen des ledigen und kinderlosen Klägers im Bundesgebiet, für die eine persönliche Anwesenheit erforderlich sei, beständen nicht. Kontakt mit seiner Mutter und seinen Brüdern sei aus dem Ausland zu halten. Auch wenn der Kläger momentan kurz vor dem erfolgreichen Abschluss seiner Berufsausbildung stehe, sei seine Ausweisung insbesondere angesichts der von ihm sowohl im Jugend- als auch im Erwachsenenalter begangenen massiven Straftaten verhältnismäßig. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot, die Abschiebungsanordnung, die Ausreiseaufforderung und die (hilfsweise) Abschiebungsandrohung begegneten ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.
4
Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Der ausschließlich geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), dessen Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12), sodass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 10 ZB 15.1804 – juris Rn. 7), liegt nicht vor.
5
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn die Klägerseite im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 19). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Das wird zwar regelmäßig der Fall sein. Jedoch schlagen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 9).
6
Zur Begründung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung lässt der Kläger ausführen, er sei, nach Anrechnung von zwei Freistellungstagen, am 16. Juli 2022 (zeitlich nach der erstinstanzlichen Entscheidung) aus der Haft entlassen worden, nachdem mit strafvollstreckungsgerichtlichem Beschluss vom 22. Juni 2022 die Vollstreckung des Strafrestes aus dem amtsgerichtlichen Urteil vom 13. April 2016 ab dem 18. Juli 2022 zur Bewährung ausgesetzt worden sei. Dieser Reststrafenbeschluss sei der Kammer am Verwaltungsgericht A. ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung am 5. Juli 2022 übergeben worden. Der Kläger habe nach Haftentlassung Wohnsitz im mütterlichen Haushalt in N. genommen und regelmäßigen Kontakt zu seiner in E. lebenden deutschen Freundin. Zudem habe er zum 26. Juli 2022 die qualifizierte Berufsausbildung als Elektroniker, Fachrichtung Energie- und Gebäudetechnik, bestanden. Seit Haftentlassung habe er sich um eine Beschäftigung bemüht. Nachdem die Beklagte die begehrte Bescheinigung gem. § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG am 30. August 2022 ausgestellt habe, habe der Kläger eine Beschäftigung über Zeitarbeit als zunächst Produktionshelfer ab 30. September 2022 gefunden. Dem Kläger sei mitgeteilt worden, dass nach anfänglicher Erprobung als Produktionshelfer, auch ein der Qualifikation entsprechender Einsatz als Elektriker möglich sei. Zudem halte sich der Kläger für die Möglichkeit einer zusätzlichen Beschäftigung als Servicekraft für den kurzfristigen Einsatz bei Veranstaltungen bereit. Dies sei vom Kläger als Nebenjob angelegt. Der Kläger halte Kontakt zu seiner Bewährungshelferin. Die vorgebrachten neuen Umstände in der Person des Klägers dürften nicht in eine Prognose- und Abwägungsentscheidung im Rahmen des Zulassungsverfahrens vorverlagert werden. Im Rahmen seiner Ausführungen zur Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen lasse das Verwaltungsgericht das Verhalten des Klägers im Vollzug unberücksichtigt. Es befasse sich lediglich mit der Teilnahme des Klägers an einem Anti-Gewalt-Training. Im strafvollstreckungsgerichtlichen Beschluss vom 27. Oktober 2021 werde zum Vollzugsverhalten ausgeführt, „führt sich im Wesentliche gut und nimmt im Rahmen seiner Möglichkeiten aktiv an der Erreichung des Vollzugszieles mit“. Dies indiziere bereits eine im Wesentlichen beanstandungsfreie Führung und hätte näherer Auseinandersetzung bedurft, zumal die Kammer dem Kläger vorwerfe, dieser sei nach ausländerrechtlicher Verwarnung erneut straffällig geworden und zeige sich in seinem persönlichen Verhalten also von ausländerrechtlichen Maßnahmen unbeeindruckt. Der Kläger habe seine Straftaten als Jugendlicher/Heranwachsender bzw. junger Erwachsener begangen. Das Verwaltungsgericht hätte sich bereits bei der Frage der Annahme spezialpräventiver Gründe damit auseinandersetzen müssen, ob eine Nachreifung des Klägers im erstmaligen sich aneinander anschließenden Vollzug der Gesamtfreiheitsstrafe bzw. Einheitsjugendstrafe erfolgt sei. Die Führung im Vollzug und die aktive Teilnahme an der Ausbildung legten dies nahe. Positives Vollzugsverhalten dürfe ausländerrechtlich, unter Beachtung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Rechtsordnung, auch nicht gegen den Kläger gewertet werden. Da sich die Kammer im Rahmen der Spezialprävention mit dem Vollzugsverhalten nicht auseinandergesetzt habe, habe sie der Darlegungslast folgend auch keine gegenteiligen Indizien vorgetragen. Wie die Kammer zu ihrer Auffassung, hinsichtlich des absolvierten Anti-Gewalt-Training lasse sich der vorgelegten Bestätigung nicht entnehmen, dass der Kläger einen Einstellungswandel vollzogen hätte und er zukünftig in der Lage sei, gewaltfrei zu leben bzw. seine Aggressionen kontrollieren könne, gelangt sei, sei ernsthaft zweifelhaft. Die Bestätigung vom 27. Juli 2021 der JVA N. liste zunächst die bearbeiteten Themenbereiche und die verwendeten Methoden auf. So sei u.a. ausgeführt, dass durch Einzelsowie Kleingruppenarbeit die Themen der gewaltfreien Kommunikation, der Rückfallvermeidung und der Konfliktbewältigung bearbeitet worden seien, sowie, dass der Kläger an 17 von 18 Sitzungen zu je 90 Minuten teilgenommen, sich überwiegend motiviert und interessiert gezeigt habe und an den Gruppendiskussionen zumeist mit reflektierenden Äußerungen beteiligt habe. Besonders gravierende Zweifel an der Richtigkeit des Urteils resultierten aus der fehlenden Berücksichtigung des Reststrafenbeschlusses vom 22. Juni 2022. Im Rahmen ihrer Ausführungen zu spezialpräventiven Ausweisungsgründen erwähne die Kammer lediglich, „(…) konnte er trotz des kurzfristig anstehenden Termins zur Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung ab 18.07.2022 keinen Arbeitsplatz für die Zeit nach der Strafhaft vorweisen“. Die Reststrafenaussetzung sei zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht etwa ein prognostisch unsicheres etwaiges zukünftiges Ereignis gewesen, sondern ein Reststrafenbeschluss habe bereits vorgelegen. Der Strafvollstreckungskammer sei das strafrechtliche Vorleben des Klägers grundsätzlich und mindestens aus dem Bundezentralregisterauszug und der Haftzeitberechnung/übersicht bekannt gewesen. Wie sich der Begründung des Reststrafenbeschlusses entnehmen lasse, seien bei der Entscheidung „die Persönlichkeit des Klägers, sein Vorleben, die Umstände der Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten des Verurteilten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.“ Die Strafvollstreckungskammer habe sodann aufgrund der im Großen und Ganzen ordnungsgemäßen Führung und des bevorstehenden Ausbildungsabschlusses die positive Legalprognose befürwortet. Auch wenn Verwaltungsgerichte grundsätzlich eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen hätten, komme der strafrechtlichen Reststrafenaussetzung eine Indizwirkung zu. Es bedürfe einer ausländerrechtlich substantiierten Begründung, wenn von dieser Prognose abgewichen werden solle. Den Kläger treffe diesbezüglich keine Darlegungslast. Die Entscheidungsgründe des Verwaltungsgerichts ließen eine solche weitergehende substantiierte Begründung vermissen; wären im Übrigen aber auch nicht ersichtlich. Die verwaltungsgerichtlichen Ausführungen zur Ausbildung und Beschäftigung könnten im Übrigen bereits aufgrund geschilderter aktualisierter Sachlage keinen Bestand haben, da der Kläger mittlerweile erfolgreich eine qualifizierte Berufsausbildung abgeschlossen habe und sich nach Haftentlassung um eine Beschäftigung bemühe bzw. eine solche aufgenommen habe. Soweit die Kammer daher ausführe, der Kläger würde der Rechtsordnung der Bundesrepublik nicht die erforderliche Achtung entgegenbringen, sei dies spekulativ und dem könne nicht gefolgt werden. Die Kammer verkenne, dass die Hafterfahrung selbst geeignet sei, die von ihr benannte Zäsur im persönlichen Lebenslauf darzustellen. Ernstlichen Zweifeln begegneten auch die verwaltungsgerichtlichen Ausführungen zur Ansicht des Klägers, dass eine auf generalpräventive Erwägungen gestützte Ausweisung des Klägers, aufgrund seiner Stellung als sog. „faktischer Inländer“ bereits auf Tatbestandsebene ausgeschlossen sei und die damit verbundene Verwurzelung nicht erst auf Abwägungsebene bzw. im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen sei. Das Bundesverfassungsgericht erachte bei faktischen Inländern eine auf den konkreten Einzelfall bezogene individuelle Gefahrenprognose als erforderlich. Dies bedeute nichts anderes als den Verweis auf die spezialpräventive Prüfung der Wiederholungsgefahr und somit den Ausschluss generalpräventiver Erwägungen. Bei dem Kläger handle es sich auch um einen „faktischen Inländer“. Das Verwaltungsgericht schließe dies selbst nicht aus. Der Kläger sei im Bundesgebiet geboren, habe im Kindesalter eine Aufenthaltsbefugnis erhalten, welche ab dem 1. Januar 2005 als Aufenthaltserlaubnis gegolten habe und ihm sei am 22. August 2014 eine Niederlassungserlaubnis erteilt worden; er stamme somit in zweiter Generation von Migranten ab. Er habe einen „qualifizierten“ Hauptschulabschluss erworben und inzwischen auch eine qualifizierte Berufsausbildung erfolgreich abgeschlossen. Seine ihm verbliebene Familie lebe im Bundesgebiet; ebenso sein gesamter Freundeskreis. Er sei ausschließlich im Bundesgebiet sozialisiert. Im Land seiner formalen Staatsangehörigkeit sei er nie gewesen (auch nicht in einem anderen afrikanischen Land). Er beherrsche die deutsche Sprache. Alleine strafrechtliche Verurteilungen schlössen die Stellung als faktischer Inländer nicht aus. Auch sei im Übrigen keine völlig atypische Integrationsverweigerung zu erkennen. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts könne es, z.B. aufgrund besonderer Umstände in der Person des betroffenen Ausländers, Konstellationen geben, in welchen generalpräventiven Erwägungen die Eignung zur Ausweisungsanordnung fehlten. In diesen Fällen handle es sich um einen tatbestandlichen Ausschluss. Die Verwurzlung im Bundesgebiet in konkreter Ausgestaltung der Person des Klägers sei geeignet, solche besonderen Umstände zu begründen. Besondere Umstände seien u.a. zudem, dass der Kläger seine Strafhaft verbüßt habe, dem Schuldausgleich daher genüge getan worden sei und er auch durch ordnungsgemäßes Vollzugsverhalten eine Reststrafenaussetzung erreicht habe. Unter Beachtung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Rechtsordnung stelle sich sodann die Frage, welchen abschreckenden Effekt eine generalpräventive Ausweisung hätte. Die Konsequenz wäre doch vielmehr für andere Ausländer, dass letztlich deren Nachtatverhalten egal sei, da sowieso eine Ausweisung drohe. Ernstliche Zweifel bestünden im Weiteren an der vom Verwaltungsgericht getroffenen Abwägungsentscheidung. Der Verhältnismäßigkeitsprüfung bzw. Abwägungsentscheidung dürften keine Spekulationen zugrunde gelegt werden bzw. solche einfließen. Es sei reine Spekulation seitens des Verwaltungsgerichts, dass dem Kläger die Werte und Kultur Angolas vermittelt worden seien. Die Ausreise der Eltern etwa im Jahr 1994 – somit zwei Jahre vor der Geburt des Klägers – aus Angola und die Stellung von Asylanträgen legten nahe, dass seitens der Eltern ein Bruch mit der angolanischen Gesellschaft und eine Abkehr von deren Werten gewünscht gewesen seien, zumal dies ein Angola von vor 28 Jahren betroffen habe. Seitens des Verwaltungsgerichts seien im Rahmen ihrer bestehenden Amtsermittlungspflicht keine Beweise erhoben worden, welche diese Spekulation stützen würde. Die Aussage im angegriffen Urteil, die Eltern des Klägers schienen mit dieser Sprache in Angola zurechtgekommen zu sein, ansonsten hätten diese wohl zu Hause eine andere Sprache gesprochen, lasse sich schwerlich einordnen. Es habe keine Aussagekraft, ob die Eltern des Klägers vor Verlassen Angolas mit Lingala zurechtgekommen seien (worüber auch nichts ermittelt worden sei), weil sie dieses zu Hause gesprochen hätten. Noch weniger Aussagekraft habe diese für die Eltern des Klägers hinsichtlich der Frage der Sprache untereinander nach Verlassen Angolas. Die diesbezügliche Überlegung der Kammer sei ungeeignet für eine Abwägungsentscheidung. Der Kläger spreche keine der angolanischen Amtssprachen. Er habe lediglich in einfachem Umfang mündliche Kenntnisse von Lingala, eine Sprache der kongolesischen Minderheit. Er habe keinen Kontakt zu in Angola lebenden Personen; geschweige denn Verwandten oder Bekannten. Dem Kläger sei die Rechts- und Gesellschaftsordnung in Angola unbekannt. Der Kläger wäre nicht in der Lage, was aber schon unmittelbar nach Ankunft in Angola erforderlich wäre, behördliche Angelegenheiten eigenständig zu klären bzw. amtliche Formulare zu verstehen. Der Kläger habe keine finanziellen Rücklagen, von denen er in Angola leben könnte. Es beständen, abgesehen von der formalen Staatsangehörigkeit, somit keine sozialen, kulturellen, familiären oder wirtschaftlichen Bindungen nach Angola, wobei diesbezüglich bereits der Begriff „Herkunftsland“ verfehlt wäre. Unabhängig von der Zulässigkeit der Generalprävention auf Tatbestandsebene werde man diese jedenfalls im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Ausländern, die wie der Kläger im Bundesgebiet geboren seien und somit über ein herausragendes Bleibeinteresse verfügten, als unverhältnismäßig ansehen müssen. Auch im Rahmen der Abwägungsentscheidung und Verhältnismäßigkeitsprüfung würdige das Verwaltungsgericht die Entwicklung des Klägers seit Inhaftierung defizitär, da es angesichts des Anti-Aggressions-Trainings, des Abschlusses einer qualifizierten Berufsausbildung und des Reststrafenaussetzungsbeschlusses nicht weiter begründe, weshalb der Kläger zum nunmehr maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt noch ein hohes Aggressionspotential aufweisen soll und sich von Strafurteilen und ausländerrechtlichen Maßnahmen noch unbeeindruckt zeige. Dessen aktuelles Verhalten indiziere stattdessen gegenteiliges. So auch sein Streben nach umfassender Beschäftigung. Infolge der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zur Rechtmäßigkeitsprüfung der Ausweisungsentscheidung, könne auch die Annexentscheidung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot keinen Bestand haben.
7
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung nicht.
8
1. Mit seinem Zulassungsvorbringen hat der Kläger die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts nicht ernstlich im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.
9
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 22.02.2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 18; U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8 m.w.N.).
10
Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Nach Abs. 2 sind bei dieser Abwägung nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
11
Auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens ist nach dem persönlichen Verhalten des Klägers weiter von einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auszugehen.
12
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 33 m.w.N.). Da jeder sicherheitsrechtlichen Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß zugrunde liegt, sind – entgegen der Auffassung des Klägers – an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10/12 – juris Rn. 16; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19/11 – juris Rn. 16; U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; U.v. 6.9.1974 – 1 C 17.73 – juris Rn. 23; U.v. 17.3.1981 – 1 C 74.76 – juris Rn. 29; U.v. 3.7.2002 – 6 CN 8.01 – juris Rn. 41).
13
Der Kläger ist im Bundesgebiet wiederholt und mit einer beachtlichen Rückfallgeschwindigkeit strafrechtlich in Erscheinung getreten. Zunächst sah die Staatsanwaltschaft am 20. Februar 2012 von der Verfolgung eines Diebstahls (Datum der Tat: 30.1.2012) nach § 45 Abs. 2 JGG ab. Es folgten am 18. Oktober 2012 und am 12. August 2013 amtsgerichtliche Einstellungen von Verfahren wegen Diebstahls (Datum der Tat: 11.1.2012) bzw. wegen versuchter Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung (Datum der Tat: 16.8.2012) jeweils nach § 47 JGG. Am 25. Juli 2013 sah die Staatsanwaltschaft unter Verfolgung einer Leistungserschleichung gemäß § 154 Abs. 1 StPO ab. Bereits am 27. August 2013 erfolgte eine Verurteilung wegen Diebstahls (Datum der Tat: 27.2.2013) zu zwei Tagen Jugendarrest. Außerdem wurde dem Kläger die Erbringung von Arbeitsleistungen auferlegt (40 Stunden gemeinnützige Arbeit bei wöchentlich mindestens 10 Stunden). Ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung wurde durch das Amtsgericht N. am 17. Dezember 2013 gemäß §§ 45, 47 JGG eingestellt. Am 6. März 2014 wurde der Kläger wegen Körperverletzung (Datum der Tat: 4.8.2013) zu drei Tagen Jugendarrest und der Erbringung von Arbeitsleistungen verurteilt. Wegen Erschleichens von Leistungen (Datum der letzten Tat: 16.9.2013) wurde dem Kläger mit amtsgerichtlichen Urteil vom 14. August 2014 die Erbringung von Arbeitsleistungen auferlegt (40 Stunden gemeinnützige Arbeit). Bereits am 3. März 2015 folgte die Verurteilung zu zwei Wochen Jugendarrest wegen einer am 28. Dezember 2014 begangenen gefährlichen Körperverletzung (richterliche Weisung an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen; zwei Wochen Jugendarrest wegen Zuwiderhandlung gegen Auflagen; Jugendarrest vollständig nicht vollstreckt). Die Staatsanwaltschaft sah mit Verfügungen vom 7. September 2017 und 11. September 2017 von der Verfolgung einer Unterschlagung bzw. eines Hausfriedensbruchs nach § 154 Abs. 1 StPO ab. Eine weitere Verurteilung erfolgte am 13. September 2017 wegen Betrugs in zehn Fällen und Computerbetrugs in fünf Fällen (Datum der letzten Tat: 16.3.2017) zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung (Bewährungszeit drei Jahre; Bewährungshelfer bestellt bis 20.9.2019; nach § 16a JGG verhängter Jugendarrest von zwei Wochen). Von der Verfolgung einer Körperverletzung sah die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 19. September 2017, von der Verfolgung eines Betruges mit Verfügung vom 5. Dezember 2017, von der Verfolgung eines Betrugs mit Verfügung vom 19. Dezember 2017, von der Verfolgung eines weiteren Betrugs mit weiterer Verfügung vom 19. Dezember 2017, von der Verfolgung eines weiteren Betrugs mit Verfügung vom 21. Dezember 2017, von der Verfolgung eines weiteren Betrugs mit Verfügung vom 29. Dezember 2017, wegen Diebstahls mit Verfügung vom 12. Februar 2018 und wegen Unterschlagung mit Verfügung vom 15. Februar 2018 jeweils nach § 154 Abs. 1StPO ab. Am 13. April 2018 folgte die Verurteilung wegen besonders schwerer Fälle des Betruges in zwölf Fällen (Datum der letzten Tat: 19.2.2017) unter Einbeziehung der Entscheidung vom 13. September 2017 zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten (Bewährungszeit drei Jahre; Bewährungshelfer bis 20.4.2020 bestellt; Strafaussetzung widerrufen). Nachfolgend sah die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Körperverletzung mit Verfügung vom 6. Juni 2018 gemäß § 154 Abs. 1 StPO ab. Am 15. Oktober 2018 erfolgte die der Ausweisung zugrundeliegende neuerliche Verurteilung wegen Körperverletzung (Datum der Tat: 21.4.2018) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Die gegen dieses Urteil eingelegten Berufungen des Klägers und der Staatsanwaltschaft wurden mit landgerichtlichem Urteil vom 8. Januar 2019 als unbegründet verworfen. Laut der Feststellungen des Berufungsgerichts hielten sich am Abend des 20. April 2018 der Kläger, sein damals bester Freund (der <spätere> Geschädigte) und sechs weitere Freunde/Bekannte im Anwesen der Eltern des Geschädigten auf, um dort zu feiern. Der Kläger trank, wie jeder der feiernden jungen Männer, ca. drei bis vier 0,5 I-Flaschen Bier. Ferner wurde aus zwei Flaschen Hochprozentiges konsumiert, wobei die Flaschen nicht völlig geleert wurden. Es war beabsichtigt, nach dieser Feier noch gemeinsam mit der S-Bahn in die Innenstadt von N. zu fahren und dort eine Diskothek zu besuchen. Es war ferner vorab vereinbart, dass die Anwesenden vor Verlassen des Anwesens gemeinsam aufräumen und so vor Eintreffen der Eltern des Geschädigten alle Spuren der Feier wieder beseitigen sollten. Als nahe dem Ende der Feier der Geschädigte, der kurz sein Zimmer aufgesucht hatte, wieder zu der Gruppe stieß, erfuhr er, dass der Kläger zusammen mit zwei Begleitern bereits in Richtung S-Bahn-Haltestelle aufgebrochen war, ohne dass zuvor jedenfalls nach Ansicht des Geschädigten, hinreichend aufgeräumt worden war. Der Geschädigte war hierüber verärgert, zumal der Kläger als bester Freund des Geschädigten sich bereits öfters in dem Anwesen aufgehalten hatte und also wissen konnte, was wohin aufgeräumt werden sollte. Der Geschädigte folgte sodann mit den restlichen Teilnehmern der Feier kurz danach dem Kläger, den sie an der S-Bahn-Haltestelle S. kurz nach Mitternacht einholten. Der Geschädigte stellte den Kläger nun zur Rede und warf ihm vor, entgegen ihrer Absprache nicht aufgeräumt zu haben. Der Kläger entgegnete, dass doch aufgeräumt worden sei. Es entwickelte sich ein Streitgespräch. In dessen Verlauf zog der Geschädigte die von ihm getragenen Schuhe aus und stellte sie ab. Es handelte sich hierbei um die Schuhe des Klägers, der mit dem Geschädigten zuvor die Schuhe getauscht hatte, da beide meinten, dass die Schuhe des jeweils anderen besser zu der von ihnen getragenen Kleidung passten. Der Geschädigte zog nun auch seine Jacke aus und kündigte an, er wolle mit dem Kläger „schlägern“. Der Geschädigte und der Kläger standen sich auf dem Bahnsteig frontal gegenüber. Beide stritten weiterhin und schubsten sich mehrfach, allerdings nur leicht und nicht so stark, dass auch nur einer von beiden zu Boden gegangen oder verletzt worden wäre. Der Geschädigte hätte den Kläger nun schlagen oder dies wenigstens versuchen können, tat dies jedoch absichtlich nicht. Er ballte weder seine Fäuste, noch erhob er seine Arme, noch zeigte er sonstige Anzeichen eines unmittelbar bevorstehenden Zuschlagens, was der Kläger ebenfalls erkannte. Vielmehr ging die vom Geschädigten geäußerte Drohung, er wolle sich mit dem Kläger „schlägern“, verbunden mit lediglich leichtem Schubsen, nicht über das normale, eine Verärgerung demonstrierende Verhalten eines jungen Mannes hinaus. Der Kläger, der erkannte, dass er aktuell nicht angegriffen wurde, der aber meinte, dass ein solcher Angriff unmittelbar bevorstehen könnte, versetzte nun dem frontal vor ihm stehenden Geschädigten, für diesen überraschend, einen wuchtigen Faustschlag gegen die linke Wange, woraufhin der Geschädigte zu Boden ging und sichtbar aus dem Mund blutete. Als der Geschädigte daraufhin wieder aufstand und erneut an den Kläger herantrat, um ihn zur Rede zu stellen, versetzte der Kläger dem Geschädigten erneut einen wuchtigen Faustschlag, jetzt gegen die rechte Wange. Der Kläger erkannte bei Ausführung dieses zweiten Schlages, dass eine Notwehrlage für ihn nicht bestand. Der Geschädigte hatte wiederum weder die Fäuste geballt noch drohend erhoben noch zuzuschlagen versucht. Vielmehr war er bereits sichtbar verletzt und blutete aus dem Mund. Der Geschädigte erlitt durch die Faustschläge eine doppelte Fraktur des Unterkiefers, ferner eine Zahnfraktur und Schmerzen, was der Kläger zumindest billigend in Kauf genommen hatte. Der Geschädigte, der nach dem Vorfall heimgelaufen war, musste noch am gleichen Tag ins Krankenhaus gebracht werden, wo er operiert und sein Unterkiefer mit vier Titanplatten, zwei rechts und zwei links, stabilisiert wurde. Die Wunde wurde genäht. Nach fünftägiger stationärer Behandlung wurde er nach Hause entlassen. Der Geschädigte konnte für weitere zwei bis drei Wochen nur flüssige Nahrung zu sich nehmen, danach auch Brei (“Baby-Brei“). Erst nach ca. vier Wochen konnte er weiche Nahrung wieder beißen bzw. kauen. Der Geschädigte hatte zumindest in den ersten zwei Monaten nach diesem Vorfall Schmerzen insbesondere beim Essen. Er musste verschiedene Schmerzmittel einnehmen. Es hat sich mittlerweile herausgestellt, dass die in den Unterkiefer eingebrachten Titanplatten wieder operativ entfernt werden müssen. Aus beruflichen Gründen hat der Geschädigte diese anstehende Operation auf Februar 2019 verschoben. Die bisher angefallenen Heilbehandlungskosten hat die Krankenversicherung des Geschädigten getragen. Der Kläger war für sein Handeln strafrechtlich voll verantwortlich. Der Geschädigte war, wie der Kläger erkannt hatte, keinesfalls damit einverstanden, vom Kläger geschlagen zu werden, schon gar nicht so heftig. Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Amtsgericht zugunsten des Klägers, dass er die Tatsache, dass er geschlagen hat, eingeräumt habe. Weiterhin sei er provoziert worden. Andererseits seien die Verletzungen des Geschädigten schwer. Zudem liege eine erhebliche Rückfallgeschwindigkeit vor, da der Kläger erst acht Tage vor der Tat vor Gericht gestanden sei und zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr zehn Monaten mit Bewährung verurteilt worden sei. Der Kläger sei bereits seit 13. September 2017 unter Bewährung gestanden, wenn auch die zur Bewährungsstrafe führenden Taten nicht einschlägig gewesen seien. Trotzdem sei der Kläger zweifach einschlägig vorbelastet und habe auch Arresterfahrung. Das Berufungsgericht führt im Rahmen der Strafzumessung aus, für den Kläger habe gesprochen, dass er aufgrund des zuvor konsumierten Alkohols enthemmt gewesen sei. Er habe eingeräumt, zweimal zugeschlagen zu haben. Er möge das Verhalten des Geschädigten als Provokation empfunden haben. Er habe erklärt, dass er die schweren Folgen der Schläge jetzt bedauere. Gegen den Kläger habe gesprochen, dass der Geschädigte schwer verletzt worden sei. Er habe zwei Kieferfrakturen und einen Zahnschaden erlitten. Er habe sich einer Operation unterziehen müssen. Eine weitere notwendige Operation stehe derzeit noch aus. Die Folgen dieser Verletzung hätten den Geschädigten schwer belastet. Er habe wochenlang nur flüssige Nahrung und dann nur Baby-Brei zu sich nehmen können. Massiv gegen den Kläger hätten seine Vorstrafen gesprochen, davon drei wegen Körperverletzung. Der Kläger habe eingeräumt, er habe bereits in 2015 wegen eines Aggressionsdeliktes weisungsgemäß einen sozialen Trainingskurs besuchen müssen. Der Kläger habe zur Tatzeit aus der Verurteilung vom 13. April 2018 unter laufender Bewährung gestanden. Der Kläger sei ausgesprochen schnell wieder straffällig geworden. Er sei am 13. April 2018 verurteilt worden. Bereits am 21. April 2018, also gerade einmal 8 Tage später, habe er die neuerliche Straftat begangen. Eine Strafaussetzung zur Bewährung sei abzulehnen gewesen. Der Kläger sei Bewährungsversager. Seine Rückfallgeschwindigkeit sei hoch, seine Sozialprognose sei daher negativ.
14
Ergänzend ist auszuführen, dass am 28. Januar 2019 ein Verfahren wegen Diebstahls u.a. vom Amtsgericht N. im Hinblick auf eine zu erwartende Strafe in einem anderen Verfahren gem. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt und mit Verfügung vom 13. August 2019 von der Verfolgung einer gefährlichen Körperverletzung, einer Körperverletzung und einer Sachbeschädigung gem. § 154 Abs. 1 StPO abgesehen wurde. Darüber hinaus folgte am 9. Juni 2020 eine weitere Verurteilung wegen Bedrohung unter Einbeziehung der in dem Urteil vom 15. Oktober 2018 verhängten Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten. Laut der strafgerichtlichen Feststellungen (bzgl. der Bedrohung) befand sich der Kläger in der Nacht vom 22. Dezember 2018 auf den 23. Dezember 2018 gemeinsam mit mehreren Freunden zunächst in einer Diskothek in N., wo die Gruppe bereits auf die Gruppe um den Geschädigten traf und es zu Streitigkeiten kam. Im Anschluss begegneten sich die Gruppen auf dem Parkplatz vor einer anderen Diskothek in N. erneut. Dort kam es erneut zu mehreren Auseinandersetzungen. Gegen 04:10 Uhr ging die Gruppe um den Kläger sodann erneut auf die Gruppe des Geschädigten zu. Der Kläger zog sodann ein Klappmesser aus seiner Tasche und bedrohte den Geschädigten, indem er ihn mit der linken Hand am Hals packte und in der rechten Hand das Klappmesser auf dessen Kopfhöhe hielt. Wie vom Kläger beabsichtigt, erkannte der Geschädigte dies als Androhung der Begehung eines gegen ihn gerichteten Tötungsdeliktes. Der Kläger ließ erst vom Geschädigten ab, als dieser die Hand des Klägers wegdrücken konnte und ein Begleiter des Klägers diesen zurückhielt. Darüber hinaus stellte das Strafgericht fest, dass der Kläger mit amtsgerichtlichem Urteil vom 15. Oktober 2018, rechtskräftig seit 19. Juni 2019, wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden war. Da der Kläger den hierzu festgesetzten Haftantritt verstreichen ließ, wurde am 20. August. 2019 von der zuständigen Rechtspflegerin ein Vollstreckungshaftbefehl erlassen. Zum Vollzug dieses Haftbefehls befanden sich am 29. Oktober 2019 gegen 17:15 Uhr die Polizeibeamten G., S. und L. vor dem damaligen Wohnanwesen des Klägers in N., um auf diesen zu warten. Gegen 17:40 Uhr verließ der Kläger gemeinsam mit einem Freund das Anwesen. G. und S. folgten ihm, L. kam dem Kläger von vorne entgegen. Sodann sprach L. den Kläger an, wies sich als Polizeibeamter aus und forderte den Kläger auf, stehenzubleiben. Der Kläger kam dieser Aufforderung jedoch nicht nach, sondern drehte sich um und wollte weglaufen. Um dies zu verhindern, hielt ihn G. am rechten Arm und L. am linken Arm fest. Der Kläger wehrte sich gegen diese Griffe, indem er sich sperrte, seine Arme vor dem Oberkörper anspannte und seinen Körper mit erheblichem Kraftaufwand ruckartig hin und her bewegte. G. versuchte hierbei vergeblich, die Arme des Klägers auf dessen Rücken zu bringen und diesem Handschellen anzulegen. Stattdessen gelang es dem Kläger aufgrund seiner Gegenwehr, seinen rechten Arm aus dem Griff von G. zu lösen. Wie von dem Kläger zumindest erkannt und billigend in Kauf genommen, erlitt G. hierdurch Schmerzen, Zerrungen an den Fingern beider Hände, eine Hautrisswunde am linken Handrücken und einen knöchernen „Kapselausriss“. Anschließend schubste der Kläger mit seiner rechten Hand den L. von sich und konnte somit auch seinen linken Arm befreien. L. konnte den Kläger noch an dessen ärmelloser Jacke festhalten, durch eine zweimalige Drehung und heftiges Reißen konnte der Kläger sich jedoch aus dem Griff befreien und fliehen. Hierdurch erlitt L., wie vom Kläger zumindest erkannt und billigend in Kauf genommen, drei Kapselrisse an den Fingern der linken Hand sowie einen Teilabriss des linken Außenbandes am linken Daumen und war vom 30. Oktober 2019 bis 1. Dezember 2019 dienstunfähig krankgeschrieben. Der Kläger konnte schließlich am 3. November 2019 von Einsatzkräften des Polizeipräsidiums M. festgenommen werden. Die in ziviler Dienstkleidung eingesetzten Polizeibeamten wiesen sich verbal und mittels ihrer Dienstausweise, die sie zum Teil offen an der Kleidung trugen, gegenüber dem Kläger als Polizeibeamte aus und wurden von diesem auch als solche erkannt. Das Polizeihandeln war in jeder Hinsicht rechtmäßig. Dies wusste der Kläger bzw. hätte es erkennen können und müssen. Strafantrag wurde von G. form- und fristgerecht gestellt. Im Übrigen hält die Staatsanwaltschaft, soweit zulässig und erforderlich, wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten. Im Rahmen der Strafzumessung bezüglich des Vorfalls vom 22. Dezember 2018 hat das Strafgericht zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass er im Wesentlichen geständig war und sich reuig und schuldeinsichtig gezeigt habe. Er habe sich auch in der Hauptverhandlung bei dem Geschädigten entschuldigt und dieser habe die Entschuldigung auch angenommen. Zugunsten des Klägers sei weiterhin zu berücksichtigen gewesen, dass er im Vorfeld durch die Gruppe des Geschädigten erheblich provoziert worden sei und unter Umständen auch selber körperlich angegangen worden sei. Bezüglich des dem Kläger zur Last gelegten Vorfalls vom 29. Oktober 2019 sei zugunsten des Klägers ebenfalls zu berücksichtigen gewesen, dass er im Wesentlichen geständig gewesen sei. Zugunsten des Klägers sei weiterhin zu berücksichtigen gewesen, dass ihm hinsichtlich der Körperverletzung lediglich bedingter Vorsatz vorgeworfen werden könne. Zu Lasten des Klägers sei jedoch bezüglich des Vorfalls vom 22. Dezember 2018 die Tatsache zu berücksichtigen, dass es sich um eine gravierende Bedrohung gehandelt habe. Insbesondere habe der Kläger ein Messer direkt in Kopfhöhe des Geschädigten gehalten. Bezüglich des Vorfalls vom 29. Oktober 2019 sei zu Lasten des Klägers zum einen die Tatsache zu berücksichtigen gewesen, dass er mehrere Tatbestände in Tateinheit verwirklicht habe. Außerdem sei zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen gewesen, dass bei dem Vorfall zwei Polizeibeamte verletzt worden seien und dass beide verletzte Polizeibeamte nicht unerhebliche Verletzungen erlitten hätten, die bis heute nicht vollständig ausgeheilt seien. Zu Lasten des Klägers seien insgesamt auch seine für sein Alter erheblichen (einschlägigen) Vorstrafen zu berücksichtigen gewesen. Zudem liege eine nicht unerhebliche Rückfallgeschwindigkeit vor. Die Vollstreckung der beiden Freiheitsstrafen könne nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Bei dem Kläger könne keine günstige Sozialprognose gestellt werden. Der Kläger sei erheblich vorbelastet. Er habe bereits Haftstrafen verbüßt, die ihn unbeeindruckt gelassen hätten. Zudem liege eine nicht unerhebliche Rückfallgeschwindigkeit vor.
15
Der Senat ist der Auffassung, dass die Entwicklung des Klägers seit der der Ausweisung zugrundeliegenden strafgerichtlichen Verurteilung vom 15. Oktober 2018 nicht darauf schließen lässt, dass die durch diese Delinquenz indizierte Gefährlichkeit des Klägers abgenommen hat oder gar beseitigt ist.
16
Zu der Möglichkeit einer positiven Sicherheitsprognose im Ausweisungsverfahren führt zunächst die Aussetzung des Rests der Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten aus dem strafgerichtlichen Urteil vom 13. April 2016 zur Bewährung ab dem 18. Juli 2022 durch strafvollstreckungsgerichtlichen Beschluss vom 22. Juni 2022 nicht (Bewährungszeit vier Jahre; mit strafvollstreckungsgerichtlichem Beschluss vom 27.10.2021 ist die Aussetzung der Vollstreckung des Rests der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten sowie des Rests der weiteren Freiheitsstrafe von neun Monaten aus dem strafgerichtlichen Urteil vom 9.6.2020 sowie des Rests der Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten aus dem strafgerichtlichen Urteil vom 13.4.2016 zur Bewährung abgelehnt worden, weil der Kläger „keinerlei Anstalten“ gemacht habe, die während des laufenden Vollzugs begonnene Lehre außerhalb des Vollzugs fortführen und beenden zu können).
17
Dem Strafrecht und dem Ausländerrecht liegen unterschiedliche Gesetzeszwecke zugrunde (BVerfG, B.v. 6.12.2021 – 2 BvR 860/21 – juris Rn. 19; B.v. 27.8.2010 – 2 BvR 130/10 – juris Rn. 36). In seinem Beschluss vom 2. Mai 2017 (19 CS 16.2466 – juris, insbesondere Rn. 8 ff.; KommunalPraxis BY 2017, 275 – Leitsatz, NVwZ 2017, 1637/1638 – Leitsatz – und ZAR 2017, 339 – Leitsatz) hat sich der Senat detailliert mit der Unterschiedlichkeit der Prognosen bei Strafrestaussetzungen und Ausweisungsentscheidungen befasst. Er hat dargelegt, dass die Rechtsordnung insoweit (hinsichtlich des Prognoserahmens) aus guten Gründen nicht einheitlich ist. Nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen ist zu berücksichtigen, dass die in diesen beiden Rechtsbereichen zu erstellenden Prognosen auf unterschiedlichen Rechtsvorschriften in einem jeweils eigenen Regelungskontext gründen und deshalb an unterschiedlichen Maßstäben zu orientieren sind (systematische Auslegung, vgl. etwa Zippelius, Juristische Methodenlehre, JuS-Schriftenreihe 93, 11. Aufl. 2012, § 8 S. 36). Ein Beschluss über die Aussetzung des Strafrests trifft zur ausweisungsrechtlichen Frage, ob der Ausländer (auch) in Zukunft eine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit darstellt, keine unmittelbar verwertbare Aussage; ihm ist insbesondere nicht die Überzeugung zu entnehmen, dass der Ausländer nach der Beendigung strafvollstreckungsrechtlicher Einwirkungen keine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit mehr darstellen wird. Der Ausländer kann eine solche Bedrohung darstellen und die Strafrestaussetzung dennoch rechtmäßig sein. Die dezidierte Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts, die Annahme einer Wiederholungsgefahr im Ausweisungsverfahren stelle kein Abweichen von der strafgerichtlichen Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung dar (B.v. 16.11.1992 – 1 B 197/92 – InfAuslR 1993, 121, juris Rn. 4, vgl. auch die eingehende Erläuterung im U.v. 15.1.2013, a.a.O., Rn. 19), gibt die Rechtslage zutreffend wieder.
18
Eine positive Entscheidung über die Straf(rest) aussetzung zur Bewährung schließt daher nicht von vornherein aus, dass im Einzelfall (schwerwiegende) Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, die eine spezialpräventive Ausweisung rechtfertigen können. Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte sind an die tatsächlichen Feststellungen und Beurteilungen des Strafgerichts rechtlich nicht gebunden. Allerdings kommt diesen tatsächliche Bedeutung im Sinne einer Indizwirkung zu. Eine Straf(rest) aussetzung stellt eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr und damit zugleich für die Erforderlichkeit der Ausweisung dar (BVerfG, B.v. 6.12.2021 – 2 BvR 860/21 – juris Rn. 19; B.v 1.3.2000 – 2 BvR 2120/99 – juris Rn. 16, 18 m.w.N.; B.v. 27.8.2010 – 2 BvR 130/10 – juris Rn. 36: „tatsächliches Gewicht“ und „wesentliche Bedeutung“), wobei einer Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach § 57 StGB ausweisungsrechtlich ein geringeres Gewicht zukommt als einer Strafaussetzung nach § 56 StGB (BVerfG, B.v. 27.8.2010 – 2 BvR 130/10 – juris Rn. 36 m.w.N.; B.v. 1.3.2000 – 2 BvR 2120/99 – juris Rn. 18).
19
Kommen Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte im Rahmen der ihnen obliegenden aufenthaltsrechtlichen Prognose, insbesondere mit Blick auf den unterschiedlichen Gesetzeszweck des Ausländerrechts zu einer von dieser Indizwirkung abweichenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr, bedarf es hierfür einer substantiierten, das heißt eigenständigen Begründung (BVerfG, B.v. 6.12.2021 – 2 BvR 860/21 – juris Rn. 19). Solche Gründe können zum Beispiel dann gegeben sein, wenn der Ausländerbehörde umfassenderes Tatsachenmaterial zur Verfügung steht, das genügend zuverlässig eine andere Einschätzung der Wiederholungsgefahr erlaubt (BVerfG, B.v. 6.12.2021 – 2 BvR 860/21 – juris Rn. 19; B.v 1.3.2000 – 2 BvR 2120/99 – juris Rn. 16 m.w.N.; B.v. 27.8.2010 – 2 BvR 130/10 – juris Rn. 36; B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 22, 24). Eine breitere Tatsachengrundlage liegt insbesondere dann vor, wenn Ausländerbehörde oder Gericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben haben (welches eine Abweichung zulässt), wenn die vom Ausländer in der Vergangenheit begangenen Straftaten fortbestehende konkrete Gefahren für höchste Rechtsgüter erkennen lassen (insoweit bedarf es konkreter Feststellungen zu den vom Ausländer drohenden Straftaten) oder wenn neuere Erkenntnisse aufgrund einer der Aussetzungsentscheidung des Strafgerichts nachfolgende aktuelle Befragung des Ausländers in der mündlichen Verhandlung des die Ausweisung betreffenden Klageverfahrens zutage treten (BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 24; BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20.11 – juris Rn. 23). Der gegenüber der strafgerichtlichen oder strafvollstreckungsrechtlichen Beurteilung regelmäßig späteren Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts ist Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2007 – 1 C 45/06 – juris Rn. 12).
20
Einer Aussetzungsentscheidung kommt – auch wenn Beschlüsse im Strafvollstreckungsverfahren nicht den gleichen Begründungsanforderungen unterliegen wie ein Strafurteil (BVerfG, B.v. 2.5.2002 – 2 BvR 613/02 – NJW 2002, 2773) – jedoch geringes Gewicht zu, wenn sie nicht oder nur rudimentär erkennen lässt, auf welcher Tatsachengrundlage sie beruht und im Wesentlichen mit nicht weiter substantiierten Wendungen begründet wird (OVG NRW, B.v. 14.8.2019 – 18 A 1127/16 – juris Rn. 27; VGH BW, U.v. 16.12.2020 – 11 S 955/19 – juris Rn. 83).
21
Der „nach den Grundsätzen des § 88 JG“ erfolgte strafvollstreckungsgerichtliche Beschluss vom 22. Juni 2022, mit dem der Rest der Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten aus dem strafgerichtlichen Urteil vom 13. April 2016 ab dem 18. Juli 2022 zur Bewährung ausgesetzt worden ist, ist allein damit begründet, dass „angesichts des im Großen und ganzen ordnungsgemäßen Führung und dem bevorstehenden Abschluss der Ausbildung im Bereich Elektro (…) diese Verantwortung [i.S.d. § 88 JGG] ab dem oben genannten Datum übernommen werden“ könne. Einer nachvollziehbaren Begründung der Strafrestaussetzung und der berücksichtigten Tatsachengrundlage (über die Haft hinaus) sind dem Beschluss nicht zu entnehmen (gleiches gilt für den von einem anderen Richter gefertigten, die Strafrestaussetzung ablehnenden strafvollstreckungsgerichtlichen Beschluss vom 27.10.2021). Es ist nicht ersichtlich, dass das Strafvollstreckungsgericht die strafrechtliche Karriere mit allen seinen Einzelheiten, insbesondere die schwerwiegenden Straftaten gegen Leib und Leben in den Blick genommen hat. Folglich kommt dem Strafrestaussetzungsbeschluss vom 22. Juni 2022 nur ein geringeres Gewicht im Rahmen der ausländerrechtlichen Prognose der Wiederholungsgefahr zu.
22
Der Senat ist vom Fortbestehen einer vom Kläger ausgehenden erheblichen Wiederholungsgefahr überzeugt.
23
Daran ändert das Verhalten des Klägers im Strafvollzug nichts (die Einheitsjugendstrafe aus dem strafgerichtlichen Urteil vom 13.4.2016 wurde nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vollzogen, weil der Kläger sich nicht für den Jugendstrafvollzug eignete, vgl. § 89b JGG). Das Verhalten des Klägers während des Strafvollzugs ist zwar prognostisch heranzuziehen, aber für die Frage eines späteren straffreien Lebens in Freiheit nur bedingt aussagekräftig, da es im geschützten und kontrollierten Rahmen des Strafvollzugs, der die Möglichkeiten zur Begehung von Straftaten wesentlich verringert, und unter dem Druck der gegenständlichen Ausweisung stattgefunden hat. Hinzu kommt, dass das Verhalten des Klägers nicht tadellos war. Im strafvollstreckungsgerichtlichen Beschluss vom 27. Oktober 2021 wird insoweit ausgeführt, dass sich der Kläger „im Wesentlichen“ gut führe und „im Rahmen seiner Möglichkeiten“ aktiv an der Erreichung des Vollzugsziels mitwirke. Auch der Strafrestaussetzungsbeschluss vom 22. Juni 2022 stellt dem Kläger kein tadelloses Zeugnis aus. Darin ist vielmehr davon die Rede, dass die Führung des Klägers „im Großen und ganzen ordnungsgemäß“ gewesen sei. Darüber hinaus ist gegen den Kläger sein mangelndes Engagement vor dem strafvollstreckungsgerichtlichen Beschluss vom 27. Oktober 2021 zu werten, seine in der Haft begonnene Ausbildung außerhalb des Vollzugs fortzuführen und beenden zu können, mit der Folge, dass eine vorzeitige Haftentlassung nicht erfolgte, obwohl der Kläger am 8. Juli 2021 eine Einwilligung zur Strafrestaussetzung erklärt hatte.
24
Da vom Kläger schwerwiegende Gewaltdelikte begangen worden sind, ist insbesondere auch darauf abzustellen, ob Erkenntnisse bestehen, dass der Kläger, der bereits in jungen Jahren wegen seines aggressiven Verhaltens aufgefallen ist und zweieinhalb Jahre in einer Stütz- und Förderklasse mit heilpädagogischer Tagesstätte verbrachte (im Rahmen der sozialen Gruppenarbeit wirkte der Kläger kaum mit; die Eltern waren mit der Erziehung der Kinder überfordert; es kam zu häufigen Schul- und Polizeimeldungen; eine vom Jugendamt installierte Sozialpädagogische Familienhilfe musste nach acht Monaten wegen fehlender Mitwirkungsbereitschaft der Eltern wieder aufgehoben werden), mit seinen Aggressionen nunmehr umzugehen weiß. Davon ist bislang nicht auszugehen. Zwar hat der Kläger während des Strafvollzugs vom 8. März 2021 bis 27. Juli 2021 an einem Anti-Gewalt-Training (an 17 von 18 Sitzungen zu je 90 Minuten) teilgenommen. Soweit das Verwaltungsgericht insoweit (ohne nähere Begründung dieser Auffassung) vertritt, der vorgelegten Teilnahmebestätigung lasse sich nicht entnehmen, dass der Kläger einen Einstellungswandel vollzogen habe und in der Lage sei, zukünftig gewaltfrei zu leben bzw. dass er seine Aggressionen kontrollieren könne, teilt der Senat diese Einschätzung im Ergebnis. Die Ausführungen in der Bestätigung vom 27. Juli 2021 begründen erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger die in der Veranstaltung vermittelten Lerninhalte tatsächlich verinnerlicht hat. So wird darin insbesondere ausgeführt, dass sich der Kläger „überwiegend“ motiviert und interessiert an den Inhalten des Trainings gezeigt und sich an Gruppendiskussionen „zumeist“ mit reflektierten Äußerungen rege beteiligt habe sowie, dass er auch mit kritischen Anmerkungen habe angemessen umgehen können. Bei der Einzeldeliktbearbeitung sei es ihm „begrenzt“ gelungen, ein Erklärungsmodell für seine Tat zu entwickeln. Aufgrund dieser Ausführungen ist der Senat nicht davon überzeugt, dass beim Kläger ein (erforderlicher) unbedingter Einstellungswandel erfolgt ist.
25
Einen solchen Einstellungswandel vermag der Senat auch dem Verhalten des Klägers während des zeitlich überschaubaren Zeitraums seit der Haftentlassung am 18. Juli 2022 noch nicht zu entnehmen. Zwar ist mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon auszugehen, dass der Kläger seit diesem Zeitpunkt Straftaten und Bewährungsverstöße unterlassen, sowie ein geordnetes und straffreies Leben (insbesondere mit Berufstätigkeit) geführt hat (allerdings übersandte die Beklagte mit Schriftsatz vom 23.3.2023 die Mitteilung der Justizvollzugsanstalt N. vom 6.3.2023, dass sich der Kläger seit dem 5.3.2023 in Untersuchungshaft befinde; mangels entgegenstehender Anhaltspunkte hat der Senat davon auszugehen, dass sich der Kläger auch weiterhin in Untersuchungshaft befindet). Das Verhalten des Klägers bis zum Beginn der Untersuchungshaft stellt (mangels entgegenstehender Anhaltspunkte) einen positiven Prognoseanhaltspunkt dar. Jedoch hat dieses wenig Gewicht, weil es allgemeiner Erfahrung (und der Absicht des Gesetzgebers) entspricht, dass die Möglichkeit, eine zur Bewährung verfügte Strafrestaussetzung zu widerrufen, einen erheblichen Legalbewährungsdruck erzeugt, also zu erheblichen Anstrengungen in Richtung Selbstdisziplin und Lebensordnung führen kann. Dies ergibt sich u.a. daraus, dass die mit der Strafrestaussetzung zur Bewährung verbundene niedrigschwellige Möglichkeit einer Inhaftierung anerkanntermaßen wesentlich besser als die (nach einer Vollverbüßung meist eintretende) Führungsaufsicht geeignet ist, die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls zu mindern (Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 57 Rn. 14 m.w.N. und Rn. 1: „Damoklesschwert“). Zusätzlich wirkt auf das Verhalten des Klägers das laufende Ausweisungsverfahren ein. Ein solches Verfahren entwickelt noch einmal mindestens denselben Legalbewährungsdruck wie die Strafrestaussetzung zur Bewährung. Eine drohende Ausweisung erzeugt insbesondere bei Personen mit Hafterfahrung (Ausgewiesene besitzen diese regelmäßig; auch beim Kläger ist dies im Hinblick auf seinen Aufenthalt in Strafhaft der Fall) häufig einen Legalbewährungsdruck, der über denjenigen einer drohenden Inhaftierung hinausgeht; erst recht gilt dies für einen erlassenen, aber noch nicht bestandskräftigen Ausweisungsbescheid. Zu diesem Legalbewährungsdruck trägt wesentlich der Umstand bei, dass im Ausweisungsrechtsstreit aktuelle Entwicklungen zu berücksichtigen sind.
26
Trotz der die Vollstreckung des Restes der Einheitsjungendstrafe aussetzenden Entscheidung vom 22. Juni 2022 ist das Strafvollstreckungsgericht der Auffassung, dass beim Kläger die Gefahr der weiteren Begehung von Straftaten besteht und dieser Gefahr vorgebeugt werden muss. Dies lässt sich dem Umstand entnehmen, dass eine vierjährige Bewährungsfrist festgelegt worden ist.
27
Dass nunmehr eine Freiheitsstrafe gegenüber dem Kläger zum ersten Mal vollzogen wird, spricht nicht gegen die Annahme einer Wiederholungsgefahr. Zwar gehen die Straf- und Verwaltungsgerichte davon aus, dass die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe, insbesondere als erste massive Einwirkung auf einen jungen Menschen, unter Umständen seine Reifung fördern und die Gefahr eines neuen Straffälligwerdens mindern kann (BayVGH, B.v. 24.2.2016 – 10 ZB 15.2080 – juris Rn. 12). Die Straftaten des Klägers beruhen aber (zumindest auch) auf einem erheblichen Aggressionspotential. Daher kann ohne entsprechende Erkenntnisse, dass der Kläger nunmehr mit seinen Aggressionen umzugehen weiß, und der Glaubhaftmachung einer damit verbundenen Erwartung eines künftig straffreien Verhaltens von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden. Darüber hinaus ist anzumerken, dass dem Kläger aufgrund diverser Jugendarreste ein Freiheitsentzug nicht gänzlich neu ist. Daher ist – was im Ergebnis dahinstehen kann – jedenfalls fraglich, ob die Strafhaft als erste massive Einwirkung auf den Kläger angesehen werden kann.
28
Soweit der Kläger im Zulassungsvorbringen die Auffassung vertritt, die neuen Umstände seit dem angegriffenen Urteil (nach Anrechnung von zwei Freistellungstagen Haftentlassung am 16.7.2022; erfolgreicher Abschluss der qualifizierten Berufsausbildung als Elektroniker, Fachrichtung Energie- und Gebäudetechnik; Wohnsitznahme im mütterlichen Haushalt; regelmäßiger Kontakt zu seiner deutschen Freundin; Beschäftigung ab dem 30.9.2022; Kontakt zur Bewährungshelferin) dürften nicht in eine Prognose- und Abwägungsentscheidung im Rahmen des Zulassungsverfahrens vorverlagert werden, greift diese nicht durch. Eine Vorverlagerung der auf der Basis der zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt gegebenen tatsächlichen Umstände zu treffenden Prognose- und Abwägungsentscheidung in das Berufungszulassungsverfahren ist aufgrund der Einzelfallumstände und des langfristigen ausländerrechtlichen Prognosehorizonts vorliegend schon deshalb nicht zu befürchten (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 37), weil sich der Kläger derzeit in Untersuchungshaft befindet und die aktuellen Gegebenheiten (v.a. im Hinblick auf die vorgetragene Wohn- und Beschäftigungssituation) der Lage zum Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung entspricht.
29
2. Da beim Kläger somit von einer weiterhin bestehenden Wiederholungsgefahr auszugehen ist, kann dahinstehen, ob auch generalpräventive Gründe die Ausweisung stützen.
30
3. Mit seinem Zulassungsvorbringen hat der Kläger die Gesamtabwägung des Verwaltungsgerichts gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht ernstlich im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.
31
Ein Ausländer kann – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – nur dann ausgewiesen werden, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (§ 53 Abs. 1 AufenthG). In die Abwägung sind somit die in § 54 AufenthG und § 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen (BT-Drs. 18/4097, S. 49); durch diese Begriffe wird die Abwägung strukturiert.
32
Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 26)
33
Das Verwaltungsgericht hat sowohl die Umstände ermittelt und in die Abwägung eingestellt, die zugunsten des Klägers sprechen und zu einem Bleibeinteresse führen, als auch solche, die ein Ausweisungsinteresse begründen.
34
Das Beschwerdevorbringen greift die diesbezügliche verwaltungsgerichtliche Auffassung, die besonders schwerwiegenden Interessen gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1a Buchst. b) AufenthG und § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG stünden sich grundsätzlich gleichrangig gegenüber, bereits nicht an.
35
Welches Interesse überwiegt, ist immer im Rahmen einer Interessenabwägung zu klären, schon allein deshalb, weil nach der Vorstellung des Gesetzgebers neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen auch noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar sind (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Selbst das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses, bei dessen Vorliegen ein besonderes öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung besteht und häufig von einem Übergewicht des öffentlichen Interesses an der Ausweisung auszugehen sein wird, entbindet nicht von der Notwendigkeit der in § 53 Abs. 1 AufenthG vorgeschriebenen umfassenden Interessenabwägung mit eventuellen Bleibeinteressen des Betroffenen (BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28/16 – juris Rn. 39). Die gesetzliche Unterscheidung in besonders schwerwiegende und schwerwiegende Ausweisungs- und Bleibeinteressen ist für die Güterabwägung zwar regelmäßig prägend (BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28/16 – juris Rn. 39). Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, ist aber unzulässig (BVerfG, B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 – juris Rn. 41 bereits zum früheren Ausweisungsrecht). Bei Vorliegen besonderer Umstände können die Ausweisungsinteressen auch weniger schwer zu gewichten sein (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 50). Im Rahmen der Abwägung ist mithin nicht nur von Belang, wie der Gesetzgeber das Ausweisungsinteresse abstrakt einstuft. Vielmehr ist das dem Ausländer vorgeworfene Verhalten, das den Ausweisungsgrund bildet, im Einzelnen zu würdigen und weiter zu gewichten (BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28/16 – juris Rn. 39). Gerade bei prinzipiell gleichgewichtigem Ausweisungs- und Bleibeinteresse kann daher das gefahrbegründende Verhalten des Ausländers näherer Aufklärung und Feststellung bedürfen, als dies für die Erfüllung des gesetzlich vertypten Ausweisungsinteresses erforderlich ist (BVerwG, U.v. 27.7.2017 – 1 C 28/16 – juris Rn. 39). Es verbietet sich zudem aber auch eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (BayVGH, U.v. 21.11.2017 – 10 B 17.818 – juris Rn. 41; VGH BW, U.v. 13.01.2016 – 11 S 889/15 – juris Rn. 142).
36
Auch wenn vorliegend die gesetzlichen Typisierungen einen Gleichrang von Ausweisungsinteresse und Bleibeinteresse ergeben, überwiegt bei der gebotenen Einbeziehung der Umstände des Einzelfalls das Ausweisungsinteresse deutlich, selbst wenn der Kläger – was das Verwaltungsgericht jedenfalls nicht ausgeschlossen hat- als faktischer Inländer anzusehen wäre (vgl. zur Bedeutung der Integrationsleistungen bei der Frage des faktischen Inländers BVerwG, U.v. 29.9.1998 – 1 C 8.96; U.v. 30.3.2010 – 1 C 8/09 – jeweils juris).
37
Wie der Kläger selbst zugesteht, besteht ein generelles Ausweisungsverbot für „faktische Inländer“ nicht (BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 19; EGMR, U.v. 18. 10. 2006 – Üner, 46410/99 – juris Rn. 57). Bei der Ausweisung im Bundesgebiet geborener Ausländer ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen (BVerfG, B.v. 25.8.2020 – 2 BvR 640/20 – juris Rn. 24).
38
Vorliegend ist die Ausweisung des Klägers auch unter Berücksichtigung der Familienverhältnisse des Klägers weder ein Verstoß gegen Art. 6 GG/Art. 8 EMRK (würde man ihn als faktischen Inländer ansehen) noch unverhältnismäßig.
39
Ein Leben im Einklang mit der Rechtsordnung ist dem Kläger trotz seines langen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht gelungen. Der Kläger ist im Bundesgebiet wiederholt (erstmals bereits mit 15 Jahren), in sich steigernder Weise und mit einer beachtlichen Rückfallgeschwindigkeit strafrechtlich in Erscheinung (vgl. bereits die Ausführungen zu Nr. 1). Selbst unter Bewährung stehend hat er sich nicht rechtstreu verhalten, sondern ist vielmehr durch weitere Gewaltdelikte erneut aufgefallen. Auch die ihm auferlegten Strafen (Jugendarrest, die Ableistung gemeinnütziger Arbeit, Jugendstrafen, Freiheitsstrafe) und die ausländerrechtliche Verwarnung vom 27. Februar 2018 haben den Kläger von der Begehung weiterer Straftaten nicht abgehalten. Besonders negativ ist gegen den Kläger der Umstand zu werten, dass der Kläger nach seiner (damals noch nicht rechtskräftigen) Verurteilung vom 15. Oktober 2018 (erstmals zu einer Freiheitsstrafe) bereits am 22. Dezember 2018 wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten ist (wegen Bedrohung, vgl. strafgerichtliches Urteil vom 9.6.2020). Die erstmalige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe hat beim Kläger offensichtlich zu keinerlei Verhaltensänderung geführt.
40
Zudem ist eine nachhaltige Integration des im Bundesgebiet geborenen Klägers in den Arbeitsmarkt vor seiner Inhaftierung nicht zu verzeichnen. Er hat im Bundesgebiet den qualifizierenden Hauptschulabschluss erworben, danach u.a. als Verkäufer gearbeitet und ab dem 1. September 2018 eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker begonnen. Aufgrund seiner Inhaftierung musste er die Ausbildung abbrechen. Ob eine wirtschaftliche Integration nach Haftentlassung gelingen wird, ist fraglich. Zwar hat der Kläger seine Berufsausbildung als Elektroniker, Fachrichtung Energie- und Gebäudetechnik, mittlerweile abgeschlossen (Gesellenbrief vom 26.7.2022). Auch ist zu berücksichtigen, dass er seit dem 30. September 2022 als Produktionshelfer und zum Produktionsmitarbeiter Qualitätssicherung (QS) beschäftigt war (ob sich die in der Zulassungsbegründung angesprochene Möglichkeit einer Beschäftigung entsprechend seiner Qualifikation nach anfänglicher Erprobung als Produktionshelfer durch die „Beförderung“ zum Produktionsmitarbeiter realisiert hat, ist weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich; gleiches gilt für die Möglichkeit einer zusätzlichen Beschäftigung als Servicekraft). Inwiefern sich diese (durchaus positiv für den Kläger zu wertende) Perspektive realisieren lässt, ist aufgrund der derzeitigen Untersuchungshaft derzeit offen. Jedenfalls ist festzustellen, dass die früheren Beschäftigungen den Kläger in keinster Weise von der Begehung von Straftaten abhalten konnten.
41
Auch seine im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen (Mutter; ein noch in Angola geborener älterer Bruder; sein am 24.12.1994 geborener Bruder und seine am 2.6.1999 geborene Schwester sowie ein weiterer jüngerer Bruder; der Vater des Klägers wurde mit Bescheid vom 20.1.2014 ausgewiesen und am 24.5.2016 nach Angola abgeschoben, sein Einreise- und Aufenthaltsverbot endet am 24.5.2024) konnten den ledigen und kinderlosen Kläger von der Begehung von Straftaten in der Vergangenheit nicht abhalten.
42
Auch unter Berücksichtigung der (vermutlich eher) positiven Entwicklungen im beruflichen und familiären Bereich, überwiegt das Ausweisungsinteresse im Hinblick auf die vom Kläger verübten massiven Straftaten und die daraus resultierenden schwerwiegenden Gefahren weiterhin erheblich. Es wird insoweit nicht verkannt, dass sich die streitgegenständliche Ausweisung in Anbetracht des ausschließlichen Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet und seiner hier bestehenden familiären und sozialen Bindungen als gravierender Grundrechtseingriff darstellt (wobei infolge des Strafvollzugs intensive Bindungen über den familiären Bereich nicht ersichtlich sind).
43
Dem Kläger ist es zumutbar, im Land seiner Staatsangehörigkeit Fuß zu fassen und die familiären Kontakte von dort aus aufrecht zu erhalten. Aufgrund seines Aufwachsens in einer angolanischen Familie erscheint überwiegend wahrscheinlich, dass er mit der dortigen Kultur hinreichend vertraut ist. Soweit der Kläger im Zulassungsvorbringen rügt, die Ausreise der Eltern zwei Jahre vor der Geburt des Klägers aus Angola und der Umstand der Asylantragstellungen „legen vielmehr nahe, dass seitens der Eltern gerade ein Bruch mit der angolanischen Gesellschaft gewünscht war und eine Abkehr von deren Werten, zumal dies ein Angola von vor 28 Jahren betraf“, greift dies nicht durch. Anhaltspunkte, die die klägerischen Ausführungen stützen würden, sind weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr hat der Senat (in seiner damaligen Zusammensetzung) im Beschwerdeverfahren des Vaters des Klägers gegen den seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klage gegen den Ausweisungsbescheid der Beklagten vom 20. Januar 2014 ablehnenden Beschluss vom 3. Juni 2014 mit Beschluss vom 1. Juni 2015 (Az. 19 C 14.1407) festgestellt, dass sich der Vater des Klägers seinem Herkunftsland nicht entfremdet, er auch während seines Aufenthalts in Deutschland noch Kontakte mit der Heimat gepflegt und er sich im Jahr 2006 über einen längeren Zeitraum dort aufgehalten habe. Dies spricht eindeutig dafür, dass ein Bruch (jedenfalls des Vaters) mit der angolanischen Gesellschaft eben nicht erfolgt und eine Vermittlung der angolanischen Werte und Kultur an den Kläger stattgefunden hat. Der Kläger hat darüber hinaus zugestanden, dass im elterlichen Haushalt (neben Deutsch) Lingala gesprochen worden ist (vgl. Klagebegründung vom 4.7.2022) und er (was jedoch in Anbetracht der vorigen Ausführungen eher fernliegend ist) in einfachem Umfang mündliche Kenntnisse von Lingala habe (vgl. Zulassungsbegründung vom 30.9.2022). Das Verwaltungsgericht hat zwar insoweit – zurecht – festgestellt, dass es sich bei Lingala nicht um eine Amtssprache in Angola handelt, sondern um die Sprache einer Minderheit. Die verwaltungsgerichtliche Auffassung, die Eltern des Klägers seien mit dieser Sprache in Angola bis zu ihrer Ausreise offensichtlich zurechtgekommen, ist aber nachvollziehbar und überzeugend. Anhaltspunkte, die diese Auffassung in Zweifel ziehen würden (in dem Sinne, dass die Eltern des Klägers mit Lingala nicht zurechtgekommen wären), sind weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich. Der längere Aufenthalt des Vaters des Klägers im Jahr 2006 spricht jedenfalls für die verwaltungsgerichtliche Auffassung. Zudem konnten die Eltern des Klägers in Angola ausweislich der Behördenakte Pässe bekommen. Selbst wenn der Kläger – wie er vortragen lässt – lediglich in einfachem Umfang mündliche Kenntnisse von Lingala haben sollte, wäre ihm angesichts der von ihm ausgehenden Gefahren für Leib und Leben Dritter und seines Alters von erst 26 Jahren zumutbar, seine Sprachkenntnisse zu verbessern und auch eine Amtssprache zu erlernen. Zudem wäre die wirtschaftliche Perspektive für den Kläger in Angola keineswegs aussichtlos, da er nunmehr über eine abgeschlossene Ausbildung als Elektroniker verfügt.
44
Für den Fall, dass keine Verwandten des Klägers mehr in Angola leben (es ist offen, ob der nach Angola abgeschobene Vater des Klägers noch lebt), besteht die zumutbare Möglichkeit, dass ihn seine Familie aus der Bundesrepublik oder vor Ort während der Eingewöhnungsphase unterstützt. Jedenfalls ist selbst das Fehlen verwandtschaftlicher Beziehungen im Herkunftsstaat bei – wie hier – Volljährigen kein Umstand, aus dem sich die Unzumutbarkeit der Rückkehr ableiten lässt (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 27.2.2018 – OVG 3 B 11.16 – juris Rn. 46).
45
Das geltend gemachte Maß der Verwurzelung im Bundesgebiet steht daher vorliegend einer Ausweisung nicht entgegen.
46
4. Der Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots und die Frist von fünf Jahren ab Verlassen des Bundesgebiets begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
47
Der Kläger lässt insoweit lediglich vortragen, dass infolge der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zur Rechtmäßigkeitsprüfung der Ausweisungsentscheidung auch die Annexentscheidung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot keinen Bestand haben könne. Da die Ausweisung aber nicht zu beanstanden ist (vgl. die obigen Ausführungen), begründet der Vortrag keine ernstlichen Zweifel am Einreise- und Aufenthaltsverbot.
48
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 3 Satz 1, § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
49
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).