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VG Würzburg, Urteil v. 22.03.2023 – W 2 K 22.1350
Titel:

Kommunalrecht, Entwässerungsanlage, Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang, hohe Kosten für die Erneuerung/Sanierung einer Hebeanlage

Normenketten:
GO Art. 24 Abs. 1 Nr. 2
EWS § 6 Abs. 1
Schlagworte:
Kommunalrecht, Entwässerungsanlage, Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang, hohe Kosten für die Erneuerung/Sanierung einer Hebeanlage
Fundstelle:
BeckRS 2023, 10078

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

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I. Der Kläger ist Eigentümer der Grundstücke Flurnummern …0/0, …1/1 und …9/1, Gemarkung O. im Gemeindegebiet der Beklagten. Auf dem Grundstück Flurnummern …0/0 befindet sich unter anderem ein Automobilhandel, auf dem Grundstück Flurnummern …1/1 ein Gebäude, in dem eine Zahnarztpraxis betrieben wird und auf dem Grundstück Flurnummern …9/1 ein Gebäude, das früher gastronomisch genutzt wurde, heute Wohnzwecken dient. Die Beklagte betreibt im Gemeindegebiet eine Entwässerungsanlage als öffentliche Einrichtung. Die Parteien streiten um eine Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang der klägerischen Grundstücke für die gemeindliche Entwässerungsanlage.
2
Die Entwässerung der klägerischen Grundstücke erfolgte über eine Hebe-/Pumpstation auf dem Grundstück Flurnummer …1/1 und einer gemeindlichen Druckleitung. Die Hebe-/Pumpstation ist nicht mehr funktionstüchtig.
3
Die Beklagte hat eine Satzung für die öffentliche Entwässerungseinrichtung (Entwässerungssatzung – EWS) vom 3. April 2019 erlassen.
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Der Kläger beantragte bei der Beklagten eine Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang für die Entwässerungseinrichtung. Mit Schreiben vom 8. April 2022 begründete er den Antrag damit, dass er für die Entwässerung seiner Grundstücke eine eigene Kleinkläranlage errichten möchte, weil dies für ihn und auch für die Gemeinde die wirtschaftlichste Lösung darstelle. Mit Schreiben vom 17. Mai 2022 legte der Kläger eine Kostenaufstellung der Fa. P. vor, wonach bei einer Sanierung der Hebeanlage mit Kosten von 176.000 EUR und bei einer Neuherstellung der Anlage mit 186.000 EUR zu rechnen sei. Nach einem Angebot der Fa. D. … vom 11. Mai 2022 würde der Bau einer Kleinkläranlage ca. 81.000 EUR kosten.
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Der Gemeinderat der Beklagten beschloss am 20. Juni 2022, den Antrag auf Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang abzulehnen.
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Mit Bescheid vom 1. Juli 2022, beim Klägerbevollmächtigten am 7. Juli 2022 eingegangen, lehnte die Beklagte den Antrag auf Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang für die gemeindliche Entwässerungseinrichtung ab (Ziffer I) und forderte den Kläger auf, eine Reparatur/Erneuerung der Pumpstation (Hebeanlage) innerhalb von sechs Monaten durchzuführen und die Abwässer in die gemeindliche Entwässerungsanlage zu übergeben (Ziffer II).
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Nach § 6 Abs. 1 EWS könne von der Anschluss- und Benutzungspflicht ganz oder teilweise nur befreit werden, wenn die Benutzung aus besonderen Gründen, auch unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Gemeinwohls nicht zumutbar sei. Im Hinblick auf die zu erwartenden Kosten im Verhältnis zum Wert der Grundstücke sei keine Unzumutbarkeit gegeben. Auf die weitere Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
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II. Mit Schriftsatz vom 1. August 2022, bei Gericht eingegangen am selben Tag, erhob der Kläger Klage (W 2 K 22.1240) zum Verwaltungsgericht Würzburg.
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Die Beklagte habe sich viele Jahre lang als Eigentümerin der Hebeanlage gesehen und diese mit öffentlichen Mitteln gewartet und unterhalten. Erst als es im Jahr 2020 zu einem Ausfall der Hebeanlage gekommen sei, habe die Beklagte behauptet, dass der Kläger Eigentümer der Hebeanlage sei und man deshalb keine Reparaturkosten oder Kosten für die Neuherstellung übernehmen könne. Die Kosten für die Errichtung einer Kleinkläranlage betrügen weniger als die Hälfte der Kosten der Reparatur bzw. Neuherstellung der Hebeanlage, so dass man ca. 110.000 EUR sparen würde. Zudem habe der Kläger versucht, mit der Grundstücksnachbarin (Eigentümerin des Schlossgrundstücks) eine einvernehmliche Lösung zu suchen, was gescheitert sei. Der Nachbarin sei die Abwasserentsorgung über eine Kleinkläranlage ermöglicht worden. Damit sei die Durchsetzung des Anschluss- und Benutzungszwangs unter Berücksichtigung der vorliegenden speziellen Fallkonstellation nicht zumutbar.
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Hilfsweise wird vorgetragen, dass die Entwässerungssatzung unwirksam sei, da § 6 EWS die Voraussetzungen für eine Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang zu unbestimmt regele.
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Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid des Beklagten vom 1. Juli 2022 aufzuheben;
2. die Beklagten zu verpflichten, dem Kläger die mit Schreiben vom 8. April 2022 beantragte Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang für die Grundstücke mit den Flurnummern …0/0, …1/1 und …9/1 der Gemarkung O. zu erteilen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Auf Grundlage einer Sondervereinbarung mit dem Voreigentümer seien die verfahrensgegenständlichen Grundstücke über eine in der …straße … liegende Druckleitung an die Entwässerungseinrichtung im Sinne von § 7 EWS angeschlossen und damit erschlossen. Soweit die Beklagte in der Vergangenheit Kosten für die Druckleitung und die Hebeanlage übernommen habe, sei dies für einen Anspruch auf Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang rechtlich unrelevant. Die in der …straße … liegende Druckleitung sei gewidmeter Bestandteil der Entwässerungseinrichtung, die Hebeanlage nicht. Diese sei gemäß § 3 EWS Bestandteil der Grundstücksentwässerungsanlage und vom jeweiligen Eigentümer zu unterhalten. Es komme auch nicht darauf an, in welcher Weise die Grundstücksnachbarin ihr Grundstück (Schloss) entwässere. Deren (alte) Entwässerungsleitung zur Hebeanlage des Klägers sei nach der vom Kläger widerrufenen Gestattung der Einleitung gekappt worden. Die satzungsmäßige Benutzung der Entwässerungseinrichtung sei dem Kläger auch im Hinblick auf die zu erwartenden Kosten zumutbar, da die zahlreichen gewerblichen Gebäude durch die öffentliche Entwässerungseinrichtung ordnungsgemäß entwässert werden könnten. Nach § 9 Abs. 4 EWS sei der Kläger als Grundstückseigentümer für die ordnungsgemäße Instandsetzung der Grundstücksentwässerungsanlage verantwortlich. Der Anschluss der klägerischen Grundstücke sei vor 36 Jahren auf Wunsch des damaligen Grundstückseigentümers auf Grundlage einer Sondervereinbarung mit diesem unter erheblichen Kostenaufwand für die Beklagte erfolgt. Die Beklagte habe ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an einem wirtschaftlichen, effektiven Betrieb der Entwässerungseinrichtung durch den Anschluss aller angeschlossener Grundstücke und die entsprechende Benutzung.
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Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 29. August 2022 wurde die Klage auf Verpflichtung zur Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang der gemeindlichen Entwässerungseinrichtung abgetrennt und unter dem Aktenzeichen im vorliegenden Verfahren W 2 K 22.1350 fortgeführt. Die Klage gegen die Ziffer 2 des Bescheids vom 1. Juli 2022, mit welchem der Kläger aufgefordert wird, die Reparatur/Erneuerung der Pumpstation innerhalb von sechs Monaten durchzuführen und die Abwässer der gemeindlichen Entwässerungseinrichtung zu übergeben, wurde unter dem Aktenzeichen W 2 K 22.1240 fortgeführt und ausgesetzt.
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Am 25. Januar 2023 fand ein Erörterungstermin an den streitgegenständlichen Grundstücken statt. Die Vertreter des Wasserwirtschaftsamtes B. K.stellten im Rahmen dieses Termins fest, dass der Betrieb einer privaten Kleinkläranlage für die klägerischen Grundstücke wegen der in einer Zahnarztpraxis anfallenden Chemikalien aus wasserwirtschaftlicher Sicht unzulässig sei.
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Im Rahmen des Erörterungstermins erklärte die Beklagte mit Schriftsatz vom 20. Februar 2023 ihr Einvernehmen mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Im selben Schriftsatz bestreitet der Kläger mit Nichtwissen, dass es keinen Bebauungsplan gebe und eine Kleinkläranlage unzulässig sei.
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Im Übrigen wird auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien, auf das Protokoll des Erörterungstermins sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakten der Beklagten, welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Entscheidung kann nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärten.
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1. Die Klage ist als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage zulässig, aber unbegründet.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von der Anschluss- und Benutzungspflicht für die gemeindliche Entwässerungseinrichtung (§ 113 Abs. 5 VwGO). Er kann sich nicht erfolgreich gegen die Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs wehren.
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1.1 Maßgebend für die Prüfung des Anspruchs sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung, da eine Verpflichtungsklage vorliegt und es um den Anschluss- und Benutzungszwang für die Zukunft geht.
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Vor diesem Hintergrund ist es grundsätzlich unerheblich, ob die Beklagte die Unterhaltungslast für die Hebeanlage in der Vergangenheit – selbst bei Wahrunterstellung dieses Vortrags – übernommen hatte. Da diese vergangenen Unterhaltsleistungen von der Beklagten satzungswidrig erbracht worden wären, könnte der Kläger keinen Anspruch aus Gewohnheitsrecht hieraus herleiten. Insbesondere kann auch die mit dem ehemaligen Eigentümer der Grundstücke am 20. Mai 1986 geschlossene Vereinbarung nicht den Kläger berechtigten oder verpflichten, da der Kläger nicht der Rechtsnachfolger des Voreigentümers ist. Andere wirksame Vereinbarungen sind nicht ersichtlich, insbesondere können gültige öffentlich-rechtliche Verträge nur schriftlich abgeschlossen werden, Art. 57 BayVwVfG.
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Die Hebeanlage ist Bestandteil der Grundstücksentwässerungsanlage (§ 3 Nr. 8 Sp. 2 EWS). Nach § 9 Abs. 1 EWS haben die Grundstückseigentümer die Grundstücksentwässerungsanlage so zu gestalten, dass der gemeindliche Kanal unter Berücksichtigung der technischen Gegebenheiten benutzt werden kann. Dabei sind Anordnungen nach § 9 Abs. 4 EWS möglich. Unterhalt und Wartung der Hebeanlage gehören zu den Pflichten des Klägers als Grundstückseigentümers, der schon nach sachenrechtlichen Grundsätzen auch Eigentümer der Anlage ist.
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1.2 Die Beklagte betreibt nach Maßgabe der Satzung für die öffentliche Entwässerungseinrichtung (Entwässerungssatzung – EWS) vom 3. April 2019 eine Entwässerungseinrichtung als öffentliche Einrichtung.
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Hinsichtlich des ordnungsgemäßen Zustandekommens dieser Satzung und der materiell rechtlichen Regelungen sind keine rechtlichen Bedenken ersichtlich.
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Gemäß § 4 EWS hat jeder Eigentümer eines von der Anlage erschlossenen Grundstücks das Recht, sein Grundstück an die Anlage anzuschließen. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EWS sind die zum Anschluss Berechtigten verpflichtet, bebaute Grundstücke an die öffentliche Entwässerungseinrichtung anzuschließen (Anschlusszwang). Ein Anschlusszwang besteht nicht, wenn der Anschluss rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist, § 5 Abs. 1 Satz 2 EWS. Nach § 5 Abs. 5 EWS ist auf Grundstücken, die an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossen sind, im Umfang des Benutzungsrechts alles Abwasser in die Entwässerungseinrichtung einzuleiten (Benutzungszwang). Diese Vorschriften finden ihre Grundlage in Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 GO, wonach die Gemeinden aus Gründen des öffentlichen Wohls den Anschluss an die Abwasserbeseitigung vorschreiben und die Benutzung dieser Einrichtung zur Pflicht machen können (vgl. Wuttig/Thimet, Gemeindliches Satzungsrecht und Unternehmensrecht, Stand: Juni 2022, Teil II, Frage 1).
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1.3 Rechtsgrundlage des Begehrens des Klägers ist § 6 Abs. 1 Satz 1 EWS.
28
Nach dieser Norm wird von der Verpflichtung zur Benutzung der Entwässerungseinrichtung ganz oder zum Teil befreit, wenn die Benutzung der Einrichtung aus besonderen Gründen auch unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Gemeinwohls nicht zumutbar ist.
29
Die hilfsweise vorgetragenen Bedenken gegen die Gültigkeit dieser Regelung wegen eines Verstoßes gegen das verfassungsrechtlich verankerte Bestimmtheitsgebot greifen nicht durch. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 22. August 2008 – 4 ZB 08.336 (juris), entschieden, dass diese Befreiungsvorschrift, die im Übrigen der Mustersatzung entspricht, hinreichend bestimmt sei. Er führte in dieser Entscheidung, der sich die erkennende Kammer anschließt, Folgendes aus:
„Nach dieser Regelung werden die individuellen Verhältnisse des einzelnen Grundstückseigentümers und dessen grundrechtlich geschütztes Interesse mit dem öffentlichen Interesse an einer ordnungsgemäßen Abwasserbeseitigung abgewogen; dadurch wird dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Normanwendung Rechnung getragen. Da die abstrakt-generelle Regelung sämtliche Grundstückseigentümer im Anschlussgebiet betrifft, deren individuelle Situation sehr unterschiedlich sein wird, hat der Satzungsgeber durch die Aufnahme der unbestimmten Rechtsbegriffe `der besonderen Gründe` und der `Zumutbarkeit` in die Befreiungsvorschrift diesem Umstand ausreichend Rechnung getragen. Zugleich hat er die Berücksichtigung des Gemeinwohls (vgl. Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 GO) vorgeschrieben. Er hat damit hinreichend klar die Determinanten genannt, die bei der zu treffenden Entscheidung zu berücksichtigen sind. Eine weitere satzungsmäßige Festlegung der Umstände, die im jeweiligen Einzelfall die Befreiung tragen können, war rechtlich nicht geboten.“
30
§ 6 Abs. 1 EWS ist anwendbar, da die klägerischen Grundstücke von der Entwässerungseinrichtung der Beklagten erschlossen werden.
31
Ein Grundstück ist dann erschlossen, wenn es an den öffentlichen Straßengrund grenzt, in dem eine öffentliche Leitung bis auf Höhe des Grundstücks verlegt ist oder eine Leitung über ein fremdes Grundstück unmittelbar an seine Grundstücksgrenze verlegt ist und eine Duldungspflicht des Eigentümers besteht beziehungsweise die Querung eines Zwischengrundstücks rechtlich und tatsächlich gesichert ist (vgl. Thimet, Kommunalabgaben und Ortsrecht in Bayern, Stand Januar 2023, Teil IV, Art. 9, Frage 4, Nr. 7). Die Druckleitung in der …straße …, die als Bestandteil der Entwässerungseinrichtung gewidmet ist, reicht nach den Lageplänen bis an das Grundstück Flurnummer …1/5 heran. Die anderen Grundstücke bilden in diesem Zusammenhang eine wirtschaftliche Einheit. Zwar gilt ein Grundstück dann nicht als erschlossen, wenn unüberwindbare technische Hindernisse oder unzumutbar hohe Kosten bestehen (vgl. BayVGH, U.v. 24.7.1987 – 23 B 94.1935, BayVBl. 1998, 721 ff), aber dass für den Anschluss eine Hebeanlage erforderlich ist, beeinträchtigt nicht den Charakter eines Grundstücks als „erschlossen“ (BayVGH, B.v. 5.5.2003 – 23 ZB 03.595, juris).
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1.4 Die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 EWS liegen nicht vor, da weder „besondere Gründe“ noch eine „Unzumutbarkeit“ angenommen werden können.
33
Die Begriffe „besonderen Gründe“ und „Unzumutbarkeit“ i.S. des § 6 Abs. 1 Satz 1 EWS sind gerichtlich voll überprüfbare unbestimmte Rechtsbegriffe (Wuttig/Thimet, a.a.O., Teil II, Frage 16, Ziffer 1.1). Diese Vorschriften stellen auf die Abwägung der privaten Interessen an der Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang mit den öffentlichen Belangen ab. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Bayerische Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 11. Mai 2004 (Vf 44-VI-02, BayVBl. 2004, 527) festgelegt hat, dass die Entsorgung des Abwassers mittels einer privat betriebenen Kleinkläranlage nicht hinreichend gesichert ist. Dem Anschluss an die öffentliche Entwässerungsanlage ist grundsätzlich Vorrang einzuräumen.
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1.4.1 Zum einen sind schon keine besonderen Gründe erkennbar, die ausnahmsweise eine Befreiung rechtfertigen könnten.
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Dass der Grundstücksnachbarin eine Befreiung gewährt wurde, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, da für deren Schlossgrundstück andere rechtliche Voraussetzungen gelten, weil es nicht an einer öffentlichen Entwässerungsleitung anliegt und so nicht durch die Entwässerungseinrichtung erschlossen ist. Auch dass die bereits vorhandene, gegebenenfalls mit Unterstützung der Beklagten geschaffene Hebeanlage, öfters defekt gewesen sein soll, stellt – selbst bei Wahrunterstellung – keinen besonderen Grund dar, da nach Aussage der Vertreter der Fachbehörde Wasserwirtschaftsamt die Schaffung einer störungsfrei arbeitenden Hebeanlage technisch kein Problem darstelle.
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1.4.2 Zum anderen sind die zu erwartenden Aufwendungen für die Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen Anschlusses an die Entwässerungseinrichtung zumutbar.
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Der Kläger trägt vor, dass er ca. 110.000 EUR sparen könne, wenn er anstelle der Sanierung oder Neuerrichtung einer Hebeanlage eine Kleinkläranlage bauen würde.
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Allerdings besteht im vorliegenden Fall für eine private Kläranlage des Klägers nicht einmal die Aussicht, die erforderliche wasserrechtliche Genehmigung zu erhalten. Die Vertreter des Wasserwirtschaftsamtes B. K.haben im Rahmen des Erörterungstermins am 22. Januar 2023 festgestellt, dass aus wasserwirtschaftlicher Sicht eine Kleinkläranlage für eine ordnungsgemäße Entsorgung von Abwässern aus einer Zahnarztpraxis nicht in Betracht kommt. Das steht zur Überzeugung des Gerichts fest (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ein Bestreiten dieser Aussage durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Nichtwissen kann an dieser Überzeugungsbildung nichts ändern. Dem Kläger hat daher für eine ordnungsgemäße Beseitigung der Abwässer bei der bestehenden Nutzung des Gebäudes auf der Flurnummer …1/5 als Zahnarztpraxis keine andere Alternative, als mittels Schaffung einer funktionstüchtigen Hebeanlage für einen Anschluss an die Entwässerungseinrichtung der Beklagten zu sorgen.
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Aber selbst in dem Fall, in dem der Bau einer Kleinkläranlage eine mögliche Alternative darstellen würde, wären die Mehrkosten einer Hebeanlage in Höhe von ca. 100.000/110.000 EUR zumutbar. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, B. v. 12.10.2008 – 4 ZB 08.483; BayVGH, U.v. 13.8.1998 – 23 B 96.328 – Rn. 22, beides juris) kann zwar die Höhe der Anschlusskosten im Einzelfall eine Befreiung rechtfertigen. Das gilt aber nicht schon dann, wenn die Anschlusskosten besonders hoch sind; vielmehr ist darüber hinaus erforderlich, dass diese Aufwendungen in keinem tragbaren Verhältnis zum Wert der erschlossenen Grundstücke stehen. Selbst bei konservativer Schätzung der Größe der angeschlossenen Grundstücke mit 4.000 qm und bei einem angenommenen Grundstückspreis eines Quadratmeters im bebauten Außenbereich mit 100 EUR (vgl. Grundstückspreise in Theres – Stand: Jan. 2023: aktuelle-grundstueckspreise.de) ergibt sich ein Grundstückswert von 400.000 EUR, der die Kosten der Sanierung oder Neuschaffung einer Hebeanlage bei weitem übersteigt. Nach all dem sind nicht einmal ansatzweise Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der Wert der klägerischen Anwesen nicht deutlich höher läge als die für den Anschluss an die Entwässerungseinrichtung zu erwartenden Kosten.
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1.5 Aus alledem folgt, dass die Beklagte zu Recht auf der Grundlage ihres Satzungsrechts den Antrag auf Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 EWS abgelehnt hat.
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2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.