Inhalt

VGH München, Beschluss v. 25.01.2023 – 9 ZB 22.2569
Titel:

Kein Anspruch auf bauaufsichtsrechtliches Einschreiten gegen Nebengebäude und Sichtschutzzaun auf dem Nachbargrundstück

Normenketten:
VwGO § 122 Abs. 2 S. 3, § 124 Abs. 2 Nr. 1
BayBO Art. 2 Abs. 2, Art. 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 7 S. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, S. 2
Leitsätze:
1. Art. 6 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 iVm S. 2 BayBO ist gegenüber Art. 6 Abs. 1 S. 1 BayBO speziell. ( Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Art. 6 Abs. 7 S. 2 BayBO gilt für Anlagen nach Art. 6 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 BayBO nicht. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Art. 6 Abs. 1 S. 2 BayBO findet neben der spezielleren Regelung des Art. 6 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 BayBO keine Anwendung. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, bauaufsichtliches Einschreiten, Nebengebäude und Sichtschutzzaun, Abstandsflächenrecht, Gebot der Rücksichtnahme, ernstliche Zweifel, bauaufsichtsrechtliches Einschreiten, Ermessensausübung, Nebengebäude, abstandsflächenrechtliche Privilegierung, gebäudegleiche Wirkung, Rücksichtnahmegebot, erdrückende Wirkung
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 10.11.2022 – W 5 K 22.739
Fundstelle:
BeckRS 2023, 1004

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Kläger sind Miteigentümer eines Wohnanwesens (Grundstück FlNr. …1 Gemarkung P. …, G. …) und wenden sich gegen die Errichtung eines Nebengebäudes und eines Sichtschutzzauns auf im Eigentum der Beigeladenen stehenden Nachbargrundstücken (FlNr. … und … derselben Gemarkung).
2
Die auf bauaufsichtliches Einschreiten bzw. auf Anordnung der Beseitigung der beiden baulichen Anlagen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 10. November 2022 abgewiesen. Die Kläger seien nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt. Abstandsflächenrecht sei eingehalten. Das etwa 1 m entfernt von der nördlichen Grenze des Klägergrundstücks befindliche Nebengebäude ohne Aufenthaltsraum und Feuerstätte mit einer Grundfläche von 3 m mal 8 m und einer Höhe von 2,40 m bzw. 2,57 m sowie der entlang der gemeinsamen Grenze errichtete Sichtschutzzaun mit einer Höhe von maximal 2 m seien nicht abstandsflächenpflichtig. Aus bauplanungsrechtlicher Sicht komme, unabhängig davon, ob die beanstandeten Anlagen vollständig im Innenbereich oder (teilweise) im Außenbereich lägen, einzig eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme in Betracht, die jedoch nicht vorliege. Vom streitgegenständlichen Nebengebäude und dem Sichtschutzzaun gehe insbesondere weder eine erdrückende oder abriegelnde Wirkung aus noch führten diese Anlagen zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der „freien Aussicht“ oder seien sie aus Gestaltungsgründen rücksichtslos. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzziel weiter.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
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Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen geltend gemachter ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils in diesem Sinn bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden (vgl. BVerfG, B.v. 13.5.2020 - 1 BvR 1521/17 - juris Rn. 10; B.v. 16.7.2013 - 1 BvR 3057/11 - BVerfGE 134, 106 = juris Rn. 36; BayVGH, B.v. 12.4.2021 - 8 ZB 21.23 - juris Rn. 8). Das ist hier nicht der Fall.
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Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein Dritter einen Rechtsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten oder insoweit einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung nur geltend machen kann, wenn er durch die angegriffene bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt wird (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2019 - 15 CE 18.2652 - juris Rn. 19 m.w.N.). Es hat hier eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften nachvollziehbar verneint. Aufgrund des Vortrags der Kläger im Zulassungsverfahren ist nicht ersichtlich, dass diese Beurteilung, der auch eine Beweiserhebung durch Augenschein zugrunde lag, falsch sein könnte. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils und sieht von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend bleibt im Hinblick auf das Zulassungsvorbringen noch folgendes zu bemerken:
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1. Der Vortrag, wonach dem streitgegenständlichen Nebengebäude und dem Sichtschutzzaun gebäudeähnliche Wirkung zuzusprechen sei und beide Anlagen kumulativ eine Gesamtlänge von mehr als 15 m hätten, sodass eine abstandsflächenrechtliche Privilegierung ausscheide, lässt keine Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils aufkommen.
8
Das Verwaltungsgericht hat seine Annahme, dass das streitgegenständliche Nebengebäude, keine Abstandsflächen einzuhalten hat, zu Recht auf die gegenüber der allgemeinen Abstandsflächenpflicht nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO speziellere Regelung des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 2 BayBO gestützt. Es hat aufgrund des Akteninhalts und der Inaugenscheinnahme des Baugrundstücks festgestellt, dass es sich bei dem Nebengebäude um ein Gebäude (vgl. Art. 2 Abs. 2 BayBO) ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten handelt, welches eine mittlere Wandhöhe bis zu 3 m sowie eine Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9 m einhält (vgl. Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO), und außerdem auch die weitere Anforderung wahrt, dass die Länge der die Abstandsflächentiefe gegenüber den Grundstücksgrenzen nicht einhaltenden Bebauung nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BayBO auf dem Baugrundstück insgesamt 15 m nicht überschreitet (vgl. Art. 6 Abs. 7 Satz 2 BayBO).
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Die abstandsflächenrechtliche Privilegierung des Sichtschutzzauns hat es dagegen zutreffend Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO entnommen, wonach Stützmauern und geschlossene Einfriedungen mit einer Höhe bis zu 2 m, unabhängig von der jeweiligen Baugebietsart, ohne eigene Abstandsflächen errichtet werden können. Art. 6 Abs. 7 Satz 2 BayBO gilt für Anlagen nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO nicht; sie sind nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut bei der Berechnung der Gesamtlänge der insoweit nur angesprochenen Anlagen nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 BayBO nicht zu berücksichtigen. Darüber hinaus kommt es auch nicht darauf an, ob dem Sichtschutzzaun gebäudegleiche Wirkung i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO beizumessen ist. Diese Bestimmung, mit der die grundsätzliche Abstandsflächenpflicht von Gebäuden (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO) auf solche Anlagen erweitert wird, die keine Gebäude sind, von denen aber Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, findet neben der spezielleren Regelung des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO keine Anwendung (vgl. Laser in Schwarzer/König, BayBO, 5. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 37 und zur Vorgängerregelung BayVGH, B.v. 22.2.2017 - 15 CS 16.1883 - juris Rn. 23 f.).
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2. Dem Zulassungsvorbingen kann auch nicht entnommen werden, dass durch die beiden streitgegenständlichen baulichen Anlagen das Gebot der Rücksichtnahme zu Lasten der Kläger verletzt sein könnte.
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Wie bereits erörtert, liegt der zur Begründung einer Verletzung angeführte Verstoß gegen Abstandsflächenrecht nicht vor. Die Kläger legen mit ihrem Einwand, ihr Grundstück werde vor allem durch den Sichtschutzzaun quasi umzingelt, auch nicht substantiiert dar, warum dem Nebengebäude und/oder dem Sichtschutzzaun erdrückende bzw. einmauernde Wirkung zukommen oder ihre Belichtungssituation unzumutbar verschlechtert sein könnte. Dem Verwaltungsgericht ist darin zu folgen, dass eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme regelmäßig aus tatsächlichen Gründen ausscheidet, wenn - wie hier (s.o.) - die Vorgaben des Art. 6 BayBO eingehalten sind (vgl. BayVGH, B.v. 13.9.2022 - 15 CS 22.1851 - juris Rn. 17). Es hat nach seinen Eindrücken beim Augenschein auch nicht den Ausnahmefall dennoch unzumutbarer Beeinträchtigungen zu Lasten des klägerischen Grundstücks feststellen können. Die in den Akten befindlichen Lichtbilder legen nicht nahe, dass das Erstgericht insoweit zu einer falschen Einschätzung gekommen sein könnte.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Da sich die Beigeladenen auch im Zulassungsverfahren nicht beteiligt haben, entspricht es der Billigkeit, dass sie etwaige außergerichtliche Kosten selbst tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).