Titel:
Einsichtnahme in Bewertung abgegebener eigener Angebote in Vergabeverfahren
Normenketten:
IFG § 1 Abs. 3, § 3 Nr. 4
VgV § 5 Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
1. Voraussetzung für einen Ausschluss des Anspruchs nach dem Informationsfreiheitsgesetz nach § 1 Abs. 3 IFG ist, dass die jeweilige Norm einen abstrakt-identischen sachlichen Regelungsgehalt aufweist und sich als abschließende Regelung versteht; hierfür ist einerseits maßgeblich, ob die anderweitige Regelung dem sachlichen Gegenstand nach Regelungen über den Zugang zu amtlichen Informationen trifft, und andererseits, dass die Regelung den Zugang nicht nur im Einzelfall, sondern allgemein oder doch typischerweise gewährt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. "Rechtsvorschriften“ iSd § 3 Nr. 4 IFG sind alle formell gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften mit Außenwirkung, also auch Verordnungen, wenn sie sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung halten. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Vertraulichkeit iSd § 5 Abs. 2 S. 2 VgV bedeutet, dass dem Auftraggeber jede Weitergabe vertraulicher Informationen untersagt ist. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Wertung der eigenen Angebote im Vergabeverfahren durch die Vergabestelle unterliegt auch nach Abschluss des Vergabeverfahrens, wie sie sich aus dem Vergabevermerk ergibt, grundsätzlich der Vertraulichkeitsregelung des § 5 Abs. 2 S. 2 VgV; daher besteht auch kein Anspruch auf Informationszugang nach § 3 Nr. 4 IFG. (Rn. 39 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Informationszugang zu Wertung des eigenen Angebots im Vergabeverfahren, Ausschlussgrund Vertraulichkeitsregelung nach Abschluss, Vergabeverfahren, keine einschränkende Auslegung, Angebot, Bewertung, Einsichtnahme, Informationszugang, Ausschluss, Vertraulichkeit, Rechtsvorschriften, Auslegung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Urteil vom 21.06.2024 – 5 BV 22.1295
Fundstelle:
BeckRS 2022, 9382
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes (IFG) Einsichtnahme in die Bewertung ihrer abgegebenen Angebote in einem von der Beklagten durchgeführten Vergabeverfahren.
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Die Beklagte schrieb 2019 den Abschluss von Rahmenverträgen über Konzeption und Durchführung von Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III sowie § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III europaweit aus (offenes Verfahren). Die Klägerin beteiligte sich an diesem Verfahren zu den Losen 3 und 6 der Ausschreibung und reichte hierzu Angebote ein.
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Mit inhaltsgleichen Schreiben vom 11. November 2019 teilte die Beklagte der Klägerin gemäß § 134 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) mit, dass ihre Angebote jeweils nicht für einen Zuschlag in Frage kämen. In der Begründung wurde jeweils angegeben, dass das Angebot nicht die in den Vergabeunterlagen geforderten Mindestanforderungen erfüllt habe. Das Konzept habe in der Summe jeweils nicht mindestens 85% der Leistungspunkte erreicht, die sich ergeben, wenn durchgängig alle Wertungskriterien der in der Datei A_Wertungshinweise.pdf benannten Wertungsbereiche mit zwei Punkten bewertet werden. Die Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 12. November 2019 auf, ihr die Gründe für die Ablehnung mitzuteilen, worauf die Beklagte mit Schreiben vom 15. November 2019 antwortete, die Gründe für die Bewertung der einzelnen Wertungsbereiche aber nicht genau bekannt gab. Die Klägerin leitete in der Folge kein Nachprüfungsverfahren nach §§ 155 ff. GWB ein.
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Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 23. Dezember 2019 ließ die Klägerin einen Antrag auf Zugang zu amtlichen Informationen gemäß §§ 7 Abs. 1, 1 Abs. 1 IFG stellen. Dieser bezog sich auf die Dokumentation der Bewertung der Angebote der Klägerin zu den Losen 3 und 6 zu dem europaweiten Vergabeverfahren mit der Bezeichnung „Offenes Verfahren, …“. Auf die Begründung wird Bezug genommen.
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Mit Bescheid vom 21. Januar 2020 lehnte die Beklagte den Antrag „in Bezug auf die Bekanntgabe der Wertungsbegründungen“ ab. In der Begründung führte sie aus, dass der Antrag teilweise abzulehnen gewesen sei. Der gewünschte Informationszugang könne nicht vollständig gewährt werden. Die Einzelbewertungen (Punktzahlen) zu den Kriterien I.1, II.1 bis 2 und III.1 bis 2 würden der Klägerin für die beiden Lose 3 und 6 bekanntgegeben. Zugang zu Informationen zur Bewertung des eingereichten Angebots könne nicht gewährt werden. Denn der Mitteilung der Begründung für die einzelnen Kriterien der Bewertungsmatrix stehe ein Amtsgeheimnis i.S.d. § 3 Nr. 4 IFG entgegen. Nach § 5 Abs. 2 Vergabeverordnung (VgV) seien die eingegangenen Angebote und ihre Anlagen sowie die Dokumentation der Behörde über die Öffnung und über die Wertung der Angebote vertraulich zu behandeln. Mit der jeweiligen Begründung zur Punktzahl der einzelnen Kapitel der Bewertungsmatrix und der Angabe der Gesamtpunktzahl werde die Bewertung der Kriterien dokumentiert. Nach § 5 Abs. 2 VgV seien die Angebote und ihre (gemeint offenbar: Bewertung) auch nach Abschluss des Vergabeverfahrens sorgfältig zu verwahren und vertraulich zu behandeln. Die Dokumentation sei somit geheim zu halten und dürfe weder im laufenden noch nach Abschluss des Vergabeverfahrens den Bietern oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die gewünschten Informationen unterlägen also einer gesetzlichen Vertraulichkeitspflicht. Gerade im Hinblick auf zukünftige Vergabeverfahren sei dies auch erforderlich, um einen echten Wettbewerb zu gewährleisten. Für das Jobcenter … würden auch in der Zukunft weiterhin Vergabeverfahren zum Baukastensystem ausgeschrieben. Ein realer Wettbewerb der eingereichten Konzepte finde nur dann statt, wenn die konzeptionelle Gestaltung dieser Konzepte allein auf der Kreativität und Schaffenskraft der Bildungsträger beruhe. Nur auf diese Weise bleibe die Ausgangsbasis für alle Bieter gleich und dadurch die Chancengleichheit gewahrt.
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Der Informationszugang könne auch deshalb nicht gewährt werden, weil andere Vorschriften vorrangig i.S.v. § 1 Abs. 3 IFG seien. Hier sei das Akteneinsichtsrecht nach § 165 GWB einschlägig. Danach sehe das Gesetz ein Informationsinteresse nur dann als gerechtfertigt an, wenn es im Vergabeverfahren um die Frage des primären Rechtsschutzes gehe. Ein Bieter, der auf die Überprüfung der Wertungsentscheidung durch ein förmliches Nachprüfungsverfahren verzichte, erkläre damit zugleich, die Wertungsentscheidung als richtig anzuerkennen, weil für ihn die dann vorliegenden Informationen auskömmlich seien. Die Klägerin habe im laufenden Verfahren zu beiden Losen eine Rüge erhoben und nach Erhalt der Rüge-Antwort auf die Einlegung des weiteren Rechtsbehelfs verzichtet. Darin liege zugleich auch die Erklärung, auf weiterreichende Informationen verzichten zu wollen.
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Gegen diesen Bescheid, legte die Klägerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 17. Februar 2020, Widerspruch ein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2020 zurückgewiesen. Dieser wurde den Bevollmächtigten der Klägerin am 16. Mai 2020 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.
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Mit am 15. Juni 2020 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenem Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 14. Juni 2020 ließ die Klägerin die vorliegende Klage erheben. Sie beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 21. Januar 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14. Mai 2020 die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die Einsichtnahme nach dem Informationsfreiheitsgesetz in die Bewertung der Konzepte der Klägerin durch die Beklagte zu den Losen 3 und 6 zu dem europaweiten Vergabeverfahren mit der Bezeichnung „Offenes Verfahren, …“ in Bezug auf die schriftliche Begründung der Vergabe der Leistungspunkte nach allen Nummern (I., II., III.) der dem Vergabeverfahren beigefügten Bewertungsmatrix nebst allen Unterpunkten der jeweiligen Nummern zu gewähren.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Klage keine anderen Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen nach § 1 Abs. 3 IFG entgegenstünden. Das IFG werde nicht durch vergaberechtliche Informationsansprüche verdrängt. Dies sei nur der Fall, wenn Normen bestünden, die bei abstrakter Betrachtung einen mit § 1 Abs. 1 IFG identischen sachlichen Regelungsgehalt aufwiesen und sich als abschließende Regelung verstünden (BVerwG, U.v. 29.6.2017, Rn. 12 u.a.). Dies sei hier nicht der Fall, da keine vergaberechtliche Vorschrift bestehe, die einen entsprechenden Informationszugang vorsehe. Vergaberechtliche Akteneinsichtsrechte kämen nur dann zum Tragen, wenn ein entsprechendes Nachprüfungsverfahren eingeleitet worden sei und nachdem zuvor eine Rüge erhoben worden sei. Beides stehe unter der Bedingung einer Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften. Das IFG gewähre den Informationsanspruch aber gerade voraussetzungslos.
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Der Geheimnisschutz nach § 3 Nr. 4 IFG i.V.m. § 5 Abs. 2 VgV stehe ebenfalls nicht entgegen. § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV betreffe ausschließlich den Schutz von Informationen der anderen Bieter. Die Norm solle verhindern, dass Angaben in den Angeboten in unbefugte Hände gelangten und den betroffenen Unternehmen Schaden entstehe. Dies ergebe sich auch aus der europarechtlichen Grundlage von § 5 VgV in Art. 21 der RL 2014/24/EU. Informationen von anderen Bietern würden aber gerade nicht begehrt, es gehe schlicht um die Bewertung des eigenen Angebots. Soweit die Beklagte im Widerspruchsbescheid ausführe, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die schriftliche Bewertung der Konzepte der Klägerin Rückschlüsse auf die Angebote anderer Bieter zulasse, sei darauf hinzuweisen, dass die Klägerin keinerlei Interesse an derartigen Informationen habe und diese ggf. mit einfachen Mitteln geschwärzt werden könnten. Allein der Hinweis, dass möglicherweise irgendetwas in den Bewertungen enthalten sein könne, könne nach der Gesetzeslogik des IFG nicht dazu führen, dass entsprechende amtliche Informationen nicht offengelegt würden. Wie abwegig es sei, dass die Bewertung des eigenen Angebots von § 5 Abs. 2 VgV umfasst sein solle, zeige der Umstand, dass dem Bieter die Gründe für die Nichtberücksichtigung nach § 134 GWB mitgeteilt werden müssten. Die Mängel des eigenen Angebots unterfielen daher mitnichten dem mit § 5 Abs. 2 VgV intendierten Schutzzweck, da sie bereits ausdrücklich im Rahmen des Vergabeverfahrens durch den öffentlichen Auftraggeber offenzulegen seien. Auch das Argument des Wettbewerbsschutzes in Bezug auf ähnliche, zukünftige Ausschreibungen könne nicht verfangen. Einerseits könne die Beklagte hierfür keine das IFG verdrängende Rechtsgrundlage benennen. Andererseits werde gerade nicht versucht, positive Aspekte der Konzeption eines anderen Angebots in Erfahrung zu bringen. Dass ein Vergabenachprüfungsverfahren nicht angestrengt worden sei, könne nicht zu einer Präklusionswirkung führen. Würde man dies verlangen, so würde ein Bieter zur Erlangung der hier begehrten Informationen in ein völlig aussichtsloses Nachprüfungsverfahren gedrängt werden.
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Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Zur Begründung bezieht sie sich auf die Begründung des Widerspruchsbescheids. Dort wiederholte sie zunächst die bereits im Ausgangsbescheid enthaltene Argumentation, dass das Akteneinsichtsrecht nach § 165 GWB i.S.d. § 1 Abs. 3 IFG vorrangig sei. § 3 Nr. 4 IFG normiere eine Geheimhaltungspflicht, wenn Amtsgeheimnisse oder gesetzliche Geheimhaltungsvorschriften durch Bekanntwerden der gewünschten Information verletzt würden. Diese Amtsgeheimnisse bänden die Verwaltung, dienten aber mittelbar im Wesentlichen dem Schutz der Interessen Dritter vor unbefugter Weitergabe durch die Verwaltung. Durch die Zuordnung zu den Amtsgeheimnissen in § 3 Nr. 4 IFG würde die Geheimhaltung dieser Informationen zu besonderen öffentlichen Belangen erklärt. § 5 VgV diene der Durchführung eines neutralen Vergabeverfahrens und letztlich dem Schutz der Geschäftsinteressen der beteiligten Bieter. Um diese Neutralität des Staates bei Durchführung des Vergabeverfahrens zu gewährleisten, sei die Behörde verpflichtet, die ihr im Vergabeverfahren bekannt gewordenen Tatsachen über die Geschäftstätigkeit des jeweiligen Bieters und dessen Vorgehen am Markt vertraulich zu behandeln. Dies erstrecke sich auch auf die Dokumentation der Wertung der Angebote. Diese bestehe nicht nur in der Wertung nach Punkten, sondern enthalte auch eine ausformulierte Begründung der Punktebewertung des jeweiligen Angebots. Da jedenfalls nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Wortbeurteilung des eigenen Angebots des Bieters Rückschlüsse auf Angebote oder Wertung anderer Bieter ermögliche, sei auch die ausformulierte Bewertung des eigenen Angebots vertraulich zu behandeln. § 62 VgV normiere eine Informationspflicht in Bezug auf das Abschneiden des Bieters im jeweiligen Vergabeverfahren, woraus sich ergebe, dass die Behörde verpflichtet sei, die Einzelwertung bezogen auf das Angebot nicht zugänglich zu machen. Eine Pflicht zur Herausgabe der jeweiligen Bewertung des erfolgreichen Angebots und des Angebots des zu unterrichtenden Bieters werde in § 62 Abs. 2 VgV gerade nicht normiert. Wie der Bieter über die Merkmale und Vorteile des erfolgreichen Angebots zu unterrichten sei, habe der Gesetzgeber insoweit offengelassen.
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Hierzu nahm der Bevollmächtigte der Klägerin mit weiterem Schriftsatz vom 15. Dezember 2020 im Wesentlichen dahingehend Stellung, dass es im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren eine Selbstverständlichkeit sei, dass dem Antragsteller/Bieter die Bewertung des eigenen Angebots offengelegt werde, wenn der Antragsteller auch die Bewertung des eigenen Angebots angreife. Etwas Anderes gelte entsprechend dem Normzweck und dem Wortlaut von § 165 GWB, wenn der Antragsteller die Bewertung eines Angebots eines anderen Bieters angreife. Dann sei der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und auf effektiven Rechtsschutz durch die Vergabekammer gegen das Recht auf Geheimnisschutz abzuwägen. Daneben sei nach § 134 GWB die Behörde verpflichtet, dem unterlegenen Bieter gegenüber die Gründe für seine Nichtberücksichtigung offenzulegen. Die Vorschrift verfolge den Zweck, die unterlegenen Bieter in die Lage zu versetzen, den von der Vergabestelle beabsichtigten Zuschlag durch die Einleitung eines Vergabenachprüfungsverfahrens anzugreifen. Regelmäßig würden nur die maßgeblichen Gründe für einen Ausschluss oder die Nichtberücksichtigung eines Angebots ausgeführt. § 134 GWB enthalte aber keine inhaltliche Beschränkung dergestalt, dass die Vergabestelle nur bestimmte Gründe nennen dürfe oder nur eine begrenzte Anzahl an Wörtern benutzen dürfe. Es stünde der Vergabestelle also offen, bereits in der Information nach § 134 GWB die komplette Bewertung des Angebots offenzulegen, denn letztlich sei diese der Grund für die Nichtberücksichtigung. Sei dies der Vergabestelle freigestellt, so könne aus § 5 Abs. 2 VgV nicht eine Verweigerung der Offenlegung, wie sie die Klägerin begehre, abgeleitet werden.
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Die Beklagte vertiefte ihren rechtlichen Standpunkt mit Schriftsatz vom 28. März 2022. Hinsichtlich der geltend gemachten Sperrwirkung des § 1 Abs. 3 IFG führte sie aus, dass im laufenden Vergabeverfahren das Akteneinsichtsrecht im § 165 GWB geregelt sei. Für die einzige Ausnahme von dem Grundsatz, dass kein Anspruch auf Einsicht in die Vergabeakte bestehe, sei ein besonderes Rechtsschutzinteresse dergestalt erforderlich, dass der Betroffene im Vergabeverfahren geboten haben und an einem Nachprüfungsverfahren beteiligt sein müsse. Die Akteneinsicht müsse zur Wahrnehmung berechtigter eigener Interessen im Nachprüfungsverfahren erforderlich sein. Auch insoweit werde der Zugang zu den Informationen durch die Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen Dritter begrenzt. Die Vergabekammer müsse die Einsichtnahme verweigern, wenn dies zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen geboten sei, § 165 Abs. 2 GWB. In der hier streitgegenständlichen Bewertung der Angebote könnten Bieter eine derartige Kennzeichnung nicht vornehmen. Deshalb müsse die Entscheidung, ob und in wie weit die Bewertung Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalte und ob diese zugänglich gemacht werden müssen, durch die Vergabekammer erfolgen. Dem von der Klägerin gewünschten Zugang zur Bewertung ihres eigenen Angebots stehe der Ausschlussgrund § 3 Nr. 4 IFG entgegen. Mit § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV bestehe ein gesetzliches Gebot zur Geheimhaltung der Wertung der eingereichten Angebote auch nach Abschluss des Vergabeverfahrens. § 5 Abs. 2 VgV unterscheide nicht danach, ob es sich um die Wertung der Angebote Dritter oder die Wertung des eigenen Angebots eines Bieters handle. Mit § 5 VgV werde klargestellt, dass es nach Abschluss des Vergabeverfahren kein höher zu bewertendes Interesse auf Zugang zu Informationen aus dem Vergabeverfahren geben könne. Denn ein Anspruch auf Akteneinsicht im laufenden Verfahren erfordere ein besonders schutzwürdiges Interesse. Nur wenn dieses erfüllt sei und eigene Rechte im Nachprüfungsverfahren ohne Einsichtnahme in die Vergabeakte nicht sinnvoll wahrgenommen werden könnten, könne im Nachprüfungsverfahren Zugang zu Informationen aus dem Vergabeverfahren gewährt werden. Nach Abschluss des Vergabeverfahrens ende dieser Grund. Der klägerischen Argumentation, dass mit dem Zugang zur eigenen Bewertung Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Dritter nicht verletzt werden könnten, sei entgegenzuhalten, dass im Rahmen der Bewertung der Angebote nicht auszuschließen sei, dass aus dem Begründungstext Rückschlüsse auf die Angebote anderer Bieter gezogen werden könnten. Soweit die Klägerin aus der beantragten Information Rückschlüsse auf die Verbesserung ihrer Angebote ziehen wolle, könne sie auch nach § 62 Abs. 2 VgV einen Antrag auf Mitteilung der Gründe für die Nicht-Berücksichtigung ihres Angebots stellen.
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Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Behördenakten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5. April 2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Das Verwaltungsgericht Ansbach ist für die vorliegende Klage sachlich und örtlich zuständig. Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 45 VwGO. Nach § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO ist bei Anfechtungsklagen gegen den Verwaltungsakt u.a. einer bundesunmittelbaren Körperschaft des öffentlichen Rechts wie der Beklagten (vgl. § 367 Abs. 1 SGB III) das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Körperschaft ihren Sitz hat. Nach § 52 Nr. 2 Satz 2 gilt dies auch bei Verpflichtungsklagen in den Fällen des Satzes 1. Die Beklagte hat nach § 367 Abs. 4 SGB III ihren Sitz in Nürnberg und mithin im Gerichtsbezirk des Verwaltungsgerichtes Ansbach (Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 AGVwGO).
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Die Klage ist zulässig. Statthaft ist im vorliegenden Fall die Verpflichtungsklage in der Form der Versagungsgegenklage, da die Beklagte den Antrag auf Informationszugang hinsichtlich der begehrten Einsicht in die Bewertung der eigenen Angebote der Klägerin im Vergabeverfahren teilweise abgelehnt hat (vgl. § 9 Abs. 4 IFG). Die Klägerin ist insoweit auch klagebefugt, da ihr möglicherweise ein Anspruch auf Informationszugang nach § 1 IFG zusteht. Das nach § 68 Abs. 1 VwGO, § 9 Abs. 4 Sätze 1 und 2 IFG erforderliche Widerspruchsverfahren wurde vorliegend von der Klägerin ordnungsgemäß durchgeführt. Auch die Klagefrist wurde vorliegend eingehalten, der Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2020 wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin am 16. Mai 2020 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt, die Klageerhebung am 15. Juni 2020 ist daher fristgerecht erfolgt.
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Die Klage ist jedoch unbegründet. Sie richtet sich mit der Bundesagentur für Arbeit als bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts zwar gegen den nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO richtigen Beklagten. Der Klägerin steht aber kein Anspruch auf weitergehenden Informationszugang nach § 1 IFG über das bereits im Bescheid vom 21. Januar 2020 gewährte Maß hinaus zu.
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Geltend gemacht wird von der Klägerin ein Anspruch auf Einsichtnahme in die Bewertung ihrer eigenen, im Rahmen eines Vergabeverfahrens abgegebenen Angebote. Verpflichtet sind nach § 1 Abs. 1 IFG zur Informationsgewährung Behörden des Bundes, wobei das Gesetz insoweit von einem funktionellen Behördenbegriff ausgeht (Brink in Brink/Polenz/Blatt, IFG, 1. Aufl. 2017, § 1 Rn. 84). Nachdem die Bundesagentur für Arbeit Aufgaben der öffentlichen Verwaltung im Sinne des § 1 Abs. 4 VwVfG für den Bund (vgl. Art. 87 GG) wahrnimmt, ist sie eine Behörde des Bundes im Sinne von § 1 Abs. 1 IFG.
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Bei den begehrten Informationen handelt es sich auch um amtliche Informationen im Sinne des § 2 Nr. 1 IFG. Dies sind danach alle amtlichen Zwecken dienenden Aufzeichnungen, unabhängig von der Art ihrer Speicherung. Die Bewertung der Angebote der Klägerin fällt zweifellos darunter.
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1. Entgegen der Argumentation der Beklagten steht dem Informationsbegehren der Klägerin nicht die Bestimmung des § 1 Abs. 3 IFG entgegen. Danach gehen Regelungen in anderen Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen (mit Ausnahme des § 29 VwVfG und des § 25 SGB X) dem Anspruch nach dem IFG vor. Bei dem Akteneinsichtsrecht im Rahmen eines laufenden Vergabenachprüfungsverfahrens nach § 165 GWB handelt es sich nicht um eine Regelung über den Zugang zu amtlichen Informationen in diesem Sinne.
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Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 17.6.2020 - 10 C 16.19 - juris Rn 9 ff.; U.v. 29.6.2017 - 7 C 24/15 - juris Rn. 12, jeweils m.w.N.) ist Voraussetzung für einen Ausschluss des Anspruchs nach dem Informationsfreiheitsgesetz nach § 1 Abs. 3 IFG, dass die jeweilige Norm einen abstrakt-identischen sachlichen Regelungsgehalt aufweist und sich als abschließende Regelung versteht. Hierfür ist einerseits maßgeblich, ob die anderweitige Regelung dem sachlichen Gegenstand nach Regelungen über den Zugang zu amtlichen Informationen trifft, und andererseits, dass die Regelung den Zugang nicht nur im Einzelfall, sondern allgemein oder doch typischerweise gewährt (BVerwG a.a.O. Rn. 11).
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Wie die Beklagte selbst in ihrem Schriftsatz vom 28. März 2022 ausgeführt hat, richtet sich das Akteneinsichtsrecht im Rahmen des Vergabenachprüfungsverfahrens nach § 165 GWB aber nur an unterlegene Bieter, die ein Vergabenachprüfungsverfahren aktuell betreiben. Damit bleibt es schon hinter dem sachlichen Regelungsgehalt des § 1 IFG, der „jedem“ einen Anspruch gewährt, zurück.
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Die Regelung gestattet den Zugang zu Informationen aber auch nicht allgemein oder auch nur typischerweise, da sie sich wie dargestellt nur an die Beteiligten eines Vergabenachprüfungsverfahrens richtet. Sie kann einen Ausschluss des Anspruchs nach dem IFG nach § 1 Abs. 3 IFG daher nicht begründen (ebenso Brink in Brink/Polenz/Blatt, IFG, 1. Auflage 2017, § 1 Rn. 137; Schoch, IFG, 2. Auflage 2016, § 1 Rn. 341; OVG Berlin Brandenburg, U.v. 12.7.2018 - OVG 12 B 8.17 - juris Leitsatz 1 und Rn. 26).
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2. Jedoch liegen die Voraussetzungen für den Ausschlussgrund nach § 3 Nr. 4 IFG in Verbindung mit § 5 Abs. 2 Satz 2 Vergabeverordnung vor.
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Nach § 3 Nr. 4 IFG besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn die Information einer durch Rechtsvorschrift oder durch die allgemeine Verwaltungsvorschrift zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen geregelten Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht oder einem Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis unterliegt. Die Bestimmung enthält vier Ausschlussgründe (vgl. Schirmer in BeckOK InfoMedienR, 35. Edition, Stand 1. Februar 2022, § 3 Rn. 140). „Rechtsvorschriften“ in diesem Sinne sind alle formell gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften mit Außenwirkung (vgl. im Einzelnen Schoch, IFG, 2. Auflage 2016, § 3 Rn. 214), also auch Verordnungen, wenn sie sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung halten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 15.12.2020 - 10 C 24.19 - juris Rn. 22) handelt es sich bei § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV um eine Vertraulichkeitsregelung im Sinne der ersten Variante des § 3 Nr. 4 IFG.
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Durch § 3 Nr. 4 IFG werden fachgesetzliche Geheimhaltungsgründe in das Informationsfreiheitsgesetz integriert. Auch wenn eine Geheimhaltungspflicht an sich private Geheimnisse zu schützen bestimmt ist, werden diese privaten Belange durch § 3 Nr. 4 IFG zu öffentlichen Belangen, eine besondere Prüfung, ob ein öffentliches Interesse, das gegen den beantragten Informationszugang sprechen könnte, vorliegt, ist dann nicht mehr notwendig (Schoch, IFG, 2. Auflage 2016, § 3 Rn. 204; VG Berlin, U.v. 9.3.2017 - 2 K 111.15 - VPRRS 2017, 0173 - Beck-Online). Ist einer der Ausschlussgründe erfüllt, so kommt es nicht darauf an, ob die Geheimhaltungspflicht im konkreten Fall schutzwürdigen privaten Interessen dient. Auf den konkreten Schutzzweck kommt es nicht an, die Geheimhaltungspflichten gelten absolut (so Schirmer in BeckOK InfoMedienR, 35. Edition Stand 1. Februar 2022, § 3 Rn. 141). Der Ausschlusstatbestand liegt vor, wenn die betreffende Information einer Bestimmung zum besonderen Geheimnisschutz unterliegt. Eine gesonderte Prüfung, ob eine Gefährdung des Schutzgutes vorliegt, erfolgt dabei nicht (Schoch, IFG, 2. Auflage 2016, § 3 Rn. 209).
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a) Die von der Klägerin begehrte Information, die Bewertung ihrer abgegebenen Angebote durch die Beklagte im Rahmen der abgeschlossenen Vergabeverfahren, unterliegt dem Geheimnisschutz nach § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV. Danach sind die Interessensbekundungen, Interessensbestätigungen, Teilnahmeanträge und Angebote einschließlich ihrer Anlagen sowie die Dokumentation über Öffnung und Wertung der Teilnahmeanträge und Angebote auch nach Abschluss des Vergabeverfahrens vertraulich zu behandeln.
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aa) Mit dem Erlass des § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV hält sich der Verordnungsgeber im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung.
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Nach § 80 Abs. 1 GG muss eine auf ein Gesetz gestützte Verordnung von einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage gedeckt sein. Das Gesetz muss nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung bestimmen. Die Anforderungen an das Maß der Bestimmtheit lassen sich nicht abstrakt festlegen. Sie hängen sowohl von der Intensität der Auswirkungen der Regelung auf die Betroffenen als auch von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ab, insbesondere davon, in welchem Umfang dieser einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist (BVerfG, B.v. 11.3.2020 - 2 BvL 5/17 - juris Rn. 102, 103 m.w.N.). Dafür, dass sie hinreichend bestimmt ist, genügt es, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe der allgemeinen Auslegungsregeln erschließen lassen, insbesondere nach Zweck, Sinnzusammenhang und Entstehungsgeschichte der Norm (BVerfG a.a.O., Rn. 101). Dabei können nach einhelliger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur näheren Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung auch Rechtsakte außerhalb der eigentlichen Verordnungsermächtigung, insbesondere Rechtsakte anderer Normgeber, herangezogen werden (BVerfG a.a.O., Rn. 104 m.w.N.).
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Grundlage von § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV ist § 113 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der Fassung des Gesetzes vom 17. Februar 2016 (BGBl. I S. 203 ff). Nach dessen Satz 1 hat die Bundesregierung die Befugnis, durch Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats die Einzelheiten zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen (…) zu regeln. Diese Ermächtigung umfasst nach Satz 2 die Befugnis zur Regelung der Anforderungen (…) an das Vergabeverfahren. Nach dem zweiten Halbsatz, Nr. 2 umfasst dies insbesondere die Regelung des Ablaufs des Vergabeverfahrens und nach dem 2. Halbsatz, Nr. 4 die Regelung des Sendens, Empfangens, Weiterleitens und Speicherns von Daten. Mit den Begriffen „Ablauf des Vergabeverfahrens“ und „Weiterleiten von Daten“ werden zwei im Rahmen von § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV relevante Komplexe ausdrücklich genannt.
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§ 113 GWB dient zudem der Umsetzung der Vergaberechtsrichtlinien 2014 der Europäischen Union, insbesondere der RL 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der RL 2004/18/EG (ABl. L 94, S. 65ff). In deren Artikel 21 findet sich zunächst eine Vertraulichkeitsregelung bezüglich der von den Bewerbern/Bietern übermittelten Geschäftsgeheimnisse. Art. 55 Abs. 3 der Richtlinie geht noch darüber hinaus: Diese Regelung ermöglicht es den öffentlichen Auftraggebern, bestimmte, in den Abs. 1 und 2 des Art. 55 der Richtlinie genannte Angaben nicht mitzuteilen, wenn die Offenlegung dieser Angaben den Gesetzesvollzug behindern oder sonst dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen, die berechtigten geschäftlichen Interessen eines bestimmten öffentlichen oder privaten Wirtschaftsteilnehmers schädigen oder den lauteren Wettbewerb zwischen Wirtschaftsteilnehmern beeinträchtigen würde. Nach Art. 55 Abs. 2 lit. b) der Richtlinie unterrichtet der öffentliche Auftraggeber auf Verlangen des Bieters diesen u.a. über die Gründe für die Ablehnung seines Angebots.
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Durch Art. 55 Abs. 3 der Richtlinie bringt der europäische Richtliniengeber zum Ausdruck, dass seiner Auffassung nach derartige Regelungen Teil einer Regelung des Vergabeverfahrens durch den nationalen Gesetzgeber sein können. Dieser kann also im Rahmen der Regelung des Vergabeverfahrens eine nationale Regelung erlassen, nach der aus den in Art. 55 Abs. 3 der Richtlinie genannten Gründen Mitteilungen über die Gründe für die Ablehnung eines Angebots unterbleiben müssen. Der Umfang der in § 113 GWB dem Verordnungsgeber überlassenen Regelung „des Vergabeverfahrens“ lässt sich daher unter Rückgriff auf die zugrundeliegende Richtlinienbestimmung des Art. 55 Abs. 3 der RL 2014/24/EU bestimmen. § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV hat daher eine Art. 80 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG genügende, nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage.
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§ 5 Abs. 2 Satz 2 VgV dient auch diesen Zwecken. Nach der Verordnungsbegründung dient die Regelung der Vertraulichkeit der Angebote, Teilnahmeanträge etc. auch nach Ende des Vergabeverfahrens. Die Pflicht, die genannten Unterlagen auch nach Ende des Vergabeverfahrens vertraulich zu behandeln, diene dem Schutz des ungestörten Wettbewerbs (BT-Drs.18/7318, S. 150). Damit greift die Verordnungsbegründung die in Art. 55 Abs. 3 der RL 2014/24/EU genannten Zwecke der Schädigung der berechtigten geschäftlichen Interessen von Wirtschaftsteilnehmern und der Beeinträchtigung des lauteren Wettbewerbs zwischen Wirtschaftsteilnehmern auf.
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bb) Die Vertraulichkeitsregelung des § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV erstreckt sich auch auf die von der Klägerin begehrten Informationen im Vergabevermerk der Beklagten hinsichtlich der Bewertung der von der Klägerin abgegebenen Angebote, auch nach Abschluss des Vergabeverfahrens.
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Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV sind (bei Vergaben oberhalb der Schwellenwerte wie hier) die Interessensbekundungen, Interessensbestätigungen, Teilnahmeanträge und Angebote einschließlich ihrer Anlagen sowie die Dokumentation über Öffnung und Wertung der Teilnahmeanträge und Angebote auch nach Abschluss des Vergabeverfahrens vertraulich zu behandeln. Vertraulichkeit bedeutet, dass dem Auftraggeber jede Weitergabe vertraulicher Informationen untersagt ist (Krohn in Beck´scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2019, § 5 VgV, Rn. 18; ähnlich Greb in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 5 VgV, Rn. 7: „dass die in den Interessensbekundungen, Interessensbestätigungen, Teilnahmeanträgen und Angeboten erhaltenen Informationen vor der Kenntnisnahme Dritter zu schützen sind“).
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Satz 2 des § 5 Abs. 2 VgV enthält gegenüber § 5 Abs. 2 Satz 1 VgV, wonach der öffentliche Auftraggeber bei der gesamten Kommunikation sowie beim Austausch und der Speicherung der Informationen die Integrität der Daten und die Vertraulichkeit (u.a.) der Angebote einschließlich ihrer Anlagen gewährleisten muss, sowohl eine zeitliche, hinsichtlich der Zeit nach Abschluss des Vergabeverfahrens, als auch eine inhaltliche Erweiterung, indem er auch die Dokumentation über Öffnung und Wertung der Teilnahmeanträge und Angebote erfasst. Damit verlangt die Vorschrift inhaltlich, die amtlichen Informationen im Sinne des § 2 Nr. 1 IFG über die Wertung der Angebote „vertraulich“ zu behandeln.
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Nach der Verordnungsbegründung dient die Regelung der Vertraulichkeit der Angebote, Teilnahmeanträge etc. auch nach Ende des Vergabeverfahrens. Die Pflicht, die genannten Unterlagen auch nach Ende des Vergabeverfahrens vertraulich zu behandeln, diene dem Schutz des ungestörten Wettbewerbs (BT-Drs.18/7318, S. 150). In der vergaberechtlichen Literatur wird als Grund für die in § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV normierte sachliche Erweiterung der Vertraulichkeitspflicht genannt, dass die davon erfasste „interne Dokumentation“ (so Krohn in Beck´scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage 2019, § 5 VgV, Rn. 39) typischerweise Angebotsinhalte und/oder andere vertrauliche Informationen der Unternehmen enthält oder zumindest Rückschlüsse darauf zulässt, weshalb sie den gleichen Schutz wie die Angebote selbst verdienen (vgl. Krohn in Beck´scher Vergaberechtskommentar a.a.O. Rn. 39; Ganske in Münchener Kommentar zum Vergaberecht, 4. Aufl. 2022, § 5 VgV, Rn. 32). Damit wird zwar der Hauptzweck der erweiterten Vertraulichkeitsregelung umschrieben, daneben hat aber bereits der Verordnungsgeber in der Entwurfsbegründung darauf hingewiesen, dass die Bestimmung dem „Schutz des ungestörten Wettbewerbs“ dient (darauf hinweisend auch Krumenaker in Beck-OK Vergaberecht, Stand 31.1.2021, § 5 VgV, Rn. 11): Damit dient die Bestimmung entgegen der Argumentation der Klägerin gerade nicht ausschließlich dem Schutz der Informationen der anderen Bieter, vielmehr soll auch verhindert werden, dass Bieter aus einem abgeschlossenen Vergabeverfahren Vorteile gegenüber Konkurrenten für künftige Vergabeverfahren erlangen. Die Regelung dient damit auch dem Schutz des öffentlichen Auftraggebers selbst (so explizit Dieckmann in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, UVgO, 3. Aufl. 2022, § 5 VgV, Rn. 21). Dementsprechend lässt sich eine einschränkende Auslegung des § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV dahingehend, dass die Dokumentation über Öffnung und Wertung von Angeboten gegenüber dem jeweiligen Bieter nicht vertraulich zu behandeln sei, nicht mit dem Sinn und Zweck des § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV begründen.
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Die Kammer hat daher keinen Zweifel daran, dass die Wertung der Angebote der Klägerin auch nach Abschluss des Vergabeverfahrens, wie sie sich aus dem Vergabevermerk ergibt, grundsätzlich der Vertraulichkeitsregelung des § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV unterliegt.
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b) Da die begehrten Informationen der Vertraulichkeit nach § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV unterliegen, besteht nach § 3 Nr. 4 IFG kein Anspruch auf Informationszugang.
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Für eine einschränkende Auslegung des § 3 Nr. 4 IFG dahingehend, dass dieser nur eingreifen würde, wenn die Informationen gegenüber dem Antragsteller nach den IFG schutzbedürftig wären, bietet der Wortlaut des § 3 Nr. 4 IFG keinen Ansatzpunkt. Denn dort wird der Anspruch auf Informationszugang ausgeschlossen, „wenn“ die Information einer durch Rechtsvorschrift angeordneten Vertraulichkeitspflicht unterliegt. Eine eine einschränkende Auslegung ermöglichende Formulierung wie „soweit“ (wie in § 3 Nr. 7 oder § 6 Satz 2 IFG) oder „solange“ (wie in § 3 Nr. 3 IFG) hat der Gesetzgeber hier gerade nicht gewählt. Die Bestimmung ist auch nicht ähnlich wie § 8 Abs. 2 IFG formuliert, der bei betroffenen privaten Belangen eine Informationsgewährung erst zulässt, wenn der die Informationsgewährung aussprechende Bescheid bestandskräftig oder sofort vollziehbar ist. Ebenso wenig ist die Bestimmung § 6 Satz 2 IFG nachempfunden, der Zugang zu Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen nur bei einer Einwilligung des Betroffenen zulässt.
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Nachdem der Wortlaut einer Norm Ausgangspunkt und äußerste Grenze einer jeden Auslegung ist, verbietet sich die von der Klägerin vertretene einschränkende Auslegung des § 3 Nr. 4 IFG schon aus diesem Grunde.
43
Hinzu kommt, dass die Klägerin hier ein sogenanntes Jedermanns-Recht geltend macht. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG steht der Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz „jedem“ zu. Wäre eine Informationseröffnung hinsichtlich der begehrten Informationen gegenüber der Klägerin zulässig, so könnte jeder andere Antragsteller die gleichen Daten auch verlangen. Der Ausschlussgrund des § 3 Nr. 4 IFG würde weitgehend leerlaufen. Dementsprechend ist ein Antragsteller nach dem IFG (unabhängig von der konkreten Person) immer als „Dritter“, gegenüber dem Vertraulichkeit zu wahren ist, anzusehen.
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An dieser systematischen Betrachtung ändert es auch nichts, dass im Ergebnis die Klägerin gegenüber einem von einem Dritten gestellten Informationsfreiheitsanspruch immer noch den Ausschlussgrund nach § 6 IFG geltend machen könnte. Denn wie dargestellt steht § 3 Nr. 4 IFG anders als § 6 Satz 2 IFG gerade nicht unter dem Vorbehalt, dass der zu schützende Inhaber des Geschäftsgeheimnisses nicht in die Preisgabe eingewilligt hat. Daneben kann ein Betriebsoder Geschäftsgeheimnis aber auch (z.B. wegen Zeitablaufs, vgl. VG Berlin, U.v. 19.6.2014 - VG 2 K 221.13 - BeckRS 2014, 54896) im Einzelfall nicht mehr schutzbedürftig sein.
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Der Argumentation der Klägerin, dass die begehrten Informationen ihr gegenüber nicht geheim gehalten zu werden brauchen, ist zuzugestehen, dass der Schutz, den § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV nach Abschluss eines Vergabeverfahrens anordnet, hinsichtlich der Bewertung des eigenen Angebots im Vergabevermerk (abgesehen von der Frage, dass sich aus Formulierungen der Wertung möglicherweise Rückschlüsse auf andere Angebote ergeben könnten) möglicherweise über das zur Sicherstellung der gebotenen Vertraulichkeit im Vergabeverfahren und danach unbedingt erforderliche Maß hinausgeht. Auch die vergaberechtliche Literatur (s.o.) begründet die Erstreckung des Vertraulichkeitsschutzes durch § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV vor allem mit dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen, auf die bei einer Einsicht in die Angebotsbewertung im Vergabevermerk Rückschlüsse gezogen werden könnten. Es wäre dem Verordnungsgeber wohl möglich, diesen Schutz einzuschränken, ohne dass der für ein reibungsloses Funktionieren des Vergabeverfahrens und des Wettbewerbs notwendige Schutzumfang übermäßig eingeschränkt würde. Dies ändert aber nichts daran, dass das Gericht und die Beklagte im Rahmen eines Antrags nach dem IFG an die geltende Fassung des § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV gebunden sind, in der eine solche Einschränkung gerade nicht enthalten ist. Zu einer einschränkenden Auslegung sieht sich das Gericht aufgrund der Formulierung in § 3 Nr. 4 IFG, die einer Relativierung des Schutzes nach § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV aus den oben dargestellten Gründen nicht zugänglich ist, nicht in der Lage.
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Auf die von der Beklagten thematisierte Frage, dass eine Informationsgewährung bzgl. der die Angebote der Klägerin betreffenden Teile des Vergabevermerks mögliche Rückschlüsse auf Angebote bzw. Geschäftsgeheimnisse anderer Bieter ermöglichen würde, kommt es daher nicht entscheidungserheblich an.
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Nach alledem war die Klage als unbegründet abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
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Die Berufung war im vorliegenden Fall nach § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Denn die Frage, ob einem Antrag eines im Vergabeverfahren nicht zum Zuge gekommenen Bieters im Rahmen eines Antrags nach dem Informationsfreiheitsgesetz auf Einsicht in die sein Angebot betreffenden Abschnitte des Vergabevermerks § 3 Nr. 4 IFG i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV entgegengehalten werden kann, hat nach der Überzeugung der Kammer grundsätzliche Bedeutung.