Titel:
Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs
Normenkette:
StVZO § 31a Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Rücknahme eines Bescheides begründet kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass die Behörde nach Fehlerkorrektur nicht erneut einen gleichlautenden Bescheid erlässt. Ein „Anerkenntnis“ oder eine die Behörde bindende Zusicherung iSv Art. 38 Abs. 1 S. 1 BayVwVfG kann darin nicht gesehen werden. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch wenn die Führung des Fahrtenbuchs aus spezialpräventiven Gründen grundsätzlich in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem ungeahndet gebliebenem Verkehrsverstoß angeordnet werden soll, wird die Anordnung weder durch bloßen Zeitablauf noch durch den Umstand unverhältnismäßig, dass keine weiteren Auffälligkeiten mit dem Fahrzeug bekannt werden (vgl. BVerwG BeckRS 1995, 22505). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Unterbleiben einer im Ordnungswidrigkeitenverfahren vom Betroffenen, vom Zeugen oder von dessen Bevollmächtigten erbetenen Übersendung der Akten rechtfertigt dann nicht die Annahme eines Ermittlungsdefizits der Behörde, wenn der Fahrzeughalter rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist noch auf andere Weise Einsicht in die Fotos nehmen konnte (vgl. VGH Mannheim BeckRS 1996, 23006). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs, Erlass eines Zweitbescheids nach Rücknahme des ursprünglichen Bescheids, Zeitablauf seit dem Verkehrsverstoß, unterbliebene Übersendung der Fotos an den Fahrzeughalter, Einsicht in die Fotos auf andere Weise vor Ablauf der Verjährungsfrist, Obliegenheiten bei Firmenfahrzeugen, Fahrtenbuchauflage, Mitwirkung, Rücknahme, Zweitbescheid, schutzwürdiges Vertrauen, Zeitablauf
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 14.02.2022 – Au 3 S 22.172
Fundstelle:
BeckRS 2022, 9260
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.600,- Euro festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Antragstellerin, ein Personaldienstleistungsunternehmen in der Rechtsform einer GmbH, wendet sich gegen die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Verpflichtung zur Führung von Fahrtenbüchern für drei auf sie zugelassene Fahrzeuge.
2
Mit Schreiben vom 10. Mai 2021 übersandte die Antragsgegnerin der Antragstellerin einen Zeugenfragebogen (ohne Lichtbilder) mit der Bitte um Rücksendung bis zum 20. Mai 2021. Mit einem auf die Antragstellerin zugelassenen Fahrzeug sei am 26. April 2021 vor einer Schule die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 21 km/h überschritten worden. Nach einer Gesprächsnotiz der Antragsgegnerin teilte der Geschäftsführer der Antragstellerin am 12. Mai 2021 telefonisch mit, er könne den Fahrer nicht benennen, da kein Fahrerbild abgedruckt sei. Ein Fahrtenbuch werde in seiner Firma nicht geführt und es hätten mehrere Personen Zugriff auf das Fahrzeug. Die Mitarbeiterin der Antragsgegnerin wies den Geschäftsführer der Antragstellerin darauf hin, dass das Foto für einen Abdruck auf dem Zeugenfragebogen qualitativ nicht gut genug und deshalb auch keine Zusendung möglich sei. Er habe aber die Möglichkeit, sich das Foto bei der Antragsgegnerin anzusehen.
3
Nach einer schriftlichen Erinnerung der Antragsgegnerin vom 25. Mai 2021 rief der Geschäftsführer der Antragstellerin am 1. Juni 2021 erneut bei der Antragsgegnerin an und bat um Zusendung des Fotos. Hierzu teilte die Mitarbeiterin der Antragsgegnerin ihm mit, er könne auch durch seinen Rechtsanwalt Akteneinsicht beantragen.
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Mit Schreiben vom 11. Juni 2021 bat der Bevollmächtigte der Antragstellerin um Akteneinsicht und Übersendung in die Kanzleiräume. Dies lehnte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 21. Juni 2021 mit der Begründung ab, Akteneinsicht im Ordnungswidrigkeitenverfahren könne nur dem Betroffenen bzw. seinem Rechtsanwalt gewährt werden. Als juristische Person könne die Antragstellerin jedoch nicht Betroffene sein. Die nochmalige Bitte um Übersendung des Lichtbilds mit Schreiben vom 25. Juni 2021 lehnte die Antragsgegnerin erneut ab.
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Mit Schreiben vom 21. Juni 2021, auf dem die bei der Geschwindigkeitsmessung gefertigten Fotos abgedruckt waren, ersuchte die Antragsgegnerin die Polizeiinspektion M. um Feststellung des verantwortlichen Fahrers. Diese teilte mit Kurzmitteilung vom 5. Juli 2021 mit, der Geschäftsführer der Antragstellerin habe keinen Fahrer nennen können. Er habe angegeben, der Pkw werde von mehreren Fahrern genutzt. Es gebe keine Aufzeichnungen darüber, wann das Fahrzeug von wem genutzt worden sei. Auf Anfrage teilte die Polizeiinspektion dem Verwaltungsgericht Augsburg hierzu ergänzend mit Schreiben vom 10. November 2021 mit, dem Geschäftsführer der Antragstellerin sei bei der Befragung das Lichtbild der Geschwindigkeitsmessung gezeigt worden.
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Nach Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens mit der Begründung, der Fahrzeugführer habe nicht festgestellt werden können, verpflichtete die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Bescheid vom 15. September 2021 unter Anordnung des Sofortvollzugs zur Führung von Fahrtenbüchern für drei Fahrzeuge oder gegebenenfalls deren Ersatzfahrzeuge für die Dauer von sechs Monaten. Nach einem Hinweis des von der Antragstellerin angerufenen Verwaltungsgerichts Augsburg, wonach der angeordnete Sofortvollzug voraussichtlich nicht ausreichend begründet worden sei, nahm die Antragsgegnerin diesen Bescheid am 1. Dezember 2021 zurück und erließ am 16. Dezember 2021 mit geänderter Begründung und angepassten Fristen einen erneuten Bescheid gegen die Antragstellerin mit der Verpflichtung zur Führung der Fahrtenbücher.
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Über die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. Februar 2022 abgelehnt. Nach derzeitigem Erkenntnisstand bestünden keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Verpflichtung zur Führung der Fahrtenbücher. Die Feststellung des für die Geschwindigkeitsüberschreitung am 26. April 2021 verantwortlichen Fahrzeugführers sei vor Ablauf der Verjährungsfrist nicht möglich gewesen. Die Antragsgegnerin habe alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen zur Ermittlung des Fahrers getroffen. Der Geschäftsführer der Antragstellerin habe keine näheren Angaben zu den in Betracht kommenden Personen gemacht. Die Benennung des Fahrers müsse der Antragstellerin bei sachgerechter Durchführung der von ihr als Formkaufmann zu erwartenden Dokumentation möglich sein. Es komme daher nicht darauf an, ob die Antragsgegnerin den Antrag auf Übersendung des Fotos und das Akteneinsichtsgesuch des Prozessbevollmächtigten zu Recht abgelehnt habe. Der mit einer Regelgeldbuße von 80,- Euro zu ahndende und mit einem Punkt zu bewertende Verkehrsverstoß rechtfertige die Anordnung eines Fahrtenbuchs. Hinsichtlich der Belange der Antragstellerin und der Dauer der Verpflichtung habe die Antragsgegnerin ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
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Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt, lässt die Antragstellerin vortragen, die Antragsgegnerin habe bezüglich desselben Sachverhalts zweimal eine Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs erlassen. Übertrage man die Regelungen zum Strafklageverbrauch, sei der Erlass eines zweiten Bescheids nach dem Anerkenntnis der Antragsgegnerin, dass die Anordnung der Fahrtenbuchauflage rechtswidrig gewesen sei, rechtlich so nicht möglich. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass der Bescheid erst knapp neun Monate nach dem Verstoß erlassen worden sei und dieser mittlerweile beinahe ein Jahr zurückliege. Seither habe es keine ähnlich gearteten Verkehrsverstöße mehr gegeben, insbesondere keine, bei denen der Fahrer nicht habe ermittelt werden können. Die Antragsgegnerin habe auch nicht alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen zur Fahrerermittlung getroffen. Es hätten auch Originalunterlagen, mithin das Original-Lichtbild zur Einsicht übermittelt werden können. Die Antragstellerin bzw. ihr Geschäftsführer habe nicht gegen Mitwirkungsobliegenheiten verstoßen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
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1. Gemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 26. April 2012 (BGBl I S. 679), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juli 2021 (BGBl I S. 3091), kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.
12
a) Die Antragsgegnerin war durch die Rücknahme ihres zunächst erlassenen Bescheids vom 15. September 2021 nicht gehindert, die Antragstellerin in einem weiteren Bescheid nochmals zur Führung von Fahrtenbüchern für drei Fahrzeuge zu verpflichten. Der ursprüngliche Bescheid ist durch die Rücknahme nach Hinweis des Verwaltungsgerichts auf die nicht ausreichende Begründung des angeordneten Sofortvollzugs unwirksam geworden (Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG). Dies begründet allerdings kein schutzwürdiges Vertrauen der Antragstellerin darauf, dass die Antragsgegnerin sie nach Fehlerkorrektur nicht erneut zur Führung von Fahrtenbüchern verpflichtet. Ein „Anerkenntnis“ oder eine die Antragsgegnerin bindende Zusicherung im Sinne von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG, eine Fahrtenbuchauflage zu unterlassen, kann im Rücknahmebescheid vom 1. Dezember 2021 nicht gesehen werden. Insbesondere konnte die Antragstellerin dem Rücknahmebescheid kein Eingeständnis der Antragsgegnerin entnehmen, dass die materiellrechtlichen Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Führung von Fahrtenbüchern nicht vorliegen und sie deshalb von der Maßnahme absieht. Vielmehr wird in diesem Bescheid ausgeführt, die Rücknahme beruhe auf der unzureichenden Begründung im Zusammenhang mit der sofortigen Vollziehung. Der Erlass eines Zweitbescheids verstößt damit nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben; insbesondere liegt keine Verwirkung oder „Verbrauch“ der Befugnis zum Erlass einer Fahrtenbuchauflage mit ausreichender Begründung vor.
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b) Die mit Bescheid vom 16. Dezember 2021 angeordnete Verpflichtung zur Führung der Fahrtenbücher ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die zugrundeliegende Geschwindigkeitsüberschreitung zu diesem Zeitpunkt knapp acht Monate zurücklag und es seither nicht zu weiteren Verstößen mit dem Fahrzeug gekommen ist, bei denen der Fahrer nicht ermittelt werden konnte. Auch wenn die Führung des Fahrtenbuchs aus spezialpräventiven Gründen grundsätzlich in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem ungeahndet gebliebenem Verkehrsverstoß angeordnet werden soll, wird die Anordnung weder durch bloßen Zeitablauf noch durch den Umstand unverhältnismäßig, dass keine weiteren Auffälligkeiten mit dem Fahrzeug bekannt werden (vgl. BVerwG, B.v. 12.7.1995 - 11 B 18.95 - NJW 1995, 3402 = juris Rn. 3; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Auflage 2021, § 31a StVZO Rn. 49). Vor Ablauf der dreimonatigen Frist der Verfolgungsverjährung (§ 26 Abs. 3 Satz 1 StVG) kann die Führung eines Fahrtenbuchs ohnehin nicht angeordnet werden. Den ersten Bescheid hat die Antragsgegnerin keine zwei Monate nach Verjährungseintritt am 26. Juli 2021 erlassen. Dass danach bis zum Erlass des angefochtenen Bescheids weitere drei Monate vergangen sind, ist dem Umstand geschuldet, dass die Antragsgegnerin auf den Hinweis des Verwaltungsgerichts hinsichtlich des Begründungsmangels reagiert und nach Aufhebung des Erstbescheids einen neuen Bescheid erlassen hat. In der Gesamtschau ist keine der Antragsgegnerin anzulastende Verzögerung eingetreten, die zur Rechtswidrigkeit der ausgesprochenen Verpflichtung führen würde.
14
c) Schließlich bestehen auch hinsichtlich der von der Antragstellerin und ihrem Bevollmächtigten bei der Antragsgegnerin mehrfach erbetenen, jedoch nicht gewährten Übersendung der bei der Geschwindigkeitsmessung gefertigten Fotos im Ergebnis keine Bedenken gegen die erlassene Fahrtenbuchauflage. Zwar setzt die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, voraus, dass die zuständige Behörde nicht in der Lage war, den Täter einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat (BVerwG, B.v. 9.12.1993 - 11 B 113.93 - juris Rn. 4; B.v. 17.5.1993 - 11 B 50.93 - ZfSch 1994, 70 = juris Rn. 5 m.w.N.). Der Fahrzeughalter ist für sein Fahrzeug verantwortlich und daher erster Ansprechpartner für die Ermittlungsbehörden. Für den Ermittlungserfolg wesentlich sind die bei dem Verstoß gefertigten Aufnahmen. In der Regel werden diese daher dem Zeugenfragebogen beigefügt, um dem Fahrzeughalter die Angabe des verantwortlichen Fahrers zu ermöglichen oder zu erleichtern (vgl. VG Aachen, U.v. 23.1.2007 - 2 K 3862/04 - juris Rn. 30 ff.). Ob der Fahrzeughalter hierzu überhaupt bereit oder bei qualitativ schlechten Aufnahmen in der Lage ist, bleibt zunächst abzuwarten. Jedenfalls dann, wenn er - wie hier - mehrfach ausdrücklich um Übersendung der vorhandenen Aufnahmen ersucht, ist kein Grund ersichtlich, ihm diese vorzuenthalten. Der Fahrzeughalter muss sich auch nicht darauf verweisen lassen, persönlich bei der Behörde Einsicht in die Originalfotos zu nehmen. Auch wenn der Zeugenbeistand im Ordnungswidrigkeitenverfahren (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 68b Abs. 1 Satz 1 StPO) kein Akteneinsichtsrecht hat (BGH, B.v. 4.3.2010 - StB46/09 - NStZ-RR 2010, 246 = juris Rn. 8; LG Hamburg, B.v. 16.4.2019 - 620 Qs 9/19 - juris Rn. 10 ff.), können einer Privatperson oder deren Rechtsanwalt bei Darlegung eines berechtigten Interesses nach Maßgabe von § 475 StPO Auskünfte aus Akten erteilt oder Akteneinsicht gewährt werden. Die schlechte Qualität der Aufnahmen ist jedenfalls kein ausreichender Grund, dies zu versagen und von vornherein davon auszugehen, dass die Übersendung der Aufnahmen den Ermittlungserfolg nicht fördern kann. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, dass die Antragsgegnerin dies wiederholt mit der unzureichenden Qualität der Aufnahmen begründet, diese dann jedoch ihrem Ermittlungsersuchen an die Polizeinspektion M. vom 21. Juni 2021 beigefügt hat. Vereitelt die Behörde die Akteneinsicht, kann sie nicht von mangelnder Mitwirkung des Halters ausgehen (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 31a StVZO Rn. 34 m.w.N.).
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Allerdings rechtfertigt das Unterbleiben einer im Ordnungswidrigkeitenverfahren vom Betroffenen, vom Zeugen oder von dessen Bevollmächtigten erbetenen Übersendung der Akten dann nicht die Annahme eines Ermittlungsdefizits der Behörde, wenn der Fahrzeughalter rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist noch auf andere Weise Einsicht in die Fotos nehmen konnte (vgl. VGH BW, B.v. 23.8.1996 - 10 S 1867/96 - juris Rn. 2; VG Aachen a.a.O. Rn. 33; Rebler, DAR 2017, 105/107). So lag es hier. Der vom Verwaltungsgericht im Verfahren Au 3 S 21.2109 eingeholten Auskunft der Polizeiinspektion M. vom 10. November 2021 ist zu entnehmen, dass die Polizei den Geschäftsführer der Antragstellerin am 22. Juni 2021 auf Veranlassung der Antragsgegnerin aufgesucht und ihn zur Fahrzeugvergabe und zum Zugriff auf die Fahrzeuge in Bezug auf die weiteren Mitarbeiter befragt hat. Dabei hat sie ihm das Lichtbild vorgelegt. Gleichwohl konnte der Geschäftsführer der Antragstellerin das Foto offenbar keinem Fahrer zweifelsfrei zuordnen. Die unterbliebene Übersendung der Aufnahmen an die Antragstellerin war damit für die Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung vor Eintritt der Verfolgungsverjährung nicht kausal.
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Es kommt hinzu, dass der Geschäftsführer der Antragstellerin den Kreis der in Betracht kommenden Fahrer nicht eingegrenzt und deren Personalien nicht angegeben hat, obwohl ihm das unschwer möglich gewesen wäre. Der Fahrzeughalter bleibt auch bei fehlender subjektiver Fähigkeit zur Identifizierung der Radaraufnahme oder unzureichender Qualität eines Geschwindigkeitsmessfotos insoweit zur Mithilfe bei der Aufklärung verpflichtet, dass er zumindest den Personenkreis der möglichen Fahrzeugführer gegenüber der Straßenverkehrsbehörde einzuschränken hat (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 31a StVZO Rn. 31 m.w.N.). Den kaufmännischen Halter eines Firmenfahrzeugs trifft die Obliegenheit, Geschäftsfahrten insoweit längerfristig zu dokumentieren, dass solche Fahrten grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Erinnerung einzelner Personen rekonstruierbar sind und der jeweilige Fahrzeugführer im Einzelfall festgestellt werden kann. Unterbleiben dahingehende Angaben, trägt der betroffene Betrieb das Risiko, dass die fehlende Feststellbarkeit des Fahrers zu seinen Lasten geht und eine Fahrtenbuchauflage erlassen wird (BayVGH, B.v. 26.5.2020 - 11 ZB 20.546 - juris Rn. 17; B.v. 7.1.2019 - 11 CS 18.1373 - juris Rn. 13; B.v. 23.2.2015 - 11 CS 15.6 - juris Rn. 15; B.v. 8.3.2013 - 11 CS 13.187 - juris Rn. 19).
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d) Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin im Übrigen zur Begründung seiner Beschwerde auf seine Ausführungen in der erstinstanzlichen Klage- und Antragsbegründung verweist und ohne weitere Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung pauschale und formelhafte Rügen hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Klage, zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme und zur Interessenabwägung erhebt, werden hierdurch die Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht erfüllt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 146 Rn. 22b m.w.N.).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung bei einer jeweils sechsmonatigen Fahrtenbuchauflage für drei Fahrzeuge im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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3. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).