Titel:
Gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflicht eines Asylbewerbers durch Ablehnung eines Dolmetschers ohne wichtigen Grund
Normenkette:
AsylG § 30 Abs. 3 Nr. 5
Leitsatz:
Die Ablehnung des Antrags eines Asylbewerbers, der nur Angaben zu seinem Reiseweg macht und im Übrigen Ausführungen zu seinen Fluchtgründen wegen des zugezogenen Dolmetschers verweigert, kommt als offensichtlich unbegründet in Betracht, wenn für die Ablehnung des Dolmetschers kein wichtiger Grund vorliegt. (Rn. 16 – 21)
Schlagworte:
Asylrecht (Algerien), Offensichtlich unbegründeter Asylantrag, Ablehnung eines Dolmetschers, Asylantrag, offensichtlich unbegründet, Mitwirkungspflicht, Dolmetscher, Ablehnung
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 07.10.2021 – W 5 K 21.30776
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
BayVBl 2022, 684
DÖV 2022, 691
BeckRS 2022, 9251
LSK 2022, 9251
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 7. Oktober 2021 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten in beiden Instanzen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Beschluss ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Klägerin ist algerische Staatsangehörige, arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit und wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 2. Juli 2021.
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Bei ihrer Anhörung am 21. Juni 2021 vor dem Bundesamt bestätigte die Klägerin die Angaben zu ihrer Person und machte Angaben zu ihrem Reiseweg von Algerien über Österreich nach Deutschland. Im Rahmen der anschließenden vorsorglich durchgeführten Anhörung zu ihren Asylgründen gab die Klägerin an, diese nicht mit dem anwesenden Dolmetscher durchführen zu wollen, weil dieser aus Marokko stamme. Marokko habe das Problem verursacht, dass Leute aus der Westsahara in Algerien leben müssten. Ihr Großvater sei während des Krieges mit Marokko ums Leben gekommen; er sei von Marokkanern angeschossen worden. Aus dem Anhörungsprotokoll ergibt sich, dass die Klägerin sodann auf ihre Mitwirkungspflichten hingewiesen und ihr mitgeteilt wurde, dass eine Verweigerung der Mitwirkung zur Folge haben könne, dass ihr Asylantrag allein aufgrund der fehlenden Mitwirkung abgelehnt werden könne. Gleichwohl verweigerte die Klägerin die weitere Durchführung der Anhörung.
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Mit Bescheid vom 2. Juli 2021 lehnte das Bundesamt den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Anerkennung als Asylberechtigte und auf Gewährung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Klägerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht ausreichend nachgekommen sei. Obwohl sie sich mit dem marokkanischen Dolmetscher gut habe verständigen können, habe sie es unterlassen, das Bundesamt über ihr Verfolgungsschicksal zu informieren. Weder Schwierigkeiten von Leuten aus der Westsahara mit Marokko noch das Schicksal ihres Großvaters stellten einen wichtigen Grund dar, aufgrund dessen es der Klägerin nicht möglich gewesen wäre, mit dem anwesenden marokkanischen Dolmetscher die Anhörung durchzuführen.
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Hiergegen erhob die Klägerin Klage und beantragte vorläufigen Rechtsschutz, dem das Verwaltungsgericht Würzburg mit Beschluss vom 29. Juli 2021 (Az. W 5 S 21.3077) stattgab. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Würzburg erschien die Klägerin nicht persönlich und ließ durch ihre Bevollmächtigte vortragen, dass die Ablehnung als offensichtlich unbegründet wegen Ablehnung des Dolmetschers rechtswidrig sei und sie in ihren Rechten verletze. Mit Urteil vom 7. Oktober 2021 hob das Verwaltungsgericht Würzburg den Bescheid des Bundesamts vom 2. Juli 2021 auf und führte zur Begründung u.a. aus, dass die Ablehnung als offensichtlich unbegründet zu Unrecht erfolgt sei. Bei unionsrechtskonformer Auslegung könne bei Ablehnung der Person des Dolmetschers keine offensichtliche Unbegründetheit angenommen werden. Die Verweigerung der Angaben im Rahmen der Anhörung ohne wichtigen Grund könne unter keinen der in Art. 31 Abs. 8 der RL 2013/32/EU aufgeführten Tatbestände subsumiert werden.
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Auf den hiergegen gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung des Bundesamts ließ der Senat mit Beschluss vom 19. Januar 2022 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu.
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Das Bundesamt ist der Ansicht, dass es keinen Unterschied mache, ob ein Asylbewerber zwar zu Anhörung erscheine, dort aber keine für ihn günstigen Angaben mache, oder ob er diese bedingt durch den mangelnden Willen zur Zusammenarbeit mit der zur Verständigung notwendigen dolmetschenden Person aus nicht berücksichtigungsfähigen Gründen verweigere. In unionsrechtskonformer Auslegung könne auch in diesem Fall eine Ablehnung des Gesuchs als offensichtlich unbegründet auf § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG gestützt werden.
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Für die Beklagte beantragt das Bundesamt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 7. Oktober 2021 abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Die anwaltlich vertretene Klägerin hat sich im Zulassungs- und im Berufungsverfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Gründe
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Die zulässige Berufung des Bundesamts ist begründet.
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Über die Berufung konnte durch Beschluss entschieden werden, weil der Senat die Berufung der Beklagten gemäß § 130a VwGO einstimmig für begründet erachtet und im Hinblick auf die allein zu entscheidende Rechtsfrage eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Parteien wurden hierzu mit gerichtlichem Schreiben vom 11. März 2022 gemäß § 79 AsylG, § 130a Satz 2 i.V. mit § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO angehört.
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Das Verwaltungsgericht hat der Klage auf Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 2. Juli 2021 zu Unrecht stattgegeben. Die Klage der Klägerin ist unbegründet, weil der Bescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Das Bundesamt stützt den Bescheid vom 2. Juli 2021 auf § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG. Danach ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Asylbewerber seine Mitwirkungspflichten nach § 13 Abs. 3 Satz 2, § 15 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 oder § 25 Abs. 1 AsylG gröblich verletzt hat, es sei denn, er hat die Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht zu vertreten oder ihm war die Einhaltung der Mitwirkungspflichten aus wichtigen Gründen nicht möglich. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss der Ausländer selbst die Tatsachen vortragen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen, und die erforderlichen Angaben machen. Ist der Ausländer dabei der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig, so ist von Amts wegen bei der Anhörung ein Dolmetscher, Übersetzer oder sonstiger Sprachmittler hinzuzuziehen, der in die Muttersprache des Ausländers oder in eine andere Sprache zu übersetzen hat, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann und in der er sich verständigen kann (§ 17 Abs. 1 AsylG).
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1. Die Klägerin hat ihre Mitwirkungspflicht gröblich verletzt.
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Für einen Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht i.S.d. § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG bedarf es einer besonders schwerwiegenden Verletzung der Obliegenheit; ein lediglich „einfacher Verstoß“ genügt hierbei nicht (vgl. Marx, AsylG, 10. Auflage 2019, § 30 Rn. 59; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Dezember 2021, § 30 AsylG Rn. 85; VG Würzburg, B.v. 17.1.2019 - W 8 S 19.30111 - juris Rn. 16). Gröblich ist ein Verstoß, wenn die Verletzung der Mitwirkungspflicht im Hinblick auf das Ergebnis der Entscheidung oder die zügige Durchführung des Asylverfahrens von so großem Gewicht ist, dass das Verhalten des Asylsuchenden den Schluss zu tragen geeignet ist, dass das Asylverfahren missbräuchlich betrieben wird (vgl. Blechinger in Decker/Bader/Kothe, Beck‘scher Onlinekommentar Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.1.2022, § 30 AsylG Rn. 69; Schröder in Hofmann, Nomos-Kommentar Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 30 AsylG Rn. 32; Lehnert in Huber/Mantel, Aufenthaltsgesetz/Asylgesetz, 3. Auflage 2021, § 30 AsylG Rn. 19; Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum Asylgesetz [GK-AsylG], Stand Januar 2022, § 30 Rn. 123). Hier hat die Klägerin ihre Mitwirkungspflicht nach § 25 Abs. 1 Satz 1 AsylG gröblich verletzt, weil sie sich weigerte, im Rahmen der Anhörung die Tatsachen, die ihre Furcht vor Verfolgung oder Gefahr eines ihr drohenden ernsthaften Schadens begründen, unter Beteiligung des anwesenden Dolmetschers vorzutragen. Im Gegensatz zu den von ihr im Rahmen der Anhörung vom 21. Juni 2021 zwischen 10:40 Uhr und 11:20 Uhr gemachten Angaben zu ihren Reisewegen entsprechend § 25 Abs. 1 Satz 2 AsylG (vgl. Bl. 120 ff. der Behördenakte), verweigerte die Klägerin in der anschließenden vorsorglichen Anhörung zu ihren Fluchtgründen um 11:40 Uhr desselben Tages unter Beteiligung desselben Dolmetschers und trotz Hinweises auf § 25 AsylG sowie die möglichen Folgen jegliche Angaben zu ihren Asylgründen (vgl. Bl. 124 ff. der Behördenakte). Im Rahmen der Anhörung des Ausländers zu seinen Asylgründen ist jedoch gerade die Darlegungspflicht die wichtigste Mitwirkungspflicht des Asylbewerbers (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.1983 - 9 C 226.82 - juris Rn. 16; B.v. 15.8.2003 - 1 B 107.03 - juris Rn. 5; Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 7. Auflage 2020, § 9 Rn. 88). Vergleichbar einem unentschuldigten Fernbleiben vom Anhörungstermin ist hier aus den Gesamtumständen des Einzelfalls einer Ablehnung des Dolmetschers aus nichttragenden Gründen (s.u.) ohne weiteres ein gröblicher Verstoß gegeben und eine offensichtliche Unbegründetheit indiziert (vgl. Blechinger in Decker/Bader/Kothe, a.a.O. § 30 AsylG Rn. 79; Funke-Kaiser in GK-AsylG, a.a.O., § 30 Rn. 127 - jeweils zum Ausbleiben zum Anhörungstermin; anders bei irrtümlichem Versäumen: Marx, AsylG, a.a.O. § 30 Rn. 59). Durch die Weigerung der Klägerin zur Zusammenarbeit mit dem anwesenden Dolmetscher, der auch bereits beanstandungslos bei der Schilderung der Reisewege durch die Klägerin übersetzt hat, ist die Klägerin ihrer Mitwirkungspflicht im wesentlichen Teil des Asylverfahrens, der Darlegung ihrer Fluchtgründe, nicht nachgekommen. Diese Verletzung der Mitwirkungspflicht hat sowohl für das Ergebnis des Asylverfahrens als auch dessen zügige Durchführung so erhebliches Gewicht, dass der Schluss gerechtfertigt ist, die Klägerin betreibe das Asylverfahren missbräuchlich. Seitens der Klägerin liegt demnach hier eine gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflicht vor (vgl. VG Würzburg, B.v. 17.1.2019 - W 8 S 19.30111 - juris Rn. 17; VG München, B.v. 10.1.2018 - M 21 S 17.33327 - juris Rn. 24).
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2. Die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet ist mit der RL 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, 60) vereinbar.
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Die Ablehnung von Asylanträgen als offensichtlich unbegründet ist entsprechend Art. 32 Abs. 2, Art. 31 Abs. 8 der RL 2013/32/EU grundsätzlich möglich. Die Richtlinie enthält insoweit einen abschließenden Katalog von Tatbeständen, die eine beschleunigte Prüfung erlauben (vgl. Erwägung Nr. 20 der RL 2013/32/EU; Hailbronner, a.a.O. § 30 AsylG Rn. 37; Heusch in Kluth/Heusch, Beck‘scher Onlinekommentar Ausländerrecht, Stand 1.1.2022, § 30 AsylG Rn. 8; Funke-Kaiser in GK-AsylG, a.a.O. § 30 Rn. 12). Nach Ablauf der Umsetzungsfrist zum 20. Juli 2015 (vgl. Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der RL 2013/32/EU) bedarf § 30 AsylG jedoch einer europarechtskonformen Auslegung (vgl. VG Cottbus, B.v. 31.5.2018 - VG 4 L 307/18.A - juris Rn. 11; Heusch in Kluth/Heusch, a.a.O. § 30 AsylG Rn. 8; Blechinger in Decker/Bader/Kothe, a.a.O. § 30 AsylG Rn. 8), da die Norm nur teilweise eine europarechtskonforme Fassung aufweist (vgl. Schröder in Hofmann, a.a.O., § 30 AsylG Rn. 1, 31; Lehnert in Huber/Mantel, a.a.O. § 30 AsylG Rn. 18; Funke-Kaiser in GK-AsylG, a.a.O. § 30 Rn. 13).
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Nach Art. 32 Abs. 2, Art. 31 Abs. 8 Buchst. a der RL 2013/32/EU kommt die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet in Betracht, wenn der Antragsteller bei der Einreichung seines Antrags und der Darlegung der Tatsachen nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung der Frage, ob er als Flüchtling oder Person mit Anspruch auf internationalen Schutz i.S.d. RL 2011/95/EU anzuerkennen ist, nicht von Belang sind. Das ist nicht nur der Fall, wenn der Antragsteller die Anhörung ganz verweigert, sondern auch, wenn er - wie hier - über die Angaben zum Reiseweg hinaus nichts Relevantes für sein eigentliches Schutzbegehren vorbringt (vgl. VG Würzburg, B.v. 17.1.2019 - W 8 S 19.30111 - juris Rn. 17). Zwar könnte der Wortlaut von Art. 31 Abs. 8 Buchst a der RL 2013/32/EU darauf hindeuten, dass Voraussetzung für eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet ist, dass überhaupt irgendwelche Umstände vorgetragen wurden (so: VG Ansbach, B.v. 19.6.2018 - AN 1 S 18.30714 - juris Rn. 68, 78). Zudem wurde Art. 23 Abs. 4 Buchst. f der RL 2005/85/EG, wonach eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet erfolgen kann, wenn der Antragsteller keine Angaben gemacht hat, die mit hinreichender Sicherheit auf seine Identität oder Staatsangehörigkeit schließen lassen, in Art. 31 Abs. 8 Buchstabe d der RL 2013/32/EU gestrichen (vgl. VG Augsburg, B.v. 11.7.2017 - Au 1 S 17.32231 - juris Rn. 15). Die Verweigerung der Mitwirkung bei der Verpflichtung zur Abnahme der Fingerabdrücke gem. Art. 31 Abs. 8 Buchst. i der RL 2013/32/EU zeigt jedoch, dass die Richtlinie nach wie vor Tatbestände enthält, in denen eine vollständige Verweigerung der Mitwirkungspflicht die Ablehnung als offensichtlich unbegründet trägt. Zudem stellt ein vollständig fehlender Vortrag von Tatsachen bezüglich der Asylgründe die stärkste Form eines „Vortrags ohne Belang“ dar, denn maßgebend ist auch im Rahmen des Art. 31 Abs. 8 Buchst. a der RL 2013/32/EU, dass jedenfalls aus der Sphäre des Asylbewerbers heraus keine Tatsachengrundlagen für eine Entscheidung erfolgen. Ob dies durch „belanglosen“ Vortrag oder eine Weigerung jeglichen Vortrags erfolgt, ist hierbei unerheblich, da in beiden Fällen eine tragfähige Grundlage zur Entscheidung über die Asylgründe aus dem Verantwortungsbereich des Asylbewerbers fehlt. Eine Besserstellung eines Asylbewerbers, der überhaupt keine Angaben macht, gegenüber demjenigen, der nur wenige nicht tragfähige Angaben macht, ist ferner weder gerechtfertigt, noch mit dem Beschleunigungsgrundsatz der Erwägung Nr. 18 der RL 2013/32/EU vereinbar.
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Darüber hinaus stehen die Mitwirkungsverpflichtungen nach § 25 Abs. 1 AsylG im Einklang mit Art. 31 Abs. 8 Buchst. c und d der RL 2013/32/EU (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylG, § 30 Rn. 122). Die Weigerung, zu seinen Asylgründen vorzutragen, ist ferner mit einem Zurückhalten von Informationen gem. § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG, Art. 31 Abs. 8 Buchst. c und e der RL 2013/32/EU vergleichbar (vgl. Blechinger in Decker/Bader/Kothe, a.a.O. § 30 AsylG Rn. 67 f.), die teilweise auch in § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG enthalten sind (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylG, a.a.O. § 30 Rn. 63). § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG ist somit bei einem gröblichen Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht nach § 25 Abs. 1 Satz 1 AsylG mit Art. 31 Abs. 8 der RL 2013/32/EU vereinbar (vgl. VG Cottbus, B.v. 31.5.2018 - VG 4 L 307/18.A - juris Rn. 13, 15; VG München, B.v. 10.1.2018 - M 21 S 17.33327 - juris Rn. 23 - allerdings jeweils ohne nähere Begründung).
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Unabhängig davon hat die Klägerin hier Angaben zu ihren Reisewegen gemacht, die gem. § 25 Abs. 1 Satz 2 AsylG ebenfalls zu den erforderlichen Angaben i.S.d. § 25 Abs. 1 Satz 1 AsylG gehören. Sie hat damit im Rahmen ihrer Anhörung nur Umstände vorgetragen, die für die Prüfung der Frage, ob sie als Flüchtling oder Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der RL 2011/95/EU anzuerkennen ist, nicht von Belang sind. Dies entspricht letzlich Art. 31 Abs. 8 Buchst. a der RL 2013/32/EU.
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3. Die Klägerin hat die gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflicht auch zu vertreten; ihr war die Einhaltung der Mitwirkungspflicht auch nicht aus wichtigen Gründen nicht möglich.
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Nach § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG kommt die Ablehnung des Antrags als offensichtlich unbegründet nicht in Betracht, wenn der Asylbewerber die Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht zu vertreten hat oder ihm die Einhaltung der Mitwirkungspflichten aus wichtigen Gründen nicht möglich war. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
24
a) Die Klägerin hat die gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflicht zu vertreten.
25
Vertreten müssen liegt vor, wenn der Asylbewerber die nach den Umständen gebotene zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt, die von einem sein Asylverfahren gewissenhaft betreibenden Asylbewerber zu erwarten ist (vgl. Hailbronner, a.a.O. § 30 AsylG Rn. 85; Blechinger in Decker/Bader/Kothe, a.a.O. § 30AsylG Rn. 71; Schröder in Hofmann, a.a.O. § 30 AsylG Rn. 33; Lehnert in Huber/Mantel, a.a.O. § 30 AsylG Rn. 20). Nicht zu vertreten hat es der Asylbewerber, wenn er ohne Verschulden gehindert war, der Mitwirkungspflicht nachzukommen (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylG, a.a.O. § 30 Rn. 130). Erforderlich ist dementsprechend in jedem Fall Kenntnis von der Mitwirkungspflicht (Funke-Kaiser in GK-AsylG, a.a.O. § 30 Rn. 131).
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Dies ist hier der Fall, so dass die Klägerin die Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht nach § 25 Abs. 1 Satz 1 AsylG zu vertreten hat. Die Klägerin wurde während der Anhörung am 21. Juni 2021 auf ihre Mitwirkungspflicht aufmerksam gemacht und auf die möglichen Folgen hingewiesen. Sie hat gleichwohl in Kenntnis dieser Umstände die weitere Anhörung zu ihren Asylgründen verweigert (vgl. Bl. 124 ff. der Behördenakte und die Vermerke vom 2.7.2021 [Bl. 147 der Behördenakte] sowie vom 7.7.2021 [Bl. 170 der Behördenakte]).
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b) Der Klägerin war die Einhaltung der Anforderungen auch nicht aus einem wichtigen Grund nicht möglich.
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Als wichtiger Grund i.S.d. § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG sind alle die Willensbildung bestimmenden Umstände zu verstehen, die die Weigerung, die Mitwirkungsverpflichtung vorzunehmen, als berechtigt erscheinen lassen (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylG, a.a.O. § 30 Rn.136). Die Zusammenarbeit mit dem Dolmetscher i.S.d. § 17 Abs. 1 AsylG ist dabei ein unselbständiger Verfahrensakt gem. § 44a Satz 1 VwGO (vgl. Marx, AsylG, a.a.O. § 17 Rn. 13).
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Für die Frage, ob der Klägerin die Zusammenarbeit mit dem Dolmetscher aus einem wichtigen Grund nicht möglich war, kann - unabhängig davon, dass diese gegenüber dem Dolmetscher bereits beanstandungslos ihre persönlichen Angaben und Angaben zum Reiseweg gemacht hat - mangels unmittelbar geltender Ablehnungsgründe im AsylG (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylG, a.a.O. § 17 Rn. 11.1 und Marx, AsylG, a.a.O. § 17 Rn. 13) auf die materiellen Voraussetzungen der Regelungen zur Ablehnung wegen Befangenheit zurückgegriffen werden (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylG, a.a.O. § 17 Rn. 18). Dementsprechend können die Voraussetzungen der § 55 VwGO, § 191 GVG i.V.m. §§ 22 ff., § 74 StPO (Hailbronner, a.a.O. § 17 AsylG Rn. 10; Marx, AsylG a.a.O. § 17 Rn. 13; Houben in Kluth/Heusch, a.a.O. § 17 AsylG Rn. 14, Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 17 AsylG Rn. 6; Pelzer in Decker/Bader/Kothe, a.a.O. § 17 AsylG Rn. 5; Fränkel in Hofmann, a.a.O. § 17 AsylG Rn. 6; Lehnert in Huber/Mantel, a.a.O. § 17 AsylG Rn. 4) bzw. der Ablehnungsgründe für Sachverständige gem. §§ 406, 41 f. ZPO entsprechend (vgl. Houben in Kluth/Heusch, a.a.O. § 17 AsylG Rn. 14) oder der Regelungen für Bedienstete im Verwaltungsverfahren gem. § 21 VwVfG entsprechend (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylG, a.a.O. § 17 Rn. 11.1; Marx, AsylG, a.a.O. § 17 Rn. 13) herangezogen werden.
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Ein wichtiger Grund für die Ablehnung - hier des Dolmetschers - ist danach, wenn beispielsweise persönliche Spannungen bestehen, der Dolmetscher persönlich involviert ist oder religiöse, ethnische oder politische Gründe bestehen (vgl. Hailbronner, a.a.O. § 17 AsylG Rn. 10; Marx, AsylG a.a.O. § 17 Rn. 14; Pelzer in Decker/ Bader/Kothe, a.a.O. § 17 AsylG Rn. 5; Fränkel in Hofmann, a.a.O. § 17 AsylG Rn. 5; Funke-Kaiser in GK-AsylG, a.a.O. § 17 Rn. 11). Erforderlich ist, dass ein vernünftiger und individuell in der Person des Dolmetschers vorhandener Grund vorliegt, der den Asylbewerber von seinem Standpunkt aus befürchten lässt, der Dolmetscher werde nicht ausreichend unparteiisch übersetzen (vgl. Marx, AsylG, a.a.O. § 17 Rn. 14). Hierzu müssen objektive Tatsachen vorliegen, die aus der Sicht eines vernünftig denkenden Menschen geeignet sind, den subjektiven Zweifel rational zu rechtfertigen (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylG, a.a.O. § 17 Rn. 11.1). Dies ist hier nicht der Fall.
31
Die Klägerin hat hier nach ihrer Anhörung zu ihren persönlichen Angaben und ihren Reisewegen die - weitere - Zusammenarbeit mit dem marokkanischen Dolmetscher mit der Begründung verweigert, dass „Marokko das Problem verursacht hat, dass Leute aus der Westsahara heute in Algerien leben müssen“ und ihr „Großvater während des Krieges mit Marokko ums Leben gekommen“ sei; ihr Großvater sei „von Marokkanern angeschossen“ worden. Dieser Vortrag stellt keine ausreichend tragfähigen Gründe dar, die Person des hier beigezogenen Dolmetschers abzulehnen. Abgesehen davon, dass der Vortrag viel zu oberflächlich und vage bleibt, werden hieraus auch keine religiösen, ethnischen oder politischen Gründe ersichtlich, die Zweifel an der Unvoreingenommenheit des - den vorhergehenden Vortrag der Klägerin nach ihren eigenen Angaben beanstandungslos übersetzenden - Dolmetschers nahelegen könnten. Allein die Staatsangehörigkeit des Dolmetschers genügt hier nicht, zu befürchten, der Sprachmittler werde nicht ausreichend unparteiisch übersetzen.
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Dementsprechend ist das Urteil des Verwaltungsgerichts abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen. Anhaltspunkte, die eine andere Beurteilung zuließen, wurden seitens der Klägerin bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2021 - 1 C 2.21 - juris Rn. 24 f.; U.v. 7.9.2021 - 1 C 47.20 - juris Rn. 12; U.v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 - juris Rn. 9; BVerfG, B.v. 20.9.2001 - 2 BvR 1392/00 - juris Rn. 17) nicht vorgetragen (vgl. dazu: VG Cottbus, B.v. 31.5.2018 - VG 4 L 307/18.A - juris Rn. 14 f.).
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Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Klägerin zu tragen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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Die Revision war gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die Frage, ob der Antrag eines Asylsuchenden auf internationalen Schutz, welcher seiner Mitwirkungspflicht im Verfahren nach § 25 AsylG durch Ablehnung eines Dolmetschers nicht nachkommt, gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG in Übereinstimmung mit der RL 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, 60) als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, ist bisher höchstrichterlich nicht geklärt.