Titel:
Kein Entschädigungsanspruch von arbeitsunfähig Erkrankten für die Dauer einer Quarantäneanordnung
Normenketten:
IfSG § 2 Nr. 4, Nr. 5, § 30 Abs. 1 S. 3, § 31, § 56 Abs. 1 S. 2, § 58
GG Art. 3 Abs. 1
Leitsätze:
1. Arbeitsunfähig Erkrankte haben keinen Anspruch auf eine Verdienstausfallentschädigung für die Dauer einer gegen sie gerichteten Quarantäneanordnung. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Ausdehnung der Entschädigungspflicht bei Quarantäneanordnungen zugunsten von nicht krankentagegeldversicherten Kranken oder krankheitsverdächtigen Personen ist nicht gerechtfertigt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verdienstausfallentschädigung, Kranker, Selbständiger, keine Alleinursächlichkeit bei arbeitsunfähig Erkrankten, keine Billigkeitsentschädigung für bewusst Nichtversicherte, Corona, Quarantäne, Ursächlichkeit, Verdienstausfall, Entschädigungsanspruch, Nichtversicherte, Selbständige, arbeitsunfähig, Kranke, Krankheitsverdächtige, Krankentagegeld
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 03.04.2023 – 20 ZB 23.552
Fundstelle:
BeckRS 2022, 8970
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Zahlung einer Verdienstausfallentschädigung sowie die Erstattung von Aufwendungen für soziale Sicherung.
2
1. Der Kläger betreibt als selbständiger Einzelunternehmer eine B. mit angeschlossener S. Im Oktober 2020 erkrankte er an Covid-19 und war deshalb im Zeitraum vom 14. Oktober 2020 bis einschließlich 31. Oktober 2020 krankgeschrieben. Für den Zeitraum 18. Oktober 2020 bis einschließlich 30. Oktober 2020 ordnete das Landratsamt Schweinfurt ihm gegenüber gem. § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG eine Quarantäne an. Während diesem Zeitraum ruhte der Betrieb des Klägers zu 90%.
3
Am 2. Juni 2021 stellte der Kläger bei der Regierung von Unterfranken einen Antrag auf Verdienstausfallentschädigung für Selbständige nach § 56 Abs. 1 IfSG sowie auf Erstattung seiner Aufwendungen für soziale Sicherung nach § 58 IfSG.
4
Mit Bescheid vom 28. Juli 2021 lehnte die Regierung von Unterfranken den Antrag des Klägers ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs nach § 56 Abs. 1 IfSG sei, dass der von der Absonderung Betroffene gerade aufgrund der Absonderung einen Verdienstausfall erleide. Die Absonderung müsse alleinursächlich für den erlittenen Dienstausfall sein. An einer solchen Alleinursächlichkeit fehle es jedoch vorliegend, da der Kläger während der Absonderung arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und deshalb seiner Erwerbstätigkeit nicht habe nachgehen können.
5
2. Der Kläger ließ mit Schriftsatz vom 27. August 2021, bei Gericht eingegangen am 30. August 2021, Klage erheben und hierin und mit weiterem Schriftsatz vom 4. Januar 2022 zur Begründung im Wesentlichen ausführen: Dass die Quarantäne für den eingetretenen Verdienstausfall allein ursächlich sein müsse, lasse sich nicht aus dem Gesetzestext des § 56 Abs. 1 IfSG herauslesen. Das Wort „gerade“ fände sich im Normtext nicht. Eine derartige Auslegung sei daher nicht zwingend. Darüber hinaus komme im Regelfall erst die Krankheit und dann die Quarantäne. Wenn die Quarantäne aber Folge der meist mit Arbeitsunfähigkeit einhergehender Krankheit sei, verbiete sich eine Gesetzesauslegung wonach eine Alleinursächlichkeit der Quarantäne gefordert werde. Richtig sei allenfalls, dass die Entschädigungsvorschriften des IfSG subsidiär gegenüber anderen Ansprüche auf Entschädigung seien. Da der Kläger selbstständig tätig sei, trete die bei Arbeitnehmern übliche Entgeltfortzahlung nach dem EFZG für dessen Verdienstausfall nicht ein. Eine Krankentagegeldversicherung, welche seinen Verdienstausfall abdecken würde, besitze er nicht. Da eine solche für Selbstständige gesetzlich nicht vorgeschrieben sei, könne ihm das Fehlen einer solchen Versicherung nicht zum Vorwurf gemacht werden. Nachdem er keine anderweitige Entschädigung erhalte, seien die subsidiären Vorschriften des IfSG anzuwenden. Die von der Beklagten geforderte Alleinursächlichkeit würde zu absurden Ergebnissen führen. So würde derjenige, der während der Quarantäne nur leicht erkranke eine Entschädigung erhalten, wohingegen derjenige, der so schwer erkranke, dass er arbeitsunfähig sei, diese Leistung nicht erhalte. Die Gesetzesbegründung zur Vorgängerregelung aus dem BSeuchG stütze den Anspruch des Klägers. Denn hiernach sei es angezeigt, den von einem Berufsverbot Betroffenen Leistungen zu gewähren, die sie als Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten würden, weil sie vom Schicksal in ähnlicher Weise betroffen seien wie Kranke. Dass in dieser Gesetzesbegründung eine Ausdehnung des entschädigungsberechtigten Personenkreises auf Krankheitsverdächtige oder Tuberkulosekranke als nicht sachgerecht bewertet werde, da Krankheitsverdächtige im Sinne dieses Entwurfes krank seien, mit Rücksicht auf die Krankheitserscheinungen arbeitsunfähig seien und daher Leistungen der Krankenversicherung einträten, wenn sie versichert seien, stehe zu den Gesetzen der Logik im Widerspruch. Man sei entweder krank oder krankheitsverdächtig. Außerdem sei nicht jeder Krankheitsverdächtige arbeitsunfähig, da viele wenig Symptome aufweisen würden. Der Beklagte würde, indem er durch eine teleologische Erweiterung des § 56 Abs. 1 IfSG auch arbeitsfähige Kranke in den Anwendungsbereich der Norm miteinbeziehe, einräumen, dass eine Alleinursächlichkeit der Absonderung für den erlittenen Verdienstausfall zu Verletzungen des Gleichheitsgrundsatzes führe. § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG sehe eine Entschädigung auch für sonstige Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 3 IfSG vor. Jeder arbeitsunfähig an Covid-19 Erkrankter sei auch ein sonstiger Träger von Krankheitserregern. Da der Kläger ein solcher gewesen sei, deshalb Verbote in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit habe hinnehmen müssen und dadurch einen Verdienstunfall erlitten habe, habe er einen Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 3.609,37 EUR. Diese setze sich aus einem Betrag von 2.931,70 EUR Nettoeinkommen sowie 677,67 EUR für die laufenden Ausgaben zur sozialen Sicherung zusammen.
6
Mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2021 erwiderte der Beklagte: Der Kläger habe keinen solchen Anspruch, da er aufgrund seiner Covid-19 Infektion während seiner Absonderung keinen auf der Absonderung beruhenden Verdienstausfall erlitten habe. Der Kreis der Entschädigungsberechtigten werde in § 56 Abs. 1 IfSG abschließend definiert. „Kranke“ im Sinne des § 2 Nr. 4 IfSG seien nicht entschädigungsberechtigt. Der Gesetzgeber habe arbeitsunfähige „Kranke“ im Sinne des § 2 Nr. 4 IfSG bewusst vom Anwendungsbereich des § 56 IfSG ausgeschlossen. Dabei habe er sich erkennbar am Grundsatz der Alleinursächlichkeit orientiert. Dies ergebe sich sowohl aus dem Wortlaut der Vorschrift - „Wer auf Grund“ - als auch aus der Gesetzesbegründung zur Vorgängerregelung des § 56 Abs. 1 IfSG aus dem BSeuchG und werde durch § 56 Abs. 7 IfSG bestätigt. Die Erwägungen der Gesetzesbegrünung bedürften zwar hinsichtlich der Übertragung auf die geltende Sach- und Rechtslage zweierlei Anpassung. Der Status des Krankheitsverdächtigen setze gemäß § 2 Nr. 5 IfSG im Gegensatz zur damaligen Rechtslage nicht mehr voraus, dass die betroffene Person erkrankt sei, sodass diese Personengruppe mittlerweile auch als mögliche Gläubiger eines Anspruchs auf Verdienstausfallentschädigung in § 56 Abs. 1 IfSG genannt seien. Zum anderen greife auch die gesetzgeberische Vorstellung, dass Kranke im Sinne des § 2 Nr. 4 IfSG stets arbeitsunfähig krank seien mit Blick auf nur leicht symptomatisch Verläufe von Covid-19 dahingehend zu kurz, dass aus dem Status „krank im Sinne des IfSG“ nicht zwingend der Status „arbeitsunfähig krank“ folge. Zur Vermeidung von Schutzlücken sei die Regelung des § 56 Abs. 1 IfSG deshalb derart teleologisch zu erweitern, dass auch die „arbeitsfähigen Kranken“ in den Schutz und Anwendungsbereich der Vorschrift einbezogen werden. Dies entspreche der bayernweit einheitlichen Vollzugspraxis. Jedoch sei deutlich erkennbar, dass sich der Gesetzgeber bewusst dafür entschieden habe nur „Ausscheider“, „Ansteckungsverdächtige“ und „Krankheitsverdächtige“, nicht hingegen „Kranke“ von der Regelung des § 56 Abs. 1 IfSG zu erfassen, da sich nur für die erstgenannten Personengruppen ein auf dem Tätigkeitsverbot bzw. der Absonderung beruhender Verdienstausfall ergeben könne. Dem Entschädigungstatbestand liege damit das Prinzip der Monokausalität zugrunde. An dieser fehle es jedoch, wenn und soweit der Betroffene während der Absonderung arbeitsunfähig krank ist, da der Verdienstausfall insoweit bereits durch die Arbeitsunfähigkeit bedingt wird. Soweit Selbstständige während eines Tätigkeitsverbot oder einer Absonderung arbeitsunfähig krank sind und in Ermangelung einer Krankentagegeldversicherung ein Verdienstausfall erlitten, bestehe nach Willen des Gesetzgebers kein Bedürfnis sie vom Entschädigungstatbestand des § 56 Abs. 1 IfSG zu erfassen, da sie auch im Falle einer anderweitigen Erkrankung, die zur Arbeitsunfähigkeit führt, keine Leistungen erhalten würden. Es realisiere sich damit vielmehr das für die Selbstständigkeit wesenstypische unternehmerische Risiko in Form des erkrankungsbedingten Verdienstausfalls. Dies führe entgegen der Ansicht des Klägers auch zu keinem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, da sich insoweit keine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem ergebe. Vielmehr führe der Ausschluss der arbeitsunfähig Kranken die gängige Kategorie der Arbeitsunfähigkeit fort und billige denjenigen einen Anspruch auf Entschädigung zu, die allein aufgrund der staatlichen Maßnahme ein Verdienstausfall erlitten. Mangels Entschädigungsanspruchs nach § 56 Abs. 1 IfSG habe der Kläger auch kein Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen für soziale Sicherung.
7
3. Der Klägerbevollmächtigte b e a n t r a g t e in der mündlichen Verhandlung am 17. Januar 2022,
der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids der Regierung von Unterfranken vom 28. Juli 2021 dazu verpflichtet, dem Kläger wie beantragt die Verdienstausfallentschädigung sowie die Erstattung von Aufwendungen für die soziale Sicherung in Höhe von insgesamt 3.609,37 EUR zu gewähren.
8
Der Beklagtenvertreter b e a n t r a g t e,
9
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 17. Januar 2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
10
Die zulässige Klage ist unbegründet.
11
Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Verdienstausfallentschädigung und Erstattung von Aufwendungen für die soziale Sicherung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), da arbeitsunfähige Kranke i. S. d. § 2 Nr. 4 IfSG im Rahmen des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG und § 58 Satz 1 IfSG nicht anspruchsberechtigt sind.
12
Gem. § 56 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG in der zum Zeitpunkt der Quarantäne im Oktober 2020 maßgeblichen Fassung mit Gültigkeit vom 23. Mai 2020 bis 18. November 2020 (vgl. zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage i. R. d. § 56 IfSG : VG Bayreuth, U.v. 21.6.2021 - B 7 K 21.110 - juris) erhält wer auf Grund des IfSG als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, eine Entschädigung in Geld. Das Gleiche gilt für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtige abgesondert wurden oder werden.
13
Vorliegend war der Kläger zwar i. S. d. § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG abgesondert worden. Der Anspruch scheitert jedoch daran, dass er arbeitsunfähig an Covid-19 erkrankt war.
14
§ 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG definiert den Kreis der Antragsberechtigten abschließend als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtige i. S. d. IfSG. Da der Kläger jedoch arbeitsunfähig an Covid-19 erkrankt war, war er Kranker i. S. d. § 2 Nr. 4 IfSG und daher nicht antragsberechtigt. Dies ergibt sich schon aus dem eindeutigen Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG.
15
Dass Kranke nicht vom Kreis der Entschädigungsberechtigten umfasst sind entspricht auch der Intention des Gesetzgebers. Dieser führte in der Gesetzesbegründung zu § 48 BSeuchG, welcher nahezu unverändert als § 56 in das Infektionsschutzgesetz übernommen wurde (vgl. BT-Drs. 14/2530, 88) aus:
„Die Vorschrift stellt eine Billigkeitsregelung dar. Sie bezweckt keinen vollen Schadensausgleich, sondern eine gewisse Sicherung der von einem Berufsverbot Betroffenen vor materieller Not. Diese Personen sind Störer im polizeirechtlichen Sinne. Da sie vom Schicksal in ähnlicher Weise betroffen sind wie Kranke, erscheint es angezeigt, ihnen Leistungen zu gewähren, wie sie sie als Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung im Krankheitsfalle erhalten würden. Eine weitere Ausdehnung des entschädigungsberechtigten Personenkreises, etwa auf Krankheitsverdächtige oder Tuberkulosekranke, wäre nicht sachgerecht. Krankheitsverdächtige im Sinne des Entwurfs sind krank, wie sich aus der Begriffsbestimmung nach § 2 ergibt. Sie sind durchweg auch mit Rücksicht auf die Krankheitserscheinungen, die den speziellen Krankheitsverdacht begründen, arbeitsunfähig, so daß die Leistungen der Krankenversicherung eintreten, wenn es sich um Versicherte handelt. Ein Bedürfnis, insoweit eine Entschädigungsregelung für die Nichtversicherten vorzusehen, besteht nicht, da diese Personen auch im Falle einer anderweitigen Erkrankung aus der gesetzlichen Krankenversicherung nichts erhalten würden. Tuberkulosekranke können allerdings, je nach den Umständen des Einzelfalles, arbeitsfähig sein. Für diesen Personenkreis ist indessen eine Sonderregelung im Tuberkulosehilfegesetz vorgesehen“ (BT-Drs. III/1888, 27).“
16
Hiernach hat der Gesetzgeber ausdrücklich Kranke aus dem Anwendungsbereich der Entschädigungsregelung ausgenommen und hierbei insbesondere bewusst davon abgesehen, eine Entschädigungsregelung für Nichtversicherte zu normieren, da diese Personen auch im Falle anderweitiger Erkrankungen nichts erhalten würden. Dass in der Begründung Krankheitsverdächtige als krank bezeichnet wurden und nunmehr Krankheitsverdächtige gem. § 56 Abs. 1 IfSG anspruchsberechtigt sind, führt nicht dazu, dass nun auch Kranke antragsberechtigt wären oder die Gesetzesbegründung nicht mehr den gesetzgeberischen Willen darstellt. Die Ursprungsfassung der Vorschrift im BSeuchG 1961 hatte insoweit einen von der heutigen Legaldefinition abweichenden Begriff des Krankheitsverdächtigen zum Hintergrund, demzufolge Krankheitsverdächtige stets erkrankt waren (vgl. BT-Drs. 3/1888, 2 u. 20). Nach den heutigen Begriffsbestimmungen in § 2 Nrn. 4 und 5 IfSG ist nunmehr zwischen Krankheitsverdächtige und Kranke zu differenzieren (vgl. Kümper in: Kießling, IfSG, 2. Aufl. 2021, § 56 Rn. 8). Da die Krankheitsverdächtigen und Kranken i. S. d. BSeuchG 1961 heute beide unter die Definition der Kranken gem. § 2 Nr. 4 IfSG fallen würden, kann der Gesetzesbegründung insoweit weiterhin entnommen werden, dass Kranke keine Entschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG erhalten sollen.
17
Dass der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung beim Ausschluss von Erkrankten davon ausging, dass diese arbeitsunfähig seien und aufgrund der Leistungen ihrer Krankenversicherung nicht in den Kreis der Entschädigungsberechtigten aufgenommen werden müssten, mag möglicherweise die Praxis des Beklagten der entsprechenden Anwendung der Entschädigungsregeln auf Kranke i.S.d. IfSG, die nicht arbeitsunfähig erkrankt, sind rechtfertigen, führt jedoch nicht dazu, dass auch arbeitsunfähig Erkrankte einen Anspruch erhalten würden. Dies stünde im klaren Widerspruch zur oben zitierten gesetzgeberischen Intention arbeitsunfähig Erkrankte aus der Regelung auszunehmen.
18
Eine Auslegung oder entsprechende Anwendung dahingehend, dass eine Antragsberechtigung des Klägers bestehe, da er mangels Krankentagesgeldversicherung im Gegensatz zu anderen arbeitsunfähigen Kranken keine Leistungen erhalte und deshalb aufgrund des Charakters des § 56 Abs. 1 IfSG als Billigkeitsleistung eine Entschädigung erhalten müsse, scheidet ebenfalls aufgrund des klaren gesetzgeberischen Willens, die Entschädigung nicht auf nichtversicherte Kranke auszudehnen, da diese auch im Falle einer anderweitigen Erkrankung keine Leistungen der Krankenversicherung erhalten würden (vgl. BT-Drs. III/1888, 27), aus. Darüber hinaus ist § 56 Abs. 1 IfSG als Billigkeitsanspruch ohnehin eng auszulegen (Erdle, IfSG, 8. Aufl. 2021, S. 190).
19
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass es keine gesetzliche Verpflichtung für Selbständige zum Abschluss einer Krankentagegeldversicherung gibt. Dies begründet keinen Anspruch auf die Billigkeitsleistung. Die Entscheidung, keine solche Versicherung abzuschließen, ist ausschließlich der Risikosphäre des Selbständigen zuzuordnen. Wird keine solche Versicherung abgeschlossen, wird bewusst die Entscheidung getroffen im Falle jeglicher Erkrankung, welche zu einer Arbeitsunfähigkeit führt, keine entsprechenden Leistungen zu erhalten. Wenn der Selbständige dieses Risiko mit einkalkuliert, muss er es sich auch dahingehend entgegenhalten lassen, dass es billig ist, ihm die Entschädigung zu verwehren.
20
Der klägerische Vortrag, er sei aufgrund seiner Erkrankung auch sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 3 IfSG, führt ebenfalls nicht zu einer Antragsberechtigung. Insoweit ist zunächst bereits fraglich, ob dies zu einer Antragsberechtigung nach § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG führen würde, da diese nur in Satz 1 als Antragsberechtigte aufgeführt sind. Jedenfalls war der Kläger aber schon nicht sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 3 IfSG. Solche sind Personen, die Krankheitserreger so in oder an sich tragen, dass im Einzelfall die Gefahr einer Weiterverbreitung besteht (sog. Carrier). Bei ihnen ist positiv nachgewiesen, dass eine Ansteckung mit einem Krankheitserreger vorliegt. Mangels bestehender Symptome sind diese Personen jedoch nicht als Kranke oder Krankheitsverdächtige zu qualifizieren (Johann/Gabriel in BeckOK, InfSchR, 11. Ed. 1.4.2022, IfSG § 31 Rn. 12; Kießling, IfSG, 2. Aufl. 2021, § 31 Rn. 6). Da der Kläger jedoch Kranker i. S. d. § 2 Nr. 4 IfSG war, war er kein sonstiger Träger von Krankheitserregern.
21
Der mangelnden Antragsberechtigung des Klägers steht auch nicht Art. 3 GG entgegen, da arbeitsunfähige Kranke nach § 56 Abs. 1 IfSG, unabhängig davon, ob Arbeitnehmer oder nicht, keinen Anspruch auf die Verdienstausfallentschädigung haben und daher diesbezüglich schon keine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung vorliegt. Da schon keine Ungleichbehandlung in Bezug auf arbeitsunfähig Erkrankte vorliegt, ist der klägerische Vortrag, es bestünde eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen Erkrankten, die aufgrund der Erkrankung einen Anspruch auf Versicherungsleistungen bzgl. ihres Verdienstausfalles hätten, und Erkrankten, die mangels Versicherungsschutzes, zu welchem sie schon nicht gesetzlich verpflichtet seien, keinen solchen Anspruch hätten und daher in die Gefahr materieller Not kommen könnten, unerheblich. Jedenfalls wäre eine solche Ungleichbehandlung aber gerechtfertigt, da Letztere gerade die Entscheidung getroffen haben, sich nicht durch Versicherungen vor diesem Risiko zu schützen. Einer Ungleichbehandlung von arbeitsunfähigen Kranken und nach § 56 Abs. 1 IfSG Antragsberechtigten liegt der sachgemäße Differenzierungsgrund der Erkrankung zu Grunde.
22
Ein Anspruch ergibt sich auch nicht auf Grund der Gesetzesänderung des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG zum 31. März 2021, nach der auch Kranke i. S. d. § 2 Nr. 4 IfSG einen Anspruch auf eine Verdienstausfallentschädigung haben können. Davon abgesehen, dass hierdurch wohl lediglich ein Anspruch für arbeitsfähig Erkrankte normiert wurde, scheitert ein Anspruch jedenfalls daran, dass der Änderung nach der Gesetzesbegründung keine Rückwirkung zukommt (BTDrs. 19/27291, S. 61).
23
Damit ist der Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG im vorliegenden Fall nicht gegeben.
24
In der Folge besteht auch kein Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für soziale Sicherung gem. § 58 Satz 1 IfSG, da hierfür der Anspruch gem. § 56 Abs. 1 IfSG Voraussetzung wäre.
25
Gemäß vorstehender Erwägungen war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
26
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.