Inhalt

VGH München, Beschluss v. 07.04.2022 – 8 M 22.584
Titel:

Erstattung von Aufwendungen für zwei Privatgutachten

Normenkette:
VwGO § 151, § 162 Abs. 1, § 165
Leitsätze:
1. Die Erstattungsfähigkeit eines eingeholten privaten Gutachtens erfordert in jedem Fall, dass dieses in den Prozess eingeführt wurde, also in der Regel, dass es im Gerichtsverfahren auch vorgelegt worden ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Soweit von einem Fachbeistand nur gegenüber einem Prozessbeteiligten oder dessen Bevollmächtigten schriftlich oder mündlich Stellungnahmen abgegeben wurden, stellen diese als bloße Vorbereitungshandlungen keine iSd Gesetzes notwendigen Auslagen dar. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss, Aufwendungen für Privatgutachten, Einführung in den Prozess, Kostenfestsetzungsbeschluss, Erinnerung, Auslagen, Erstattung, Aufwendungen, Privatgutachten
Fundstelle:
BeckRS 2022, 8447

Tenor

I. Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Erinnerungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Tatbestand

I.
1
Die Antragsteller begehren die in einem Kostenfestsetzungsbeschluss verwehrte Festsetzung der Erstattung von Aufwendungen für zwei Privatgutachten.
2
1. Die Antragsteller hatten sich mit Normenkontrollantrag vom 10. Juli 2020, begründet mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2020, gegen die Verordnung des Landratsamts Oberallgäu vom 10. Juli 2019 zur Änderung der Verordnung über das Wasserschutzgebiet für die öffentliche Wasserversorgung S* … im Markt W* … gewandt. Sie hatten u.a. eingewandt, die Schutzfähigkeit der Brunnen sei fraglich (v.a. bei Hochwasser oder höheren Abflussverhältnissen im W* … Bach). Die Alternativenprüfung sei unzureichend. Das Schutzgebiet zerstöre ihren Landwirtschaftsbetrieb.
3
Mit Verordnung vom 25. März 2021 hob der Antragsgegner die angegriffene Verordnung auf. Nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen stellte der Senat das Verfahren mit Beschluss des Berichterstatters vom 25. Mai 2021 (Az. 8 N 20.1599) ein und erlegte die Verfahrenskosten dem Antragsgegner auf.
4
2. Am 22. Juli 2021 haben die Antragsteller die Kostenfestsetzung beantragt. Der Kostenfestsetzungsantrag enthält u.a. Aufwendungen für ein Gutachten des Landwirtschaftlichen Beratungsdienstes …, … … (Rechnung vom 3.3.2021 über 4.110,08 EUR) sowie für ein Gutachten des Dr. D* … Grundwasser Ingenieurbüros (Rechnung vom 21.5.2021 über 2.875,00 EUR). Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 9. Februar 2022 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichtshofs die zu erstattenden notwendigen Aufwendungen auf 1.493,45 EUR festgesetzt; die Aufwendungen für die o.g. Gutachten seien nicht erstattungsfähig.
5
3. Mit ihrem Antrag auf Entscheidung des Gerichts verfolgen die Antragsteller ihr Kostenfestsetzungsbegehren hinsichtlich der beiden Privatgutachten weiter. Für die Antragstellung und Begründung zu diffizilen Fragen der Schutzwürdigkeit der Brunnen, der Geeignetheit von Schutzanordnungen und der hydrogeologischen Gegebenheiten vor Ort sei die Unterstützung durch den Gutachter Dr. D. unverzichtbar gewesen, zumal sich der Antragsgegner des regelmäßig überragenden Sachverstands des Wasserwirtschaftsamts bedient habe. Die Begutachtung ihres Betriebs durch den landwirtschaftlichen Sachverständigen M. sei notwendig gewesen, um die Betroffenheit durch das Schutzgebiet und deren Umfang fundiert darstellen zu können; der Beigeladene habe sich diesbezüglich ebenfalls sachverständiger Unterstützung bedient.
6
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichtshofs hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
7
Die zulässige Erinnerung hat keinen Erfolg.
8
1. Für die Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Erinnerung) gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss entscheidet das Gericht in der Besetzung, in der die zugrundliegende Kostenlastentscheidung getroffen wurde (vgl. BayVGH, B.v. 3.12.2003 - 1 N 01.1845 - BayVBl 2004, 505 = juris Rn. 9 ff.; Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 165 Rn. 22). Da der Einstellungsbeschluss durch den Berichterstatter nach § 87a Abs. 1 Nr. 3 VwGO getroffen wurde, ist auch im Verfahren über die Erinnerung der Berichterstatter für die Entscheidung zuständig.
9
2. Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 9. Februar 2022 ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 165 i.V.m. § 151 VwGO).
10
3. Die Erinnerung ist unbegründet. Die Aufwendungen der Antragsteller für die Gutachten des Diplom-Geologen Dr. D. und des landwirtschaftlichen Sachverständigen M. sind dem Grunde nach nicht erstattungsfähig gemäß § 162 Abs. 1 VwGO.
11
a) Nach § 162 Abs. 1 VwGO sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen erstattungsfähig. Die Notwendigkeit ist aus der Sicht eines verständigen Beteiligten zu beurteilen, der bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Dabei ist ex ante auf den Zeitpunkt der die Aufwendungen verursachenden Handlungen abzustellen; ohne Belang ist, ob sich diese im Nachhinein als erforderlich oder unnötig herausstellen. Die Kosten für private, d.h. nicht vom Gericht beauftragte Gutachten, können ausnahmsweise erstattungsfähig sein, wenn deren Beauftragung - etwa zur Vorbereitung des Verfahrens oder zur Erlangung der erforderlichen Sachkunde - geboten war. Zudem muss die Prozesssituation die Vorlage eines Privatgutachtens herausfordern und dessen Inhalt auf Förderung des Verfahrens zugeschnitten sein (vgl. BVerwG, B.v. 2.3.2020 - GrSen 1.19 - BVerwGE 168, 39 = juris Rn. 15; B.v. 11.4.2001 - 9 KSt 2.01 - NVwZ 2001, 919 = juris Rn. 3).
12
Bei wasserrechtlichen Streitigkeiten, in denen - wie hier - auf staatlicher Seite eine amtliche Auskunft oder ein Gutachten des Wasserwirtschaftsamts vorliegt, besteht die Besonderheit, dass diesen wegen dessen Fachkunde eine hervorgehobene Bedeutung zukommt. Will ein Beteiligter die fachlichen Aussagen des Wasserwirtschaftsamts ernsthaft erschüttern, bedarf es daher eines qualifizierten Vortrags, der sich nicht nur in ausreichendem Maß mit dem behördlichen Gutachten auseinandersetzt, sondern auch schlüssig aufzeigt, warum das dort gefundene Ergebnis nicht als vertretbar angesehen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2011 - 8 ZB 10.2312 - BayVBl 2012, 47 = juris Rn. 11). Hierzu wird ein Betroffener häufig ohne Hinzuziehung eines privaten Sachverständigengutachtens nicht in der Lage sein, weil ihm die besonderen Fachkenntnisse der staatlichen Seite fehlen, um fachspezifische Äußerungen des Wasserwirtschaftsamts infrage zu stellen (vgl. BayVGH, B.v. 12.11.2013 - 8 C 13.313 - JurBüro 2014, 309 = juris Rn. 13; B.v. 19.3.2014 - 2 M 13.1730 - juris Rn. 12; vgl. auch BVerfG, B.v. 12.9.2005 - 2 BvR 277/05 - NJW 2006, 136 = juris Rn. 23).
13
Die Erstattungsfähigkeit eines eingeholten privaten Gutachtens erfordert in jedem Fall, dass dieses in den Prozess eingeführt wurde, also in der Regel, dass es im Gerichtsverfahren auch vorgelegt worden ist. Denn nur dann kann es überhaupt seinen Zweck erfüllen, das Gericht durch qualifizierten Beteiligtenvortrag zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen zu veranlassen (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2008 - 22 M 08.2699 - BayVBl 2009, 738 = juris Rn. 13 m.w.N.). Soweit von einem Fachbeistand nur gegenüber einem Prozessbeteiligten oder dessen Bevollmächtigten schriftlich oder mündlich Stellungnahmen abgegeben wurden, stellen diese als bloße Vorbereitungshandlungen keine im Sinne des Gesetzes notwendigen Auslagen dar. Deshalb genügt es auch nicht, wenn der Inhalt einer solchen internen Stellungnahme in den Beteiligtenvortrag eingearbeitet wurde; dies gilt jedenfalls dann, wenn für das Gericht und die übrigen Prozessbeteiligten nicht hinreichend deutlich erkennbar ist, dass bestimmte Ausführungen eine vom fachlichen Beistand verantwortete Stellungnahme darstellen (vgl. OVG NW, B.v. 28.3.2017 - 9 E 572/16 - juris Rn. 81; NdsOVG, B.v. 9.4.2018 - 13 OA 9.18 - juris Rn. 9; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 162 Rn. 7; Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, § 162 Rn. 33).
14
b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
15
aa) Private Gutachten wurden dem Gericht im Normenkontrollverfahren nicht vorgelegt. Die Antragsbegründung vom 7. Oktober 2020 lässt auch nicht erkennen, dass sich der anwaltliche Vortrag auf gutachterliche Stellungnahmen des Grundwasser Ingenieurbüros Dr. D. oder des landwirtschaftlichen Sachverständigen M. stützen würde. Soweit von einem Fachbeistand nur gegenüber dem Bevollmächtigten interne Stellungnahmen abgegeben wurden, stellen diese als bloße Vorbereitungshandlungen keine notwendigen Auslagen i.S.d. § 162 Abs. 1 VwGO dar (vgl. oben Rn. 13).
16
bb) Hinsichtlich der Gutachtertätigkeit des Dr. D. kommt hinzu, dass das in dessen Rechnung vom 21. Mai 2021 angegebene Auftragsdatum (Auftrag vom 18.10 / 9.12.2020) bzw. der dort angeführte Leistungszeitraum (18.10.2020 bis 29.1.2021) zeitlich nach der Antragsbegründung (Schriftsatz vom 7.10.2020) liegen. Da der Normenkontrollantrag nach dem 7. Oktober 2020 nicht weiter begründet wurde, kann ausgeschlossen werden, dass ein Gutachten des Dr. D. von der Antragstellerseite zum Gegenstand des Normenkontrollverfahrens gemacht wurde.
17
cc) Betreffend das Gutachten des landwirtschaftlichen Sachverständigen M. fehlen Angaben zum Zeitpunkt der erbrachten Leistungen. Die im Kostenfestsetzungsverfahren vorgelegte Rechnung vom 3. März 2021 verweist diesbezüglich auf ein „als Anlage beigefügtes Zeitkonto“, das dem Senat nicht vorliegt. Inwieweit es sich aus Sicht eines verständigen Beteiligten als notwendig i.S.d. § 162 Abs. 1 VwGO erweisen kann, im Rahmen einer Normenkontrolle gegen eine Wasserschutzgebietsverordnung ein privates landwirtschaftliches Gutachten zur Ermittlung der Betroffenheit eines landwirtschaftlichen Betriebs und deren Ausgleichsmöglichkeiten zu ermitteln, bedarf nach alldem keiner Klärung (vgl. auch BayVGH, U.v. 25.1.2008 - 22 N 04.3471 - ZfW 2010, 177 = juris Rn. 44; U.v. 20.5.2009 - 22 N 07.1775 - juris Rn. 31 zum Einfluss des Einwands der Existenzgefährdung eines landwirtschaftlichen Betriebs auf die Verhältnismäßigkeit des Regelungssystems einer Wasserschutzgebietsverordnung).
18
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei (vgl. BVerwG, B.v. 4.7.2017 - 9 KSt 4.17 - NJW 2017, 3542 = juris Rn. 7), eine Streitwertfestsetzung somit entbehrlich.
19
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).