Inhalt

VGH München, Urteil v. 31.03.2022 – 20 B 18.422
Titel:

Keine Heranziehung zu Verbesserungsbeiträgen bei unwirksamer Rückwirkungsanordnung

Normenketten:
BayKAG Art. 5
VwGO § 124
Leitsatz:
Eine Rückwirkungsanordnung in einer Herstellungsbeitragssatzung ist unwirksam, wenn sie nicht erst ab dem Zeitraum gilt, zu dem die Verbesserungsmaßnahmen alle technisch abgenommen und damit „tatsächlich beendet“ waren, sondern auch für einen Zeitraum in der weiter zurückliegenden Vergangenheit, in dem der der Beitragserhebung zugrundeliegende Verbesserungsaufwand mangels Fertigstellung der Maßnahmen noch nicht entstanden war und deshalb im Wege einer endgültigen Beitragserhebung weder im Wege der Erhebung von Verbesserungsbeitragsbescheiden auf die Alt-, noch über den Verbesserungsaufwand enthaltende erhöhte Herstellungsbeiträge auf Neuanschließer umgelegt werden durfte. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verbesserungsbeitrag, Unwirksame Rückwirkungsanordnung in der Herstellungsbeitragssatzung, Abschluss der Verbesserungsmaßnahme, Rückwirkung, Herstellungsbeitragssatzung, Verbesserungsmaßnahme, Abschluss
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 18.10.2016 – AN 1 K 15.1391
Fundstelle:
BeckRS 2022, 8224

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.     
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.         Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.     
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Beitragsbescheiden. Mit Bescheiden vom 26. Februar 2014 wurde die Klägerin zu Verbesserungsbeiträgen auf Grundlage der Beitragssatzung für die Verbesserung und Erneuerung der Wasserversorgungseinrichtung des Zweckverbandes … … … vom 6. März 2013 (VES-WAS) für die Grundstücke der Gemarkung … mit den Flurnummern … … … … … … … … … … … … … … … … und … … … …, deren Eigentümer sie ist, herangezogen. Nach § 6 VES-WAS betrug der Beitragssatz 0,38 EUR/m² Grundstücksfläche und 1,76 EUR/m² Geschossfläche. Die Satzung zur Änderung der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung (1. Änderungssatzung zur Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung vom 15. Februar 2012 (BGS-WAS)) erließ der Beklagte mit selbem Datum (Grundstücksfläche 1,64 EUR/m² und 7,17 EUR/² Geschossfläche). Der Beitragssatz betrug 1,05 EUR/m² Grundstücksfläche und 4,55 EUR/m² Geschossfläche. Die technische Abnahme der zeitlich letzten abgerechneten Verbesserungsmaßnahmen (Befüll- und Entnahme Maschinenhaus … - Hochbehälter … und Hochbehälter … - Ortsnetz …*) ist am 4. September 2014 erfolgt.
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Gegen die Beitragsbescheide erhob die Klägerin Widerspruch und beantragte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Dem Antrag wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2014 stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beklagten blieb ohne Erfolg (Beschluss des Senats vom 9. Dezember 2014 - 20 CS 14.2399).
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Am 19. März 2015 erließ der Beklagte eine neue BGS-WAS (1,66 EUR/m² Grundstücksfläche und 7,63 EUR/m² Geschossfläche) und eine VES-WAS, deren Beitragssätze unverändert blieben, jeweils mit Rückwirkung zum 1. April 2013. Gegen den Widerspruchsbescheid vom 10. August 2015 erhob die Klägerin Klage, welcher mit Urteil vom 18. Oktober 2016 stattgegeben wurde.
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Das Verwaltungsgericht führte in seinem Urteil aus, die VES 2015 stelle keine geeignete Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung dar, weil sich die veranschlagten Beitragssätze nicht aus der Globalkalkulation zur BGS-WAS ergäben. Die Summe des der Berechnung zugrunde gelegten Herstellungsaufwands sei in rechtlich unzulässiger Weise ermittelt worden. Die Investitionskosten für die in den Jahren 2000 bis 2010 angefallenen Sachanlagen in Höhe von 1.387.802,65 EUR hätte schon deshalb nicht in voller Höhe angesetzt werden dürfen, weil diese Sachanlagen zunächst über einen Zeitraum von 10 Jahren über Gebühren finanziert worden, dann aber in voller Höhe in die Kalkulation der Herstellungskosten eingeflossen seien. Daraus ergebe sich eine Ungleichbehandlung der Altanschließer. Auf die Frage, ob die Geschossflächen auf den Flurnummern … und … zu Recht zu einem Beitrag herangezogen worden seien, weil möglicherweise die Nutzung des Gebäudes keinen Anschlussbedarf an die Wasserversorgung auslöse, komme es deshalb nicht an.
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Der Beklagte erließ während des Verfahrens auf Zulassung der Berufung am 12. Dezember 2016 erneut eine BGS-WAS (1,14 EUR/m² Grundstücksfläche und 5,26 EUR/m² Geschossfläche) und eine VES-WAS mit unveränderten Beitragssätzen mit Rückwirkung zum 1. April 2013 (§ 16 BGS-WAS und § 11 VES-WAS).
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Der Beklagte macht zur Begründung der Berufung geltend, die streitgegenständlichen Bescheide hätten mit der VES-WAS vom 12. Dezember 2016 eine gültige Rechtsgrundlage. Auch für die streitgegenständliche Lagerhalle bestehe eine Beitragspflicht.
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Der Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 18. Oktober 2016 die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin macht geltend, die Bescheide fänden auch im neuen Satzungsrecht keine gültige Rechtsgrundlage. Auch die neu erlassene BGS-WAS stelle einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen das Äquivalenzprinzip dar. Durch das neue Satzungsrecht würden diesmal die Altanschließer in Bezug auf die in der Vergangenheit bezahlten Beiträge, die über die neuen Beitragssätze hinausgingen, benachteiligt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Behördenakten, auch aus den Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung bleibt ohne Erfolg. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 26. Februar 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2015 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zum Zeitpunkt des Entstehens eines Verbesserungsbeitrages auf der Grundlage einer Verbesserungsbeitragssatzung mit Benutzbarkeit der verbesserten Einrichtung (vgl. Art. 5 Abs. 5 Satz 3 BayKAG) muss ein Einrichtungsträger nicht nur über eine wirksame Verbesserungsbeitragssatzung, sondern gleichzeitig auch über eine Herstellungsbeitragssatzung mit neu kalkulierten erhöhten Beitragssätzen (für Neuanschließer) verfügen. Anderenfalls liegt weder eine wirksame Verbesserungsbeitragssatzung noch eine wirksame Herstellungsbeitragssatzung vor (BayVGH, U.v. 27.2.2003 - 23 B 02.1032 - BayVBl 2003, 373). Diese Voraussetzungen waren zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Verbesserungsmaßnahmen am 4. September 2014 nicht erfüllt.
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Zur Klärung der Frage, ob die streitgegenständlichen Verbesserungsbeitragsbescheide vom 26. Februar 2014 auf wirksames Satzungsrecht gestützt werden können, ist auf das Satzungsrecht des Beklagten vom 16. Dezember 2016 abzustellen. Aufgrund der in § 16 der BGS-WAS und in § 11 der VES-WAS angeordneten Rückwirkung des zeitlichen Geltungsbereichs der Normen kommt als Rechtsgrundlage für die Beitragsbescheide vom 26. Februar 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2015 ausschließlich dieses Satzungsrecht in Betracht.
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In der vorliegenden Konstellation war es dem Beklagten grundsätzlich nicht verwehrt, durch den Erlass rückwirkenden Satzungsrechts den Verbesserungsbeitragsbescheiden eine Rechtsgrundlage zu verschaffen, da sowohl die Änderungssatzung zur BGS-WAS vom 6. März 2013 mit VES-WAS als auch die die BGS-WAS vom 19. März 2015 mit VES-WAS erheblichen rechtlichen Bedenken unterlagen. Die BGS-WAS und die VES-WAS vom 12. Dezember 2016 passten lediglich die Höhe der Beitragssätze aufgrund einer Neukalkulation an. Die rückwirkende Ersetzung eines unwirksamen Beitragsmaßstabs durch einen wirksamen Beitragsmaßstab ist in der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt. Dem etwaigen Vertrauen der Betroffenen, einen Beitrag nicht zahlen zu müssen, fehlt die Schutzwürdigkeit, weil die Betroffenen mit der Heranziehung zu einem Beitrag rechnen müssen (BVerwG, U.v. 15.4.1983 - 8 C 170.81 - juris).
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Die Rückwirkungsanordnung in § 16 der BGS-WAS vom 12. Dezember 2016 ist jedoch unwirksam mit der Folge, dass der Beklagte zum Zeitpunkt des Entstehens eines Verbesserungsbeitrages mit Benutzbarkeit der verbesserten Einrichtung weder über eine wirksame Verbesserungsbeitragssatzung noch über eine Herstellungsbeitragssatzung mit neu kalkulierten erhöhten Beitragssätzen verfügte und den streitgegenständlichen Beitragsbescheiden eine wirksame Rechtsgrundlage fehlt.
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Denn die Rückwirkungsanordnung erfasste nicht nur den Zeitraum ab dem 4. September 2014, zu dem die im Beschrieb der VES-WAS enthaltenen Verbesserungsmaßnahmen alle technisch abgenommen (und damit „tatsächlich beendet“) waren, sondern auch einen Zeitraum in der weiter zurückliegenden Vergangenheit, in dem der der Beitragserhebung zugrundeliegende Verbesserungsaufwand mangels Fertigstellung der Maßnahmen noch nicht entstanden war und deshalb im Wege einer (endgültigen) Beitragserhebung weder im Wege der Erhebung von Verbesserungsbeitragsbescheiden auf die Alt-, noch über den Verbesserungsaufwand enthaltende (erhöhte) Herstellungsbeiträge auf Neuanschließer umgelegt werden durfte. Die Rückwirkungsanordnung würde jedoch dazu führen, dass zu einem Zeitpunkt vor Entstehung des Verbesserungsaufwands Satzungsrecht (BGS-WAS) in Kraft getreten ist, das bereits um den Verbesserungsaufwand erhöhte/ergänzte Herstellungsbeitragssätze enthielt. Damit verstößt die Rückwirkungsanordnung gegen das Vorteils- und Äquivalenzprinzip und ist damit nichtig.
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Fehlt es jedoch an einer wirksamen Herstellungsbeitragssatzung zum Zeitpunkt des Entstehens eines Verbesserungsbeitrages mit Benutzbarkeit der verbesserten Einrichtung, ist auch die zeitgleich erlassene Verbesserungsbeitragssatzung unwirksam und damit keine wirksame Rechtsgrundlage für die Erhebung von Verbesserungsbeiträgen. Denn der Grundsatz der Gleichbehandlung, d.h. der gleichmäßigen Belastung aller Abgabepflichtigen verlangt, dass der Investitionsaufwand für Verbesserungsmaßnahmen an einer bestehenden öffentlichen Einrichtung gleichmäßig auf Alt- und Neuanschließer verteilt wird. Während der Verbesserungsaufwand für Neuanschließer als Gesamtaufwand in eine Herstellungsbeitragssatzung mit erhöhten Beitragssätzen einfließt, ist er auf Altanschließer im Wege eines Verbesserungsbeitrags umzulegen. Denn der Verbesserungsbeitrag beruht auf dem Prinzip der Einmaligkeit der Beitragserhebung und stellt die Differenz zwischen dem von Altanschließern geforderten Beitrag für die erstmalige Herstellung einer öffentlichen Einrichtung und dem von Neuanschließern zu fordernden (höheren) Herstellungsbeitrag für eine bereits hergestellte, mittlerweile verbesserte Einrichtung dar (vgl. zum Ganzen BayVGH, U.v. 29.4.2010 - 20 BV 09.2024 - juris Rn. 52; B.v. 7.5.2007 - 23 CS 07.833 - juris Rn. 6; B.v. 26.2.2007 - 23 ZB 06.3286 - juris Rn. 13 ff.; U.v. 27.2.2003 - 23 B 02.1032 - juris Rn. 22; siehe auch BayVerfGH, E.v. 6.11.1991 - Vf. 9-VII-90 - VerfGHE 44, 124 = BayVBl. 1992, 80, juris [Leitsatz]). Deshalb muss im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verbesserungsbeitragssatzung eine Herstellungsbeitragssatzung mit erhöhten Herstellungsbeitragssätzen für Neuanschließer vorliegen; anderenfalls liegt weder eine wirksame Verbesserungsbeitragssatzung noch eine wirksame Herstellungsbeitragssatzung vor (stRspr., vgl. BayVGH, B.v. 4.8.2015 - 20 ZB 15.1082 - juris Rn. 3; U.v. 14.4.2011 - 20 BV 11.133 - juris Rn. 34; B.v. 7.5.2007 - 23 CS 07.833 - juris Rn. 6; U.v. 27.2.2003 - 23 B 02.1032 - juris Rn. 23, B.v. 29.1.2018 - 20 CS 17.1824 - BeckRS 2018, 3078 Rn. 19).
19
Auf das zuvor geltende Satzungsrecht (Änderungssatzung BGS-WAS vom 6. März 2013 mit VES-WAS und BGS-WAS vom 19. März 2015 mit VES-WAS) kann nicht zurückgegriffen werden, weil es aufgrund der im Berufungsverfahren von keinem Beteiligten in Zweifel gezogenen tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ebenso unwirksam gewesen ist.
20
Die Entscheidung über die Kosten folgt § 155 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.
21
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.