Titel:
Erfüllungsübernahme eines Schmerzensgeldanspruchs
Normenketten:
BayBG Art. 97 Abs. 1 S. 1
VwGO § 114
Leitsätze:
1. Liegt eine unbillige Härte nach Art. 97 Abs. 1 S. 1 BayBG vor, besteht grundsätzlich kein weitergehendes Ermessen des Dienstherrn hinsichtlich des "Ob" der Erfüllungsübernahme eines Anspruchs auf Schmerzensgeld. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Grundsätzlich verbleibt dem Dienstherrn jedoch auch bei Vorliegen einer unbilligen Härte ein Auswahlermessen hinsichtlich der Höhe der Erfüllungsübernahme. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Rahmen des dem Dienstherrn nach Art. 97 Abs. 1 BayBG eingeräumten Auswahlermessens hat eine Überprüfung der Angemessenheit der Höhe des gerichtlich festgestellten Schmerzensgeldanspruchs nicht zu erfolgen. Der Dienstherr hat vielmehr die rechtliche Beurteilung aus dem zivilgerichtlichen Verfahren zugrundezulegen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Polizeibeamter, Erfüllungsübernahme eines Schmerzensgeldanspruchs, Reichweite des Auswahlermessens, keine Überprüfung der Angemessenheit des zivilgerichtlich festgestellten Schmerzensgeldanspruchs, Erfüllungsübernahme, Schmerzensgeldanspruch, Schmerzensgeld, Ermessen, unbillige Härte, Auswahlermessen, Angemessenheit, Versäumnisurteil, Zivilgericht
Fundstelle:
BeckRS 2022, 7233
Tenor
I. Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 28. April 2021, soweit dieser die Erfüllungsübernahme ablehnt, verpflichtet, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag des Klägers auf Erfüllungsübernahme vom 28. Dezember 2018 zu entscheiden.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um die Höhe der Erfüllungsübernahme eines Schmerzensgeldanspruchs durch den Beklagten.
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Der Kläger steht als Polizeivollzugsbeamter im Dienste des Beklagten. Im Rahmen eines Polizeieinsatzes am 25. März 2016 leistete ein Bürger Widerstand und stieß seinen Kopf gegen das rechte Knie des Klägers. Der Kläger erlitt hierdurch eine Prellung des rechten Knies. Ausweislich des Arztberichts des Klinikums A. vom 12. April 2016 bestand eine geringe Reizgussbildung sowie eine bone bruise-Struktur des medialen Femurkondylus ventromedial. Als Behandlung erhielt der Kläger Krankengymnastik, manuelle Therapie sowie Lymphdrainage und war bis zum 9. Mai 2016 dienstunfähig krankgeschrieben. Mit Versäumnisurteil des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 4. Juni 2018 wurde der Schädiger zu einer Schmerzensgeldzahlung von 4.000,00 EUR verurteilt. Die Schmerzensgeldforderung konnte jedoch nicht vollstreckt werden.
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Mit Antrag vom 28. Dezember 2018 beantragte der Kläger daher eine Erfüllungsübernahme durch den Beklagten. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 5. Juni 2019 abgelehnt. Zur Begründung wurde angeführt, es fehle an einem rechtskräftig festgestellten Anspruch. Ein Versäumnisurteil könne diese Voraussetzungen nur erfüllen, wenn das Schmerzensgeld der Höhe nach angemessen sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Vielmehr sei das Schmerzensgeld überhöht.
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Im Verfahren W 1 K 19.792 gab das Verwaltungsgericht Würzburg mit Urteil vom 28. Januar 2020 der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage teilweise statt und verpflichtete den Beklagten, unter Aufhebung des Bescheids vom 5. Juni 2019 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag des Klägers vom 28. Dezember 2018 auf Übernahme der Erfüllung des Schmerzensgeldanspruchs zu entscheiden. Die Annahme, das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 4. Juni 2018 erfülle nicht die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Erfüllungsübernahme, finde keine Grundlage im Wortlaut des Art. 97 Abs. 1 BayBG, da dieser nicht zwischen streitigen Urteilen und Versäumnisurteilen differenziere. Ein Ermessen bestehe auf Rechtsfolgenseite lediglich hinsichtlich der Höhe der Erfüllungsübernahme. Ein diesbezügliches Ermessen sei vom Beklagten jedoch bislang nicht ausgeübt worden. Die hiergegen eingelegte Berufung des Beklagten wurde mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Dezember 2020 (3 B 20.1556) zurückgewiesen. Eine Angemessenheitsprüfung nach Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG sei dem eindeutigen Wortlaut nach nur bei einem Vergleich nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO durchzuführen. Für eine analoge Anwendung des Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke und einer vergleichbaren Interessenslage.
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Daraufhin erklärte der Beklagte mit Teilanerkennungsbescheid vom 28. April 2021 eine Erfüllungsübernahme nach Art. 97 BayBG in Höhe von 2.000,00 EUR und lehnte den Antrag im Übrigen ab. Hinsichtlich des Auswahlermessens sei entscheidend, ob und inwieweit die im Rahmen des Schmerzensgeldanspruchs zu berücksichtigenden Körperschäden ausgeglichen und die zugrundeliegende Genugtuungsfunktion berücksichtigt wurden. Maßgeblich seien die Umstände des konkreten Einzelfalls. Nach der Beck‘schen Schmerzensgeldtabelle seien für vergleichbare Verletzungen Schmerzensgeldansprüche in Höhe von 920,33 EUR und 1.500,00 EUR zugesprochen worden. Beträge in der Größenordnung des vorliegend geltend gemachten Anspruchs seien bei Hinzutreten erheblicher weiterer bzw. dauerhafter Verletzungsfolgen zugesprochen worden. Die Vergleichsfälle lägen deutlich niedriger. Die Tatsache, dass es sich um einen tätlichen rechtswidrigen Angriff gehandelt habe, sei bei der Erfüllungsübernahme erhöhend als Ausfluss der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes berücksichtigt worden. Eine darüber hinausgehende Erfüllungsübernahme sei unangemessen hoch und könne weder durch die erlittenen Körperschäden noch durch die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes gerechtfertigt werden.
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Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 12. Mai 2021 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg erhoben. Zur Begründung führt er aus, der Bescheid der Beklagten vom 28. April 2021 sei ermessensfehlerhaft. Dies ergebe sich daraus, dass der Bescheid erstellt worden sei, ohne dass dem Beklagten hierfür die entsprechende Vorgangsakte vorgelegen habe. Der Beklagte habe daher gar nicht alle erforderlichen Einzelfallumstände berücksichtigen können. Nicht in die Entscheidung mit eingeflossen sei der Umstand, dass der Angriff in einer Situation erfolgt sei, in der der Schädiger bereits an Händen und Füßen gefesselt gewesen sei und damit nicht mehr einem nachvollziehbaren, wenn auch rechtlich nicht anerkannten Interesse des Schädigers beispielsweise an einer Flucht, sondern einzig und allein dem Zweck gedient habe, die Polizeibeamten zu schädigen. Auch sei unberücksichtigt geblieben, dass der Kläger auch noch nach der Wiederherstellung seiner Dienstunfähigkeit über vier Monate hinweg bei der Sportausübung unter Schmerzen gelitten habe. Ein Ermessensfehler ergebe sich weiterhin daraus, dass die Beklagte nicht auf das zivilrechtliche Urteil des Amtsgerichts Aschaffenburg zurückgreife, sondern auf Kurztexte einer Schmerzensgeldtabelle, ohne die jeweiligen Entscheidungen im Volltext zu sichten. Ob es sich bei den jeweiligen Urteilen um einen vergleichbaren Fall handele, könne jedoch nicht allein anhand des Verletzungsbildes bestimmt werden. Maßgeblich für die Vergleichbarkeit von Urteilen sei vielmehr auch, welche Verschuldensform vorgelegen habe, ob der Verletzte selbst hierzu einen Beitrag geleistet habe und inwieweit die allgemeine Lebensführung aufgrund der Verletzung beeinträchtigt sei. Auch sei das Alter der jeweiligen Entscheidungen zu berücksichtigen, da die Entwicklung der letzten 40 Jahre gezeigt habe, dass die Schmerzensgeldbeträge eine Steigerung weit oberhalb der Inflationsrate erfahren hätten und die Möglichkeiten der Kapitalisierung immaterieller Beeinträchtigungen immer weiter zunähmen. Auch könne aus einer vergleichbaren Entscheidung nur im Falle eines teilweise klageabweisenden Urteils geschlossen werden, dass ein höheres Schmerzensgeld nicht angemessen gewesen sei. Aus dem Bescheid ergebe sich auch nicht, wie der Beklagte zu der Einschätzung gelangt sei, dass die von ihm angeführten Entscheidungen die Schmerzensgeldhöhe zutreffender beschreiben als das im konkreten Fall ergangene Urteil des Amtsgerichts Aschaffenburg. Aus der Systematik und Zielsetzung des Art. 97 BayBG ergebe sich zudem, dass der Beklagte bei der Ermessensausübung, in welcher Höhe er einen Schmerzensgeldanspruch übernehme, sich auf solche Aspekte zu beschränken habe, die außerhalb des ursprünglichen zivilrechtlichen Verfahrens liegen. Diese würden maßgeblich in Art. 97 Abs. 1 Satz 1 letzter Hs. i.V.m. Abs. 2 BayBG beschrieben. Es handele sich um solche Fälle, in denen die Annahme einer unbilligen Härte aus beamtenrechtlichen Gesichtspunkten wie beispielsweise einem Verstoß gegen die Pflicht zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit fraglich erscheine. Es solle dagegen keine Richtigkeitskontrolle des vom Gesetz geforderten gerichtlichen Titels erfolgen. Die zivilrechtliche Bewertung durch das hierzu berufene Gericht sei bei der Ermessensentscheidung des Dienstherrn als zutreffend zugrunde zu legen. Eine Angemessenheitskontrolle sei vom Gesetz lediglich im Falle eines gerichtlichen Vergleichs vorgesehen. Ein Ermessensfehler ergebe sich auch daraus, dass der Beklagte in unzulässiger Weise danach differenziere, ob das Schmerzensgeld durch ein streitiges Urteil oder durch ein Versäumnis- bzw. Anerkenntnisurteil zugesprochen werde, und eine Teilübernahme nur bei Versäumnis- bzw. Anerkenntnisurteilen in Betracht ziehe. Dies verstoße gegen die im Gesetzeswortlaut angelegte und vom BayVGH bestätigte Gleichwertigkeit aller zivilgerichtlichen Urteile.
den Beklagten zu verpflichten, über den Erfüllungsübernahmeantrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts unter Abänderung des Bescheides vom 28. April 2021 erneut zu entscheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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Der Beklagte ist der Auffassung, auf Rechtsfolgenseite stehe dem Dienstherrn Ermessen hinsichtlich des Ob und der Höhe der Erfüllungsübernahme zu. Bei dem Erfordernis der unbilligen Härte handele es sich um eine Tatbestandsvoraussetzung, eine Ermessensentscheidung des Dienstherrn werde hierdurch jedoch nicht vorgegeben. Auch wenn kein Fall der Unfallentschädigung oder des Unfallausgleichs vorliege, führe dies nicht zwingend zu einer Erfüllungsübernahme in voller Höhe. Bei der Ermessensentscheidung seien alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen worden. Der Beklagte habe dabei über eine Kopie der Akte verfügt, in der alle wesentlichen Unterlagen enthalten gewesen seien. Insbesondere seien alle unfallbedingt erlittenen Verletzungen berücksichtigt und der Zeitraum der Krankschreibung einbezogen worden. Die Schmerzen des Klägers bei der Sportausübung seien nicht durch ärztliche Unterlagen belegt. Auch seien die herangezogenen Entscheidungen vergleichbar. Dem Urteil des Landgerichts Ellwangen sei ein grob fahrlässig verursachter Verkehrsunfall zugrunde gelegen. Der Unterschied zu einer vorsätzlichen Begehung sei hier nicht mehr allzu groß. Zudem sei der Umstand, dass es sich im Falle des Klägers um eine Vorsatztat gehandelt habe, bei der Ermessensentscheidung erhöhend berücksichtigt worden. Dem Alter der Entscheidung sei durch eine Preisindexbereinigung und zusätzlich durch eine weitere Anhebung des angemessenen Schmerzensgeldbetrags Rechnung getragen worden. Bei der Schmerzensgeldbemessung könnten auch die wirtschaftlichen Verhältnisse herangezogen werden. Dies sei bisher nicht erfolgt, führe im vorliegenden Fall jedoch eher zu einer Reduzierung des angemessenen Schmerzensgeldbetrags.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die dem Gericht vorliegende Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf erneute, ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Erfüllungsübernahmeantrag vom 28. Dezember 2018. Der Bescheid des Beklagten vom 28. April 2021 erweist sich, soweit eine Erfüllungsübernahme abgelehnt wurde, als ermessensfehlerhaft und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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Rechtsgrundlage für die Erfüllungsübernahme ist Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG. Danach kann der Dienstherr die Erfüllung eines rechtskräftig festgestellten Anspruchs auf Schmerzensgeld übernehmen, welcher daraus resultiert, dass ein Beamter in Ausübung des Dienstes oder außerhalb dessen wegen seiner Eigenschaft als Beamter einen tätlichen rechtswidrigen Angriff erleidet. Der Dienstherr kann den Anspruch bis zur Höhe des festgestellten Schmerzensgeldbetrages übernehmen, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist. Eine solche liegt nach Art. 97 Abs. 2 BayBG insbesondere vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500,00 EUR erfolglos geblieben ist.
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Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Erfüllungsübernahme nach Art. 97 BayBG liegen vor. Diesbezüglich wird auf das zuvor in gleicher Sache ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 28. Januar 2020 (W 1 K 19.792) und das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Dezember 2020 (3 B 20.1556) Bezug genommen. In den genannten Entscheidungen wurde hinsichtlich des auch im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Erfüllungsübernahmeantrags des Klägers vom 28. Dezember 2018 bereits geklärt, dass der durch Versäumnisurteil des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 12. April 2016 zugesprochene Schmerzensgeldanspruch die Tatbestandsvoraussetzung eines gerichtlich festgestellten Anspruchs auf Schmerzensgeld erfüllt und insbesondere auch das Vorliegen einer unbilligen Härte zu bejahen ist.
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Auf Rechtsfolgenseite räumt Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG dem Dienstherrn grundsätzlich Ermessen ein, den Anspruch auf Schmerzensgeld bis zur Höhe des festgestellten Schmerzensgeldbetrags zu übernehmen.
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Behördliche Ermessenentscheidungen unterliegen gem. § 114 S. 1 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle dahingehend, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder vom Ermessen in einer nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Art und Weise Gebrauch gemacht wurde (BVerwG, U.v. 28.9.2017 - 5 C 13/16 - juris, Rn. 11, BVerwG, U.v. 27.5.2010 - 5 C 8/09 - juris, Rn. 25).
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erweist sich die vom Beklagten im Bescheid vom 28. April 2021 getroffene Ermessensentscheidung als ermessensfehlerhaft. Die vom Beklagten im Rahmen des Auswahlermessens vorgenommene Überprüfung der Angemessenheit des gerichtlich zugesprochenen Schmerzensgeldes, die vorliegend zu einer Kürzung der Erfüllungsübernahme um 2.000,00 EUR führte, ist nicht vom Zweck der den Ermessensspielraum einräumenden Rechtsgrundlage gedeckt. Es liegt damit ein Ermessensfehler in Gestalt des Ermessensfehlgebrauchs vor.
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Bei Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG handelt es sich um eine Koppelungsvorschrift. Dem unbestimmten Rechtsbegriff der „unbilligen Härte“ auf Tatbestandsseite wird auf Rechtsfolgenseite Ermessen gegenübergestellt. Vorliegend besteht eine inhaltliche Verbindung zwischen dem unbestimmten Rechtsbegriff und dem auf Rechtsfolgenseite eingeräumten Ermessen. Der unbestimmte Rechtsbegriff der unbilligen Härte ragt in den Ermessensbereich hinein und nimmt bis zu einem gewissen Grad Einfluss auf Inhalt und Grenzen der Ermessensausübung. Hinsichtlich der Ausübung des Entschließungsermessens, der Frage des „Ob“ der Erfüllungsübernahme“, verbleibt der Behörde bei Vorliegen einer unbilligen Härte kein Spielraum, denn bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs „unbillige Härte“ ist bereits ein Großteil der Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die auch bei der Ausübung des Entschließungsermessens von Bedeutung sind. Bei der Normanwendung ergeben sich somit überwiegend Überschneidungen zwischen Tatbestands- und Rechtsfolgenseite. Liegt eine unbillige Härte vor, besteht daher kein weitergehendes Ermessen des Dienstherrn hinsichtlich des „Ob“ der Erfüllungsübernahme. Einzige Ausnahme bildet die Regelung des Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG. Wurde aufgrund desselben Sachverhalts eine einmalige Unfallentschädigung (Art. 62 BayBeamtVG) oder ein Unfallausgleich (Art. 52 BayBeamtVG) gezahlt, kann der Dienstherr im Rahmen seines Erschließungsermessens eine Erfüllungsübernahme verweigern (vgl. zum Ganzen BayVGH, U.v. 16.12.2020 - 3 B 20.1556, Rn. 40 ff.).
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Grundsätzlich verbleibt dem Dienstherrn jedoch auch bei Vorliegen einer unbilligen Härte ein Auswahlermessen hinsichtlich der Höhe der Erfüllungsübernahme. Dieses Auswahlermessen ist nicht beschränkt auf die Fälle des Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG, in denen eine einmalige Unfallentschädigung oder ein Unfallausgleich gewährt wurde (BayVGH, U.v. 16.12.2020, 3 B 20.1556, Rn. 44f., a.A. zuvor noch VG Ansbach, U.v. 29.1.2020 - An 1 K 18.2510). Vielmehr hat der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift dem Dienstherrn auf der Ebene des Entschließungsermessens eine Möglichkeit eingeräumt, die Erfüllungsübernahme zu verweigern, um einen mehrfachen Ausgleich desselben immateriellen Schadens durch den Dienstherrn zu vermeiden (LT-Drs. 17/2871, S. 48). Eine Begrenzung des Auswahlermessens sollte mit dieser Vorschrift hingegen nicht vorgenommen werden.
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Gleichwohl ist der Dienstherr in der Ausübung seines Auswahlermessens hinsichtlich der Höhe nicht vollkommen frei. Vielmehr sind ihm durch die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage des Art. 97 Abs. 1 BayBG hierbei Grenzen gesetzt.
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Wortlaut und Systematik des Art. 97 Abs. 1 BayBG ergeben vorliegend, dass im Rahmen des dem Dienstherrn eingeräumten Auswahlermessens eine Überprüfung der Angemessenheit der Höhe des gerichtlich festgestellten Schmerzensgeldanspruchs nicht zu erfolgen hat. Diesbezüglich hat der Dienstherr die rechtliche Beurteilung aus dem zivilgerichtlichen Verfahren zugrundezulegen.
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Im Wortlaut des Art. 97 BayBG findet sich die Angemessenheit der Höhe des Schmerzensgeldes nur im Zusammenhang mit gerichtlichen Vergleichen in Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG. Danach soll ein gerichtlicher Vergleich einer rechtskräftigen Feststellung i.S.v. Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG nur dann gleichstehen, wenn er der Höhe nach angemessen ist. Die Angemessenheit des gewährten Schmerzensgeldes wird damit im Falle gerichtlicher Vergleiche zur Tatbestandsvoraussetzung für eine Erfüllungsübernahme gemacht (BayVGH, U.v. 16.12.2020 - 3 B 20.1556 keine ausdrückliche Einordnung, aber Diskussion der Problematik auf Tatbestandsseite; Buchard in: Brinktrine/Voitl, BeckOK Beamtenrecht Bayern, 23. Edition, 30.12.2019, Art. 97, Rn. 24). Im Falle gerichtlich festgestellter Ansprüche auf Schmerzensgeld findet sich eine vergleichbare Tatbestandsvoraussetzung hingegen nicht. So hat auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zur Erfüllungsübernahme betont, dass Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG keine ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale enthält und insbesondere bei Versäumnisurteilen und Anerkenntnisurteilen auf Tatbestandsseite keine Angemessenheits- oder Plausibilitätsprüfung durchzuführen ist (BayVGH, U.v. 16.12.2020 - 3 B 20.1553 - juris, Rn. 16, 24; BayVGH, U.v. 16.12.2020 - 3 B 20.1556 - juris, Rn. 25; BayVGH, B.v. 26.2.2021 - 3 BV 20.1258 - juris, Rn. 24). Zwar betrifft diese Unterscheidung hinsichtlich der Angemessenheit der Höhe des Schmerzensgeldbetrags zwischen rechtskräftig festgestellten Ansprüchen einerseits und gerichtlichen Vergleichen andererseits nur die Tatbestandsseite des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG und trifft keine Aussage zum Ermessen. Jedoch wäre diese Differenzierung und die damit verbundene Einschränkung der Gleichstellung gerichtlicher Vergleiche überflüssig, wenn ohnehin im Rahmen des Auswahlermessens zu überprüfen wäre, ob der zugesprochene Schmerzensgeldanspruch der Höhe nach angemessen ist.
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Weiterhin stellt auch Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayBG für die Beurteilung des Vorliegens einer unbilligen Härte auf die erfolglose Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500,00 EUR und damit die Differenz zum gerichtlich festgestellten Anspruch ab. Dagegen wird gerade nicht die Differenz der erfolglosen Vollstreckung zu einem angemessenen Schmerzensgeldbetrag als Anknüpfungspunkt gewählt. Die Angemessenheit findet wiederum nur im Falle gerichtlicher Vergleiche mittelbar über Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG Eingang, da diese nur im Falle der Angemessenheit einem gerichtlich festgestellten Anspruch gleichgestellt werden.
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In der Gesamtschau ergeben daher sowohl der Wortlaut als auch die Gesetzessystematik, dass die Angemessenheit der Höhe des rechtskräftig festgestellten Schmerzensgeldanspruchs nicht im Rahmen des Auswahlermessens zu überprüfen ist.
24
Auch die Gesetzesbegründung liefert keine Anhaltspunkte dafür, dass eine inhaltliche Überprüfung des zivilgerichtlich festgestellten Anspruchs insbesondere mit Hinblick auf die angemessene Höhe des Schmerzensgeldes im Rahmen des Auswahlermessens erfolgen soll. Denn auch in der Begründung des Gesetzesentwurfs wird die Problematik unangemessen hoher Schmerzensgeldbeträge lediglich im Zusammenhang mit gerichtlichen Vergleichen erörtert. Im Einzelnen wird hierzu ausgeführt: „Liegt dem Schmerzensgeldtitel ein gerichtlicher Vergleich zugrunde, kann die Erfüllungsübernahme durch den Dienstherrn zudem verweigert werden, wenn dieser objektiv unverhältnismäßig zu den erlittenen immateriellen Schäden und deshalb der Höhe nach unangemessen ist“ (LT-Drs. 17/2871, S. 48). Diese Erwägungen sind schlussendlich in die Regelung des Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG eingeflossen. Im Übrigen wird dagegen auch in der Gesetzesbegründung immer wieder der „titulierte Schmerzensgeldanspruch“ als Anknüpfungspunkt gewählt. So wird zum Sinn und Zweck der Erfüllungsübernahme ausgeführt, diese diene dem Auffangen besonderer Härten, die im Zusammenhang mit tätlichen Übergriffen durch Dritte entstehen können und mit den vorhandenen Leistungstatbeständen nicht angemessen aufgefangen werden (LT-Drs. 17/2871, S. 48): „Die bundesweit bisher einmalige Norm ist daher als Ausnahmetatbestand für schwerwiegende Übergriffe konzipiert, in denen Beamte und Beamtinnen ein erhebliches Sonderopfer für die Allgemeinheit erbringen. Eine besondere Härte liegt folglich nur dann vor, wenn der durch die Unfallfürsorge in Art. 45 ff. BayBeamtVG normierte Ausgleich materieller und immaterieller Schäden im Einzelfall weit hinter dem titulierten Schmerzensgeldanspruch zurückbleibt und so eine weitergehende Fürsorgepflicht des Dienstherrn ausgelöst wird.“ Auch der gesetzgeberische Kontext spricht somit dafür, dass eine Überprüfung der Angemessenheit des Schmerzensgeldes im Falle gerichtlich festgestellter Ansprüche nicht erfolgen soll.
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Zuletzt sprechen auch rechtssystematische Gesichtspunkte gegen eine Überprüfung der Angemessenheit des gerichtlich festgestellten Schmerzensgeldanspruchs. So erschiene es - nicht zuletzt unter dem Blickwinkel der Gewaltenteilung - systemwidrig und zudem den Grundsätzen der Verfahrens- und Prozessökonomie widersprechend, wenn Ansprüche, die der Jurisdiktion der Zivilgerichte zugewiesen sind und von diesen rechtskräftig festgestellt wurden, in einem behördlichen bzw. einem anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren erneut überprüft werden sollen. Diese Auffassung wird auch in der Kommentarliteratur geteilt, wo zum Teil von einer Bindung der zuständigen Behörde an die Rechtsfolgenbewertung des Gerichts ausgegangen und eine vollständige Überprüfung des titelschaffenden Gerichts durch die zuständige Behörde als rechtssystematisch problematisch erachtet wird (Buchard in: Brinktrine/Voitl, BeckOK Beamtenrecht Bayern, 23. Edition, 30.12.2019, Art. 97, Rn. 21.6).
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Unter Zugrundlegung all dieser Gesichtspunkte ergibt sich, dass die Ermessensausübung im Rahmen des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG auf solche Aspekte beschränkt ist, die außerhalb des zivilgerichtlichen Verfahrens liegen. Der eingeräumte Auswahlermessensspielraum läuft dadurch auch keineswegs leer. So kann der Dienstherr im Rahmen der Ausübung seines Auswahlermessens beispielsweise - wie vom Klägervertreter ausgeführt - beamtenrechtlichen Umständen wie einem Verstoß gegen die Gesunderhaltungspflicht Rechnung tragen. Auch können Tatsachen in die Ermessenentscheidung Eingang finden, die aufgrund zivilprozessualer Besonderheiten (wie beispielsweise der Geständnisfiktion des § 331 Abs. 1 ZPO) im zivilgerichtlichen Verfahren keine Berücksichtigung finden konnten (Buchard in: Brinktrine/Voitl, BeckOK Beamtenrecht Bayern, 23. Edition, 30.12.2019, Art. 97, Rn. 24) oder aber erst nachträglich bekannt wurden. Auch kann die Ermessensausübung ein Korrektiv im Falle des kollusiven Zusammenwirkens der Prozessparteien darstellen (VG Münster, U.v. 15.6.2020 - 5 K 28261/19, Rn. 57).
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Unter Zugrundelegung dieses Normverständnisses liegt damit der Ermessensfehler des Ermessensfehlgebrauchs vor. Der Beklagte hat vorliegend mit der Frage der Angemessenheit der Höhe des zivilgerichtlich festgestellten Schmerzensgeldanspruchs Erwägungen in seine Ermessensentscheidung eingestellt, die vom Zweck der den Ermessensspielraum einräumenden Rechtsvorschrift nicht mehr gedeckt sind (§ 114 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO).
28
Diese ermessensfehlerhafte Entscheidung verletzt den Kläger auch in seinen Rechten, weshalb er einen Anspruch auf erneute, ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Erfüllungsübernahmeantrag vom 28. Dezember 2018 hat.
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Der Beklagte hat als unterlegene Partei nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.