Titel:
Erfolglose Asylklage eines jordanischen Staatsangehörigen
Normenketten:
AsylG § 3, § 3e, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2c
EMRK Art. 3
Leitsatz:
Für einen jungen gesunden arbeitsfähigen Mann ohne Unterhaltslasten ist trotz der schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Jordanien nicht beachtlich wahrscheinlich, dass er bei einer Rückkehr in eine existenzielle Notlage gerät. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht, Alleinstehender junger Mann, Verdächtigt als Spion, Israels, Keine Abschiebungsverbote, Herkunftsland: Jordanien, Asyl, Jordanien, Palästinenser, psychische Erkrankung, Attest, Lebensverhältnisse, Versorgungslage
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 25.03.2022 – 15 ZB 22.30311
Fundstelle:
BeckRS 2022, 6537
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der … geborene Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrages mit Bescheid des B. für M. und F. (B.amt) vom 13. Juli 2021. Er begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutzes sowie weiter hilfsweise die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote.
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Der Kläger gibt an, j. Staatsangehöriger palästinensischer Herkunft sowie i. Religionszugehörigkeit zu sein. Er sei über S. und F. das erste Mal am 16. Februar 2014 auf dem Landweg in die B. D. eingereist und habe die B. dann am 18. März 2014 wieder in Richtung F. verlassen, wo er dreieinhalb Jahre gelebt und sich dann weitere 18 Monate in S. aufgehalten habe, bevor er am 11. Dezember 2019 nach einem weiteren Aufenthalt in F. wieder nach D. einreiste. Am 15. Januar 2021 stellte er schließlich in der B. D. einen Asylantrag.
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Bei seiner Anhörung nach § 25 AsylG vor dem Bundesamt am 4. März 2021 gab der Kläger im Wesentlichen an, J. im Februar 2014 verlassen zu haben. Zuletzt habe er mit seinen Eltern und Geschwistern in … gelebt, die wirtschaftliche Lage sei gut gewesen. Mit seiner Mutter stehe er noch in Kontakt. Auch seine übrige Großfamilie lebe noch in J.. Der Kläger habe zwölf Jahre lang die Schule besucht und mit dem Abitur abgeschlossen. Danach habe er zwei Semester Krankenpflege studiert, finanziell sei er von seinen Eltern unterstützt worden. Befragt zu den Gründen für seinen Asylantrag gab der Kläger an, sich Sorgen um sein Leben zu machen, weil er von seiner Familie verdächtigt worden sei, ein Spion I. zu sein. Er habe in J. eine D. Schule besucht, an welcher ein j. Lehrer tätig war, welcher ihn bei einer Studienfahrt nach D. mit weiteren j. Schülern bekannt gemacht habe. Seine Eltern seien jedoch gegen den Kontakt des Klägers mit Personen j. Glaubens gewesen. Auch habe es deswegen Probleme mit den Onkeln des Klägers gegeben, von denen einige bei den Sicherheitsbehörden arbeiten. Er habe jedoch den Kontakt mit seinen j. Bekannten nicht einstellen wollen, weshalb er von seinen Cousins verprügelt worden sei. Der Vater habe ihn schließlich aus dem Haus geworfen.
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Zudem legte der Kläger im Verwaltungsverfahren ein Kurzattest eines Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S. aus G. … vom 11. Februar 2021 vor, wonach dieser unter Hypertonie, ADHS, Schläfrigkeit, Schweißausbrüchen und depressiven Angstzuständen leide sowie ein weiteres Kurzattest eines Facharztes für Psychotherapeutische Medizin Dr. M aus F. … vom 1. März 2021 wonach beim Kläger schwere Depressionen, Angstzustände und Schlafstörungen vorlägen, weshalb er ein ruhiges Einzelzimmer benötige.
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Mit Bescheid vom 13. Juli 2021 wurden die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz abgelehnt (Nr. 1-3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die B. D. innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle einer Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen; die Abschiebung nach J. wurde angedroht (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
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Gegen diesen ablehnenden Bescheid hat der Kläger am … Juli 2021 zur Niederschrift Klage beim Verwaltungsgericht München erhoben.
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Der Kläger beantragt - sinngemäß - zuletzt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes vom 13. Juli 2021, Az. …, zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz, zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich J. festzustellen.
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Zur Begründung bezieht er sich auf seine Angaben beim Bundesamt.
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Das Bundesamt hat die Akten vorgelegt und am 27. Juli 2021 beantragt,
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Mit Beschluss vom 25. November 2021 ist der Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylG auf den Einzelrichter übertragen worden.
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Am 31. Januar 2022 fand in dieser Sache mündliche Verhandlung statt. Dabei ist der Kläger zu seinem Verfolgungsschicksal angehört worden. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die vorgelegte und beigezogene Behördenakte des Bundesamtes verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 31. Januar 2022 trotz Ausbleibens der Beklagtenseite durch den Einzelrichter entschieden werden.
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Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden die Parteien darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Nichterscheinens verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage ist unbegründet, weil der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und die Klagepartei nicht in ihren Rechten verletzt. Diese hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus oder die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sind nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Lediglich ergänzend hierzu wird ausgeführt:
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Der Kläger hat keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr dargelegt. Wie das Bundesamt bereits im Bescheid zutreffend ausgeführt hat, vermag auch das Gericht unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung im persönlichen Vortrag des Klägers keine Verfolgungshandlung von asyl- oder flüchtlingsrechtlicher Relevanz erkennen. Bei den geschilderten Misshandlungen des Klägers durch seine Cousins handelt es sich - selbst bei Wahrunterstellung - allenfalls um kriminelles Unrecht, das jedoch nicht die Annahme einer asyl- bzw. flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgefahr oder eines ernsthaften Schadens begründen kann. Denn die Handlungen gehen von keinem Akteur im Sinne des § 3c AsylG aus. Eine staatliche Verfolgung ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag, der Großonkel des Klägers sei ein hochrangiger Polizist, weil selbst eine - unterstellte - Bedrohung und Verfolgung des Klägers durch diesen dadurch nicht etwa zu einer staatlichen Verfolgung im Sinne von § 3c Nr. 1 AsylG wird. Sieht man den Großonkel demgegenüber als einen nichtstaatlichen Akteur im Sinne von § 3c Nr. 3 AsylG an, so ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass der j. Staat nicht in der Lage oder willens wäre, wirksamen und dauerhaften Schutz vor Verfolgung im Sinne des § 3d AsylG zu bieten. Darüber hinaus wäre dem Kläger im Hinblick auf seine konkrete Situation auch zumutbar, gemäß § 3e Abs. 1 AsylG internen Schutz innerhalb J. in anderen Stadtteilen … oder auch anderen Städten des Landes zu suchen, zumal es sich bei dem Kläger um einen jungen gesunden arbeitsfähigen Mann ohne Unterhaltslasten handelt, der über eine gute Schulbildung verfügt. Die pauschale und unsubstantiierte Behauptung, der Kläger könne überall in J. aufgrund seines bekannten Familiennamens ausfindig gemacht werden, verfängt nicht. Auch ist dem Gericht nicht bekannt, dass nichtstaatliche Akteure in der Lage wären, den Kläger unschwer außerhalb seiner Herkunftsregion aufzuspüren und zu verfolgen, zumal in J. keine Meldepflicht existiert (vgl. dazu Auswärtiges Amt, Auskunft v. 20.7.2020).
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Unabhängig davon ist es jedenfalls mittlerweile nicht (mehr) beachtlich wahrscheinlich,
dass die eigene Familie dem Kläger auch noch nach über sieben Jahren - der Kläger ist im Jahr 2014 ausgereist - wegen früherer Kontakte zu j. Schulfreunden mit Gefahr für Leib und Leben nachstellen würde, zumal sich seither die diplomatischen Beziehungen des Haschemitischen Königreichs J. zum Nachbarland I. weiter verbessert haben (vgl. dazu bspw. allgemeinzugängliche Quellen: F.A. Zeitung, „Entspannung zwischen I. und J.“ vom 9.7.2021, https://www....net/a/p/a/e.-17430100.html; Neue Zürcher Zeitung, „I. schlägt mit J. ein neues Kapitel auf“ vom 10.7.2021, https://www.....ch/international/....1634846 und S. Zeitung, „Solarstrom gegen Wasser“, vom 22.11.2021, https://www.,...de/p./j.- 1.5470241), was sich auch in der Stimmung der j. Bevölkerung sowie bei den Familienangehörigen des Klägers niedergeschlagen haben dürfte. Da es sich bei den Angehörigen des Klägers, nach seinen eigenen Angaben, überdies um namhafte und hochrangige Staatsbedienstete handeln soll, ist erst recht davon auszugehen, dass diese die „neue“ Politik des Haschemitischen Königreichs J. im Umgang mit dem Nachbarland I. mittragen und selbst vorleben und daher den Kläger nicht wegen des Umgangs mit Personen j. Glaubens verfolgen oder als einen „Spion I.“ ansehen würden.
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2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Es ist - wie oben dargelegt - nicht ersichtlich, dass dem Kläger im Hinblick auf die allgemeine Situation in J. oder aufgrund besonderer individueller Umstände eine Gefährdung im Sinne der § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht, auch nicht - ausnahmsweise - unter dem Gesichtspunkt der Existenzsicherung. Unter Berücksichtigung der vom Bundesamt dargestellten und hinreichend gewürdigten allgemeinen Verhältnisse in J. und der individuellen Umstände des Klägers (vgl. S. 6 ff. des Bescheids) ist trotz der schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in J. (vgl. B. für Fremdenwesen und Asyl der Republik Ö., Länderinformationsblatt der Staatendokumentation J. vom 16.4.2020, Ziff. 20) nicht ersichtlich, dass eine Rückkehr den Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzielle Notlage i.S.v. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bringen würde.
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Im Übrigen ist auch nichts für ein etwaiges gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot ersichtlich. Denn die im Verwaltungsverfahren vorgelegten Atteste vom 11. Februar 2021 bzgl. der Diagnosen einer Hypertonie, ADHS, Schläfrigkeit, Schweißausbrüche und depressiver Angstzustände sowie vom 1. März 2021 bzgl. der Diagnosen einer schweren Depression, Angstzustände und Schlafstörungen sind schon nicht geeignet, ein gesundheitsbedingtes Abschiebungsverbot zu rechtfertigen, weil die vorgelegten Atteste nicht davon ausgehen, dass es sich bei den Diagnosen um lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen handelt, die den Schweregrad des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erreichen und sich darüber hinaus durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Im Übrigen entsprechen die genannten Atteste auch nicht den formalen Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG.
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3. Nach alledem ist auch die vom Bundesamt gem. § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden.
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Auch Anhaltspunkte dafür, dass die Anordnung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG nicht rechtmäßig sein könnte, liegen nicht vor, zumal der Kläger zu seinen in B. … und H. … lebenden Verwandten nach seinen Angaben keinen regelmäßigen Kontakt pflegt.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
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Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.