Titel:
Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen Täuschung über die Staatsangehörigkeit
Normenkette:
AsylG § 73 Abs. 2
Leitsatz:
Fehlt es hinsichtlich des Vortrags betreffend die Verfolgungsgründe an einer Substantiierung, ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu verpflichten. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht, Rücknahme der zuerkannten Flüchtlingseigenschaft, Täuschung über Staatsangehörigkeit, Keine Abschiebungsverbote, Herkunftsland: Jordanien, Rücknahme, Flüchtlingseigenschaft, Täuschung, Staatsangehörigkeit, jordanischer Staatsangehöriger, syrische Staatsangehörigkeit, Herkunftsland Jordanien, journalistische Tätigkeit, Facebook
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 16.03.2022 – 15 ZB 22.30278
Fundstelle:
BeckRS 2022, 6535
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme der ihm zuerkannten Flüchtlingseigenschaft mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 14. Juli 2020.
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Er ist jordanischer Staatsangehöriger und stellte am 7. April 2016 beim Bundesamt einen Asylantrag, wobei er sich als syrischer Staatsangehöriger ausgab. Das Bundesamt erkannte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 31. Mai 2016 (…) die Flüchtlingseigenschaft zu, da glaubhaft eine Verfolgung in Anknüpfung an eines der Merkmale nach der Genfer Flüchtlingskonvention geltend gemacht worden sei. Seit dem 24. August 2016 ist die Entscheidung bestandskräftig.
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Mit Schreiben vom 14. Dezember 2017 teilte die zuständige Ausländerbehörde dem Bundesamt mit, dass diese Kenntnis davon erlangt habe, dass der Kläger nicht die syrische, sondern die jordanische Staatsangehörigkeit besitze. Dies habe er in der Unterkunft gegenüber Mitbewohnern geäußert. Die Aussage des Informanten, welcher der Ausländerbehörde namentlich bekannt sei, schätze man als glaubwürdig ein. Es werde daher angeregt, ein Rücknahmeverfahren einzuleiten.
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Mit Schreiben vom 28. November 2019 teilte das Bundesamt dem Kläger mit, dass die getroffene Asylentscheidung geprüft und er zu einer Befragung geladen werde.
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Am 10. Januar 2020 fand eine Befragung des Klägers nach § 73 Abs. 3a Satz 2 i.V.m.§ 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylG statt. Dabei teilte er mit, jordanischer Staatsangehöriger aus Amman zu sein. Er habe aus Angst bzgl. seiner Staatsangehörigkeit gelogen, weil er gewusst habe, als Jordanier keinen Asylschutz zu erhalten. Zu einem früheren Zeitpunkt habe er diese Falschangabe nicht aufgeklärt, weil er Angst vor einer Bestrafung in Deutschland oder in Jordanien gehabt habe. Er verfüge über einen jordanischen Reisepass und eine ID-Card, könne diese Dokumente jedoch nicht vorlegen, weil er sie nicht in Deutschland dabeihabe. Sein Vater sei von 2003 bis 2007 ein jordanischer Parlamentsabgeordneter gewesen. Der Kläger habe im Jahr 2011 in Jordanien an einer Demonstration wegen Korruption gegen den Ministerpräsidenten teilgenommen und von 2013 bis 2014 täglich Posts auf Facebook verfasst, welche sich gegen die Regierung gerichtet hätten. Seine Posts hätten, auch unter Namensnennung, von Korruptionsfällen berichtet. Diese Informationen habe er von seinem Vater erhalten. Dann habe er über einen Bekannten erfahren, dass der Geheimdienst „bald kommen und ihn abholen“ würde; dies sei Ende 2014 gewesen. Er sei dann Anfang 2015 aus Jordanien ausgereist. Diese Fluchtgründe habe er aber weder bei Asylantragstellung nachweisen können, noch könne er dies heute. Bei einer Rückkehr nach Jordanien fürchte er, sofort ins Gefängnis zu kommen, weil er einen Kredit von 3.000 Dinar für seine Ausreise nicht zurückgezahlt habe. Außerdem wegen des Geheimdienstes. Zu seiner Schul- und Berufsbildung gab er an, das Abitur abgeschlossen und danach als Supervisor in einem Lager und als Verkäufer in Amman gearbeitet zu haben. Er habe in Jordanien noch seine beiden Eltern sowie fünf Geschwister.
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Mit Schreiben vom 18. März 2020, beim Bundesamt eingegangen am 20. März 2020, nahm der Kläger zur beabsichtigen Rücknahme Stellung. Er führte aus, dass er seit zwei Jahren als Gerüstbauer in Deutschland beschäftigt sei. Außerdem sei er mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt, welche er noch in diesem Jahr heiraten wolle. Außerdem fürchte er aufgrund seiner Meinungsäußerungen Repressalien durch die jordanische Regierung.
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Mit Bescheid vom 14. Juli 2020 hat das Bundesamt die mit Bescheid vom 31. Mai 2016 zuerkannte Flüchtlingseigenschaft zurückgenommen (Nr. 1), den subsidiären Schutz nicht zuerkannt (Nr. 2) und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3). Zudem hat es die sofortige Vollziehung des Bescheids angeordnet (Nr. 4). Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe vorsätzlich unrichtige Angaben über seine Staatsangehörigkeit gemacht, sodass die ihm zuerkannte Flüchtlingseigenschaft gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 und 2 AsylG zurückzunehmen sei. Ihm sei auch nicht aus anderen Gründen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil die behauptete Verfolgung durch den jordanischen Geheimdienst weder hinreichend detailliert, noch ausreichend substantiiert dargelegt sei. Die Rücknahme erfolge mit Wirkung für die Vergangenheit. Weiter lägen auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht vor, weil keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass ihm in Jordanien Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden drohe. Auch für das Vorliegen von Abschiebungsverboten sei nichts ersichtlich, insbesondere sei nicht ersichtlich, dass der Kläger dort seine Existenz nicht wird sichern können. Schließlich wurde die sofortige Vollziehung damit begründet, dass ein besonderes öffentliches Interesse an der Vollziehung des Rücknahmebescheides bestehe, denn der Kläger habe bewusst, wiederholt sowie über mehrere Jahre hinweg vor den Behörden verschwiegen, dass er die jordanische Staatsangehörigkeit besitze. Erst auf explizite Nachfrage habe er seine jordanische Staatsangehörigkeit offengelegt. Durch dieses strafbare Verhalten könnten auch keine privaten Interessen eine andere Ermessensentscheidung rechtfertigen. Zwar sei zu berücksichtigen, dass er sich seit Oktober 2015 im Bundesgebiet aufhalte und er seit zwei Jahren als Gerüstbauer beschäftigt sowie mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt sei. Allerdings überwiege in Anbetracht der Gesamtumstände, insbesondere im Hinblick auf die Täuschung gegenüber dem Bundesamt, der Ausländerbehörde und den Sozialleistungsbehörden, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung.
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Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 22. Juli 2020 Klage zum Verwaltungsgericht München erheben lassen.
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Er beantragt - sinngemäß - zuletzt, den Bescheid des Bundesamts vom 14. Juli 2020 aufzuheben, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, festzustellen, dass der subsidiäre Schutzstatus vorliegt sowie festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordanien vorliegen.
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Gleichzeitig beantragt er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes sinngemäß, die aufschiebende Wirkung seiner Klage wiederherzustellen.
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Zur Begründung führt er mit Klageschriftsatz vom 22. Juli 2020 sowie mit Schriftsatz vom 13. August 2020 im Wesentlichen aus, dass der angefochtene rechtswidrig sei. Denn der Kläger habe bei seiner Rückführung nach Jordanien mit einer Verfolgung zu rechnen, weil er 2011 an mehreren Demonstrationen in Amman, welche sich gegen die jordanische Regierung richteten, teilgenommen habe. Er habe in der Folge zahlreiche mündliche Nachrichten erhalten, wonach der jordanische Geheimdienst nach ihm suche und ihn inhaftierten wolle. Er habe auf seinem Facebook Profil zudem Einlassungen gegen die jordanische Regierung im Zusammenhang mit Korruptionssachverhalten veröffentlicht, bis sein Facebook Profil gegen Ende 2014 von einem Hacker geknackt und gelöscht worden sei. Auch aus diesem Grund habe er Warnungen vor dem jordanischen Geheimdienst erhalten. Es stehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass er in Jordanien inhaftiert würde und daher Folter sowie den Tod zu erwarten hätte. Außerdem ergebe sich aus der Corona-Pandemie eine Gefahr für Leib und Leben des Klägers, weil er sich im Falle einer Inhaftierung in einer jordanischen Haftanstalt dort mit dem Corona-Virus infizieren und keine medizinische Behandlung erhalten würde. Schließlich sei weiter zu berücksichtigen, dass der Kläger eine deutsche Staatsangehörige heiraten werde. Der Antrag sei bereits beim Standesamt eingereicht, es werde lediglich auf die Abänderung der Staatsangehörigkeit des Klägers von syrisch auf jordanisch durch die Ausländerbehörde gewartet, um das Eheschließungsverfahren fortsetzen zu können.
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Mit Schriftsatz vom 5. November 2020 ließ der Kläger unter Bezugnahme auf die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes für Jordanien weiter zu einer Gefahr einer Infektion mit dem Corona-Virus sowie der Gefahr von Terroranschlägen vortragen.
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Das Bundesamt hat die Akten vorgelegt, sich aber in der Sache nicht geäußert.
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Den Antrag des Klägers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht mit Beschluss vom 1. September 2021 abgelehnt (M 27 S 20.32107).
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Mit Beschluss vom 2. Juli 2021 ist der Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylG auf den Einzelrichter übertragen worden.
16
Am 3. Dezember 2021 fand in dieser Sache mündliche Verhandlung statt. Zu dieser ist nur der Klägerbevollmächtigte erschienen, der auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet hat. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem sowie in dem Verfahren Az. M 27 S 20.32107 und auf die vorgelegten Akten des Bundesamts verwiesen.
Entscheidungsgründe
18
In der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden die Parteien darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Nichterscheinens verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO). Über die Klage konnte somit aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3. Dezember 20221 trotz Ausbleibens der Beklagtenseite durch den Einzelrichter und aufgrund des von Parteien erklärten Verzichts ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage ist unbegründet, weil der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.
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Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird zur Begründung auf die Gründe des Beschlusses vom 1. September 2021 (M 27 S 20.32107) sowie auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
21
Insbesondere hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung und auch zeitlich danach nichts vorgebracht, was für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus anderen Gründen spräche. Auch hat er seinen Vortrag hinsichtlich einer Verfolgung aufgrund seiner angeblichen journalistischen Tätigkeit über Facebook oder seiner Beteiligung an Demonstrationen nicht weiter substantiiert, obwohl das Gericht gerade die fehlende Substantiierung mit Beschluss vom 1. September 2021 beanstandet hatte.
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Darüber hinaus ist auch für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus oder für eine Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich Jordaniens nichts ersichtlich.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.