Inhalt

LG Schweinfurt, Endurteil v. 11.08.2022 – 22 O 91/22
Titel:

Sittenwidrigkeit, Abschalteinrichtung, Klagepartei, Greifbare Anhaltspunkte, Elektronisches Dokument, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kraftfahrt-Bundesamt, Elektronischer Rechtsverkehr, Streitwertfestsetzung, Klageantrag, Sekundäre Darlegungslast, Rechtshängigkeit, Annahmeverzug, Sachvortrag, Unzulässigkeit, Wert des Beschwerdegegenstandes, Unzulässige Ausforschung, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung

Schlagworte:
Schadensersatzanspruch, Sittenwidriges Verhalten, Thermofenster, Prüfstandserkennung, Manipulation, Rückruf, Beweislast
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 02.01.2023 – 5 U 249/22
OLG Bamberg, Beschluss vom 12.01.2023 – 5 U 249/22
BGH Karlsruhe, Urteil vom 12.11.2025 – VIa ZR 285/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 61704

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 43.539,42 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Schadensersatz wegen behaupteter unzulässiger Abschalteinrichtungen.
2
Mit Kaufvertrag vom 27.08.2015 wurde das streitgegenständliche Fahrzeug der Marke Audi, Typ SQ5 3.0 TDI, Fahrzeug-Identifizierungsnummer … zu einem Kaufpreis von 49.250,84 € netto bei einem Kilometerstand von 10 erworben. Das Fahrzeug ist mit einem Motor nach der Euro 6-Abgasnorm ausgestattet. Für das hier streitgegenständliche Fahrzeug liegt ein verbindlich angeordneter Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes vor. In dem diesem Rückruf zugrunde liegenden Bescheid geht das Kraftfahrt-Bundesamt davon aus, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz komme.
3
Die Klagepartei behauptet und meint im Wesentlichen, die Beklagte habe wissentlich und willentlich diverse Abschalteinrichtungen im konkreten Fahrzeug/Motor verbaut. Diese Abschalteinrichtungen seien auch rechtlich unzulässig, es handle sich damit um unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne der einschlägigen Europäischen Verordnungen. Bei den im konkreten Fahrzeug verbauten Abschalteinrichtungen handle es sich um folgende: Rollenprüfstandserkennung; Aufheizstrategie und alternatives Aufheizen; Strategie D – Manipulation des SCR-Katalysators; Außentemperaturmessung; Manipulation des OBD-Anschluss. Diese unzulässigen Abschalteinrichtungen manipulierten einzeln als auch im Gesamten die Abgasrückführungsrate und letztendlich den Ausstoß von Stockstoff im Vergleich NEFZ und realer Straßenverkehr. Es handle sich damit insgesamt um ein bzw. mehrere unzulässige cycle-beatings. Die Beklagte habe das Kraftfahrt-Bundesamt in Bezug auf die im Fahrzeug/Motor verbauten Abschalteinrichtungen nicht bzw. nicht ordnungsgemäß/umfassend aufgeklärt. Die Beklagte habe das Kraftfahrt-Bundesamt im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens getäuscht.
4
Das streitgegenständliche Fahrzeug sei mit einem Dieselmotor EA897 ausgestattet.
5
Das Fahrzeug Audi SQ5 3.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … sei so konstruiert worden, dass es spezifische Parameter ermittelt, um zu erkennen, ob es sich auf dem Prüfstand befindet, um in diesem Fall die volle Leistungsfähigkeit der Systeme anzusteuern, die Abgasgrenzwerte einzuhalten und so die Zulassung für den europäischen Fahrzeugmarkt zu erhalten. Hierbei handle es sich um einen sog. Prüfstandserkennungsmechanismus (englisch:cycle-beating). In dem streitgegenständlichen Motor sei vergleichbar mit dem Motor EA189 – ergänzt um ein sog. AECD-Steuergerät – eine Rollenprüfstanderkennung umgesetzt, die dafür sorge, dass bei Erkennung eines Prüfstandtestbetriebs ein besonderer „Rollenprüfstandmodus“ aktiviert werde, um möglichst niedrige Schadstoffwerte messen zu lassen. Dieser Modus sei bei normalem Betrieb auf der Straße hingegen deaktiviert, so dass das Fahrzeug auf der Straße höhere Emissionen ausstoße als bei dem Rollenprüfstandtest. Die Aufheizstrategie manipuliere die Abgasreinigung abhängig vom Prüfstand, es handle sich mithin um ein sog. defeat-devise. So arbeite auch die Aufheizstrategie, wie sie in Motoren der Beklagten eingesetzt worden sei. Die manipulierte Motorsteuerungssoftware schalte die schadstoffreduzierende, schnelle Motoraufwärmfunktion nur auf dem Prüfstand ein. Die Abgase würden dabei durch intensives Erhitzen unschädlicher gemacht. SCR-Katalysatorsysteme müssten funktionsbedingt mit Reagenz betrieben werden. Für solche Systeme sei eine Aufforderung zur Nachfüllung bei einer Restreichweite von mindestens 2.400 KM bis zum Leerzustand des Reagenzbehälters vorgeschrieben. Strategie D enthalte einen Mechanismus, der die eingedüste Menge Reagenz bei Unterschreiten der Restreichweite von 2.400 KM bedinge. Auch hierdurch komme es zu einer Manipulation der Abgasrückführung bzw. des Stickstoffausstoßes im realen Fahrzeugbetrieb im Vergleich zum Prüftstandsverfahren. In dem streitgegenständlichen Fahrzeug/Motor sei weiterhin ein Temperatursensor verbaut, der die Außenlufttemperatur messe, um beispielsweise die Klimaanlage zu steuern oder die Temperatur im Multifunktionsdisplay anzuzeigen. Er werde darüber hinaus im streitgegenständlichen Fahrzeug auch dazu eingesetzt, das Prüfstandverfahren zu erkennen. Weiterhin sei von der Beklagten die sog. On-Board-Diagnose manipuliert worden.
6
Die Beklagte hafte auch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Verordnung (EG) Nr. 715/2007, dessen Voraussetzungen gerade auch in subjektiver Hinsicht niedriger seien als die des § 826 BGB.
7
Die Klagepartei beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei 43.539,42 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des PKW der Marke Audi SQ5 3.0 TDI, Fahrzeug-Identifikationsnummer (FIN): …
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs Marke Audi SQ5 3.0 TDI, Fahrzeug-Identifikationsnummer (FIN): … im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerpartei erstattungsfähige außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.877,11 EUR nebst 5 %-Punkten über Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
8
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
9
Die Beklagte behauptet und meint im Wesentlichen, das streitgegenständliche Fahrzeug sei mit einem 3.0 Liter V6 TDI-Turbodieselmotor (230 kW) ausgestattet.
10
Vorliegend seien die von der Klagepartei behaupteten Ansprüche jedenfalls gemäß §§ 195, 199 BGB verjährt und daher unabhängig von ihrem Bestehen gemäß § 214 BGB nicht mehr durchsetzbar. Die Beklagte erhebt daher die Einrede der Verjährung in Bezug auf die geltend gemachten Ansprüche. Nachdem bereits seit Ende September 2015 die EA189-Thematik sämtliche deutsche regionale und überregionale, sowie auch internationale Medien beherrscht habe, habe die AUDI AG eigene Untersuchungen der V-TDI-Motoren gestartet. In deren Folge habe das Kraftfahrt-Bundesamt verpflichtende Rückrufbescheide erlassen. Über diese Entwicklungen, u.a. auch über die von der Beklagten bereits ergriffenen sowie geplanten Maßnahmen, sei in der regionalen und überregionalen Presse sowie in Online-Medien berichtet worden. Im Jahr 2018 sei der Beklagten auch – öffentlichkeitswirksam – ein Bußgeld wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen auferlegt worden. Es liege daher außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit, dass die hiesige Klagepartei nicht bereits im Jahr 2018 aufgrund der Medienberichterstattung und der Informationen der Beklagten Kenntnis von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs und somit von dem behaupteten Anspruch erlangt habe.
11
Der Vorwurf der Verwendung weiterer angeblich unzulässiger Funktionen zum Zwecke der Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts und der Einhaltung von Grenzwerten gehe fehl und erfolge „ins Blaue hinein“.

Entscheidungsgründe

12
Die zulässige Klage ist unbegründet.
A.
13
Die Klage ist unbegründet. Der Klagepartei steht der gemäß Klageantrag zu Ziffer 1 geltend gemachte Hauptanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu (siehe unter I). Daher sind auch die Klageanträge im Übrigen unbegründet (siehe sodann unter II).
14
I. Der Klageantrag zu Ziffer 1 ist unbegründet, da die Klagepartei gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen einer behaupteten Manipulation des streitgegenständlichen Fahrzeugs hat. Ein solcher Anspruch steht der Klagepartei unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
15
1. Ein Anspruch der Klagepartei folgt nicht aus §§ 826, 31 BGB. Dies deshalb nicht, weil sie entgegen der sie treffenden Darlegungs- und Beweislast (siehe Wagner in: MünchKomm.-BGB, 8. Auflage 2020, § 826 Rn. 55) die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs schon nicht hinreichend substantiiert dargelegt hat. Es kann auf Basis des klägerischen Vortrags nicht von einer sittenwidrigen Schädigungshandlung der Beklagten ausgegangen werden.
16
a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (Wagner, in: MünchKomm.-BGB, 8. Auflage 2020, § 826 Rn. 9). Dafür genügt nicht schon der Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Pflichten; vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH NJW 2014, 1380 Rn. 8). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH WM 2016, 1975 Rn. 16). Eine Sittenwidrigkeit kommt in diesem Zusammenhang insbesondere in Betracht, wenn das Bewusstsein vorhanden ist, möglicherweise gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wird (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – Az. 10 U 1347/19).
17
b) Gemessen an diesen Anforderungen kann dem klägerischen Sachvortrag kein sittenwidriges Verhalten der Beklagten entnommen werden.
18
aa) Das Gericht vermag vorliegend nicht darauf zu schließen, dass die Beklagte bei der Entscheidung zum Einbau eines Thermofensters in den konkreten Motor in das Fahrzeug der Klagepartei in sittenwidriger Weise gehandelt hat. Anders als eine Software zur Prüfstanderkennung zielt das Thermofenster selbst nach dem Vortrag der Klagepartei nicht darauf ab, auf dem Prüfstand und auf der Straße per se unterschiedliche Abgasrückführungsmodi zu aktivieren. Vielmehr wird die Abgasrückführung temperaturabhängig stärker oder weniger stark aktiviert. Wenn das für das Fahrzeug der Klagepartei in Rede stehende Thermofenster aber schon nicht zwischen Prüfstand und realem Betrieb unterscheidet, sondern sich nach der Umgebungstemperatur richtet, ist es nicht offensichtlich auf eine „Überlistung“ der Prüfungssituation ausgelegt (siehe jüngst BGH BeckRS 2021, 847 Rn. 6).
19
Unabhängig hiervon gilt, dass ein Thermofenster gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a der VO (EG) 715/2007 nicht grundsätzlich verboten, sondern jedenfalls dann zulässig ist, „wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“. Hieraus folgt, dass bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand, ohne konkrete Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres angenommen werden kann, dass die Beklagte bzw. deren Verantwortliche in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Jedenfalls solange Gesichtspunkte des Motor- bzw. Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, scheidet solch eine Annahme aus (vgl. OLG Bamberg BeckRS 2020, 9901 Rn. 18). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Kriterien, aus denen sich eine aus Bauteilschutzgesichtspunkten zulässige Abschaltvorrichtung ergibt, nicht eindeutig bestimmt und in Rechtsprechung wie Literatur umstritten sind (vgl. dazu umfassend OLG Brandenburg BeckRS 2019, 33351 Rn. 11). Vor diesem Hintergrund kommt ein sittenwidriges Handeln der Beklagten nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass sie vorsätzlich und in einer besonders verwerflichen Art und Weise diese rechtliche Grauzone überschritten hat (so auch OLG Bamberg BeckRS 2020, 9901 Rn. 18). Greifbare Anhaltspunkte für ein solches vorsätzliches und in einer besonders verwerflichen Art und Weise erfolgtes Überschreiten dieser rechtlichen Grauzone hat die Klagepartei allerdings nicht vorgetragen. Der Verweis der Klagepartei auf eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten im Hinblick auf die konkrete Konfiguration der Motorsoftware ist nach Auffassung des Gerichts unzutreffend. Die Grundsätze der sekundären Darlegungslast entbinden den Anspruchsteller nicht von einer hinreichenden Substantiierung seiner primären Darlegungen, um dem Gericht eine Überprüfung ihrer Entscheidungserheblichkeit zu ermöglichen (vgl. OLG Bamberg BeckRS 39666 Rn. 20).
20
bb) Auch mit der Behauptung, dass in dem Fahrzeug eine sogenannte Aufheizstrategie enthalten sei, kann die Klagepartei nicht durchdringen.
21
Die Klagepartei hat dazu lediglich pauschal behauptet, dass die Aufheizstrategie die Abgasreinigung abhängig vom Prüfstand manipuliere, es handle sich mithin um ein sog. defeat-devise. So arbeite auch die Aufheizstrategie, wie sie in Motoren der Beklagten eingesetzt worden sei. Die manipulierte Motorsteuerungssoftware schalte die schadstoffreduzierende, schnelle Motoraufwärmfunktion nur auf dem Prüfstand ein. Die Abgase würden dabei durch intensives Erhitzen unschädlicher gemacht.
22
Die Klagepartei hat keinen greifbaren Anhaltspunkt für ihre Behauptung dargetan. Konkrete Indizien für die Richtigkeit ihrer Behauptungen hat die Klagepartei nicht aufgezeigt. Derartige Indizien könnten sich etwa aus publizierten behördlichen oder sonstigen Untersuchungen zum streitgegenständlichen Fahrzeug ergeben, aus eigenen Ermittlungen und Untersuchungen der Klagepartei, aus einem behördlich angeordneten Rückruf für das Fahrzeug, aus Verlautbarungen oder Maßnahmen des Kraftfahrt-Bundesamtes und vielem mehr. Nichts dergleichen ist klägerseits dargelegt worden. Die klägerseits vorgelegten Unterlagen beziehen sich nicht auf das streitgegenständliche Fahrzeug oder auf offenbar gleichgelagerte Fahrzeugmodelle. Damit trägt die Klagepartei nicht Tatsachen vor, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Der Sachvortrag ist nicht schlüssig und erheblich, sondern vielmehr unbeachtlich, da er ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Daher war hierüber auch kein Beweis zu erheben, weil dies eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung darstellen würde (vgl. hierzu BGH NJW 2020, 1740, 1741).
23
cc) Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten kann entsprechend auch nicht auf Basis der klägerseits behaupteten Manipulation bei der AdBlue-Einspritzung angenommen werden.
24
dd) Die Ausführungen der Klagepartei zum OBD-System lassen kein vorsätzlich sittenwidriges Verhalten der Beklagten in dem Sinne erkennen, dass darin eine unzulässige Abschalteinrichtung zu sehen wäre. Eine Manipulation des OBD-Systems ist bereits der Sache nach keine unzulässige Abschalteinrichtung. Denn „Abschalteinrichtung“ ist gemäß Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 nur „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“. Das OBD-System selbst ist aber schon auf der Grundlage des Vortrags der Klagepartei lediglich ein Diagnosesystem, das die Aufgabe hat Fehler des Emissionskontrollsystems zu erkennen und anzuzeigen. Eine Funktionalität dahin, Teile des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, hat es hingegen selbst nach klägerischem Vortrag nicht. Da weitere Anhaltspunkte für ein vorsätzliches sittenwidriges Verhalten der Beklagten im Übrigen nicht vorliegen, können die diesbezüglichen Behauptungen der Klagepartei den Vorwurf auch nicht stützen.
25
ee) Die übrigen Behauptungen der Klagepartei zum Vorliegen von illegalen Abschalteinrichtungen sind nicht schlüssig und erheblich, so dass auch kein Beweis zu erheben war. Ein Bezug zum konkreten Fall fehlt an den entscheidenden Stellen. Damit trägt die Klagepartei nicht Tatsachen vor, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen lassen. Der Sachvortrag ist nicht schlüssig und erheblich, sondern vielmehr unbeachtlich, da er ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Daher war hierüber auch kein Beweis zu erheben, weil dies eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung darstellen würde (vgl. hierzu BGH NJW 2020, 1740, 1741).
26
ff) Bei seiner Entscheidung hat das Gericht nicht unberücksichtigt gelassen, dass es für das streitgegenständliche Fahrzeug einen verbindlichen Rückruf gibt. Es ist jedoch zu beachten, dass das Kraftfahrt-Bundesamt unter dem Oberbegriff „unzulässige Abschalteinrichtung“ verschiedene Arten von Abschalteinrichtungen zusammenfasst. So kann der Oberbegriff „unzulässige Abschalteinrichtung“ einerseits die den Prüfstand erkennende Software des Motors EA189 des Herstellers Volkswagen bezeichnen. Andererseits kann damit auch die von der Behörde für „kritisch“ gehaltene Reduzierung der Abgasrückführung bei bestimmten Betriebszuständen gemeint sein (vgl. OLG München, Beschluss vom 17.12.2020 – Az. 27 U 7565/19). Der hiesige verbindliche Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs lässt – jedenfalls auf Basis des Parteivortrags – keinen Rückschluss zu, dass in der dort verwandten Motorsteuerung eine den Prüfstandbetrieb erkennende Software verwendet wird.
27
2. Ein Anspruch folgt auch weder aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB noch aus §§ 831, 826 BGB oder aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. Denn der Beklagten kann auf dieser Grundlage jedenfalls kein bewusst täuschendes Verhalten vorgeworfen werden. Eine Aufklärung der Klagepartei über die Funktionsweise des in dem Fahrzeug enthaltenen Thermofensters oder sonstiger möglicher Abschalteinrichtungen musste vor diesem Hintergrund nicht erfolgen.
28
3. Ein Anspruch der Klagepartei folgt weiterhin nicht aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV. Denn bei diesen Normen handelt es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die den Schutz der Klagepartei vor dem eingetretenen Schaden bezwecken (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – Az. VI ZR 252/19, juris, Rn. 72 ff.). Dies gilt auch für die Norm des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007. Schlussanträge des Generalanwalts des EuGH sind insofern nicht von Belang.
29
II. Der Klagepartei steht in der Folge auch kein Zinsanspruch sowie kein Anspruch auf Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu. Mangels Schadensersatzanspruchs ist die Beklagte mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Pkw nicht in Annahmeverzug geraten.
B.
30
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
C.
31
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs. 2, 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO. Hierbei ist dem Feststellungsantrag zu Ziffer 2 kein eigenständiger Wert zuzumessen (BGH NJW-RR 2020, 1517 [LS]). Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Zinsforderungen bleiben als Nebenforderungen unberücksichtigt (§ 43 Abs. 1 GKG).