Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 30.11.2022 – 16 U 1933/21
Titel:

Sittenwidrige Schädigung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Klagepartei, Kosten des Berufungsverfahrens, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Abschalteinrichtung, Kostenentscheidung, Nutzungsentschädigung, Sicherheitsleistung, Eigene Sachentscheidung, Besondere Verwerflichkeit, Streitwert, Darlegungslast, Tatrichterliche Feststellungen, Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten, Rechtsmittel, Rechtsprechung des BGH, Gegenerklärung, Sachvortrag, Aussicht auf Erfolg

Schlagworte:
Berufungsverfahren, Rückverweisung, Verzug, sittenwidrige Schädigung, Abschalteinrichtung, Grenzwertkausalität
Vorinstanzen:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 12.10.2022 – 16 U 1933/21
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 18.05.2021 – 4 O 7115/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 24.09.2025 – VIa ZR 1675/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 61473

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18.05.2021, Aktenzeichen 4 O 7115/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil und der vorliegende Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 25.652,38 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18.05.2021 und die einleitende Zusammenfassung im vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
2
Im Berufungsverfahren beantragt die Klagepartei:
den Rechtsstreit unter Aufhebung des Urteils des LG Nürnberg-Fürth vom 18.05.2021, zugestellt am 19.05.2021, zum Aktenzeichen 4 O 7115/20 an das LG Nürnberg-Fürth zurückzuverweisen,
hilfsweise im Falle einer eigenen Sachentscheidung des Gerichts wie folgt zu entscheiden:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 25.652,38 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.10.2020, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs Volkswagen Golf GTD 2.0 TDI mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer …, zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Fahrzeugs in Verzug befindet.
3. Die Beklagte wird weiterhin verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 673,90 freizustellen.
3
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
4
Wegen der Einzelheiten des jeweiligen Sachvortrags im Berufungsverfahren wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
5
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18.05.2021, Aktenzeichen 4 O 7115/20, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht geboten ist.
6
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
7
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass.
8
Die Gegenerklärung erschöpft sich in Darstellungen und Überlegungen tatsächlicher und rechtlicher Art, die von der Klagepartei im Verfahren bereits vorgetragen wurden und die der Senat geprüft und behandelt hat. Der Senat nimmt zur Kenntnis, dass die Klagepartei den Ausführungen des Senats ihre eigenen – abweichenden – Schlussfolgerungen und Bewertungen entgegensetzt; er hält jedoch an den im Hinweis dargelegten und begründeten Standpunkten fest.
9
Der Senat hat in seinem Hinweis insbesondere bereits ausgeführt, dass und warum eine Einstufung der von der Beklagten implementierten Steuerungsfunktion(en) als europarechtlich unzulässige Abschalteinrichtung(en) für sich genommenen nicht den Schluss auf das Vorliegen einer haftungsbegründenden sittenwidrigen Schädigung im Sinne der §§ 826, 31 BGB erlaubt, weil der Vorwurf der Sittenwidrigkeit – der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgend – nur bei Hinzutreten „weiterer Umstände“ gerechtfertigt wäre, die das zu beurteilende Geschehen erst als besonders verwerflich qualifizieren könnten. Zudem hat der Senat aufgezeigt, dass und warum nach seinem Verständnis die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – insbesondere schon die Grundsatzentscheidung vom 25. Mai 2020 – in der Sache (wenngleich ohne Verwendung des inzwischen gebräuchlichen Begriffs) die „Grenzwertkausalität“ (bzw. „Grenzwertrelevanz“) der im Streit stehenden Manipulationen zur Bedingung für die Annahme einer sittenwidrigen Schädigung macht. Aus Sicht des Senats weicht das OLG Köln (zu einem Fahrzeug mit SCR-Katalysator) mit seinem (von der Klagepartei vorgebrachten) Urteil vom 10. März 2022 (Az. 24 U 112/21) von der durch die vorangegangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schon gezogenen Linie ab.
10
Die von der Klagepartei in Bezug genommenen Urteile anderer Oberlandesgerichte stehen einem Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO nicht entgegen. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob es Gerichte gibt, die bei der Behandlung bestimmter Sachverhaltskonstellationen unter Berücksichtigung der ihnen im jeweiligen Einzelfall von den Parteien unterbreiteten Informationen im konkreten Ergebnis zu einer abweichenden Einschätzung (der Haftungsfrage oder des Umfangs der Darlegungslast) gelangen. Der vorliegende Fall wirft keine neuen Fragen auf, die von grundsätzlicher Bedeutung sind. Die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 826 BGB sind sowohl allgemein als auch speziell mit Bezug auf die Entwicklung und den Einsatz einer europarechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung höchstrichterlich abstrakt geklärt; hieran vermag auch die angesprochene Entscheidung des OLG Köln nichts zu ändern, die gerade nicht zu einem Fahrzeug mit NSK ergangen ist. Ob im jeweils konkreten Fall die Voraussetzungen für eine Haftung des Motorenherstellers vorliegen, hängt stets von den durch die tatrichterlichen Instanzen unter Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen (nicht zuletzt auch zur Frage der Herleitung eines etwaigen Schädigungsvorsatzes) ab und kann ohnehin nicht Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2022 – VIa ZR 334/21, Rn. 13 bei juris m.w.N.).
11
Mit den Ausführungen des Generalanwalts Rantos vom 2. Juni 2022 in der beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Rechtssache C-100/21 hat sich der Senat in seinem Hinweis bereits umfassend auseinandergesetzt; er hält auch insoweit an den im Hinweis dargelegten und begründeten Standpunkten fest, die auch in der Literatur Bestätigung finden, vgl. Riehm, ZIP 2022, 2309-2320 und Röhl, EuZW 2022, 933-940. Eine den Standpunkten des Senats entgegenstehende Rechtsprechung des BGH ist nicht ersichtlich; eine solche wird insbesondere auch nicht durch eine – in der Sache ohnehin nicht eindeutige – bloße Pressemitteilung oder durch das bloße Absetzen von Verhandlungsterminen (anders als die Klagepartei meint, wurde im Verfahren VII ZR 412/21 am 30. Juni 2022 nicht mündlich verhandelt) bzw. deren Verlegung begründet.
12
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
13
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils und des vorliegenden Beschlusses erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
14
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt. Maßgeblich ist das aus der Gesamtschau (Gestaltung der Anträge; etwaige eigene ausdrückliche Wertangaben) ersichtliche subjektive Rechtsschutzziel der Klagepartei (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2021 – VII ZR 206/21, Rn. 6 ff. bei juris, insbesondere zu Anlass und Umfang der Berücksichtigung einer Nutzungsentschädigung, die als möglicher Abzugsposten in das Ermessen des Gerichts gestellt wird).