Titel:
Aussetzung des Verfahrens, Selbstbestimmungsrecht, Hinweisbeschluss, Revisionszulassung, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Klagepartei, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Beweisbeschlüsse, Rückabwicklung des Kaufvertrags, Klärungsbedürftige Rechtsfrage, Schlussanträge des Generalanwaltes, Sittenwidrigkeit, Abstrakter Rechtssatz, Klärungsbedürftigkeit, Vorabentscheidungsverfahren, Rechtsprechung des BGH, Vorabentscheidungsersuchen, Abschalteinrichtung, Verfahrensaussetzung, Abgasskandal
Schlagworte:
Abgas-Skandal, Berufung, Aussetzungsantrag, Hinweisbeschluss, Thermofenster, Sittenwidrigkeit, Unrechtsbewusstsein
Vorinstanz:
LG München I vom 09.06.2020 – 23 O 2465/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 24.09.2025 – VIa ZR 1348/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 61468
Tenor
1. Der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO analog bis zur Entscheidung des EuGH über die Vorlagefragen in dem Vorabentscheidungsverfahren C-100/21 wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 09.06.2020, Aktenzeichen 23 O 2465/20, wird zurückgewiesen.
3. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das in Ziffer 2 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 66.543,54 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Abgas-Skandal geltend.
2
Das Landgericht hat die Klage umfassend abgewiesen. Auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen.
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Weiter wird zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit vollumfänglich auf Ziffer I. des Hinweisbeschlusses des Senats vom 09.08.2022 verwiesen.
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Die Klagepartei hat erstinstanzlich in der Hauptsache beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 70.518,22 € nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkws, zu bezahlen.
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Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt die Klagepartei ihre erstinstanzlichen Anträge mit der Maßgabe weitere, dass mit dem Hauptantrag nur noch Zahlung in Höhe von 66.543,54 € verlangt wird.
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Die Beklagte hat die Zurückweisung der Berufung beantragt.
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Mit Hinweisbeschluss vom 09.08.2022 wurde die Klagepartei darauf hingewiesen, dass und weshalb der Senat beabsichtigt, ihre Berufung gemäß § 522 II ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Es wurde ihr eine Frist zur Stellungnahme bis 05.09.2022 eingeräumt. Mit Schriftsatz vom 17.08.2022 hat die Klagepartei einen Beweisbeschluss des 19. Zivilsenats des OLG München vom 04.08.2022 im Verfahren 19 U 4395/20 vorgelegt, wonach Beweis über die Behauptung der dortigen Klagepartei zu erheben sei, dass die im dort streitgegenständlichen Fahrzeug … eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters verbaut sei. Ferner hat die Klagepartei beantragt, das Verfahren auszusetzen, jedenfalls aber die Revision zuzulassen.
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Der Aussetzungsantrag der Klagepartei ist zurückzuweisen.
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Der Antrag der Klagepartei auf Aussetzung des Verfahrens ist dahingehend auszulegen, dass das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH über die Vorlagefragen in dem Vorabentscheidungsverfahren C-100/21 ausgesetzt werden soll.
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Der Bundesgerichtshof geht – wie im Hinweisbeschluss des Senats ausgeführt – in ständiger Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 Rn. 72 ff., BGHZ 225, 316; Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20 Rn. 10 ff., ZIP 2020, 1715; vgl. auch Beschluss vom 10. Februar 2022 – III ZR 87/21 Rn. 8 ff, Juris) davon aus, dass die Rechtslage im Hinblick auf § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV von vornherein eindeutig („acte clair“, vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – Rs 283/81, NJW 1983, 1257, 1258; BVerfG, NVwZ 2015, 52 Rn. 35) ist. Zuletzt hat er dies im Beschluss vom 4. Mai 2022 – VII ZR 656/21 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das den Gegenstand der Schlussanträge des Generalanwalts … vom 02.06.2022 bildende Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg ausgesprochen. Selbst wenn die Verordnung (EG) 715/2007 dem Schutz der Käufer eines Fahrzeugs vor Verstößen des Herstellers gegen seine Verpflichtung, neue Fahrzeuge in Übereinstimmung mit ihrem genehmigten Typ bzw. den für ihren Typ geltenden Rechtsvorschriften in den Verkehr zu bringen, diente, besage dies nichts für die Frage, ob damit auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein solle. Es seien keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckt habe und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2022 – VII ZR 656/21 –, Rn. 3, Juris).
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Die Schlussanträge des Generalanwalts … vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 (Celex-Nr. 62021CC0100) geben keine Veranlassung, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen oder nunmehr eine Vorlage an den EuGH gem. § 267 AEUV bzw. eine Aussetzung entsprechend § 148 ZPO bis zu einer Entscheidung des EuGH in dieser Sache in Erwägung zu ziehen.
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Nach Auffassung des Senats stünde es – wie im Hinweisbeschluss dargelegt – den Mitgliedstaaten weiterhin frei, einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages wegen einer Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts zu verneinen, selbst wenn der Europäische Gerichtshof den Anträgen des Generalanwalts folgen sollte. Zudem bieten die Anträge auch in der Sache – wie ebenfalls bereits erläutert – keine ausreichenden Anhaltspunkte, um nunmehr von einer durch den EuGH klärungsbedürftigen Frage auszugehen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die diesbezüglichen Ausführungen im Hinweisbeschluss des Senats vom 09.08.2022 verwiesen.
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Die Pressemitteilung des BGH des VIa. Senats Nr. 104/2022 vom 01.07.2022 rechtfertigt, anders als die Berufung meint, keine andere Sichtweise. Auch insoweit wird auf die Darlegungen im Hinweisbeschluss Bezug genommen und darauf, dass auch der VIa. Senat auch nach den Schlussanträgen des Generalanwalts … an seiner Rechtsprechung festhält.
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So führt der BGH in einem Urteil vom 13. Juni 2022 – VIa ZR 680/21 – folgendes aus:
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Entgegen der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Rechtsauffassung ist allerdings nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht dem Zahlungsantrag des Klägers nicht auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 entsprochen hat. Auf diese Vorschriften kann der Kläger sein Begehren nicht stützen. Der Kläger macht als verletztes Schutzgut sein wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags geltend. Diese Interessen werden vom Schutzzweck der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht erfasst (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 72 ff.; Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff.; Beschluss vom 4. Mai 2022 – VII ZR 656/21, juris Rn. 1 ff.).
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Die Berufung der Klagepartei ist danach im Beschlussweg gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen, da der Senat einstimmig davon überzeugt ist, dass sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
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Insoweit wird vollumfänglich auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss des Senats vom 09.08.2022 verwiesen. Die Klagepartei hat inhaltlich hierzu nicht mehr Stellung genommen. Soweit sie mit Schriftsatz vom 17.08.2022 einen Beweisbeschluss des 19. Zivilsenats vom 04.08.2022 vorgelegt hat, bietet dieser keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung. Es ist klägerseits bereits nicht dargelegt, was die Klagepartei im dortigen Verfahren konkret zu dem in ihrem Fahrzeug Mercedes Benz verbauten Thermofenster vorgetragen hat, sodass durch den Senat beurteilt werden kann, ob es sich daher um dasselbe Thermofenster wie im hier streitgegenständlichen Fahrzeug handelt. Daran bestehen bereits Zweifel, da es sich im Parallelverfahren um einen Dieselmotor eines anderen Herstellers, mithin einen anderen Motor handelt.
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Im Übrigen hat der Senat im Beschluss vom 09.08.2022 darauf hingewiesen, dass die Unzulässigkeit des im streitgegenständlichen Fahrzeugmotor verbauten Thermofensters sogar unterstellt werden könne (dort S. 10), da der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nach der Rspr. des BGH jedenfalls voraussetze, dass die seitens der Beklagten handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems im Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigen in Kauf genommen hätten (Leitsatz BGH, Urt. V. 16.09.2021 – VI ZR 190/20), wozu die Klagepartei nicht hinreichend konkret vorgetragen habe (dort S. 10 ff.); eine unzureichende Offenlegung des Thermofensters bzw. weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen würden dabei nicht auf das erforderliche Unrechtsbewusstsein der Beklagten hinweisen. Der Beweisbeschluss des 19. Zivilsenats vom 04.08.2022, mit welchem nachgewiesen soll, dass im dortigen Fahrzeugmotor eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters verbaut ist, ist daher für die hier ergehende Entscheidung schon nicht entscheidungserheblich.
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Eine Divergenz zu anderen obergerichtlichen Entscheidungen ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich. Denn nach der Rspr. des BGH begründet es noch keine Divergenz, wenn der gleiche Sachverhalt von zwei Gerichten unterschiedlich beurteilt wird. Hinzukommen muss, dass dieser Beurteilung unterschiedliche abstrakte Rechtssätze zugrunde liegen. Dafür reicht es nicht aus, dass die gegenteiligen Urteile auf der Würdigung des jeweils vorgetragenen Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht beruhen (BGH vom 09.07.2007, Gz. II ZR 95/06, zur unterschiedlichen Beurteilung ein und desselben Verhaltens als sittenwidrig bzw. nicht sittenwidrig).
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Außerdem würden selbst – zumindest bisher allerdings noch nicht ersichtliche – unterschiedliche tatrichterliche Auslegungen nicht zwangsläufig zu einer Divergenz im Sinne des Revisionsrechts führen. Gelangt ein Berufungsgericht im Einzelfall trotz identischen Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis als ein anderes gleich- oder höherrangiges Gericht, so begründet dies für sich allein nicht die Notwendigkeit der Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Es kommt vielmehr darauf an, ob eine Divergenz in Rechtsfragen oder ein Rechtsfehler mit symptomatischer Bedeutung vorliegt (BGH, Beschluss vom 16.09.2003 – XI ZR 238/02). Beides ist hier nach Einschätzung des Senats nicht ersichtlich.
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Auch liegt keine grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfrage vor, über deren Umfang und Bedeutung Unklarheiten bestehen (BGH, Beschluss vom 22.09.2015 – II ZR 310/14, ZIP 2016, 266 Rn. 3 mwN). Vielmehr lassen sich die aufgeworfenen Fragen auf der Grundlage der bisherigen und zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des BGH zweifelsfrei beantworten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgt gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Zum Streitwert für das Berufungsverfahren wurde entsprechend dem erteilten Hinweis gemäß § 47 GKG auf 66.543,54 € festgesetzt.