Titel:
Bayerisches Oberstes Landesgericht, Rechtsbeschwerde, Sofortiges Anerkenntnis, Anerkenntnisurteil, Prozessuales Anerkenntnis, Anerkenntniserklärung, Aufhebung des Schiedsspruchs, Aufhebung eines Schiedsspruchs, Wirkungen des Schiedsspruchs, Vollstreckbarerklärung, Aufhebungsantrag, Antragsgegner, Beschlussmängelstreitigkeit, Aufhebungsverfahren, Kostenentscheidung, Elektronisches Dokument, Schiedsgerichte, Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, Schiedsgerichtsbarkeit, Mißbrauch der Vertretungsmacht
Schlagworte:
Schiedsspruch, Aufhebungsverfahren, Anerkenntnis, Vereinsrecht, Schiedsgerichtsbarkeit, Kostenentscheidung, Parteiautonomie
Vorinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 16.12.2021 – 101 Sch 96/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 61420
Tenor
I. Der Schiedsspruch des Schiedsgerichts […], bestehend aus dem Vorsitzenden […] sowie den Beisitzern […] und […], vom […] wird in Ziffern 1. und 3. aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen samtverbindlich die Antragsgegner zu 1) bis 9).
III. Der Streitwert wird auf […] € festgesetzt.
Gründe
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Das Schiedsgericht des Vereins […] erließ am […] einen Schiedsspruch zwischen den hiesigen Antragsgegnern zu 1) bis 9), sämtlich (ehemalige) Vereinsmitglieder, als Schiedskläger und den hiesigen Antragstellern, dem Präsidenten des Vereins, den weiteren Mitgliedern des Vereinspräsidiums sowie dem Verein, als Schiedsbeklagten. In Ziffer 1. des Tenors stellte das Schiedsgericht fest, dass der Zustimmungsbeschluss der außerordentlichen Mitgliederversammlung des Vereins vom […] zum Kaufvertrag mit der […] vom […] unwirksam sei; Ziffer 3. enthält eine Entscheidung zur Tragung der im Schiedsverfahren angefallenen Kosten. In den Gründen führte das Schiedsgericht aus, es entscheide als echtes Schiedsgericht im Sinne der §§ 1025 ff. ZPO und nicht lediglich als vereinsinterne Einrichtung. Die seine Zuständigkeit regelnde Satzungsbestimmung sei dahin auszulegen, dass das Schiedsgericht befugt sei, in einer vereinsrechtlichen Beschlussmängelstreitigkeit zu entscheiden.
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Gegen den ihnen am […] mitgeteilten Schiedsspruch wenden sich die Antragsteller mit dem auf die Ziffern 1. und 3. des Tenors bezogenen Aufhebungsantrag vom […], eingegangen als elektronisches Dokument bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht am selben Tag. Sie machen u. a. geltend, dass Beschlussmängelstreitigkeiten nach der Satzung nicht dem Schiedsgericht zugewiesen seien. Das Vereinsschiedsgericht sei daher nicht zuständig gewesen für eine Entscheidung mit erga-omnes-Wirkung in einer solchen Streitigkeit.
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Der Senat hat am 16. Dezember 2021 die mündliche Verhandlung angeordnet und diese am 16. Februar 2022 durchgeführt.
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Mit Schriftsätzen vom 16. und 18. März 2022 haben die Antragsgegner den Aufhebungsantrag im gestellten Umfang anerkannt.
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Dem Aufhebungsbegehren ist zu entsprechen, denn der Antrag ist zulässig gestellt und hat bereits aufgrund des wirksam erklärten Anerkenntnisses in der Sache Erfolg.
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1. Der Aufhebungsantrag ist zulässig gestellt.
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a) Das Bayerische Oberste Landesgericht ist gemäß § 1062 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 ZPO i. V. m. § 7 BayGZVJu in der seit dem 1. Mai 2020 geltenden Fassung zuständig, weil der Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens im Bezirk eines bayerischen Oberlandesgerichts liegt (Wilske/Markert in BeckOK ZPO, 43. Ed. Stand: 1. Dezember 2021, § 1062 Rn. 3; Geimer in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 1062 Rn. 2; Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2020, § 1062 Rn. 16; Saenger in Saenger, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 1062 Rn. 3).
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b) Der Aufhebungsantrag ist statthaft.
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Der Schiedsspruch kann schon deshalb Gegenstand eines Aufhebungsantrags nach § 1059 ZPO sein, weil sich das angerufene Schiedsgericht als „echtes“ Schiedsgericht im Sinne des 10. Buchs der Zivilprozessordnung angesehen hat (vgl. Geimer in Zöller, ZPO, § 1059 ZPO Rn. 16; Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO, § 1059 ZPO Rn. 15 Fn. 4491; Schröder/Lerch in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, 5. Aufl. 2021, § 21 Schiedsgerichtsbarkeit Rn. 236 f.). Es hat in der Sache entschieden mit dem Anspruch, rechtsgestaltend mit erga-omnes-Wirkung über die Wirksamkeit eines Beschlusses der Mitgliederversammlung zu befinden. Explizit hat es ausgeführt, kein Verbandsgericht zu sein. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. Mai 2004, III ZB 53/03, BGHZ 159, 207, steht dem nicht entgegen, denn in dem dort zugrundeliegenden Fall hatte das Vereinsschiedsgericht eine Entscheidung als vereinsinterne Einrichtung gefällt, die der Überprüfung durch die staatlichen Gerichte nach den allgemeinen Vorschriften, das heißt regelmäßig aufgrund Klage nach §§ 253 ff. ZPO, unterliegt.
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Die Möglichkeit, nach § 1059 ZPO die Aufhebung eines Schiedsspruchs zu beantragen, kann vertraglich auch nicht wirksam ausgeschlossen werden (Geimer in Zöller, ZPO, § 1059 Rn. 79 m. w. N.). Vielmehr obliegt dem Staat die Kontrolle über die private Schiedsgerichtsbarkeit; dieser staatliche Kontrollvorbehalt ist für die Parteien nicht verfügbar.
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c) Der Aufhebungsantrag ist auch für den Verein, den Antragsteller zu 5), wirksam gestellt. Gemäß § 23 der Vereinssatzung (in der Fassung vom […]) wird der Verein vom Präsidenten einzeln gesetzlich vertreten. Weder verstößt der für den Verein gestellte Aufhebungsantrag gegen die zu § 181 BGB entwickelten Grundsätze des Verbots des Selbstkontrahierens noch ist für einen Missbrauch der Vertretungsmacht etwas ersichtlich.
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d) Das Rechtsschutzbedürfnis für die (Teil-)Aufhebung des Schiedsspruchs ist nicht deshalb entfallen, weil mittlerweile ein neuer Kaufvertrag beurkundet und zum Gegenstand weiterer Auseinandersetzungen geworden ist.
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e) Die Frist des § 1059 Abs. 3 ZPO ist gewahrt.
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2. Dem Aufhebungsbegehren ist bereits aufgrund des prozessualen Anerkenntnisses zu entsprechen.
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a) Im Aufhebungsverfahren nach § 1059 ZPO ist ein prozessuales Anerkenntnis entsprechend § 307 ZPO grundsätzlich möglich.
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Dass ein Schiedsspruch gemäß § 1055 ZPO die Wirkungen eines rechtskräftigen Urteils entfaltet, steht nicht entgegen. Unabhängig davon, ob Aufhebungsgründe bestehen oder nicht, können die Parteien einem Schiedsspruch – jedenfalls bis zu dessen Vollstreckbarerklärung – die Wirkung des § 1055 ZPO einvernehmlich nachträglich wieder nehmen (Geimer in Zöller, ZPO, § 1059 Rn. 10); sie können den Schiedsspruch einvernehmlich aufheben oder ändern (Münch in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1055 Rn. 31 f. m. w. N.), da eine derartige, auf Parteiautonomie beruhende Durchbrechung der Rechtskraft letztlich auf die Schiedsbindung zurückzuführen ist, der sich die Parteien in privatautonom getroffener Vereinbarung unterworfen haben (vgl. Münch in Münchener Kommentar, a. a. O. Rn. 31).
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Der Zulässigkeit eines Anerkenntnisses steht auch eine etwaige inter-omnes-Wirkung des Schiedsspruchs nicht entgegen.
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Zudem hält sich ein Anerkenntnis, das im Aufhebungsverfahren erklärt wird, in den Grenzen prozessualer Dispositionsbefugnis. Hier bestehen die Schwierigkeiten nicht, die sich im Verfahren der Vollstreckbarerklärung mit Blick darauf stellen können, dass einem Schiedsspruch die Vollstreckbarerklärung zwingend zu versagen ist, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs zu einem Ergebnis führte, das der öffentlichen Ordnung (ordre public) widerspricht.
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b) Das Anerkenntnis ist wirksam erklärt.
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Die Anforderungen, die an Prozesserklärungen nach § 130d Satz 1 ZPO in der seit dem
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1. Januar 2022 geltenden Fassung zu stellen sind, sind erfüllt.
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Gemäß § 307 Satz 2 ZPO bedarf es für die Wirksamkeit des Anerkenntnisses keiner mündlichen Verhandlung. Die Anerkenntniserklärung kann vielmehr auch durch Schriftsatz in das Verfahren eingeführt werden (Elzer in BeckOK ZPO, § 307 Rn. 19).
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Dass die Prozesserklärung erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung abgegeben worden ist, hindert ihre prozessuale Wirksamkeit gleichfalls nicht. Ein Anerkenntnis ist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zulässig. Der Partei muss es gestattet sein, in jeder Lage des Verfahrens den Rechtsstreit durch ein Anerkenntnis unmittelbar zu beenden; nur ein solches Verständnis des § 307 ZPO, dessen Grundsätze auch im Aufhebungsverfahren zu berücksichtigen sind, entspricht der Absicht des Gesetzgebers, der im Interesse der Verfahrensbeschleunigung und Verfahrenserleichterung die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Erlass eines Anerkenntnisurteils zunehmend gesenkt hat (ausführlich: BGH, Urt. v. 18. Juli 2014, V ZR 287/13, NJW-RR 2014, 1358 Rn. 9 und Beschluss vom 18. Juli 2013, IX ZB 41/12, NJW-RR 2013, 1333 Rn. 8). Der Senat teilt daher die Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart, wonach ein Anerkenntnis, das nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, aber vor dem Erlass der die Instanz beendenden Entscheidung erklärt wird, in der Entscheidung zu berücksichtigen ist; einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 ZPO bedarf es hierfür nicht (OLG Stuttgart, Urt. v. 19. Dezember 2019, 1 U 200/19, juris Rn. 1 f.; so auch Kirschbaum, NJOZ 2012, 681; a. A. wohl Elzer in BeckOK ZPO, § 307 Rn. 20; Feskorn in Zöller, ZPO, § 307 Rn. 3; offengelassen von Musielak in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 307 Rn. 14).
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Eine Zurückweisung der Erklärung als verspätet nach § 296a ZPO kommt nicht in Betracht, weil das Anerkenntnis eine reine Verfahrenshandlung darstellt, mithin keinen neuen Sachantrag enthält, und nicht als neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel angesehen werden kann.
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Die Antragsgegner haben das von den Antragstellern geltend gemachte Aufhebungsbegehren eindeutig und bedingungslos anerkannt. Der erklärte Vorbehalt gegen die Belastung mit den Verfahrenskosten begründet keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Anerkenntnisses.
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c) Aufgrund des Anerkenntnisses spricht der Senat die Aufhebung des Schiedsspruchs im beantragten Umfang aus. Auf die geltend gemachten Aufhebungsgründe muss aufgrund des Anerkenntnisses nicht mehr eingegangen werden.
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3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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Der anerkennenden Partei sind grundsätzlich die Kosten aufzuerlegen (Elzer in BeckOK ZPO, § 307 Rn. 48; Hunke in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 307 Rn. 19), sofern nicht die Voraussetzungen eines sofortigen Anerkenntnisses i. S. v. § 93 ZPO vorliegen (vgl. Feskorn in Zöller, ZPO, § 307 Rn. 7; Herget in Zöller, ZPO, § 93 Rn. 3 ff.; Rensen in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2015, § 307 Rn. 30; Musielak in Münchener Kommentar zur ZPO, § 307 Rn. 28). Ein sofortiges Anerkenntnis liegt im Streitfall nicht vor, da die Antragsgegner noch in der mündlichen Verhandlung Antragsabweisung begehrt und den Anspruch erst danach anerkannt haben.
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Die Ansicht der Antragsgegner, Kostenschuldner könne nur der Verein sein, dessen satzungsmäßige Institution die angegriffene Entscheidung getroffen habe, trifft nicht zu. Parteien des gerichtlichen Verfahrens sind die Antragsteller zu 1) bis 4) als natürliche Personen und der Verein […] als Antragsteller zu 5) sowie die in dem Aufhebungsantrag vom […] als Antragsgegner bezeichneten natürlichen Personen, die Antragsgegner zu 1) bis 9), gegen die sich der Aufhebungsantrag richtet (vgl. auch BGH, Urt. v. 19. Januar 2021, VI ZR 188/17, NJW 2021, 1818 Rn. 11). Maßgeblich für die Kostenverteilung unter den Parteien ist das Maß ihres Obsiegens und Unterliegens. Dem Verein als obsiegender Partei können nach diesen Grundsätzen keine Verfahrenskosten auferlegt werden.
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Ohne Erfolg verweisen die Antragsgegner zu 1) bis 5) und 7) bis 9) darauf, dass sie dem Schiedsgericht gemäß ihrer Antragsschrift vom […] auch einen Hilfsantrag unterbreitet haben. Gesichtspunkte, die für die Kostenentscheidung bedeutsam wären, ergeben sich daraus nicht. Da über diesen Hilfsantrag im Schiedsverfahren nicht entschieden worden ist, ist er im Verfahren über die Aufhebung des Schiedsspruchs ohne jede Relevanz.
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Vergeblich wendet die Antragsgegnerin zu 6) ein, sie sei am […], mithin vor dem Erlass des Schiedsspruchs, aus dem Verein ausgetreten. Ihr Vereinsaustritt hat nach dem oben Ausgeführten keine Auswirkung auf ihre Parteirolle im gerichtlichen Verfahren. Ob das Schiedsgericht ihren Austritt aus dem Verein hätte beachten und den Erlass eines Schiedsspruchs insoweit unterlassen müssen, ist für die hier zu treffende Kostenentscheidung mithin ohne Belang.
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4. Hinsichtlich des festgesetzten Streitwerts wird auf die Gründe der vorläufigen Festsetzung im Beschluss vom 16. Dezember 2021 Bezug genommen.