Titel:
Kein Schadensersatz für mit Thermofenster ausgestattetes Diesel-Fahrzeug (hier: Audi A4, 3.0 l)
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
ZPO § 273 Abs. 2 Nr. 2, § 358a S. 2 Nr. 2
Leitsätze:
1. Der Umstand, dass die Abgasrückführung in einem Fahrzeug durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei einem bestimmten Temperaturbereich reduziert und letztlich ganz abgeschaltet wird, reicht für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Herstellerin handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine amtliche Auskunft (§ 273 Abs. 2 Nr. 2, § 358a S. 2 Nr. 2 ZPO) des KBA ist selbständiges Beweismittel und ersetzt einen Sachverständigenbeweis. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wurde vom Gericht eine amtliche Auskunft des Kraftfahrtbundesamtes hinsichtlich des (Nicht-)Vorliegens einer Abschalteinrichtung in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eingeholt, führt dies dazu, dass sich die Anforderungen an den klägerischen Vortrag zu behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen verschärfen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Skandal, Thermofenster, Sittenwidrigkeit, Abschalteinrichtung, Schadensersatzanspruch, Substantiierungspflicht, Amtliche Auskunft
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 03.12.2020 – 64 O 2358/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 20.08.2025 – VIa ZR 1026/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 61304
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 03.12.2020, Az. 64 O 2358/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz um Schadensersatzansprüche im Rahmen des sog. „Diesel-Skandals“.
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Der Kläger begehrt die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen Audi A4, 3.0I, den er am 17.05.2014 zu einem Preis von 42.220,16 € erworben hatte. Der in dem Fahrzeug verbaute Motor der Abgasnorm Euro 5 ist mit einem Thermofenster ausgestattet. Die Software des Motors ist dabei so programmiert, dass die Abgasrückführung bei bestimmten Temperaturen deaktiviert ist, sodass sich in diesen Fällen der Ausstoß von Stickoxiden erhöht.
3
Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, das Fahrzeug sei mit einem speziellen Motorsteuerungsprogramm ausgestattet, welches bewirke, dass bei dem Betrieb des Fahrzeugs im Prüfstand im Gegensatz zum normalen Straßenbetrieb ein Schwerpunkt auf eine bevorzugte Abgasreinigung zulasten der Performance gelegt werde und im Normalbetrieb zulässige Grenzwerte nicht eingehalten werden würden. Das Verhalten der Beklagten sei sittenwidrig gewesen. Die Klagepartei hätte das Fahrzeug nicht erworben, wenn sie Kenntnis von den Manipulationen gehabt hätte. Ihr sei ein Schaden entstanden. Der Klagepartei stünden mithin deliktsrechtliche Schadensersatzansprüche zu.
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Die Beklagte ist dem entgegen getreten und bestreitet, dass der streitgegenständliche Motor von der Dieselthematik betroffen ist. Er verfüge nicht über die bei Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 enthaltene Umschaltautomatik. Der klägerische Vortrag gehe an dem konkreten streitgegenständlichen Fahrzeug vorbei. Das streitgegenständliche Fahrzeug erfülle die Anforderungen der Abgasnorm Euro 5. Ein Thermofenster stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit Thermofenster sei angesichts der umstrittenen Rechtslage nicht sittenwidrig. Der Vortrag hinsichtlich der übrigen behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen sei zu unsubstantiiert. Bei der EG-FGV handele es sich nicht um ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB.
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Hinsichtlich der Urteilsgründe im Einzelnen wird auf das Urteil verwiesen. Auch hinsichtlich der festgestellten Tatsachen wird auf das Urteil Bezug genommen, § 540 ZPO.
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Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel weiter.
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei EUR 42.220,16 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.04.2019 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 6.028,83 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges der Marke Audi A4 mit der Fahrgestellnummer …15 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 10.04.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.613,24 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.04.2019 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie meint, die Berufung sei unbegründet. Das Landgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Das Fahrzeug sei von keinem Rückruf betroffen und enthalte keine unzulässige Abschalteinrichtung. Die Behauptungen der Klagepartei würden keine greifbaren Anhaltspunkte für eine Haftung der Beklagten enthalten. Der Vortrag erfolge rein ins Blaue. Das eingesetzte Thermofenster sei üblich, technisch notwendig und zulässig.
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Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung einer amtlichen Auskunft durch das Kraftfahrtbundesamt, welche diese am 24.02.2022 erteilt hat. Auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen. Ergänzend werden auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
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Die zulässige Berufung der Klagepartei ist in der Sache nicht begründet, das Erstgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dazu im Einzelnen:
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1. Die Verwendung eines in dem Fahrzeug vorhandenen Thermofensters, welches bewirkt, dass die Abgasrückführung bei bestimmten Temperaturen deaktiviert ist, sodass sich in diesen Fällen der Ausstoß von Stickoxiden erhöht, stellt jedenfalls keine sittenwidrige Täuschung dar.
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a) Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19.01.2021 (Az.: VI ZR 433/19, NJW 20221, 921) liegt eine Sittenwidrigkeit und ein sich daraus ergebende Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB nicht bereits deshalb vor, weil die Beklagte das streitgegenständliche Fahrzeug aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofensters) ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat. Dieses Verhalten ist für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 15; Urt. v. 07.05.2019 – VI ZR 512/17, NJW 2019, 2164 Rn. 8; Urt. v. 28.06.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn. 16 m.w.N.).
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b) Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug der Klagepartei nach seinem zugrunde zu legenden Sachvortrag durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei einem bestimmten Temperaturbereich reduziert und letztlich ganz abgeschaltet wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten der Klagepartei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist (vgl. zu Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG auch EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 – C-693/18, Celex-Nr. 62018CJ0693). Der darin zu sehende Gesetzesverstoß wäre aber auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten nicht geeignet, den Einsatz der Steuerungssoftware als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Nach der Ansicht des BGH ist dieser Fall nicht mit der bereits entschiedenen Konstellation (BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179), in welcher die Steuerungssoftware bei Erkennen eines Rollenprüfstandes die Abgasreduzierung erhöht, vergleichbar, da die temperaturabhängige Steuerung nicht darauf abstellt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Die Software arbeitet in beiden Fahrtsituationen im Grundsatz in gleicher Weise.
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c) Nach der in der genannten Entscheidung vom Bundesgerichtshof geäußerten Ansicht kann eine Sittenwidrigkeit demnach nur dann anzunehmen sein, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für die Beklagten handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Konkrete Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass die Beklagte in Bezug auf das Thermofenster in dem Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung handelte, hat die Klagepartei auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens indes nicht dargetan und sind auch sonst nicht ersichtlich.
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d) Wie das Landgericht zutreffend ausführt, war die Gesetzeslage zum Thermofenster gerade nicht unzweifelhaft und eindeutig. Dies belegt die bekannte kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007/EG. Denn noch im Jahr 2016 – also zu einem Zeitpunkt, in dem der Volkswagenkonzern bereits massiv in der Kritik stand wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen – wurde in dem erstinstanzlich in Bezug genommenen Bericht der vom Bundesinnenministerium eingesetzten „Untersuchungskommission Volkswagen“, Stand April 2016, S. 18, 114, 123, ausgeführt, dass die Berufung auf den Motorschutz auch im Hinblick auf das sog. „Ausrampen“ im Rahmen von Thermofenstern die Verwendung von Abschalteinrichtungen rechtfertigen kann, wenn von Seiten der Hersteller nachvollziehbar dargestellt wird, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor Schaden droht, sei dieser auch noch so gering. Diese Einschätzung liegt auch noch dem von der Klagepartei zitierten Bericht des Kraftfahrtbundesamtes zur „Wirksamkeit von Software-Updates zur Reduzierung von Stickoxiden bei Dieselmotoren“, Stand 10.01.2020, zugrunde. Die Interpretation der Beklagten und anderer Automobilhersteller zur Zulässigkeit von Thermofenstern unter dem Aspekt des Motorschutzes wurde damit von offizieller Seite gebilligt und war damit jedenfalls nicht unvertretbar. Nach der Entscheidung des europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-693/18 ist dies gegebenenfalls erneut zu beurteilen. Geklärt wäre damit indes allein die europarechtliche Auslegung des Art. 5 der VO EG 715/2007 und frühestens ab dem Zeitpunkt der Entscheidung am 17.12.2020 in die Zukunft.
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e) Die Klagepartei behauptet pauschal, das Thermofenster sei in der konkreten Ausgestaltung dem Kraftfahrtbundesamt bei Beantragung der Typengenehmigung nicht offen gelegt worden. Dies bildet aber jedenfalls kein Indiz dafür, dass die für die Beklagte handelnden Personen im Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung handelten. Denn nach der Behauptung der Beklagten handelte es sich gerade um eine zulässige Technologie, weshalb aus ihrer – jedenfalls vertretbaren – Sicht kein Anlass zur Offenlegung bestanden hätte.
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f) Anders wäre dies ggf. zu beurteilen, wenn die Beklagte Angaben gemacht hätte, diese aber unzutreffend gewesen wären (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 19 ff., zitiert nach Juris). Dies gilt umso mehr als der Einsatz von Thermofenstern in Dieselfahrzeugen der Europäischen Kommission schon im Jahr 2008 bekannt war; Dieselfahrzeuge waren dementsprechend explizit von der Prüfung Typ 6 zur Messung von Emissionen bei niedrigen Temperaturen (bei denen der Einsatz von Thermofenstern zu einer geringeren Stickoxidverringerung führt) ausgenommen (Art. 3 Abs. 9 der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge, ABl. L 199 vom 28.07.2008, S. 1 ff., nachfolgend: Verordnung 692/2008/EG, vgl. Mitteilung der Kommission über die Anwendung und die künftige Entwicklung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Emissionen von Fahrzeugen für den Leichtverkehr und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen – Euro 5 und Euro 6 – vom 19.07.2008, Ziffer 8, ABl. C 182 vom 19.07.2008, S. 17 ff.). Eine Pflicht zur genauen Beschreibung der Emissionsstrategien wurde ohnehin erst mit der Verordnung (EU) 2016/646 der Kommission vom 20.04.2016 (ABl. L vom 26.04.2016, 1 ff.) eingeführt. Entsprechendes wird jedoch nicht konkret vorgetragen.
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2. Soweit die Klagepartei weitere Abschalteinrichtung vorträgt, hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung einer amtlichen Auskunft seitens des KBA. Eine amtliche Auskunft (§ 273 Abs. 2 Nr. 2, § 358a S. 2 Nr. 2 ZPO) ist nach herrschender Meinung, welcher sich der Senat anschließt, selbständiges Beweismittel und ersetzt einen Sachverständigenbeweis (Musielak/Voit/Huber, 19. Aufl. 2022, ZPO § 402 Rn. 7). Das KBA schildert in seiner Auskunft vom 24.02.2022, dass nach den Untersuchungen des Kraftfahrtbundesamtes keine unzulässige Abschalteinrichtung oder Konformitätsabweichung hinsichtlich des Emissionsverhaltens vorliegt. Es seien daher durch das KBA weder Nebenbestimmungen noch ein Rückruf angeordnet wurden. Daraus folgt für den Senat, dass das Kraftfahrtbundesamt den in Streit stehenden Fahrzeugtyp untersucht hat und bei dieser Untersuchung eine unzulässige Abschalteinrichtung bzw. eine Einrichtung, welche zu einer Konformitätsabweichung führen würde, nicht festgestellt hat. Substantiierte Einwendungen der Klagepartei gegen diese amtliche Auskunft, welche die Klagepartei genauso wie bei einem Sachverständigengutachten erheben kann (Musielak/Voit/Huber a.a.O.), wurden nicht geltend gemacht. Der Senat schließt sich den Ausführungen des KBA an.
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3. Darüber hinaus bestehen Bedenken gegen die Substantiiertheit des klägerischen Sachvortrags.
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a) Die gebotenen Darlegungen und der Nachweis einer etwaigen Abschalteinrichtung müssen grundsätzlich auf den im streitgegenständlichen Fahrzeug konkret verbauten Motor gerichtet sein. Denn es geht nicht an, alle Fahrzeuge (eines Herstellers oder gar eines Konzerns) quasi „über einen Kamm zu scheren“, indem man behauptet, die Beklagte habe wie andere Hersteller Fahrzeuge mit illegalen Abschalteinrichtungen verkauft, das KBA habe auch für Fahrzeuge der Beklagten einen Zwangsrückruf angeordnet und deshalb sei auch das streitgegenständliche Fahrzeug von den Manipulationen betroffen. Eine solche „Vermutung“ sieht der Senat nicht, schon weil damit sämtliche Motoren einer Motorenfamilie/einer Baureihe ohne Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen technischen Merkmale und ohne Berücksichtigung der möglicherweise äußerst unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen (z.B. Euro 6 statt Euro 5) dem Generalverdacht einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterworfen werden würden (vgl. ausführlich OLG München WM 2019, 1937). Einen solchen „Generalverdacht“ hat auch der BGH in seinem Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740, nicht angenommen. Es sind daher konkret motorbezogene Anhaltspunkte darzulegen.
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b) Auch die Grundsätze der sekundären Darlegungslast ändern an diesem Ergebnis nichts: Sie reduzieren nicht etwa die allgemeinen Anforderungen an die Substantiierung der primären Darlegungen des Anspruchstellers auf die allgemeine Behauptung der maßgebenden Tatbestandsmerkmale (so wohl z.B. OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019 – 13 U 142/18, Rz. 60 ff., zu „Dieselfällen“). Wenn man einer Partei in diesen Fällen schon zugesteht, Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (BGH, Urteil vom 4. Oktober 2018, III ZR 213/17, Rz. 25 m.w.N.), müssen diese vermuteten Tatsachen dem Gericht auch eine Überprüfung ihrer Entscheidungserheblichkeit ermöglichen, m.a.W. also schlüssig im oben genannten Sinne sein, um überhaupt eine sekundäre Darlegungslast des Bestreitenden auslösen zu können. Denn schon begrifflich ist eine sekundäre Darlegungslast ohne primäre schlüssige Behauptung eines konkreten Lebenssachverhalts ausgeschlossen (so auch OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, Az.: 10 U 134/19, Rz. 36 und 90). Wollte man dies anders sehen, würde man eine Klagepartei in mit den Grundsätzen der deutschen Zivilprozessordnung schwerlich zu vereinbarender Weise von dem Erfordernis jeglichen schlüssigen Sachvortrages entbinden (so auch OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019, Az.: 3 U 148/18, Rz. 6; vgl. zum Ganzen ausführlich OLG München WM 2019, 1937). Aus denselben Gründen löst bloßer Vortrag ins Blaue auch noch keine sekundäre Darlegungslast der Gegenseite aus (vgl. zum Ganzen ausführlich OLG München WM 2019, 1937). Der Anspruchsteller muss auch hierfür zunächst mindestens greifbare Anhaltspunkte aufzeigen, die sich allerdings auch aus den Umständen des Einzelfalls ergeben können (BGH, Urteil vom 26. Januar 2021 – VI ZR 405/19, Rz. 15 ff.). Der Anspruchsteller kann somit insbesondere nicht darauf hoffen, die erforderlichen Anhaltspunkte erst aufgrund der sekundären Darlegungslast des Gegners zu erhalten. Denn die deutsche Zivilprozessordnung kennt keine – über die anerkannten Fälle der Pflicht zum substantiierten Bestreiten hinausgehende – allgemeine Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweispflichtigen Partei (BGH, Urteil vom 11.06.1990 – II ZR 159/89).
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c) Bei der Bewertung des klägerischen Vortrages ist sich der Senat der Entscheidung des BGH vom 25.11.2021, Az. III ZR 202/20, bewusst. In dieser Entscheidung wurden durch den Bundesgerichtshof Anforderungen zu einem substantiierten Vortrag der Klagepartei formuliert. Entscheidend wurde in dem genannten BGH-Beschluss aber auf den konkreten Parteivortrag und eine Gesamtbetrachtung der einzelnen vorgetragenen Anhaltspunkte, die einen solchen Verdacht begründen können, abgestellt. Dabei handelt es sich um Feststellungen, die naturgemäß in jedem Verfahren völlig verschieden ausfallen und dementsprechend auch zu anderen Entscheidungen führen können (so z.B. BGH v. 14.02.2022 – VIa ZR 204/21). Auch ist sich der Senat bewusst, dass es zur Begründung einer Haftung nicht zwingend eines Rückrufes durch das KBA bedarf. Im hier vorliegenden Fall hat der Senat jedoch eine amtliche Auskunft des Kraftfahrtbundesamtes hinsichtlich des Vorliegens einer Abschalteinrichtung in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eingeholt. Eine derartige Auskunft führt dazu, dass sich die Anforderungen an den klägerischen Vortrag verschärfen. Die Klagepartei hat unter Berücksichtigung der amtlichen Auskunft vorzutragen, warum dennoch Tatsachen für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung sprechen. Dem kommt die Klagepartei hier jedoch nicht nach. Damit liegt ein ausreichend substantiierter Vortrag nicht vor. Auch der Einholung eines Sachverständigengutachtens, unabhängig davon, dass ein solches bereits durch die amtliche Auskunft ersetzt wurde, bedarf es nach der Überzeugung des Senats nicht mehr, da es bereits an entsprechend substantiierten Vorbringen der Klagepartei fehlt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.