Titel:
Sittenwidrigkeit eines Kaufvertrags über einen Kommanditanteil bei auffälligem Missverhältnis zwischen Kaufpreis und Anteilswert
Normenkette:
BGB § 138 Abs. 1
Leitsatz:
Der Verkauf eines Kommanditanteils zu einem Viertel des tatsächlichen Wertes, bei dem auf beiden Seiten dieselbe Person handelt, ist als wucherähnliches Geschäft sittenwidrig. (Rn. 29, 32 und 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kaufvertrag, Kommanditanteil, Sittenwidrigkeit, Nichtigkeit, wucherähnliches Geschäft, Kaufpreis, tatsächlicher Wert, ein Viertel
Rechtsmittelinstanzen:
LG München I, Berichtigungsbeschluss vom 18.01.2023 – 12 HK O 2600/19
OLG München, Endurteil vom 09.04.2025 – 7 U 162/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2022, 61253
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Klägerin weiterhin Kommanditistin an der …, mit nominal 250.000 € (in Worten: Euro zweihundertfünfzigtausend) und einer im Handelsregister eingetragenen Hafteinlage von Euro 10,00 (in Worten: Euro zehn) ist und dass sie diesen Kommanditanteil nicht auf die Beklagte übertragen hat.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Löschung ihrer Rechtsnachfolge in den vorbezeichneten Kommanditanteil und der Berichtigung, dass die Klägerin die Inhaberin ist, im zuständigen Handelsregister des … zu … zuzustimmen und die Änderung im Handelsregister zu bewilligen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 261.099,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin war als KG aA gegründet worden (K1), die Aktien lagen zu mehr als 98 % bei Herrn … (K6). Persönlich haftende Gesellschafterin war die … welche zu 100 % im Besitz des Herrn … ist (K7). Geschäftsführer der … waren bis 16.03.2017 Herr … Herr … bis zum 05.07.2017, welcher von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit war. Am 18.12.2018 wurde die … in die Klägerin umgewandelt.
2
Die Geschäftsführung der … oblag der … als Komplementärin. Gemäß § 10 Abs. 2 der Satzung der A...erstreckte sich die Befugnis der Geschäftsführung unter anderem auf alle Handlungen, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft mit sich bringt, insbesondere „die Vorbereitung des Erwerbs und die Veräußerung von Beteiligungen Nach § 10 Abs. 3 der Satzung bedürfen außergewöhnliche Geschäfte der Zustimmung des Aufsichtsrates.
3
Die … investierte in VC und hielt in diesem Zusammenhang einen Kommanditanteil an der … im Nominalwert von 250.000 €, welchen sie zu diesem Preis erworben hatte und war damit zu 0,7 % am Fondsvolumen beteiligt. Die Fondsgesellschaft investiert in Unternehmen, die sich in frühen Phasen der Unternehmensentwicklung befinden, wobei der Schwerpunkt der Investitionstätigkeit im Bereich von Internet-Unternehmen liegt.
4
Die … gewährte Herrn … am 30.06.2015 ein Darlehen über 500.000 € mit einer Laufzeit bis zum 30.9.2016 (B6). Nach einer Klageerhebung vom 10.05.2017 (B8) zahlte Herr … nachdem er seit 21.02.2017 Teilzahlungen geleistet hatte, das Darlehen zurück; der Kontostand der … zum 31.12.2016 betrug -71.206,51 €. Am 22.02.2017 kündigte Herr … eine Investition von 150.000 € für die … an (K56).
5
Persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten war die … (K10) (später …, dessen Anteile zu 100 % Herrn … gehören. Herr … war Geschäftsführer der Komplementärin vom 03.08.2015 bis 10.10.2017 und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit (K13). Kommanditistin ist die IH Verwaltungs GmbH.
6
Am 15.12.2016 schlossen die damals unter … firmierende heutige Klägerin und die Beklagte einen Kaufvertrag, wobei auf beiden Seiten Herr ... als Vertreter handelte (K 21). Darin veräußerte die … ihren Kommanditanteil von 250.000 € an der … auf welchen ein Betrag von 249.068,84 € einbezahlt war, an die Beklagte. Der Kaufpreis wurde mit 125.000 € vereinbart und seitens der Beklagten am 04.01.2017 bezahlt. In Ziffer 8 vereinbarten die Vertragspartner eine doppelte Schriftformklausel und ergänzend folgendes: „dieser Vertrag regelt die gesamten Rechtsbeziehungen der Parteien in Bezug auf den Vertragsgegenstand; Die Zustimmung des Aufsichtsrats der Klägerin war nicht eingeholt worden.
7
Im Vierteljahresbericht des Fonds war eine Wertsteigerung des Anteils zum 31.12.2016 mit einem Faktor von 1,93 angegeben worden (K 19). Am 08.10.2016 hatte ein Kaufinteressent für die Kommanditanteile einen Kaufpreis „at cost“, also zum Nominalwert von 250.000 €, angeboten (K 20).
8
Die Klägerin hielt in ihrem Bestand bereits 49.383 Aktien an der … deren Vorstand Herr … war. Die Klägerin hatte diese Aktien zum 31.12.2015 mit 0,93 € pro Aktie (K 15) und zum 31.12.2016 mit 0,07 € pro Aktie (K 26) bewertet.
9
Ebenfalls am 15.12.2016 verkaufte die Beklagte an die … 11.099 Aktien mit einem rechnerischen Anteil am Grundkapital der … von je 1 € zu einem Kaufpreis ebenfalls von 1 €, somit insgesamt für 11.099,00 € (K 24). Eine Steuerberatungsgesellschaft ermittelte den Wert der …-Aktien für eine Einbringung dieser Aktien in eine S. Holding zum 01.01.2017 mit einem Betrag zwischen 10,94 € und 15,63 € je Aktie, ohne einen objektivierten Unternehmenswert, der aus Ergebnissen in der Vergangenheit plausibilisiert ist, ermittelt zu haben (B 12).
10
Die Klägerin trägt vor, Herr … habe als Vertreter der Klägerin einerseits und der Beklagten andererseits beim Verkauf der Kommanditanteile bewusst zum Nachteil der Klägerin gehandelt. Hierbei habe es sich bereits um ein außergewöhnliches Geschäft gehandelt, für das gemäß § 10 Abs. 3 der Satzung der … die Zustimmung des Aufsichtsrats erforderlich gewesen sei. Dies habe ein Mitglied des Aufsichtsrats, Herr … bestätigt (B7 Seite 4). Auch von § 10 Abs. 2 der Satzung sei der Verkauf nicht gedeckt, da die Satzung insoweit einen Schreibfehler enthalte: die Befugnis des Geschäftsführers habe sich lediglich auf die Vorbereitung der Veräußerung bezogen und nicht auf die Veräußerung selbst.
11
Der Verkauf der Kommanditanteile zum Preis von 125.000 € stelle aufgrund eines besonders auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung ein wucherähnliches Geschäft dar mit der Folge, dass auch das dingliche Verfügungsgeschäft nichtig sei. Die Klägerin sei somit weiterhin Inhaberin der Kommanditanteile, was durch Urteil festzustellen sei; das Handelsregister sei entsprechend zu berichtigen.
12
In die Gegenleistung sei der Wert der …-Aktien nicht einzuberechnen. Dies folge bereits aus Ziffer 8 des Kaufvertrages, wonach sich der vereinbarte Kaufpreis ausschließlich aus dieser Vereinbarung ergebe, und der dort enthaltenen doppelten Schriftformklausel. Jedenfalls habe der Wert der Aktien zum 31.12.2015 lediglich insgesamt 8.435,24 € und zum 31.12.2016 lediglich 776,93 € betragen. Herr … persönlich habe 53.482 Aktien am 14.08.2018 von der Klägerin zu einem Preis von jeweils 0,03 € erworben (K 41). Der von der Gutachterin … vermittelte angebliche Wert sei weit überhöht, da dieser auf durch Herrn … vorgegaukelte Rechtsgeschäfte „mit fremden Dritten“ beruhe.
13
Bereits aus internen Bewertungen ergebe sich, dass der Wert der Kommanditanteile sich verdoppelt habe (Anlage K 17,18). Ein Interessent habe einen Kauf zum Nominalwert angeboten (K 20). Bei dem durch den gerichtlichen Sachverständigen festgestellten Wert der Kommanditanteile zwischen 464.000 € und 483.000 € übersteige dieser den Kaufpreis um zwischen 271 % und 286 %. Hierbei komme es nicht darauf an, dass der Sachverständige den im Beweisbeschluss genannten Wert von mindestens 500.000 € nicht bestätigt habe, denn entscheidend sei die durch den Sachverständigen richtig ermittelte Größenordnung.
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Zudem habe Herr … den erhaltenen Kaufpreis bei der Klägerin durch verschiedene Maßnahmen abgeschöpft.
15
Der Verkauf sei nicht durch die Liquiditätslage bei der Klägerin veranlasst gewesen. Zwar sei die Liquiditätslage angespannt gewesen, doch habe Herr … 22.02.2017 noch eine Investition von 150.000 € angekündigt. Jedenfalls sei die wirtschaftliche Situation nicht durch Herrn … veranlasst worden, denn bei dem Darlehen habe es sich in Wahrheit um einen vorweggenommenen Gewinn, der mehr als 2 Millionen € betragen habe, gehandelt. Im Gegenteil sei Herr … für die wirtschaftliche Lage der Klägerin verantwortlich, denn er habe durch Urteil des Landgerichts München I zur Rückzahlung von 306.837,90 € an die Klägerin bzw. der Zessionarin des Anspruchs verurteilt werden müssen.
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Herrn … sei neben kollusivem Zusammenwirken auch eine verwerfliche Gesinnung anzulasten. Auch wenn dies bei der Kaufmannseigenschaft des Benachteiligten möglichenweise nicht vermutet werde, so ist doch zu beachten, dass Herr … auf beiden Seiten handelte, Täuschender und Getäuschter also ein und dieselbe Person seien. Daher komme es auf die objektiven Umstände an. Ergänzend belege die Tatsache, dass Herr … wegen anderer Vermögensdelikte zum Amtsgericht-Schöffengericht-… angeklagt worden sei, dass dieser auch in vorliegenden Fall nach einem kriminellen System gehandelt habe.
17
Die Klägerin beantragte zuletzt,
- 1.
-
Es wird festgestellt, dass die Klägerin weiterhin Kommanditistin an der …, mit einer Kapitaleinlage von nominal 250.000 € (in Worten: Euro zweihundertfünfzigtausend) und einer im Handelsregister eingetragenen Hafteinlage von Euro 10,00 (in Worten: Euro zehn) ist und dass sie diesen Kommanditanteil nicht auf die Beklagte übertragen hat.
- 2.2.
-
Die Beklagte wird verurteilt, der Löschung ihrer Rechtsnachfolge in den vorbezeichneten Kommanditanteil und der Berichtigung, dass die Klägerin die Inhaberin ist, im zuständigen Handelsregister des AG Berlin-Charlottenburg zu … zuzustimmen und die Änderung im Handelsregister zu bewilligen.
Folgenden angekündigten Antrag hat die Klägerin zuletzt nicht mehr gestellt:
- 3.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 11.099,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.12.2016 zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
19
Zur teilweisen Klagerücknahme hat die Beklagte keine Zustimmung erklärt.
20
Die Beklagte trägt vor, der Verkauf der Kommanditanteile sei von der Satzung gedeckt, denn es habe sich um kein außergewöhnliches Geschäft gehandelt und auch eine unterlassene Zustimmung des Aufsichtsrates bedeute keine Überschreitung der Vertretungsmacht durch Herrn … Zudem sei der Verkauf durch § 10 Abs. 2 der Satzung, die von der „Veräußerung von Beteiligungen“ spreche, gedeckt.
21
Bei dem gezahlten Kaufpreis habe es sich um den Marktpreis gehandelt, weshalb kein Verkauf unter Marktwert vorgelegen habe. Die Beweisbehauptung der Klägerin von einem Wert der Kommanditanteile über 500.000 € habe sich nicht bestätigt. Zudem sei die Preisermittlung durch das Sachverständigengutachten falsch, da die einzelnen Beteiligungen selbst nicht bewertet worden seien, vielmehr habe der Gutachter die Werte lediglich aus den Quarterly Reports übernommen. Tatsächlich habe der Fonds einen Verlust von 1.029.000 € erlitten (B9) mit der Folge, dass das Kapitalkonto der Klägerin zum 31.12.2016 auf 205.032,11 € gesunken sei (B 10). Auch sei bezeichnend gewesen, dass der Fonds die Einlage nur sehr zögerlich abgerufen habe. Ein hoher Anteil der Beteiligungen habe 2016 Verluste erlitten; einen Gewinn aus einer Veräußerung der Beteiligung habe es nur in einem Fall gegeben. Fünf Portfoliounternehmen hätten bereits an Finanzierungsrunden nicht mehr teilgenommen, bei 2 Unternehmen habe es eine Abwertung um 50 % gegeben. Dies alles zeige, dass die von der Klägerin behauptete Verdopplung des Werts ihrer Anteile, der zudem sich bei Aktienindices nicht gezeigt habe, auszuschließen sei.
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Der Erwerb der …-Aktien sei bei Betrachtung der Gegenleistung einzubeziehen, wovon schon die Klageschrift selbst ausgegangen sei; darin sei ein vorweggenommenes Geständnis zu sehen, welches die Klägerin nicht mehr widerrufen könne, nachdem die Beklagte diesen Sachvortrag selbst übernommen habe. Die beiden Verkaufsvorgänge seien lediglich aus formalen Gründen getrennt niedergelegt worden. Entsprechend dem Gutachten von LKC habe der Wert zwischen 121.423,06 € und 173.477,37 € betragen. Dies werde bestätigt durch eine im Mai 2019 durchgeführte Kapitalerhöhung zu einem Kurs von 15 €/Aktie (B 40). Der Ankauf von Aktien durch Herrn ... persönlich habe lediglich eingezogene Aktien betroffen.
23
Der Verkauf der Kommanditanteile habe dazu gedient, eine drohende Insolvenz der Klägerin abzuwenden. Die drohende Zahlungsunfähigkeit sei durch den Gesellschafter R. verursacht worden, da dieser es unterlassen habe, das ihm ausgereichten Darlehen zurückzahlen. Deshalb habe zum Zeitpunkt des Verkaufs keine Liquidität mehr bestanden.
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Herr … selbst habe aus dem Kauf der Kommanditanteile keinen persönlichen Vorteil gezogen sondern sei nach seiner Überzeugung und Erfahrung von einem zutreffenden Marktwert ausgegangen. Hierin sei er durch das Gutachten von … bestätigt worden. Somit fehle es am subjektiven Tatbestand einer sittenwidrigen Handlung.
25
Auf Basis des Beweisbeschlusses vom 01.08.2019 (Blatt 76) wurde ein Sachverständigengutachten vom 28.11.2019 erholt (Blatt 95/109). Der Sachverständige wurde Termin vom 14.01.2021 angehört (Blatt 192).
26
Die Beklagte hat der Klagerücknahme der Klägerin betreffend Ziffer 3 der Klage nicht zugestimmt, was sich in ihrem Antrag auf Klageabweisung dokumentiert hat. Die Beklagte wiederum hat den im Schriftsatz vom 20.07.2022 angekündigten Hilfsantrag (Blatt 253) im Termin vom 28.07.2022 nicht gestellt
Entscheidungsgründe
27
Die zulässige Klage ist weit überwiegend begründet.
28
1. Die Übertragung des Kommanditanteils an der … auf die Beklagte ist nichtig und damit unwirksam. Dies ist auf Antrag der Klägerin festzustellen.
29
Der Vertrag vom 15.12.2016, mit welchem der Kommanditanteil übertragen wurde, stellt ein wucherähnliches Geschäft dar und ist deshalb nichtig. Da sich die Sittenwidrigkeit gerade in dem Verfügungsgeschäft der Klägerin als Bewucherte auswirkt, wird auch dieses von der Nichtigkeit erfasst.
a) Besonders auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung
30
Von einem besonders auffälligen Missverhältnis ist dann auszugehen, wenn der Wert des verkauften Gegenstandes mehr als das Doppelte der Gegenleistung darstellt, also bei einer Wertdifferenz von mehr als 100 %.
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Im Kaufvertrag wurde ein Kaufpreis von 125.000 € festgelegt. Hierbei handelte es sich bereits nur um die Hälfte dessen, was die Klägerin ursprünglich für den Kommanditanteil aufgewandt hatte. Zu diesem Wert, nämlich 250.000 €, lag zudem bereits das Kaufangebot eines Dritten vor (K20). Das heißt bereits aus diesen beiden Vorgängen ergeben sich signifikante Hinweise auf ein auffälliges Missverhältnis zwischen Wert und Kaufpreis.
32
Tatsächlich betrug der Wert des Kommanditanteils zum Übertragungsstichtag zwischen 464.000 € und 483.000 € und damit fast das Vierfache des Kaufpreises. Dies folgt aus einem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen. Die Klägerin hat damit den ihr obliegenden Beweis für eine besonders auffälliges Missverhältnis erbracht unabhängig davon, dass der Sachverständige zwar nicht den behaupteten Wert von 500.000 € bestätigt hat, jedoch einen Wert, der eine besonders auffälliges Missverhältnis zeigt.
33
Der Sachverständige hat zunächst überzeugend dargelegt, dass der Wert einer Holdinggesellschaft, die in sogenannte start-up-Unternehmen investiert, nicht nach den üblichen Bewertungsmethoden, welche künftige finanzielle Überschüsse auf der Basis der Ertragskraft in der Vergangenheit prognostiziert, ermittelt werden kann. Vielmehr sind die Unternehmenswerte im Einzelnen zu bewerten und den Schulden jeweils zum Bewertungsstichtag gegenüberzustellen. Dabei werden die einzelnen Kapitalanlagen der vermögensverwaltenden Gesellschaft mit den Marktwerten ermittelt. Eine andere Möglichkeit besteht darin, einen Multiplikator anzusetzen, der sich aus dem Verhältnis der Einzahlungen der Investoren zu dem Wert des Fondsvermögens ergibt.
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Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass zur Wertermittlung der jeweiligen start-up-Unternehmen, in welche der Fonds investiert hat, keine hinreichenden veröffentlichten Informationen dieser Unternehmen vorliegen. Daher war zur Ermittlung des Werts der Beteiligungen der sogenannte fair value der Portfoliounternehmen heranzuziehen, wie er im quarterly report des Fonds zum 31.12.2016 enthalten ist. Dieser Wert wiederum ergibt sich zum einen aus den Anschaffungskosten und zum anderen aus durchgeführten Finanzierungsrunden. Eine andere Möglichkeit der Bewertung der 35 Portfolio-Unternehmen war unter den gegebenen Umständen nicht möglich. Hieraus folgt, dass die Summe aller Werte der Portfoliounternehmen anzusetzen ist und es dabei nicht darauf ankommt, inwieweit einzelne dieser Unternehmen eine Wertminderung erlebt haben, da die Wertminderungen der einzelnen Beteiligungen, die zu einer Neubewertung der Anteile führen, sich in der Summe der aufaddierten Werte niederschlagen und damit enthalten sind, und inwieweit das Fondsvermögen für Finanzierungsrunden bereits abgerufen wurde. Aus den im quaterly report festgestellten Werten ermittelte der Sachverständige einen gesamten fair value von 83.731.100,00 Euro und hieraus ein net asset value zum 31.12.2016 von 66.323.300 €. Bei einer Beteiligung des … von 0,70 % folgt hieraus ein Wert der Anteile von gerundet 464.300 €.
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Ein Ansatz des im quarterly report genannten Multiplikators von 1,93 ergibt auf Basis einer Kapitaleinlage von 250.000,00 € einen Unternehmenswert von 482.500 €.
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Im Rahmen seiner mündlichen Anhörung erklärte der Sachverständige die von ihm angewandte Berechnungsmethode zum einen als für die Bewertung von Holdinggesellschaften allgemein anerkannt und zum anderen als die angesichts der vorliegenden Informationen bestmögliche Schätzmethode. Durchgreifende Zweifel hieran konnte auch die Beklagte nicht geltend machen. Zwar legte sie für einige der Portfolio-Unternehmen dar, dass 7 von insgesamt 35 Beteiligungen im Portfolio im Jahr 2016 Verluste erlitten hätten, doch kommt es auf den Gesamtwert aller Beteiligungen an. Ebenso wenig ist für diesen Wert relevant, inwieweit Gewinne aus Veräußerungen von Beteiligungen erzielt wurden und in welcher Höhe die Kommanditeinlage abgerufen wurde. Schließlich führt auch ein Vergleich mit Aktienindices insofern nicht weiter.
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Somit besteht ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Hierbei ist der am selben Tag bewerkstelligte Ankauf von 11.099 Aktien der … AG nicht einzubeziehen. Das Gericht hat im letzten Termin an der insoweit ursprünglich vertretenen vorläufigen Auffassung nicht mehr uneingeschränkt festgehalten. Das Gericht ist auch nicht durch ein vorweggenommenes Geständnis der Klägerin an der Auslegung des Anteilskaufvertrages gebunden. Zwar hat die Klägerin in der Klageschrift ursprünglich vertreten, dass beide Rechtsgeschäfte in einem inhaltlichen Zusammenhang stünden, weshalb bei der Bewertung der Sittenwidrigkeit auch der Aktienkaufvertrag einzubeziehen sei. Darin lag jedoch kein Geständnis von Tatsachen sondern eine Auslegung des Anteilskaufvertrages. Die jeweiligen Vertragsurkunden waren von Anfang an bekannt und streitgegenständlich ist nunmehr die Auslegungsfrage, ob trotz der Regelung in Ziffer 8 des Anteilskaufvertrages ein anderer Vertrag, nämlich der Vertrag über den Ankauf der Aktien, mit einzubeziehen ist.
38
Entgegen der noch in der Klageschrift vertretenen Auffassung sind zwar beide Kaufgeschäfte am selben Tag abgeschlossen worden. Jedoch ergibt sich aus Ziffer 8 des Kaufvertrages über den Kommanditanteil, dass mit diesem Vertrag sämtliche Rechtsbeziehungen in Bezug auf den Vertragsgegenstand geregelt wurden und damit auch in Bezug auf den Kaufpreis von 125.000 €. Dies bedeutet gleichzeitig, dass hinsichtlich dieses Kaufpreises keine weitere Abrede existiert und somit auch keine – insbesondere auch nicht schriftlich vereinbarte – Abrede zur Einbeziehung des Vertrages über den Ankauf der … Aktien. Hieraus folgt, dass deren Wert für die Feststellung des auffälligen Missverhältnisses nicht relevant ist.
b) Verwerfliche Gesinnung
39
Der Tatbestand des wucherähnlichen Geschäfts gemäß § 138 Abs. 1 BGB setzt zusätzlich eine verwerfliche Gesinnung des Vertragspartners voraus, die bei einem Kaufmann nicht vermutet wird.
40
Die verwerfliche Gesinnung des Handelnden, Herrn … ist darin zu sehen, dass er zum Nachteil der Geschädigten auf beiden Seiten unter Missbrauch seiner Vollmacht handelte (vgl. OLG Karlsruhe 9 U 29/19). Dabei ist davon auszugehen, dass er als Geschäftsführer der jeweiligen persönlich haftenden Gesellschafter auf beiden Seiten den quarterly report und damit den fair value der Portfoliogesellschaften kannte und er aus diesen Informationen auch den Wert des Kommanditanteils kannte. In dieser Situation liegt die Verwerflichkeit bereits darin, dass er den Anteil nur zur Hälfte des Werts der Anschaffungskosten veräußerte. Gesteigert wurde diese Verwerflichkeit dadurch, dass letztlich der Kommanditanteil fast das Vierfache des Kaufpreises wert war.
41
Ein derart großes Missverhältnis kann auch nicht auf Basis einer zum Jahreswechsel 2016/2017 angespannte Liquiditätslage gerechtfertigt werden, insbesondere nicht auf Basis eines negativen Banksaldos von – 71.206,51 €. Negative Banksalden sind im Geschäftsleben keineswegs ungewöhnlich und zwingen insbesondere nicht zum Verkauf von Assets zu einem Viertel des Wertes.
42
Konkrete Gefahren für die Stellung eines Insolvenzantrages bestanden nicht und ein solcher ist auch bis heute nicht gestellt worden. Immerhin kündigte Herr … noch am 22.02.2017 eine Investition von 150.000 € an (K 56), was ebenfalls gegen eine Insolvenzsituation spricht.
43
c) Die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts erfasst auch das Verfügungsgeschäft, denn die Unsittlichkeit liegt gerade im Vollzug der Leistung, hier also in der Übertragung des Kommanditanteils zu einem Preis, der lediglich ein Viertel dessen Wertes darstellt (vergleiche Grüneberg-Ellenberger, BGB, § 138 Rn. 20).
44
2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Bewilligung der Löschung ihrer Rechtsnachfolge betreffend den Kommanditanteil und damit auf Berichtigung im zuständigen Handelsregister. Aufgrund des nichtigen und damit unwirksamen Übergangs des Kommanditanteils an die Beklagte ist das Handelsregister insoweit unrichtig geworden und ist zu berichtigen, § 16 HGB. Aufgrund der Natur dieses Anspruchs, nämlich die Richtigkeit des öffentlich-rechtlichen Handelsregisters zu gewährleisten, kann diesem Anspruch gegenüber kein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht werden, hier also kein Anspruch auf Rückgewähr der bezahlten 125.000 €.
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3. Den ursprünglich unter Ziffer 3 angekündigten Antrag auf Rückzahlung des Kaufpreises für den Erwerb der Lucatis-Aktien hat die Klägerin zuletzt nicht mehr gestellt, was eine teilweise Klagerücknahme darstellt. In diese Klagerücknahme hat die Beklagte nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung eingewilligt, sodass die Zustimmung als verweigert gilt (vergleiche Thomas/Putzo, ZPO § 269 Rn. 12).
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises für die Lucatis-Aktien, denn das Rechtsgeschäft über den Erwerb dieser Aktien ist unabhängig vom Rechtsgeschäft über den Verkauf des Kommanditanteils zu sehen, sodass dessen Sittenwidrigkeit den Kauf der Aktien nicht erfasst. Sonstige Gründe, die für eine Unwirksamkeit dieses Kaufvertrages sprechen könnten, sind nicht ersichtlich.
4. – Kosten: § 92 Abs. 2 Nummer 1 ZPO
- vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO