Titel:
Erledigungsgebühr, Geschäftsgebühr, Prozeßbevollmächtigter, Sozialrechtliches Widerspruchsverfahren, Schwellengebühr, Anwaltliche Tätigkeit, Elektronischer Rechtsverkehr, Sozialrechtliche Angelegenheiten, Rechtsanwaltes, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Rechtsanwaltsbüro, Gutachten der Rechtsanwaltskammer, Bauchdeckenstraffung, Isoliertes Vorverfahren, Vermögensverhältnisse, Bevollmächtigter, Auslagenpauschale, Außergerichtliche Kosten, Unbilligkeit, Bedeutung der Angelegenheit
Schlagworte:
Gebührenbemessung, Schwellengebühr, Erledigungsgebühr, Bedeutung der Angelegenheit, Gebührenrahmen
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Urteil vom 22.04.2024 – L 20 KR 397/22
BSG Kassel, Beschluss vom 11.06.2025 – B 1 KR 31/24 B
Fundstelle:
BeckRS 2022, 61155
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der rechtsanwaltlichen Vergütung in einem isolierten Vorverfahren streitig.
2
Die bei der Beklagten gegen Krankheit versicherte Klägerin hatte bei dieser mit Schreiben vom 20.11.2021 einen Antrag auf Übernahme der Kosten für eine Bauchdeckenstraffung gestellt. Die Klägerin verwies in dem von ihr selbst verfassten Antragsschreiben auf ihren körperlichen Zustand, insbesondere darauf, dass durch das Hängen des Bauches ihr Bauchnabel dauerhaft geschlossen und permanent entzündet sei. Die Behandlung der Entzündungen seien ohne Erfolg geblieben. Mit ihrem Antrag legte die Klägerin Atteste des Facharztes für plastische Chirurgie Dr. F. vom Klinikum A., der behandelnden Hausärzte und der Hautärztin Dr. E. vor. Dem Attest des plastischen Chirurgen war eine Fotodokumentation beigefügt. Der Antrag der Klägerin wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 04.01.2022 abgelehnt. Dies wurde damit begründet, dass die leistungsrechtlichen Voraussetzungen nach den von der Beklagten durchgeführten Ermittlungen nicht erfüllt seien.
3
Namens und im Auftrag der Klägerin erhob Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 30.01.2022 Widerspruch. Diesen begründete er in diesem Schreiben damit, dass der Bescheid mangels der erforderlichen Begründung bereits formell rechtswidrig sei. Um Übersendung des Gutachtens des MDK Bayern wurde gebeten. Eine weitere Begründung des Widerspruchs erfolgte dann mit Schreiben des Bevollmächtigten vom 20.02.2022. Darin wandte sich der Bevollmächtigte der Klägerin gegen das Gutachten des MDK und verwies auf die drei der Beklagten vorliegenden ärztlichen Atteste und gab diese inhaltlich wieder, insbesondere die Ausführungen von Herrn Dr. F.
4
Unter Zitierung von Rechtsprechung verwies der Bevollmächtigte der Klägerin darauf, dass auch in diesem Fall eine ambulante Untersuchung der Klägerin sachgerecht gewesen wäre, wenn die Unterlagen als ungenügend erachtet worden wären.
5
Es schloss sich ein weiteres Schreiben des Bevollmächtigten der Klägerin vom 26.03.2022 an, in der insbesondere die Ausführungen von Dr. F. vom Klinikum A. nochmals dargelegt wurden.
6
Schließlich wurde seitens des MD Bayern die sozialmedizinische Stellungnahme vom 27.05.2022 erstattet mit dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Bauchdeckenstraffung erfüllt seien. Zur neuen Beurteilung wurde vom beurteilenden Gutachter des MD ausgeführt, dass sich durch den Widerspruch der Versicherten neue Aspekte der Begutachtung ergeben hätten. Wie hausärztlich und hautärztlich dargelegt und durch aussagekräftige Fotos dokumentiert sei, liege eine chronisch rezidivierende Intertrigo vor. Die Beklagte schloss sich der im Gutachten getroffenen Beurteilung an und half dem Widerspruch unter Aufhebung des Bescheides vom 04.01.2022 mit Schreiben vom 01.06.2022 ab. Mit weiterem Schreiben vom selben Tag wurde seitens der Beklagten die Kostenübernahme für die Bauchdeckenstraffung erklärt.
7
Mit Schreiben vom 05.06.2022 übersandte der Bevollmächtigte der Klägerin seine Kostennote. Er brachte dabei eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 VV RVG und eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 i. V. m. Nr. 1002 VV RVG in Ansatz und zwar jeweils in Höhe der Höchstgebühr von 768,00 Euro. Zusammen mit der Auslagenpauschale und unter Einschluss der USt ergab sich ein Rechnungsbetrag in Höhe von 1.851,64 Euro. Der Ansatz der Gebührenhöhe wurde mit dem überdurchschnittlichen Umfang der rechtsanwaltlichen Tätigkeit und der überdurchschnittlichen Schwierigkeit der Rechtsfragen begründet. Ferner wurde zum Gebührenansatz auch das subjektive Interesse der Klägerin an der Leistung angeführt.
8
Ein weiteres Bemessungskriterium sei der Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit, der bei 100% gelegen habe. Auch wurde die Kostenstruktur eines Rechtsanwaltsbüros und die Inflation angeführt.
9
Die Beklagte entschied über die beantragte Kostenerstattung mit Bescheid vom 20.06.2022. Dabei ging die Beklagte davon aus, dass nur eine Geschäftsgebühr angefallen war. Diese wurde der Höhe nach festgesetzt und dabei die Schwellengebühr in Höhe von 359,00 Euro für angemessen erachtet. Dies begründete die Beklagte damit, dass eine höhere Gebühr nur gefordert werden könne, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen sei. Es habe sich aber um ein typisches Verwaltungsverfahren gehandelt. Im Bescheid erfolgte eine weitere – nicht angefochtene – Gebührenfestsetzung für eine vor dem SG Bayreuth geführte Untätigkeitsklage (vgl. auch Schreiben an das Sozialgericht vom 07.06.2022).
10
Gegen die Festsetzung der Gebühren im v. g. Vorverfahren erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 20.06.2022 Widerspruch, nachdem er im Vergleich zu seiner Kostennote nur einen teilweisen Kontoausgleich feststellen konnte.
11
Mit Bescheid vom 13.07.2022 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die Festsetzung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 VV RVG im Ausgangsbescheid wurde für das isolierte Widerspruchsverfahren bestätigt. Die Voraussetzungen für Erledigungsgebühr nach 1005 VV RVG i. V. m. 1002 VV RVG wurden verneint. Der Anwalt müsse über die bloße Erledigung des Verfahrensauftrages hinaus etwas Besonderes gerade mit dem Ziel der Erledigung der Rechtssache ohne streitige Entscheidung geleistet haben, ohne dass es zur Erledigung in dieser Weise nicht gekommen wäre. Nicht das anwaltliche Tätigwerden, sondern die Ermittlungstätigkeit der Beklagten hätten die Erledigung maßgeblich veranlasst.
12
Am 17.07.2022 ist bei Gericht die Klage eingegangen.
13
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist der Auffassung, dass die Gebührenbestimmung im vorliegenden Fall nach billigem Ermessen erfolgt ist. Hinsichtlich des Umfanges seiner Tätigkeit führt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seine Einzeltätigkeiten im Verlauf des Widerspruchsverfahrens an.
14
Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im Widerspruchsverfahren sei überdurchschnittlich gewesen. Dies wird auch für die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit geltend gemacht. Die rechtliche Prüfung, ob die Voraussetzung für die beantragte Kostenübernahme vorlagen, hätte auch das Sichten von Rechtsprechung und Kommentarliteratur erfordert. Auch gründe die Schwierigkeit der Tätigkeit in der Persönlichkeit der Klägerin. Diese leide extrem unter ihren körperlichen Beeinträchtigungen. Die Besprechungen seien durch die seelischen Folgen stark beeinträchtigt worden. Auch ein objektiv überflüssiger Aufwand sei beachtlich, wenn und soweit er auf dem Wunsch des Auftraggebers beruhe.
15
Auch sei die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin überdurchschnittlich gewesen. Die beantragte Leistung wird ähnlich bedeutsam gesehen, wie existenzsichernde Dauerleistungen, da mit ihr auch eine Dauerwirkung verbunden sei. Das Sozialrecht sei eine Spezialmaterie, die nicht nur der rechtsunkundigen Partei, sondern selbst ausgebildeten Juristen Schwierigkeiten bereite.
16
Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin seien durchschnittlich. Dieser Umstand wird nach Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin durch deren subjektives Interesse an der Bauchdeckenstraffung kompensiert.
17
Die Beklagte habe nicht alle nach § 14 Abs. 1 RVG zu berücksichtigende Ermessensgründe geprüft und bewertet. Als weiterer Grund sei auch die Kostenstruktur eines Rechtsanwaltsbüros zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang erfolgen unter anderem Ausführungen zur Inflation.
18
Unter Verweis auf die Regelung in § 14 RVG geht der Prozessbevollmächtigte der Klägerin von der Notwendigkeit der Einholung eines Gutachtens des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer A. aus. Der gesetzlichen Regelung liege der Gedanke zu Grunde, dass das Gericht sich bei seiner Entscheidung stets der Sachkunde der Rechtsanwaltskammer bedienen und ein Gutachten einholen soll.
19
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist der Auffassung, dass eine Erledigungsgebühr nach der Nr. 1005 iVm Nr. 1002 VV RVG angefallen ist. Er verweist insbesondere auf das Urteil des BSG vom 07.11.2006 (B 1 KR 13/06 R). Er habe der Beklagten die Notwendigkeit und Erforderlichkeit einer ambulanten Begutachtung der Klägerin eingehend vermittelt und der Klägerin eingehend verdeutlicht und eingewirkt, dass das Sich-Unterziehen einer ambulanten Untersuchung die Amtsermittlungen nach § 20 Abs. 1 SGB X unterstützend fördert und damit für beide Parteien Rechtsfrieden und Rechtsklarheit bietet und ermöglicht. Daraufhin habe die Beklagte den MDK beauftragt, der letztlich eine unterstützende Empfehlung abgegeben habe. Zusätzlich sei auf die Klägerin eingewirkt worden, sich von ihren Fachärzten und Kliniken weitere Befunde ausstellen zu lassen. Man habe der Klägerin erklärt, dass sie austherapiert sei und weitere Angaben über die bisherigen hinaus nicht gemacht werden könnten.
20
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
Unter Abänderung des Bescheides vom 20.06.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2022 wird die Beklagte verurteilt, die Klägerin von einer weiteren Kostenerstattung im isolierten Vorverfahren in Höhe von 1.400,63 Euro durch Zahlung an den Bevollmächtigten Rechtsanwalt K., C.-Straße, H. freizustellen und der Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.
21
Die Beklagte beantragt,
22
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin getroffene Gebührenbestimmung unbillig ist. Die anwaltliche Tätigkeit habe in diesem Fall die Einlegung des Widerspruchs mit Schreiben vom 30.01.2022 und dessen Begründung umfasst. Eine besonders umfangreiche oder schwierige Tätigkeit sei vorliegend nicht ersichtlich. Es habe ein Normalfall in einem üblichen Umfang mit einem allenfalls durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad vorgelegen.
23
Ein Bevollmächtigter sei gegenüber seinem Mandanten stets verpflichtet, das Vorverfahren gewissenhaft, sorgfältig und gründlich zu bearbeiten. Ein erheblicher Zeitaufwand durch Einlesen oder eine genaue Erörterung und Besprechung seien daher nicht gesondert zu vergüten. Eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 iVm Nr. 1002 VV RVG ist der Beklagten zufolge nicht angefallen. Sie komme nur in Betracht, wenn der Anwalt über die bloße Erfüllung des Verfahrensauftrages hinaus etwas Besonderes gerade mit dem Ziel der Erledigung der Rechtssache ohne streitige Entscheidung geleistet habe, ohne dass es zur Erledigung in dieser Weise nicht gekommen wäre. Ein anwaltliches Bestreben nach einer einvernehmlichen Beilegung des Streits sei hier nicht erkennbar. Ein solches liege nicht in der Einlegung und Begründung des Widerspruchs. Die Ermittlungstätigkeit der Beklagten habe die Erledigung wesentlich beeinflusst. Die Erledigung beruhe nicht auf einer qualifizierten anwaltlichen Mitwirkung.
24
Zur weiteren Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten und auf den Inhalt der gerichtlichen Verfahrensakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
25
Die form- und fristgerecht (§§ 90, 92, 87 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Bayreuth (§§ 51 Abs. 1, 57 Abs. 1 Satz 1 SGG) erhobene Klage ist zulässig. Die Klage ist jedoch nicht begründet.
26
Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte mit Bescheid vom 04.01.2022 den Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme für eine Bauchdeckenstraffung abgelehnt.
27
Dem hiergegen erhobenen Widerspruch hatte die Beklagte mit der Entscheidung vom 01.06.2022 abgeholfen. Da der Widerspruch erfolgreich war, hat die Beklagte gem. § 63 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Dabei sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes erstattungsfähig, wenn die Zuziehung des Bevollmächtigten notwendig war (§ 63 Abs. 2 SGB X). Davon geht auch die Beklagte aus. Die Vergütung für die Tätigkeit von Rechtsanwälten bemisst sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Die Gebühren als Teil der Vergütung der Rechtsanwälte bestimmen sich nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG.
28
Unstreitig ist im vorliegenden Fall die Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 VV RVG angefallen. Die Beklagte hat hierfür die Schwellengebühr in Höhe von 359,00 Euro festgesetzt. Dies ist nicht zu beanstanden.
29
Die Geschäftsgebühr bildet unter anderem das Betreiben des Geschäftes einschließlich der Information ab. Sie bemisst sich im sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen, nach Nr. 2302 VV RVG. Für diesen Gebührentatbestand ist ein Betragsrahmen von 60,00 Euro bis 768,00 Euro vorgesehen. Eine Gebühr von mehr als 359,00 Euro kann nach Nr. 2302 VV RVG nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (sog. Schwellengebühr).
30
Innerhalb des Gebührenrahmens bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Dabei ist dem Rechtsanwalt ein Beurteilungs- und Entscheidungsvorrecht eingeräumt, welches mit der Pflicht zur Berücksichtigung der in § 14 RVG genannten Kriterien verbunden ist.
31
Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind objektive Kriterien. Zu diesen treten die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber sowie dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse als subjektive Kriterien hinzu. Darüber hinaus ist nach § 14 Abs. 1 Satz 3 RVG in Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, für deren Bemessung ergänzend das Haftungsrisiko als weiteres Risiko zu berücksichtigen, ohne dass ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwaltes einen eigenen Gebührentatbestand begründet. Die Aufzählung der Bemessungskriterien im RVG ist nicht abschließend.
32
Die Ermittlung der Gebührenhöhe erfolgt in zwei Schritten. Zunächst ist von der Mittelgebühr auszugehen. Diese ist zu Grunde zu legen, wenn sich die Tätigkeit des Rechtsanwaltes nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt abhebt. Die ausgehend von der Mittelgebühr bestimmte Gebühr ist in einem zweiten Schritt in Höhe der Schwellengebühr zu kappen, wenn weder der Umfang noch die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit mehr als durchschnittlich sind (vgl. BSG SozR 4-1935 § 14 Nr. 2, Rn 22 ff.).
33
Die anwaltliche Bestimmung der Geschäftsgebühr in Höhe der Höchstgebühr ist im vorliegenden Fall i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG unbillig.
34
Bei der Bestimmung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit ist der zeitliche Aufwand zu berücksichtigen, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hat und den er davon auch objektiv auf die Sache verwenden musste (vgl. BSG SozR 4-1935 § 14 Nr. 2, Rn 28 ff.). Der in der mündlichen Verhandlung hervorgehobene Umstand, dass bei den Besprechungen mit der Klägerin u. a. auch Weinanfälle aufgetreten waren, welche die Besprechungen in die Länge zogen, vermag einen außergewöhnlichen zeitlichen Aufwand nicht zu begründen. Die medizinische Notwendigkeit der beantragten Bauchdeckenstraffung war bereits in den Attesten niedergelegt, welche sich die Klägerin selbst beschafft hatte. Das weitere Verfahren mit dem Verweis auf die bereits vorliegenden Atteste und der Notwendigkeit eines Zweitgutachtens durch den Medizinischen Dienst bedurfte objektiv keiner zeitintensiven Besprechung.
35
Auch wenn die Klägerin wegen ihres körperlichen und seelischen Zustanden einer gewissen Zuwendung bedurfte, vermag dieser Umstand den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit nicht über ein durchschnittliches Maß anzuheben.
36
Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit war durchschnittlich. Bei der Beurteilung der Intensität der Arbeit ist objektivierend auf einen Rechtsanwalt abzustellen, der sich bei der Wahrnehmung des Mandats darauf beschränken kann und darf, den Fall mit den einschlägigen Rechtsvorschriften gegebenenfalls unter Heranziehung von Rechtsprechung und Kommentarliteratur, zu bearbeiten (vgl. BSG SozR 4-1935 § 14 Nr. 2, Rn 32 ff.). Zu bearbeiten war im vorliegenden Fall ein Leistungsantrag. Der Anspruch auf die beantragte Leistung einer Bauchdeckenstraffung setzte das Vorliegen einer der Behandlung bedürftigen Krankheit voraus (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 5 SGB V). Es bedurfte somit einer medizinischen Sachaufklärung. Die Klägerin selbst hatte die erforderlichen Unterlagen einschließlich der auf Veranlassung des plastischen Chirurgen Dr. F. gefertigten Fotodokumentation bereits bei Antragstellung selbst vorgelegt. Diese Unterlagen waren für den Zweitgutachter auch ausreichend zur abschließenden medizinischen Beurteilung. Nur in Zusammenschau mit der Frage der Mängel des Erstgutachtens des Medizinischen Dienstes erreichte die Schwierigkeit der Tätigkeit des Rechtsanwaltes in diesem Fall ein durchschnittliches Ausmaß.
37
Die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin war durchschnittlich. Insoweit kommt es auf eine unmittelbare tatsächliche, idelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung für den Auftraggeber, nicht aber für die Allgemeinheit, an (vgl. BSG SozR 4-1935 § 14 Nr. 2, Rn 37). Mit dem Widerspruch wandte sich die Klägerin gegen die Ablehnung der Beklagten, die Kosten für eine Bauchdeckenstraffung zu erstatten. Dabei handelt es sich um eine einzelne medizinische Leistung. Selbstverständlich soll eine medizinische Leistung zu einem dauerhaften Erfolg führen. Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin macht dies aber die angestrebte Maßnahme nicht zu existenzsichernden Dauerleistung.
38
Auch unter Berücksichtigung des finanziellen Aufwandes für den Fall einer Selbstbeschaffung der Leistung, der die wirtschaftliche Bedeutung für die Klägerin widerspiegelt, vermag die Art der Leistung und deren Bedeutung für die Klägerin nicht über einen Durchschnittsfall hinauszuweisen. Die vom Prozessbevollmächtigten als durchschnittlich bezeichneten Einkommens- und Vermögensverhältnisse bestätigen bei der Gesamtbetrachtung das Vorliegen eines durchschnittlichen Verfahrens. Entgegen der in der Klagebegründung geäußerten Auffassung stellt die Kostenstruktur eines Rechtsanwaltsbüros kein Bemessungskriterium nach § 14 RVG dar. Aus den vorgenannten Ausführungen ergibt sich, dass eine Gebührenbestimmung über der Schwellengebühr in diesem Fall nicht möglich ist, da die Tätigkeit weder umfangreich noch schwierig war.
39
Der Beklagten ist auch darin zu folgen, dass die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin in Ansatz gebrachte Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 i. V. m. 1002 VV RVG nicht angefallen ist. Die Voraussetzungen für die Erledigungsgebühr sind gegeben, weil sich der Rechtsstreit „durch die anwaltliche Mitwirkung“ erledigt hat. Nach den amtlichen Erläuterungen zu Nr. 1002 VV RVG entsteht die Gebühr, „wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt“ (Satz 1). Nach Satz 2 gilt das Gleiche, „wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt.“ Nr. 1005 VV RVG sieht einen Gebührenrahmen in Höhe der Geschäftsgebühr vor im Falle der Einigung oder Erledigung in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in den im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren nach § 3 RVG entstehen.
40
Ein Rechtsanwalt kann für die Mitwirkung an der Erledigung eines isolierten Vorverfahrens durch Abhilfebescheid nur dann eine Erledigungsgebühr verlangen, wenn er eine über die Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgehende besondere Tätigkeit entfaltet hat.
41
Nach dem Wortlaut der Erläuterungen zu Nr. 1002 VV RVG kommt es hiernach für das Entstehen einer Erledigungsgebühr sowohl in einer Anfechtungssituation als auch bei einem Verpflichtungsrechtsbehelf auf die auf Erledigung gerichtete Mithilfe des Anwalts an. Auch die Regelungssystematik, der Sinn und Zweck der Regelung sowie die Entstehungsgeschichte der Nr. 1002 VV RVG erfordern eine qualifizierte auf die Erledigung ausgerichtete Mitwirkung des Rechtsanwalts, die über das Maß desjenigen hinausgeht, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren abgegolten wird (vgl. BSG SozR 4-1935 VV Nr. 1002 Nr. 1; SozR 4-1300 § 63 Nr. 8; vgl. auch BayLSG, Beschluss v. 01.07.2011, L 15 SF 82/10 B E und Beschluss vom 26.01.2011, Az.: L 15 SF 169/10 B E).
42
Bei der Frage, was bereits mit der Geschäftsgebühr abgegolten ist, ist auf die rechtsanwaltlichen Verpflichtungen abzustellen. Ein Rechtsanwalt ist gesetzlich verpflichtet ist, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben. Er hat bei der Begründung des Widerspruchs den Mitwirkungsobliegenheiten seines Mandanten Rechnung zu tragen und daher in der Regel alle ihm bekannten Tatsachen und Beweismittel anzugeben (§ 21 Abs. 2 Satz 2 SGB X; § 60 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 3 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I). Dies umfasst, trotz der Regelung in § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I, regelmäßig auch die Vorlage von vorhandenen Beweismitteln (vgl. BayLSG, Beschluss vom 01.07.2011, Az.: L 15 SF 82/10 B E). Gebührenrechtlich wird diese anwaltliche Tätigkeit mit der Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten nach Nr. 2302 VV RVG sowie mit der Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG abgegolten.
43
Der Ansatz einer weiteren gleich hohen Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 i. V. m. Nr. 1002 VV RVG ist erst dann gerechtfertigt, wenn der Rechtsanwalt Beweismittel neu beschafft bzw. beschaffen lässt und diese dann im Vorverfahren vorlegt bzw. beibringt (vgl. BSG SozR 4-1935 VV Nr. 1002 Nr. 1) Im vorliegenden Fall wurden von Seiten des Rechtsanwalts über die bereits von der Klägerin selbst vorgelegten Unterlagen (einschließlich der Fotodokumentation) keine weiteren medizinischen Unterlagen vorgelegt.
44
Die vom Klägerbevollmächtigten im Klageverfahren geschilderte Einwirkung auf die Klägerin weitere medizinische Unterlagen vorzulegen, kann nicht berücksichtigt werden. Sie kann von vorneherein nicht kausal zu einer anderen Beurteilung des MD und damit zu der Abhilfeentscheidung geführt haben. Auch bei der Zweitbegutachtung des MD wurde nur auf die von der Klägerin bereits bei Antragstellung vorgelegten Unterlagen zurückgegriffen und wegen des Inhalts dieser Atteste und der vorgelegten Fotodokumentation eine andere medizinische Beurteilung getroffen. Der Hinweis des Klägerbevollmächtigten auf die erforderliche erneute medizinische Begutachtung ist bereits in der Geschäftsgebühr abgegolten und stellt nach ständiger Rechtsprechung des BSG und des BayLSG keine besondere rechtsanwaltliche Mitwirkung nach dem Gebührentatbestand der Nr. 1005 i. V. m. Nr. 1002 VV RVG dar, die im vorliegenden Fall auch zur Abhilfe des Widerspruches führte.
45
Es bedarf der Einholung eines Gutachtens des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer über die Höhe der Gebühr nach § 14 Abs. 3 RVG i. d. F. d. G. vom 21.10.2020 (BGBl I S. 3229) in diesem Falle nicht. Diese Regelung ist – wie die Vorgängerregelung des § 14 Abs. 2 RVG, auf die sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bezieht – nur bei einem Rechtsstreit zwischen Mandant und Rechtsanwalt anwendbar. Keine Anwendung findet die Regelung des § 14 Abs. 3 RVG im Prozess zwischen dem Gebührenschuldner (hier die Klägerin) und dem Erstattungspflichtigen (vgl. BSG SozR 4-1935 § 7 Nr. 1, Rn 14 m. w. N.).
46
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.