Inhalt

LG München I, Beschluss v. 14.10.2022 – 8 O 22966/15
Titel:

Mögliche Verjährung, Einrede der Verjährung, Besorgnis der Befangenheit, Aktivlegitimation, Verwirkung, Schriftsätze, Vorsitzender Richter, Dienstliche Stellungnahme, Gewährleistungsfristen, mündlich Verhandlung, Richterliche Unabhängigkeit, Beschlüsse, Ablehnungsgesuch, Befangenheitsantrag, Vollstreckungsvergleich, Urteilsgebühr, Falscher Tatsachenvortrag, Einholung eines Sachverständigengutachtens, Weitere Beweisaufnahme, Befangenheitsgründe

Schlagworte:
Befangenheitsantrag, Unparteilichkeit, Verfahrensführung, Prozessstoff, Verwirkung, Gewährleistungsfristen, Vergleichsbemühungen
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 10.02.2023 – 28 W 1635/22 Bau e
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 03.03.2025 – 1 BvR 750/23, 1 BvR 763/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 60992

Tenor

Der Befangenheitsantrag der Klägervertreterin vom 11.08.2022 gegen die Vorsitzende Richterin am Landgericht … und Richter … wird zurückgewiesen.

Gründe

1
Der Antrag ist unzulässig und unbegründet. Ablehnungsgründe i.S.v. § 42 Abs. 1 und 2 ZPO liegen nicht vor und wurden nach § 43 ZPO zu spät moniert.
2
Voraussetzung für ein erfolgreiches Ablehnungsgesuch sind objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber; rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden scheiden aus. Maßgeblich ist dabei nicht das subjektive Befinden der konkreten Partei, sondern ob Umstände vorliegen, die einer ruhig und vernünftig denkenden Partei aus Sicht des Ablehnenden Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (Zöller, ZPO, 30. Aufl., Rdz. 9 zu § 42). Mögliche Ablehnungsgründe sind in ihrer Gesamtheit zu würdigen.
3
Vorliegend moniert die Klägervertreterin in dem Antrag auf Ablehnung der Vorsitzenden Richterin am Landgericht … und des Richters … wegen Befangenheit vom 11.08.2022 insbesondere folgende Punkte:
1.
Erlass des Beschlusses vom 28.07.2022, in dem auf eine einvernehmliche Lösung hingewirkt und erneut Hinweise der Kammer inklusive Aufforderung der Parteien zur Stellungnahme gegeben wurden.
2.
Im „Hinblick auf die Person von Frau Vorsitzender Richterin … auch aus einer Gesamtbetrachtung ihres Verhaltens seit Übernahme des Vorsitzes der Kammer in diesem Verfahren“ (Bl. 4 d. klägerischen Schriftsatzes vom 11.08.2022).
3.
Die dienstlichen Stellungnahmen der Vorsitzenden Richterin … (01.09.2022) und des Richters … (19.09.2022).
Zur Zulässigkeit des Antrages
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Der Antrag der Klägervertreterin ist in weiten Teilen bereits wegen Verspätung unzulässig. Nach § 43 ZPO kann die Klägervertreterin sich auf einen Großteil der vorgetragenen Umstände nicht mehr berufen, da sie in Kenntnis dieser verhandelt und Anträge gestellt hat. Der Vortrag bezieht sich größtenteils auf Sachverhalte, die der Klägervertreterin spätestens in der mündlichen Verhandlung vom 20.07.2022 bekannt waren. Dennoch hat die Klägervertreterin im Rahmen der mündlichen Verhandlung an der Diskussion über die weitere Beweisaufnahme, insbesondere durch Sachverständigengutachten mitgewirkt und Anträge gestellt – ohne vorherige Rüge.
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Die Frage der Aktivlegitimation wurde, wie von dem Beklagtenvertreter ausgeführt, bereits in der mündlichen Verhandlung vom 20.07.2022 erörtert (Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 08.09.2022, Seite 2, Ziffer I.1.b). Die Klägervertreterin hat in Kenntnis dieses Umstandes verhandelt und Anträge gestellt.
6
Zum Thema der Verjährung trägt die Klägervertreterin selbst vor, dass die Frage der Gewährleistungsfristen bereits in der Verfügung vom 25.08.2020 thematisiert und in der mündlichen Verhandlung vom 26.08.2020 mit der Vorsitzenden Richterin … besprochen wurde. Auch in dem Beschluss vom 29.03.2022 wurde die Gewährleistungsfrist thematisiert. Die Klägervertreterin hat somit in Kenntnis dieses Umstandes verhandelt und Anträge gestellt.
7
Auch das Thema der Verwirkung wurde nach den Ausführungen der Klägervertreterin in dem Beschluss vom 28.07.2022 zum dritten Mal angesprochen, insbesondere sei es bereits in der mündlichen Verhandlung vom 23.03.2022 und vom 20.07.2022 erörtert worden. Auch in Kenntnis dieses Umstandes hat die Klägervertreterin somit bereits verhandelt und Anträge gestellt. Es ist nicht ersichtlich, warum die bloße Wiederholung hier weiteren Anlass für die Besorgnis der Befangenheit liefern sollte.
8
Das gerügte Verhalten der Vorsitzenden Richterin … fand in der mündlichen Verhandlung vom 20.07.2022 statt, also noch vor der Verhandlung zur weiteren Beweiserhebung und der Antragsstellung durch die Klägervertreterin.
Zur Begründetheit des Antrages
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Der Antrag ist in großen Teilen bereits unzulässig. Darüber hinaus ist er auch unbegründet.
Zu 1. Beschlusses vom 28.07.2022
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Die Klägervertreterin begründet ihr Kritik an dem Beschluss vom 28.07.2022 u.a. damit, dass dieser zu einer unangemessenen Prozessverzögerung geführt hätte, da eine Fortführung der Beweisaufnahme geboten gewesen wäre. Außerdem sollten die Hinweise des Gerichts alleine dem Ziel dienen, „die Klägerin dazu zu bringen, jetzt endlich den vom Gericht dringend gewollten Vergleich zu schließen“ und hierfür „völlig unangemessenen Druck auf die Klägerin aufbauen“ (Bl. 6 d. klägerischen Schriftsatzes vom 11.08.2022).
11
Konkret wird bemängelt, dass die Klägervertreterin u.a. bereits mit Schriftsatz vom 13.07.2022 umfassend zu einem Hinweisbeschluss mit Vergleichsvorschlag vom 19.05.2022 Stellung genommen und verdeutlicht habe, „dass es geboten sei, nunmehr schnellstmöglich die Beweisaufnahme fortzusetzen“.
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Dem ist entgegenzusetzen, dass die Art und Weise der Verfahrensführung des Richters – als dem Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit zugeordnet – grundsätzlich nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen kann. Im Ablehnungsverfahren geht es allein um die Parteilichkeit des Richters und nicht um die Richtigkeit seiner Handlungen und Entscheidungen, deren Überprüfung allein den Rechtsmittelgerichten vorbehalten sind. Nur im Ausnahmefall ist die Verfahrensweise eines Richters Grund für die Ablehnung, wenn die richterliche Handlung ausreichender gesetzlicher Grundlage völlig entbehrt und so grob rechtswidrig ist, dass sie als Willkür erscheint (siehe OLG Stuttgart, Beschluss vom 19.4.2011 – 13 W 21/11). Anhaltspunkte für Willkür sind nicht ersichtlich.
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Ergänzend wird auf die Ausführungen des Gerichts in dem Beschluss vom 28.07.2022 (Seite 2, Ziffer 2) hingewiesen, die die Vergleichsbemühungen begründen:
„Das Gericht soll in jeder Lage des Verfahrens auf eine einvernehmliche Lösung bedacht sein, § 278 Abs. 1 ZPO: Eine einvernehmliche Lösung aus wirtschaftlichen Gründen und um für das Objekt -nach zwischenzeitlich bereits zweifach erfolgter Veräußerungnunmehr eine Gesamtlösung zu finden, wurde in der Sitzung vom 23.03.2022, im Beschluss vom 19.05.2022 und in der Sitzung vom 20.07.2022 erörtert und von den Beteiligten mehrfach angekündigt (Bl. 302,304, 312,316,318, 319, 321, 323, 327, 358 d.A.), kam bisher jedoch nicht zustande, § 278 Abs.1 ZPO.“
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Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass der monierte Beschluss vom 28.07.2022 gerade die weitere Beweisaufnahme, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, anordnete.
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Die Klägervertreterin moniert weiter, dass alle Hinweise zulasten der Klägerin gingen. Dieser Einwand kann vorliegend nicht nachvollzogen werden. Die Hinweise sind ergebnisoffen. Sie betreffen die Frage, ob ein Anspruch besteht oder nicht und betreffen damit beide Parteien gleichermaßen. Im Übrigen sind die Hinweise Folge der vorläufigen rechtlichen Einschätzung der Kammer. Andere Erwägungen sind hierfür nicht zu erkennen.
Aktivlegitimation
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Ferner werden Ausführungen zur Frage der Aktivlegitimation gerügt. Die Klägervertreterin trägt hierzu vor, das Gericht habe die Gegenseite in dem Beschluss „verkappt“ dazu aufgefordert „sie möge den Vortrag der Klägerin zur jeweils erfolgten Abtretung der klägerischen Ansprüche bestreiten“ (Bl. 5 d. klägerischen Schriftsatzes vom 11.08.2022). Hierbei würde es sich um einen anlasslosen Hinweis handeln, der „mögliche und denkbare Einwendungen und Verteidigungsvorbringen der Gegenseite“ vorwegnimmt und damit – wie in der Entscheidung des OLG München vom 09.11.2011 (OLG München, Beschluss vom 09.11.2011 – 1 W 1418/11) – einen Befangenheitsgrund darstellen.
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Hiergegen ist einzuwenden, dass das Gericht in dem Beschluss vom 28.07.2022 selbst angibt, worin es den Anlass für diesen Hinweis sieht (Seite 3, Ziffer 3.1):
„Mit Schriftsatz vom 27.04.2018 (Bl. 152 d.A.) sowie im Schriftsatz vom 04.10.2021 (Bl. 347 d.A.) wurde um einen Hinweis des Gerichts gebeten, wenn im Hinblick auf den Par – teiwechsel auf Klägerseite weiterer Vortrag und/oder die Vorlage weiterer Dokumente erfor – derlich sein sollte, hierauf wird Bezug genommen.“
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Im Anschluss hieran folgen Erläuterungen zur Aktivlegitimation allgemein sowie zum konkret vorgetragenen Sachverhalt. Es wird festgestellt, dass der klägerische Vortrag hierzu bislang nicht bestritten wurde und welche Urkunden im Bestreitensfalle vorzulegen wären.
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Der Hinweis diente somit der Klärung einer durch die Klägervertreterin selbst aufgeworfenen Frage nach noch vorzulegenden Dokumenten in Bezug auf den Parteiwechsel. Es handelt sich gerade nicht um einen anlasslosen Hinweis, wie in dem der Entscheidung des OLG München vom 09.11.2011 zugrundeliegenden Sachverhalt. Dort wurden die Hinweise nicht nur vor Vorliegen der Klageerwiderung und auch vor Übernahme des Verfahrens erteilt, sondern sie zielten auch auf ein mögliches Mitverschulden des Klägers ab, für das keinerlei Anhaltspunkte bestanden. Im dortigen Verfahren wurde die Frage des Mitverschuldens erstmalig und ohne jeglichen Anlass durch das Gericht aufgeworfen. Im hiesigen Verfahren wurde die Frage dagegen durch die Klägervertreterin selbst aufgeworfen.
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Ferner stellt die Sachbefugnis der Klägerin eine Voraussetzung für die geltend gemachten Ansprüche dar. Das Gericht soll sich um zügige Vervollständigung des Prozessstoffes bemühen (§ 139 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO). Das ist hier – nach dem Eintritt der Klägerin in den Rechtsstreit – passiert. Es wurde auf eine umfassende Erörterung des Rechtsstreits hingewirkt, ohne die Entschließungsfreiheit der Parteien zu beeinträchtigen.
Gewährleistungsfristen und Verwirkung
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Die Klägervertreterin rügt die Hinweise zum Thema der Gewährleistungsfristen (Ziffer 3.3, Seite 4 und 5 des Beschlusses vom 28.07.2022):
„Die Parteien werden daher gebeten mitzuteilen, welche Gewährleistungsfrist nach Auffassung der Parteien im Hinblick auf die in Ziffer 6. vereinbarte Abnahme (siehe oben 3.2.) und die streit – gegenständlichen Mängel gilt und wann diese beginnt und enden würde (vgl. Beschluss vom 19.05.2022 S. 8 Bl. 389 Rs).“
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Hierzu führt sie aus, es sei „nicht Aufgabe des Gerichts, durch Fragen oder Hinweise neue Anspruchsgrundlagen, Einreden oder Anträge einzuführen, die in dem streitigen Vortrag der Parteien nicht zumindest andeutungsweise bereits eine Grundlage haben“ (Bl. 4 d. klägerischen Schriftsatzes vom 11.08.2022).
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Entscheidender Unterschied zum Sachverhalt, der der zitierten Rechtsprechung des BGH (BGH, Beschluß vom 2. 10. 2003 – V ZB 22/03 (LG Dessau)) zugrunde liegt, ist der Umstand, dass das Thema der Verjährung vorliegend bereits in der Klageschrift aufgeworfen wurde. Thematisiert wurden hierin nicht nur die Umstände, aus denen sich eine mögliche Verjährung ergeben könnten, sondern auch die Einrede der Verjährung und ein erklärter Verzicht. In dem Sachverhalt, den der BGH zu entscheiden hatte, wurde der Hinweis des Gerichts dagegen bereits mit der Zustellung der Anspruchsbegründung (nach Widerspruch gegen einen Mahnbescheid) erteilt, ohne eine vorherige Thematisierung der Verjährung durch die Parteien.
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Vorliegend wird auf den Beschluss vom 28.07.2022 verwiesen, in dem auf Seite 4 und 5 unter Ziffer 3.3 dargestellt wird, dass das Thema der Verjährung bereits Gegenstand des Prozesses war:
„Nach der Klageschrift vom 17.12.2015 habe die Beklagte im Hinblick auf die Ansprüche auf Beseitigung „dieses Mangels“ (= Verformung des Butyl-Strangs des TPS, Abstandshalters „Girlan – denbildung“) auf die Erhebung der Einrede der Verjährung verzichtet (Ziffer 6 Abs. 1 des Ver – gleichs). In Ziffer 6 Abs. 2 des Vollstreckungsvergleichs von 2012 sei vereinbart, dass für die nach dem Vergleich ausgeführten Mängelbeseitigungsarbeiten die Gewährleistungsfrist „von zehn Jahren und zwei Wochen ab Abnahme der Nacherfüllungsarbeiten gilt“ (Bl. 6 d.A.).“
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Auch hier bemühte sich das Gericht um zügige Vervollständigung des Prozessstoffes (§ 139 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO). Es wurde auf eine umfassende Erörterung des Rechtsstreits hingewirkt, ohne auf die Einrede der Verjährung hinzuwirken. Die Gewährleistungsfristen wurden vorliegend insbesondere im Hinblick auf die Frage der Verwirkung besprochen. Bei der Verwirkung handelt es sich um einen von Amts wegen zu berücksichtigenden Umstand, somit um keine Einrede, die erst erhoben werden müsste.
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Auch das Thema der Verwirkung wurde nicht anlasslos besprochen. Es wurde in dem Beschluss selbst ausgeführt, warum das Thema für den konkreten Fall von Relevanz ist und welche Punkte zur Klärung dieser Frage noch zu erörtern sind (Beschluss vom 28.07.2022, Ziffer 3.4, Seiten 5 und 6):
„Im Kern ist damit gesagt, dass Mängelansprüche nach einer fehlenden -was im vorliegenden Fall durch die Parteien noch zu klären wäre-Abnahme nicht zeitlich unbeschränkt fortbestehen müssen und im Einzelfall mit Blick auf die Verwirkung von Rechten eine Billigkeitskorrektur nach § 242 BGB vorzunehmen wäre. Die Verwirkung (§ 242 BGB) setzt ein Zeitmoment und ein Umstandsmoment voraus (BGH, Urteil v. 14.11.2002, VII ZR 23/02). Hierbei dürfte unter ande – rem auch entscheidungsrelevant sein, ob und ggffs. unter welchen Bedingungen die streitgegen – ständlichen Mängel bei den Veräußerungen in den Jahren 2018 und 2021 eine Rolle gespielt ha – ben oder nicht.“
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Auch sind die Ausführungen nicht „abwegig“, wie von der Klägervertreterin behauptet, da das streitgegenständliche Bauvorhaben bereits 2005 fertiggestellt wurde. Auch wenn es noch zu Nachbesserungen und Rechtsstreitigkeiten gekommen ist, so berechtigt doch bereits der Zeitablauf dazu, das Thema der Verwirkung zu erörtern – insbesondere mit Hinblick auf eine noch zu berücksichtigende weitere Verfahrensdauer in erster und ggf. auch in zweiter Instanz.
Zu 2. Verhalten der Vorsitzenden …
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Die Klägervertreterin trägt vor, die Vorsitzende habe in der letzten mündlichen Verhandlung umfangreiche und „fehlerhafte“ Ausführungen zum Sachverhalt gemacht, sich „bei diesen Ausführungen ostentativ der Beklagten“ zugewandt und diese explizit darauf hingewiesen, „diese möge sie unterbrechen, wenn sie etwas Unzutreffendes ausführe“. Dagegen habe sie die Klägervertreterin wiederholt darauf hingewiesen, „diese hätte sie nicht zu unterbrechen“ (Bl. 11 d. klägerischen Schriftsatzes vom 11.08.2022). Außerdem habe die Vorsitzende in Bezug auf das Verfahren 18 O 19093/07 wiederholt von einem „Vollstreckungsvergleich“ gesprochen, obwohl die Klägervertreterin erklärt habe, dass damals der Vergleich noch vor dem Urteil geschlossen wurde.
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Vorliegend kann nicht rekonstruiert werden, ob die Blickrichtung der Vorsitzenden Richterin … in der Verhandlung sich mehrheitlich nach rechts oder links richtete. Zu den „fehlerhaften“ Ausführungen zum Sachverhalt, gab die Vorsitzende Richterin … in ihrer Stellungnahme an, dass die Ausführungen aus objektiver Sicht richtig waren (Stellungnahme vom 01.09.2022). Zu der Frage, ob die Klägervertreterin ihre Einwendungen ausreichend anbringen konnte, liegen zumindest unterschiedliche Einschätzungen vor (Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 08.09.2022). Aus der Gesamtschau wird jedenfalls ersichtlich, dass die Parteien sich in der mündlichen Verhandlung sehr unterschiedlich verhalten haben, die Klägervertreterin sich häufiger zu Wort gemeldet hat und der Vorsitzenden Richterin … auch unaufgefordert ins Wort gefallen ist (nach eigenem Vortrag auf Seite 11 unter Ziffer III. des klägerischen Schriftsatzes vom 11.08.2022).
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Im Ergebnis reicht jedoch bereits der Vortrag der Klägervertreterin nicht aus, um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Es wurde kein unsachliches Verhalten beschrieben, das den Schluss auf die mangelnde Unvoreingenommenheit gegenüber einer Partei nahelegt. Es wurden weder grobe Fehlgriffe in der Wortwahl, Unsachlichkeiten und abfällige, herabwürdigende oder gar beleidigende Äußerungen der Vorsitzenden Richterin geschildert, die auf eine Befangenheit hindeuten könnten. Das geschilderte Verhalten ist im Gesamtzusammenhang der Verhandlungssituation zu betrachten. Alle Äußerungen waren sachbezogen und aufgrund des Verhaltens der Beteiligten verständlich.
31
Zu dem Thema des „Vollstreckungsvergleichs“ ist zu ergänzen, dass es dem Gericht hierbei nur darauf ankam, dass die Parteien bereits einmal einen Vergleich geschlossen haben und damit gezeigt haben, dass sie sich in der Sache einigen können und wollen. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass es angesichts des hohen Streitwertes günstiger sei, wenn keine Urteilsgebühr anfällt. In dem Verfahren 18 O 19093/07 ist die Urteilsgebühr angefallen (auch wenn der Vergleich vor dem Urteil geschlossen wurde). Die konkrete Benennung des Vergleichs erscheint hierbei nicht relevant. Eine falsche Benennung erfolgte jedenfalls nicht, um eine Partei zu ärgern. Entscheidend war für das Gericht alleine die Überlegung, ob eine Urteilsgebühr anfällt oder nicht. Dies wurde den Parteien auch erklärt.
Zu 3. Dienstliche Stellungnahmen
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Im klägerischen Schriftsatz vom 12.09.2022 wird ausgeführt, dass auch die dienstliche Stellungnahme der Vorsitzenden Richterin … die Besorgnis der Befangenheit begründe, da es sich nicht ausschließlich um Tatsachenvortrag handele.
33
Der Hinweis, es käme „auf die objektive Sichtweise an“ (Stellungnahme vom 01.09.2022), wird jedoch so verstanden, dass die Vorsitzenden Richterin … damit ausdrücken will, sie habe sich um eine objektive Darstellung bemüht, habe aber Verständnis dafür, dass dies in einem Rechtsstreit von einer Partei anders aufgefasst werden könne.
34
Auch wird dem Vorwurf entgegengetreten, die Vorsitzende habe in ihrer Stellungnahme versucht, den Vortrag der Klägervertreterin zu verniedlichen oder ins Lächerliche zu ziehen (klägerischer Schriftsatz vom 12.09.2022, Ziffer 2, Seiten 3 und 4). Die Ausführungen der Vorsitzenden sollen ihre Blickrichtung in der Verhandlung erläutern und auch erklären, falls diese tatsächlich mehr auf der rechten Seite lag.
35
Wie oben ausgeführt, war ein weiterer Sachvortrag der Vorsitzenden Richterin … vorliegend nicht erforderlich. Der Antrag ist unzulässig und unbegründet, aber nicht wegen eines falschen Tatsachenvortrages, sondern wegen einer abweichenden rechtlichen Würdigung der vorgetragenen Tatsachen. So ist auch die Bezeichnung der Blickrichtung als „Schwerpunkt“ des Vorbringens zu werten (Stellungnahme vom 01.09.2022). Zu den Rügen in Bezug auf den Beschluss vom 28.07.2022 ist ein Tatsachenvortrag nicht erforderlich, da hierzu der schriftliche Beschluss vorliegt. Nur zu der Blickrichtung in der mündlichen Verhandlung liegen eben keine schriftlichen Unterlagen vor.
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Auch die dienstliche Stellungnahme des Richters … wird von der Klägervertreterin moniert (klägerischer Schriftsatz vom 11.10.2022), insbesondere die Kürze der Ausführungen. Wie bereits dargestellt, dient die dienstliche Stellungnahme insbesondere dazu, Tatsachen darzustellen. Vorliegend sind die Tatsachen jedoch größtenteils unstreitig – insbesondere im Hinblick auf den schriftlich vorliegenden Beschluss. Ein abweichender Vortrag ist somit nicht erforderlich. Alle Erklärungen, die vorliegend von der Klägervertreterin gefordert werden, wurden bereits in dem Beschluss vom 28.07.2022 selbst gegeben. Wie oben bei den einzelnen Punkten aufgeführt, wurde der Anlass für die jeweiligen Ausführungen bereits in dem Beschluss beschrieben.
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Zu dem Vorwurf, die dienstliche Stellungnahme des Richters … sei zu spät erfolgt, wird darauf hingewiesen, dass dieser mit Verfügung vom 14.09.2022 die Akte zugeleitet bekam, mit der Bitte um Stellungnahme. Die Stellungnahme erfolgte am 19.09.2022.
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Im Ergebnis war der Befangenheitsantrag daher zurückzuweisen.