Inhalt

OLG Bamberg, Urteil v. 25.05.2022 – 8 U 221/21
Titel:

Sittenwidrigkeit, Betriebsuntersagung, Prozeßbevollmächtigter, Kraftfahrt-Bundesamt, Abschalteinrichtung, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Arglistige Täuschung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Klagepartei, OLG Bamberg, Anspruch auf Schadensersatz, Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, Annahmeverzug, Unzulässigkeit, Amtliche Auskunft, Vertragsschluss, Feststellungsinteresse, Kostenentscheidung, Klageantrag, Außerbetriebsetzung

Schlagworte:
Schadensersatzklage, Gebrauchtwagenkauf, Abgasmanipulation, Thermofenster, Prüfstanderkennung, Sittenwidrigkeit, Betriebsuntersagung
Vorinstanz:
LG Coburg vom 01.10.2021 – 15 O 294/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 07.05.2025 – VIa ZR 991/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 60811

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Coburg vom 01.10.2021, Az. 15 O 294/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil sowie das angefochtene Endurteil des Landgerichts Coburg sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

- I.
1
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz in Zusammenhang mit dem Kauf eines gebrauchten Fahrzeugs Marke X.. Die Beklagte ist die Herstellerin des Fahrzeugs.
2
Der Kläger erwarb am 28.12.2011 den gebrauchten Pkw Marke X. (FIN: …) beim X.. Der Kaufpreis des Fahrzeugs betrug 52.900,00 Euro. Zum Zeitpunkt des Kaufs hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 13.500 Kilometern. Die Erstzulassung des Fahrzeugs war am 15.06.2010. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor vom Typ EA 896 Gen1 (Euro 5) ausgestattet. Die Beklagte war in den Vertragsschluss weder eingebunden noch hatte sie Kenntnis davon.
3
Das Fahrzeug unterlag keinem amtlichen Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt. Das Kraftfahrt-Bundesamt nahm mit amtlicher Auskunft vom 22.05.2019 zu einem Fahrzeug Marke X. (EU 5) Stellung. Auf den Inhalt der amtlichen Auskunft vom 22.05.2019 wird Bezug genommen.
4
Der Kläger behauptet, in dem Fahrzeug sei ein Dieselmotor mit unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut, die im Ergebnis den Rollenprüfstand erkennen würden. So würde die Umgebungstemperatur ausgewertet. Auch sei eine „Aufheizstrategie“ vorhanden. Insoweit würde die Software insbesondere den Lenkwinkeleinschlag erkennen. Auch befinde sich im Fahrzeug ein unzulässiges sog. „Thermofenster“. Das Fahrzeug wäre nicht erworben worden, wenn der Kläger gewusst hätte, dass die angegebenen Messwerte im normalen Straßenverkehr nicht eingehalten werden. Auch sei der Beklagten eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes vorzuwerfen. Zudem bestehe ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB.
5
Erstinstanzlich hat der Kläger beantragt,
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei das Fahrzeug X., FIN …, dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr.
hilfsweise:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ 3.0 l V6 Dieselmotor, des Fahrzeugs X., FIN … eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickoxidemissionsmesswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einem höheren NOx -Ausstoß führt.
2. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.918,56 freizustellen.
Hilfsanträge:
1. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klagepartei € 52.900 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 16.04.2020 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW X., FIN ….
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu bezahlen für weitere Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei das Fahrzeug X., FIN …, dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr. hilfsweise:
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für weitere Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ 3.0 l V6 Dieselmotor, des Fahrzeugs X., FIN … eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickoxidemissionsmesswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einem höheren NOx -Ausstoß führt.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagtenpartei mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. genannten PKW im Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.918,56 freizustellen.
6
Die Beklagte hat die Abweisung der Klage
beantragt.
7
Die Beklagte führt aus, das Fahrzeug würde über keine unzulässige Abschalteinrichtung verfügen. Das Kraftfahrt-Bundesamt habe das Fahrzeug geprüft und keine unzulässige Abschalteinrichtung vorgefunden. Auch sei im Fahrzeug kein SCR-Katalysator vorhanden. Daher werde auch kein AdBlue verwendet. Das „Thermofenster“ diene dem Schutz der Bauteile des Abgasrückführungssystems. Die EG-Typengenehmigung sei nicht gefährdet.
8
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf das Endurteil des Landgerichts Coburg vom 01.10.2021 Bezug genommen. Weiter wird auf die gewechselten Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten der Parteien sowie die vorgelegten anlagen verwiesen.
9
Das Landgericht Coburg hat mit Endurteil vom 01.10.2021 die Klage abgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt, dem Feststellungsantrag fehle das Feststellungsinteresse, da eine Leistungsklage möglich gewesen wäre. Der Zahlungsantrag sei unbegründet. Der Kläger habe die Voraussetzungen für das Vorliegen einer sittenwidrigen Handlung der Beklagten nicht nachweisen können. Das vorliegende „Thermofenster“ sei nicht objektiv sittenwidrig. Einerseits enthalte es keine Prüfstanderkennung wie beim Motor des Typs EA 189. Andererseits läge keine „planmäßige Verschleierung“ vor. Gleiches gelte für die Aufheizstrategie. Außerdem sei durch das Kraftfahrt-Bundesamt keine Prüfstanderkennung festgestellt worden. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen wird auf die Entscheidungsgründe des Endurteils des Landgerichts Coburg vom 01.10.2021 verwiesen.
10
Gegen das den Klägervertretern am 11.10.2021 zugestellte Endurteil des Landgerichts Coburg vom 01.10.2021 hat der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 11.11.2021, eingegangen bei dem Oberlandesgericht Bamberg am gleichen Tag, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 11.03.2022, eingegangen bei dem Oberlandesgericht Bamberg am gleichen Tag, nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist fristgerecht begründet.
11
In seiner Berufungsbegründung führt der Kläger aus, das Kraftfahrt-Bundesamt habe den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp nicht untersucht. Auch sei die Motorsteuerungssoftware nicht geprüft worden. Der Vortrag der Klägerseite sei ausreichend substantiiert. Durch die Beklagte werde das Vorhandensein einer „Aufheizstrategie“ nicht bestritten. Diese sei nur im Prüfstandlauf aktiviert. Auch sei das Getriebe manipuliert.
12
In der Berufungsinstanz hat der Kläger nachfolgende Anträge gestellt:
1. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klagepartei 52.900,00 Euro abzüglich einer Nutzungsentschädigung i.H.v. 31.282,35 Euro zuzüglich nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 16.04.2020 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkws X., FIN ….
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu bezahlen für weitere Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei das Fahrzeug X., FIN …, dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr. hilfsweise:
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für weitere Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ 3.0 l V6 Dieselmotor, des Fahrzeugs X., FIN …, eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickoxidemissionsmesswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einem höheren NOx -Ausstoß führt.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagtenpartei mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. genannten PKWs im Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.918,56 freizustellen.
13
Die Beklagte hat die Zurückweisung der Berufung beantragt.
14
Zur Begründung ihres Antrags führt die Beklagte aus, eine prüfstandbezogene Strategie sei nicht vorhanden. Das „Thermofenster“ sei technisch notwendig und zulässig. Im Übrigen verweist die Beklagte auf eine amtliche Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 22.05.2019. Auf die weiteren Ausführungen der Berufungserwiderung wird verwiesen.
15
Zur Ergänzung wird auf die Schriftsätze der Prozessvertreter nebst Anlagen im Berufungsverfahren sowie das Protokoll der öffentlichen Sitzung des Oberlandesgerichts Bamberg vom 25.05.2022 Bezug genommen.
II.
16
1. Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
17
2. a. Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten i.S.v. § 826 BGB ist nicht erkennbar.
18
Sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB ist ein Verhalten, welches nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, das der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung und den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rn. 15, NJW 2020, 1962, 1963). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az.: VI ZR 536/15, Rn. 16, NJW 2017, 250, 252). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 07.05.2019, Az.: VI ZR 512/17, Rn. 10, NJW 2019, 2164, 2165).
19
Als objektiv sittenwidrig wäre das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zur Klägerin insbesondere dann zu qualifizieren, wenn die Beklagte auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidungen bei der Motorentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes systematisch, langjährig Motoren in den Verkehr gebracht hätte, obwohl deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rn. 25, NJW 2020, 1962, 1965). Durch die Verwendung eines derartigen Motors würde in dieser Konstellation nicht nur eine erhöhte Belastung der Umwelt einhergehen, sondern auch die Gefahr, dass bei einer Aufdeckung für die betroffenen Fahrzeuge eine Betriebsbeschränkung oder eine Betriebsuntersagung droht. Ein solches Verhalten wäre im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwerben würde, verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren.
20
b. Im vorliegenden Fall konnte der Kläger weder nachweisen, dass im Motor seines Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Prüfstanderkennung verbaut worden ist, noch dass seinem Fahrzeug eine Betriebsbeschränkung bzw. Betriebsuntersagung drohte bzw. droht.
21
Durch das Kraftfahrt-Bundesamt wurde in der amtlichen Auskunft vom 22.05.2019 zu einem Fahrzeug Marke X. EU 5 dargelegt, dass dieses Fahrzeugmodell nicht von einem angeordneten Rückruf betroffen sei. Auch durch den Kläger wurde in der Berufungsverhandlung vom 25.05.2022 bestätigt, dass er kein Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamtes erhalten habe. Auch eine Betriebsuntersagung sei ihm von keiner Stelle aus angedroht worden Da auch mehr als sechs Jahre nach dem Bekanntwerden von „Abgasmanipulationen“ bei Fahrzeugen mit einem Motor vom Typ EA 189 kein Rückruf für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp erfolgt ist, und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieser in Zukunft droht, bestand zu keinem Zeitpunkt die Gefahr einer Betriebsuntersagung bzw. Betriebsbeschränkung für das Fahrzeug des Klägers. Daher fehlt ein wichtiger Umstand, durch den das sittenwidrige Verhalten beim Motor des Typs EA 189 begründet wurde (OLG Bamberg, Urteil vom 17.03.2021, Az.: 8 U 163/20; OLG Bamberg, Urteil vom 19.05.2021, Az.: 8 U 113/20, BeckRS 2021, 29894, Rn. 38; OLG Bamberg, Urteil vom 14.07.2021, Az.: 8 U 37/21, BeckRS 2021, 4404, Rn. 27; OLG Bamberg, Urteil vom 12.01.2022, Az.: 8 U 119/21).
22
Auch wenn der Kläger die Stellungnahmen des Kraftfahrt-Bundesamtes (zumindest indirekt) in Zweifel zieht, sieht der Senat kein Motiv, aus welchem Grund das Kraftfahrt-Bundesamt als staatliche Behörde andere staatliche Behörden bzw. Gerichte mit falschen Auskünften bedienen sollte. Etwaige klägerische Ausführungen, die den Wahrheitsgehalt der Auskünfte des Kraftfahrt-Bundesamtes in Zweifel ziehen würden, erweisen sich daher als unbeachtlich. Beweisanträgen auf Einholung von Sachverständigengutachten war daher ebenfalls nicht nachzukommen.
23
c. Auch die Verwendung eines sog. „Thermofensters“ im Motor der Beklagten führt zu keinem Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB. Insoweit fehlt es zumindest an einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung der Beklagten.
24
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung in einem Fahrzeug durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei bestimmten Temperaturen reduziert und unter Umständen auch abgeschaltet wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für den Automobilhersteller handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rn. 16, NJW 2021, 921, 923). Dabei kann es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs letztlich offen bleiben, ob eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist. Ein derartiger Gesetzesverstoß wäre auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware als besonders verwerflich erscheinen zu lassen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rn. 16, NJW 2021, 921, 923).
25
Es liegt auch keine Vergleichbarkeit mit der Konstellation der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Motoren des Typs EA 189 vor, die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 ff.) zugrunde lagen. Bei diesem Motortyp wurde die grundlegende strategische Entscheidung getroffen, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse von der Einhaltung der Grenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abzusehen und dem Kraftfahrt-Bundesamt zwecks Erlangung der Typengenehmigung mittels einer eigens für diesen Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig eine Einhaltung der Grenzwerte durch die speziell ausgerüsteten Dieselfahrzeuge vorzutäuschen. In diesen Fällen war die Software bewusst und gewollt so programmiert, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden. Dieses Verhalten zielte auf eine arglistige Täuschung der Typengenehmigungsbehörde ab (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rn. 17, NJW 2021, 921, 923).
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Bei dem Einsatz eines sog. „Thermofensters“ fehlt es an einem derartigen arglistigen Verhalten, welches die Qualifikation des Verhaltens des Automobilherstellers als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rn. 18, NJW 2021, 921, 923). Das sog. „Thermofenster“ weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert. Vielmehr arbeitet das sog. „Thermofenster“ sowohl im Normalbetrieb als auch im Prüfstandbetrieb in gleicher Weise.
27
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, wäre bei dieser Sachlage der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nur gerechtfertigt, wenn zusätzlich weitere Umstände hinzuträten, die neben einem Verstoß gegen die Verordnung 715/2007 EG das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 Az.: VI ZR 889/20, Rn. 28, BeckRS 2021, 4148). Dies würde jedenfalls voraussetzen, dass die handelnden Personen bei der Beklagten bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, Rn. 28, BeckRS 2021, 4148).
28
Derartige Umstände wurden vom Kläger nicht schlüssig dargetan. Die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzungen hat nach den allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchsteller zu tragen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rn. 19, NJW 2021, 921, 923). Seitens des Klägers wurde insbesondere nicht schlüssig dargetan, dass die Beklagte das Kraftfahrt-Bundesamt in Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung arglistig getäuscht haben könnte. Aufgrund der Stellungnahme des Kraftfahrt-Bundesamtes erscheint dem erkennenden Senat eine arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes fernliegend.
29
d. Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht bei Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 17.12.2020 (Az.: C 693/18).
30
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs mag für die Zukunft die objektiven tatbestandlichen Voraussetzungen einer unzulässigen Abschalteinrichtung von den bislang bestehenden Zweifeln befreien. Die Klärung ist aber nicht geeignet, eine bereits für den Zeitpunkt der Genehmigungszulassung des hier betroffenen Fahrzeugs bestehende subjektive Kenntnis der bei der Beklagten verantwortlichen Personen rückwirkend zu begründen (OLG Koblenz, Urteil vom 08.02.2021, Az.: 12 U 471/20, Rn. 37, BeckRS 2021, 1241; OLG Bamberg, Urteil vom 19.05.2021, Az.: 8 U 113/20, BeckRS 2021, 29894, Rn. 45). Durch den Kläger wurde das Fahrzeug im Dezember 2011 als Gebrauchtfahrzeug erworben. Die Erstzulassung des Fahrzeugs war im Juni 2010. Dessen EG-Typengenehmigung erfolgte deutlich früher. Das bereits während dieses Typengenehmigungsverfahrens die nunmehr durch den Europäischen Gerichtshof geklärten engen Grenzen einer zulässigen Abschalteinrichtung erkennbar gewesen wären, ist weder aus dem Sachvortrag des Klägers noch aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs erkennbar. Der bewusste Einbau einer als unzulässig erkannten Abschalteinrichtung in Gestalt eines „Thermofensters“ kann der Beklagten damit nicht angelastet werden (OLG Koblenz, Urteil vom 08.02.2021, Az.: 12 O 471/20, Rn. 37, BeckRS 2021, 1241; OLG Bamberg, Urteil vom 19.05.2021, Az.: 8 U 113/20, BeckRS 2021, 29894, Rn. 45).
31
3. a. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers folgt auch nicht aus anderen deliktischen Anspruchsgrundlagen.
32
Aus Sicht des Senats sind im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für ein betrügerisches Verhalten i.S.v. § 263 StGB erkennbar. So fehlen insbesondere bereits nähere Darlegungen, welcher Irrtum bei dem Kläger kausal erregt worden sein soll und welche subjektiven Vorstellungen er bei Vertragsschluss gehabt habe.
33
b. Auch steht dem Kläger gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den §§ 6, 27 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG zu. Bei diesen Vorschriften handelt es sich nicht um Schutzgesetze i.S.v. 823 Abs. 2 BGB. Weder die §§ 6 und 27 EG-FGV noch Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG dienen dem Schutz vor der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit. Selbst wenn diese Vorschriften vorliegend durch die Verwendung einer Motorsteuerungssoftware verletzt worden sein sollten, so könnte dieser Umstand allein einen Schadensersatzanspruch nicht begründen (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rn. 73f., NJW 2020, 1962, 1971; OLG Saarbrücken, Urteil vom 05.01.2022, Az.: 2 U 86/21, Rn. 37, BeckRS 2022, 256). Vielmehr verfolgen diese Normen gesamtgesellschaftliche Ziele wie die Weiterentwicklung des Binnenmarktes sowie die Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus (OLG Bamberg, Urteil vom 19.05.2021, Az.: 8 U 113/20, BeckRS 2021, 29894, Rn. 49; OLG Bamberg, Urteil vom 01.12.2021, Az.: 8 U 71/21).
III.
34
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
35
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
IV.
36
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die zugrundeliegenden Rechtsfragen durch zahlreiche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, denen der Senat inhaltlich gefolgt ist, geklärt sind.