Titel:
Feststellungsinteresse, Aktenlageentscheidung, Terminsverlegungsantrag, Elektronischer Rechtsverkehr, Sozialgerichtsgesetz, Wiederholungsgefahr, Berechtigtes Interesse, Widerspruchsbescheid, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, Termin zur mündlichen Verhandlung, Unterhaltszahlung, Kostenentscheidung, Berufungsschrift, Landessozialgericht, Rechtsmittelbelehrung, Verlegung des Termins, Außergerichtliche Kosten, Sozialgerichte, Beigezogene Akten, Leistungsberechnung
Schlagworte:
Klageunzulässigkeit, Abwesenheit des Klägers, Entscheidung ohne Anwesenheit, Terminverlegung, Feststellungsinteresse, Wiederholungsgefahr, Kostenentscheidung
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Urteil vom 23.01.2025 – L 16 AS 556/22
BSG Kassel, Beschluss vom 17.03.2025 – B 7 AS 45/25 BH
Fundstelle:
BeckRS 2022, 60621
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung des Klägers, ein Schreiben des Beklagten zu beantworten.
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Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 06.05.2021 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.06.2021 bis 30.11.2021 in Höhe von monatlich 530,95 EUR. Bei der Leistungsberechnung berücksichtigte der Beklagte ein Einkommen des Klägers aus Unterhaltszahlungen seiner Mutter in Höhe von monatlich 264,04 EUR abzüglich einer Versicherungspauschale von 30,00 EUR.
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Gegen den Bescheid vom 06.05.2021 erhob der Kläger mit Schreiben vom 16.05.2021 Widerspruch. Die Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen bei der Leistungsberechnung sei rechtswidrig; er erhalte von seiner Mutter, mit der er in Form einer Wohngemeinschaft zusammenlebe, keinen Unterhalt.
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Mit Schreiben vom 26.05.2021 bat der Beklagte den Kläger um Beantwortung mehrerer Fragen, nämlich ob ein bestimmtes Darlehen weiter getilgt werde, ob die Mutter des Klägers 35 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt habe, an wen und aus welchem Rechtsgrund die Rente der Mutter des Klägers um einen abgetrennten Teil gemindert werde und ob die Mutter des Klägers Inhaberin eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen G sei. Sollte der Beklagte bis zum 14.06.2021 keine Antwort erhalten, gehe er davon aus, dass sich der Kläger nicht weiter äußern wolle. Er werde dann unter Zugrundelegung des ihm bekannten Sachverhaltes nach Aktenlage entscheiden.
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Mit Datum vom 31.05.2021 hat der Kläger in einem zu mehreren bereits vor dem Sozialgericht Landshut anhängigen Rechtsstreiten übermittelten Schreiben unter anderem beantragt, dass das Schreiben des Beklagten nicht beantwortet werden müsse. Das Sozialgericht Landshut hat diesen Antrag als neue Klage registriert.
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Der Kläger ist der Auffassung, dass der Beklagte die Mutter des Klägers selbst anschreiben könne und nicht ihn zu einer Straftat, nämlich zum Verstoß gegen den Datenschutz, nötigen müsse.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
dass das Schreiben des Beklagten vom 26.05.2021 nicht beantwortet werden muss.
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Der Beklagte beantragt,
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Der Beklagte verweist auf den Inhalt des Verwaltungsvorgangs. Er ist der Auffassung, dass der Kläger bzw. seine Mutter zur Beantwortung der im Schreiben vom 26.05.2021 gestellten Fragen grundsätzlich verpflichtet seien. Durch den zwischenzeitlich ergangenen Widerspruchsbescheid vom 19.07.2021 zu dem Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 06.05.2021 habe sich das Auskunftsersuchen vorerst erledigt. Die gestellten Fragen würden jedoch spätestens im Rahmen des nächsten Weiterbewilligungsantrages zu klären sein.
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Der Kläger hat mit Schreiben vom 07.11.2022 unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mitgeteilt, dass er schwer erkrankt sei und den Termin zur mündlichen Verhandlung am 09.11.2022 nicht wahrnehmen könne. Auf einen Hinweis des Gerichts zu den Anforderungen an einen Terminverlegungsantrag wegen Erkrankung hat der Kläger am 08.11.2022 ein ärztliches Attest vorgelegt, wonach sich der Kläger aufgrund einer akuten Verschlechterung einer bekannten chronischen Erkrankung in der Behandlung des ausstellenden Arztes befinde und wonach aus Sicht des ausstellenden Arztes eine Reise- und Verhandlungsfähigkeit bis mindestens 20.11.2022 nicht gegeben sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Akte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unzulässig.
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Die Kammer konnte in Abwesenheit des Klägers entscheiden, da dieser ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war. Der Termin zur mündlichen Verhandlung war auf die Schreiben des Klägers vom 07.11.2022 und vom 08.11.2022 auch nicht zu verlegen. Dies bereits deshalb, weil der Kläger auch auf ausdrücklichen Hinweis des Vorsitzenden, dass davon ausgegangen werde, dass mit dem Schreiben vom 07.11.2022 ein Antrag auf Verlegung des Termins nicht gestellt sei, keine Terminverlegung beantragt hat. Vielmehr kommt in seinem Antrag auf „ein Verfahren in schriftlicher Form“ zum Ausdruck, dass er eine Entscheidung ohne das Erfordernis seiner Anwesenheit begehrt hat. Im Übrigen ist ein erheblicher Grund für eine Verlegung des Termins nicht glaubhaft. Die eine Terminverlegung rechtfertigenden erheblichen Gründe im Sinne des § 202 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 227 Abs. 1 S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) sind nur solche Umstände, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern (BSG, Beschluss vom 23. Juli 2018 – B 9 SB 27/18 B –, Rn. 7, juris). Wird eine Terminverlegung erst einen Tag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt und mit einer Erkrankung begründet, so muss der Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht bzw. das Entscheidungsgremium ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit besteht. Dies erfordert, dass das Gericht bzw. das Gremium aus der Bescheinigung Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung entnehmen und so die Frage der Verhandlungsunfähigkeit selbst beurteilen kann (BSG, Beschluss vom 13. Oktober 2010 – B 6 KA 2/10 B –, SozR 4-1500 § 110 Nr. 1, Rn. 12 mit zahlreichen Nachweisen). Dem von dem Kläger vorgelegten Attest kann trotz des vorherigen Hinweises des Vorsitzenden auf diese Anforderungen insbesondere nicht die Art und Schwere der Erkrankung entnommen werden.
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Das Klagebegehren ist dahingehend auszulegen, dass der Kläger beantragt, festzustellen, dass er nicht verpflichtet war, das Schreiben des Beklagten vom 26.05.2021 zu beantworten. Der Kläger hat unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 26.05.2021 wörtlich beantragt, „dass das Schreiben des Jobcenters A-Stadt als unbegründet nicht beantwortet werden muss“. Nachdem eine Anfechtungsklage gegen die Aufforderung zur Mitwirkung vom 26.05.2021 nicht statthaft ist, weil es sich nicht um einen Verwaltungsakt handelt (Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 19. März 2021 – L 6 AS 433/17 –, juris), ist der Antrag als Feststellungsantrag auszulegen. Dieser ist auf die Feststellung gerichtet, dass der Kläger nicht verpflichtet war, das Schreiben des Beklagten vom 26.05.2021 zu beantworten.
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Der Kläger hat für seine Klage kein Feststellungsinteresse. Dies bereits deshalb, da eine Verpflichtung des Klägers, das Schreiben des Beklagten vom 26.05.2021 zu beantworten, von dem Beklagten nicht behauptet wird. Der Beklagte hat in dem Schreiben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er bei Nichtbeantwortung des Schreibens nach Aktenlage entscheiden werde. Er hat gerade nicht behauptet, dass der Kläger das Schreiben beantworten müsse.
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Im Übrigen liegt ein Feststellungsinteresse auch deshalb nicht vor, weil der Kläger bei einer etwaigen Wiederholung des streitgegenständlichen Verhaltens des Beklagten bei erneuter Nichtbeantwortung des Schreibens keine negativen Folgen wegen der Nichtbeantwortung zu befürchten hätte. Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann mit der Feststellungsklage das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R –, Rn. 10, juris). In Betracht käme vorliegend allenfalls ein berechtigtes Interesse wegen Wiederholungsgefahr. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Aufforderung zur Mitwirkung unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr setzt die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr voraus, dass vergleichbare Aufforderungen zukünftig erneut zu erwarten sind (BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R –, Rn. 10, juris; vgl. auch BSG, Beschluss vom 16. Mai 2007 – B 7b AS 40/06 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr. 4, Rn. 7). Zwar ist grundsätzlich denkbar, dass der Beklagte auch zukünftig die streitgegenständlichen Auskünfte von dem Kläger erfragt. Ein Feststellungsinteresse besteht jedoch nur dann, wenn der Leistungsempfänger nachteilige Folgen zu erwarten hat, falls er der Mitwirkungsaufforderung nicht nachkommt (etwa eine Versagung von Leistungen, vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 10/08 R –, Rn. 2, juris). Der Beklagte hat in dem Schreiben vom 26.05.2021 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er bei Nichtbeantwortung des Schreibens unter Zugrundelegung des ihm bekannten Sachverhalts nach Aktenlage entscheiden werde. Dies ist tatsächlich auch mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2021 geschehen. Selbst wenn also der Beklagte auch zukünftig inhaltsgleiche Schreiben an den Kläger richten sollte, ist allenfalls damit zu rechnen, dass bei Nichtbeantwortung der Fragen eine Entscheidung nach Aktenlage erfolgen wird. Dies stellt keinen zu erwartenden Nachteil dar, der ein Interesse an der begehrten Feststellung begründen würde, dass der Kläger das Schreiben vom 26.05.2021 nicht beantworten musste.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.