Titel:
Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Kraftfahrt-Bundesamt, Emissionskontrolle, Offensichtliche Unzulässigkeit, Nutzungsentschädigung, Typgenehmigung, Gebrauchtwagenkauf, Gebrauchte Kraftfahrzeuge, Besondere Verwerflichkeit, Nebenbestimmung, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Genehmigungsverfahren, Tatbestandswirkung, BGH-Beschluss, Fahrzeuge, Rücknahme des Rechtsmittels, Zulässigkeit, Weitere Umstände, Aussicht auf Erfolg
Schlagworte:
Dieselfahrzeug, Abschalteinrichtung, Schadensersatz, Sittenwidrigkeit, Typgenehmigung, Emissionskontrollsystem, Software-Update
Vorinstanz:
LG Regensburg, Urteil vom 21.09.2021 – 41 O 385/21
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 20.07.2022 – 5 U 3879/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 04.03.2025 – VIa ZR 1222/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 60597
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 21.09.2021, Az. 41 O 385/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Entscheidungsgründe
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Der Kläger erwarb gemäß Rechnung vom 17.06.2016 von der Fa. H… GmbH und Co. KG, …(Ort), ein gebrauchtes Kraftfahrzeug Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4Matic, Erstzulassung 23.03.2015, zum Preis von 38.990,00 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Euro 5) ausgestattet. Es verfügt nicht über ein SCR-System. Das Fahrzeug ist von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes wegen Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfasst. Der Kläger hat das von der Beklagten angebotene SoftwareUpdate noch nicht aufspielen lassen.
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Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeuges auf Schadensersatz in Anspruch und fordert von ihr die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 5.074,12 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Zur Begründung hat er geltend gemacht, das Fahrzeug sei mit europarechtlich nicht zulässige Abschalteinrichtungen i.S.v. Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 ausgestattet, nämlich mit einer Software, die den Stickoxid-Ausstoß im Prüfstandbetrieb optimiere; nur aufgrund dieser Software, die erkenne, ob das Fahrzeug einem Prüfstandtest unterzogen werde, und das Verhalten des Motors in Bezug auf die Emissionen verändere, halte das Fahrzeug während der Prüfstandtests die gesetzlich vorgegebenen Abgaswerte ein. Unter realen Fahrbedingungen werde das Fahrzeug mit einer geringeren Abgasrückführungsrate betrieben und die Stickoxid-Werte, die im Prüfstandbetrieb erzielt würden, würden überschritten. Ausschließlich dann, wenn im realen Betrieb auf der Straße exakt die gleichen Bedingungen herrschten, wie sie für die Emissionsprüfung gefordert würden, halte das Fahrzeug die Grenzwerte für Stickoxide ein. Die Beklagte verwende hierzu eine temperaturabhängig gesteuerte Abgasreinigung, ein sogenanntes Thermofenster. Außerhalb eines festgelegten „Fensters“ von 17° bis 30° C werde die Abgasreinigung heruntergefahren oder sogar ganz ausgeschaltet. Ferner verfüge das Fahrzeug über eine Abschalteinrichtung mit der Bezeichnung Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, die im wesentlichen nur dann funktioniere, wenn sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde, weil sie aufgrund prüfstandsbezogener Parameter aktiviert werde. Die Regelung sorge dafür, dass sich der Motor langsamer erwärme und dementsprechend weniger Stickoxide ausstoße. Weiter gebe es eine Aufwärmstrategie, welche eine Prüfstandsituation erkenne und in einen Fahrmodus mit weniger Schadstoffausstoß schalte, wobei der Sachverhalt hier derselbe sei, wie bei VW. Außerdem erkenne das Fahrzeug anhand Lenkraddrehung, ob es sich auf dem Rollenprüfstand befinde und nehme dann Einfluss auf die Schaltpunkte des Getriebes. Eine weitere unzulässige Einrichtung, die von der Beklagten benutzt würde, sei die Funktion Bit 15 (Herunterfahren der Abgasreinigung nach 11 km). Schließlich hätte die Beklagte die OBDSysteme in ihren mit Abschalteinrichtungen ausgestatteten Fahrzeugen so programmiert, dass sie bei der Inspektion fälschlicherweise meldeten, dass die Abgassysteme der Automobile ordnungsgemäß funktionieren.
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Die Abschalteinrichtungen seien gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt nicht offengelegt worden. In Kenntnis dieser Funktionen wäre die Typgenehmigung nicht erteilt worden.
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Da die Beklagte vorsätzlich in sittenwidriger Weise gehandelt habe, hafte sie dem Kläger gemäß § 826 BGB, aber auch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB sowie Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 auf Schadensersatz. Die im Anhang der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 genannten Grenzwerte seien auch im realen Fahrbetrieb einzuhalten, was bei dem vorliegenden Fahrzeug jedoch nicht der Fall sei.
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Ferner bestünden vertragliche Ansprüche aus § 311 Abs. 3 und § 443 BGB. Bei der EGÜbereinstimmungsbescheinigung handele es sich um eine Zusicherung des Herstellers gegenüber dem Käufer.
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Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat geltend gemacht, das Fahrzeug sei in Übereinstimmung mit einer bestandskräftigen EG-Typgenehmigung produziert worden, die Tatbestandswirkung entfalte. Die Anordnung von nachträglichen Nebenbestimmungen habe insoweit keine Auswirkung. Das Fahrzeug weise keine unzulässigen Abschalteinrichtungen auf, insbesondere keine Funktion des Emissionskontrollsystems, die in Abhängigkeit von der Erkennung eines Prüfstandbetriebes die Wirkung der Emissionskontrolle beeinflusse. Vielmehr arbeiteten die Einrichtungen der Emissionskontrolle, die nach Auffassung der Beklagten sämtlich zulässig seien, auf dem Prüfstand nicht anders als unter vergleichbaren Umständen im wirklichen Straßenverkehr. Das Thermofenster der Abgasrückführung sei auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes keine Abschalteinrichtungen. Die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung arbeite auch im Realbetrieb auf der Straße und bewirke dort einen Emissionsvorteil während der Warmlaufphase des Motors.
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Die übrigen vom Kläger angeführten Funktionen gebe es in dem Fahrzeug des Klägers nicht; die diesbezüglichen Behauptungen des Klägers entbehrten jeglicher Substanz.
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Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 21.09.2021 abgewiesen.
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Mit der Berufung macht der Kläger erstmals geltend, dass auch die Funktionen Slipguard (Erkennung des Prüfstands anhand von Geschwindigkeits- und Beschleunigungswerten und Umschaltung in einen „sauberen“ Modus), Bit 13 (Herunterfahren der Abgasreinigung nach Ausstoß einer bestimmten Menge von Stickoxid), und Bit 14 (Herunterfahren der Abgasreinigung nach 1.200 Sekunden) im Fahrzeug des Klägers verbaut seien. Er beanstandet, das Landgericht habe die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes verkannt und infolgedessen die Anforderungen an ein substantiiertes Vorbringens bezüglich der Abschalteinrichtungen überspannt. Die zum Beweis benannten Personen, die bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein gehandelt haben, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, seien nicht vernommen worden. Ferner rügt er unter Bezugnahme auf ein Gutachten des Sachverständigen D… acht weitere
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Abschalteinrichtungen. Sechs der Abschalteinrichtungen beziehen sich auf das SCR-System und bewirkten ein Umschalten in einen sog. Alternativmodus, welcher mit geringerem Wirkungsgrad arbeite. Ferner lägen zwei Abschalteinrichtungen vor, welche die AGR-Rate abhängig von der Motortemperatur steuerten (Starttemperatur des Motors sowie Hot & Idle).
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Die Berufung hat in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
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1) Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 i.Vm. § 263 StGB scheidet bei dem vorliegenden Gebrauchtwagenkauf bereits mangels Stoffgleichheit eines etwaig von der Beklagten erstrebten Vermögensvorteils mit dem Schaden des Klägers, aus (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20 –, Rn. 24, juris).
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2) Ebenfalls scheidet ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG aus, da die Vorschriften nicht den Schutz vor der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit bezwecken (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20 –, Rn. 11 – 12, juris). Dementsprechend enthält die Ausstellung der Übereinstimmungsbescheinigung auch keine Garantieerklärung, noch kann hierdurch eine Haftung gemäß § 311 Abs. 3 BGB begründet werden.
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3) Auch ein Anspruch aus § 826 BGB ist vorliegend nicht gegeben. a)
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Die vom Kläger behaupteten Abschalteinrichtungen in Gestalt des Thermofensters sowie der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung verhalten sich unter vergleichbaren Bedingungen im realen Straßenverkehr nicht anders, als in der Prüfungssituation selbst. Es kann mithin dahingestellt bleiben, ob es sich bei den Einrichtungen um unzulässige Abschalteinrichtungen handelt, weil der Einbau einer europarechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung für sich genommen noch kein objektiv sittenwidriges Verhalten des Fahrzeugherstellers begründet, wenn sich das Emissionskontrollsystem – wie vorliegend – auf dem Prüfstand und unter vergleichbaren Bedingungen im wirklichen Verkehr grundsätzlich gleich verhält. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit wäre dann nur gerechtfertigt, wenn zu dem Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für den Hersteller handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 –, Rn. 16, juris).
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aa) Hinsichtlich des Thermofensters macht der Kläger lediglich geltend, dass die Abgasreinigung nur innerhalb eines Temperaturrahmens von 17° bis 30° C bestmöglich funktioniere. Außerhalb dieses Temperaturfensters werde die Abgasreinigung verringert oder ausgeschaltet. Auf eine Unterscheidung zwischen Prüfstandbetrieb und realem Fahrbetrieb stellt der Kläger hierbei gerade nicht ab. Auch bezüglich der Kühlmittel-SolltemperaturRegelung führt der Kläger lediglich aus, diese funktioniere „im wesentlichen“ nur dann, wenn sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde, dies aber deshalb, weil die Schaltkriterien an die für die Emissionsprüfung geltenden Betriebsbedingungen angepasst seien. Dass bei entsprechenden Verhältnissen im realen Fahrbetrieb die Regelung nicht aktiviert werde, behauptet der Kläger wiederum nicht. Zudem führt er generell zur Emissionskontrolle aus, die zur Einhaltung der Abgasnorm Euro 5 erforderlichen Werte würden bei normalem Betrieb auf der Straße ausschließlich dann – aber eben auch dann – erreicht, wenn dort exakt die gleichen Bedingungen herrschten, wie sie für die Emissionsprüfung gefordert würden.
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bb) Der Senat hat jedoch bereits wiederholt entschieden, dass weder hinsichtlich des sogenannten Thermofensters der Abgasrückführung noch hinsichtlich der Kühlmittel-SolltemperaturRegelung, unterstellt, diese Einrichtungen seien als Abschalteinrichtungen im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren und nach Art. 5 der genannten Verordnung nicht zulässig, ein vorsätzliches Handeln der Beklagten angenommen werden kann. Da es hierfür schon keinerlei Anhaltspunkte gibt, bedarf es der Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen nicht.
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Hinsichtlich des Thermofensters der Abgasrückführung gilt, wie der Senat bereits vielfach entschieden hat, dass zum Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeugmodell eine derartige Temperaturabhängigkeit von den Genehmigungsbehörden als technisch gerechtfertigt und deshalb zulässig angesehen wurde; dass die Beklagte diese Temperaturabhängigkeit im Genehmigungsverfahren angezeigt hatte, bezweifelt der Kläger nicht. Die Gesetzeslage konnte jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt – im Streitfall ist die Typgenehmigung spätestens im Jahr 2015 erteilt worden – auch keineswegs als so eindeutig angesehen werden, dass sich die Unzulässigkeit der Funktionen geradezu aufdrängen musste und hieraus auf einen Vorsatz der Beklagten geschlossen werden könnte. Einer solchen Annahme stünde zudem die ständige Genehmigungspraxis der Typgenehmigungsbehörden entgegen. Diese vom Senat in ständiger Rechtsprechung vertretene Auffassung, die von zahlreichen Oberlandesgerichten geteilt wird, hat der Bundesgerichtshof gebilligt (Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 190/20). Auf die heutige Sicht, die von einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 17.12.2020 (Az.: C-693/18) beeinflusst ist, kann es für die Beurteilung eines Vorsatzes nicht ankommen. Unerheblich ist auch der Hinweis des Klägers auf die Schlussanträge des Generalanwaltes Rantos vom 23.09.2021 in Bezug auf Vorlagefragen österreichischer Gerichte betreffend das Thermofenster (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2021 – VII ZR 185/21 –, Rn. 4, juris).
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Die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung wird, wie allgemein bekannt, vom KraftfahrtBundesamt nicht generell beanstandet. Auch wenn das gegenständliche Fahrzeug von einer solchen Anordnung betroffen sein dürfte, indiziert dies lediglich die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung, nicht aber eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes. Auch bei einem von einem Rückruf betroffenen Fahrzeug müssen daher weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Beschluss vom 29. September 2021 – VII ZR 126/21 –, Rn. 14, juris). Der Senat hat ein vorsätzliches Handeln der Beklagten im Hinblick auf die Unzulässigkeit bereits wiederholt verneint. Da die Schaltbedingungen für die Aktivierung der SolltemperaturAbsenkung jedenfalls unter Betriebsbedingungen, die denen der gesetzlichen Emissionsprüfungen entsprechen, auch im Realverkehr erfüllt sind, wie vom Kläger ausdrücklich eingeräumt, wenn auch möglicherweise unter hiervon abweichenden Bedingungen mehr oder weniger häufig nicht, ist die Funktion geeignet, auch im Realbetrieb durch Verlängerung der Warmlaufphase des Motors nach einem Kaltstart, wenn auch nur für einen begrenzten Zeitraum, die Stickoxid-Emissionen zu senken, was dem vom Gesetzgeber mit der Emissionsregulierung verfolgten Ziel der Verringerung der Stickoxid-Emissionen im innerstädtischen Verkehr bei hoher Verkehrsdichte nach einem Kaltstart entgegenkommt. Dass die Regelung gleichwohl nicht zulässig sein sollte, musste sich der Beklagten keineswegs aufdrängen (Urteil des Senats vom 17.06.2021, Az.: 5 U 2780/19). cc)
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Ein sittenwidriges Handeln ergibt sich, die Unzulässigkeit der vorstehend behandelten Einrichtungen zur Emissionskontrolle unterstellt, auch nicht daraus, dass die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren die vorgegebenen Anforderungen missachtet und etwaige Unterlagen nicht vorgelegt habe (hierzu BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 –, Rn. 22, juris). Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, dass sie die in der Praxis des Kraftfahrt-Bundesamtes erwarteten Angaben gemacht habe und die Offenlegung weiterer Details nicht dem Verständnis des Kraftfahrt-Bundesamtes entsprochen habe. Aus einer etwaig unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise der – hier unterstellt unzulässigen – Abschalteinrichtungen gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt folgen keine Anhaltspunkte, dass für die Beklagte tätige Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden (BGH, Beschluss vom 29. September 2021 – VII ZR 126/21 –, Rn. 20, juris). Detaillierte Beschreibungen der Emissionsstrategien waren im Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung nicht gefordert. Selbst wenn die Beklagte erforderliche Angaben zu den Einzelheiten des Emmissionskontrollsystems unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20 –, Rn. 26, juris).
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dd) Die Rüge hinsichtlich des OBD-Systems ist nicht geeignet, ein sittenwidriges Handeln der Beklagten zu belegen. Es ist nicht Aufgabe des OBD-Systems, zwischen einer rechtlich zulässigen und einer rechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung zu unterscheiden. Arbeitet eine Abschalteinrichtung – sei sie rechtlich zulässig oder unzulässig – mithin technisch so, wie sie programmiert ist, liegt eine Fehlfunktion nicht vor, so dass die Anzeige einer Fehlfunktion nicht veranlasst ist (BGH, Urteil vom 08. Dezember 2021 – VIII ZR 190/19 –, Rn. 91, juris). Eine von einer Fehlfunktion unabhängige Überwachung von Grenzwerten ist nicht gefordert (OLG Karlsruhe, Urteil vom 14. Mai 2021 – 8 U 14/20 –, Rn. 77, juris; OLG Hamm, Urteil vom 28. Januar 2021 – I-18 U 21/20 –, Rn. 164, juris).
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b) Das Vorbringen hinsichtlich der weiteren Abschalteinrichtungen Slipguard, Bit 13, Bit 14 und Bit 15 ist unbeachtlich. Für das Vorhandensein der Funktionen gibt es keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte. Weder zeigt der Kläger solche auf noch sind sie dem Senat anderweitig bekannt. Dem Senat sind keine öffentlichen Erklärungen der Bundesregierung bekannt, wonach die Beklagte in den auf dem deutschen Markt vertriebenen Fahrzeugen unzulässige Funktionen mit den Bezeichnungen Slipguard oder Bit 13, Bit 14 oder Bit 15 verwendet habe. Aus Erkenntnissen in den USA können aufgrund der dort geltenden erheblich abweichenden Zulassungsvorschriften keine Schlüsse für das streitgegenständliche, in Deutschland vertriebene, Fahrzeugmodell gezogen werden. Rückrufbescheide des KraftfahrtBundesamtes, die auf eine der vom Kläger bezeichneten Funktionen gestützt werden, sind nicht bekannt geworden. Gleiches gilt für die mit der Berufung wohl nicht mehr weiterverfolgten erstinstanzlich erwähnten Funktionen einer Aufwärmstrategie und einer
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Lenkwinkelerkennung. Diese werden in der Berichterstattung mit einem anderen Fahrzeughersteller in Verbindung gebracht. Anhaltspunkte dafür, dass auch die Beklagte diese Funktionen nutzt, nennt der Kläger nicht.
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c) Auch die mit der Berufungsbegründung unter Bezugnahme auf das Gutachten des Sachverständigen D. vom 28.09.2020 neu gerügten Abschalteinrichtungen begründen nicht den Vorwurf sittenwidrigen Handelns. Das Gutachten beschäftigt sich mit einem Mercedes-Benz E 350 T, der mit einem sechs-zylindrigen Motor OM 642 (Euro 6) ausgestattet ist und über ein SCR-System verfügt. Sechs der acht neu behaupteten Abschalteinrichtungen befassen sich mit dem SCR-System, über welches das streitgegenständliche Fahrzeug hingegen nicht verfügt. Hinsichtlich der zwei Abschalteinrichtungen, die sich auf die Abgasrückführung beziehen, können die Feststellungen des Gutachters nicht einfach übertragen auf den vierzylindrigen Motor OM 651 (Euro 5) übertragen werden. Da die Fahrzeuge unterschiedlichen Schadstoffklassen unterliegen, unterschiedliche Motoren haben und das Emissionskontrollsystem im Hinblick auf das hier nicht vorhandene SCR-System unterschiedlich ausgestaltet ist, spricht nichts dafür, dass die Parametrierung der Funktionen deckungsgleich ist. Anhaltspunkte nennt der Kläger hierfür nicht. Unabhängig hiervon verhalten sich die behaupteten Abschalteinrichtungen nicht anders, je nachdem ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder unter gleichen Bedingungen auf der Straße befindet. Bei einer nicht prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung müssen aber – wie bereits ausgeführt – weitere Umstände hinzutreten, die auf eine sittenwidrige Bewusstseinslage der Beklagten schließen lassen könnten (BGH, Beschluss vom 29.09.2021 – VII ZR 126/21 Rn. 19). Der Kläger behauptet insoweit, dass sich der Vorsatz der Beklagten von der Unzulässigkeit daraus ergebe, dass insgesamt bis zu acht Abschalteinrichtungen verbaut worden seien. Unabhängig davon, dass der Senat die Auffassung nicht teilt, dass von der Anzahl der verbauten Abschalteinrichtungen auf die Kenntnis von deren Unzulässigkeit geschlossen werden könnte, können sechs der behaupteten acht Abschalteinrichtungen im vorliegenden Fahrzeug mangels SCR-Systems bereits denklogisch nicht vorhanden sein, weshalb die Argumentation des Klägers nicht schlüssig ist. Beide Funktionen der AGR-Steuerung (Motor-Starttemperatur; Funktion „Hot & Idle“), sind hingegen Elemente der im Grundsatz bekannten parameterabhängigen Steuerung der Abgasrückführung. Sie erscheinen dem Senat als nicht offensichtlich unzulässig und haben das Kraftfahrt-Bundesamt auch nicht zu einer Beanstandung veranlasst. Sonstige Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nennt der Kläger nicht.
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d) Auf die durch das Kraftfahrt-Bundesamt angeordneten nachträglichen Nebenbestimmungen geht der Kläger nicht ein. Wie oben ausgeführt, geht der Senat davon aus, dass sich diese auf die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung beziehen. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, so würde die Anordnung lediglich eine unzulässige Abschalteinrichtung, nicht aber eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes indizieren.
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Da die Berufung des Klägers somit ohne Erfolg bleiben wird, regt der Senat an, die Rücknahme des Rechtsmittels zur Kostenersparnis in Erwägung zu ziehen.
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Der Kläger kann zu diesem Hinweis binnen dreier Wochen nach Zustellung schriftsätzlich Stellung nehmen.