Titel:
Abfindungsanspruch eines Gesellschafters
Normenketten:
ZPO § 256
GmbHG § 34
Leitsätze:
1. Ein Gesellschafter ist für einen Abfindungsanspruch nicht passiv legitimiert, wenn sich der Anspruch satztungsgemäß gegen die Gesellschaft richtet. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es fehlt an der Fälligkeit eines Abfindungsanspruchs, wenn nach der Satzung für dessen Bemessung ein Schiedsgutachten eingeholt werden soll, dieses aber fehlt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es besteht für die Ermittlung des Abfindungsbetrags durch das Gericht kein Feststellungsinteresse, wenn sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergibt, dass der Wert des Geschäftsanteils des ausgeschiedenen Gesellschafters von einem Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater als Schiedsgutachter festzustellen ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abfindungsanspruch, Feststellungsinteresse, Gesellschaft, Gesellschaftsanteil, Schiedsgutachtervereinbarung, Gesellschaftsvertrag
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 16.01.2025 – 23 U 5949/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 60377
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist für den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird bis zur Klageänderung am 01.09.2021 auf 250.000,00 EUR, ab diesem Zeitpunkt bis zur Klageänderung am 15.07.2022 auf 135.000,01 EUR und ab diesem Zeitpunkt auf 176.666,68 EUR festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerinnen verlangen vom Beklagten einen Abfindungsbetrag nach Kündigung des Gesellschaftervertrages.
2
Die Klägerinnen sind die Gesamtrechtsnachfolgerinnen in Erbengemeinschaft nach dem am 12.02.2015 verstorbenen. Dieser war Gründungsgesellschafter der Fa. mit Sitz in. Sein Gesellschaftsanteil betrug 250.000,00 EUR (Nennbetrag). Der Beklagte ist ebenfalls Gesellschafter dieser GmbH. Sein Anteil beträgt 750.000,00 EUR. Der Sitz der GmbH wurde verlegt in die, Augsburg. Die Satzung der enthält unter anderem folgende Klauseln:
(1) jeder Gesellschafter kann mit einer Frist von 6 Monaten zum Ende eines Geschäftsjahres, erstmals jedoch zum 31.12.2003 die Gesellschaft kündigen. Die Kündigung hat schriftlich mit eingeschriebenem Brief gegenüber der Gesellschaft zu erfolgen.
(2) Kündigt ein Gesellschafter, so haben der oder die übrigen Gesellschafter das Recht, innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis der Kündigung mit einfacher Stimmenmehrheit die Forstsetzung der Gesellschaft zu beschließen.
Wurde die Fortsetzung der Gesellschaft fristgerecht beschlossen, ist der Kündigende verpflichtet, seinen Geschäftsanteil ganz oder geteilt an die Gesellschaft oder einen von ihr zu bestimmenden Gesellschafter oder an eine von ihr zu bestimmende sonstige Person abzutreten. Nach Wahl der Gesellschaft kann der Geschäftsanteil aber auch eingezogen werden.
Kommt ein Beschluss über die Fortsetzung der Gesellschaft innerhalb der genannten 3-Monats-Frist nicht zustande, so ist die Gesellschaft mit Ablauf dieser Frist aufgelöst.
(3) das Entgelt berechnet sich gemäß § 12 dieser Satzung.
Abfindung ausscheidender Gesellschafter
(1) Ein nach § 10 Abs. (2), Ziff. a), b), c), und e) dieser Satzung aus der Gesellschaft ausscheidender Gesellschafter hat Anspruch auf Auszahlung des Wertes des Geschäftsanteils, wie sich dieser aus der auf das dem Tage des Ausscheidens unmittelbar vorangegangenen Geschäftsjahresende als Bewertungsstichtag, bzw. -beim Ausscheiden zum Schluss des Geschäftsjahres – auf diesen Bewertungsstichtag unverzüglich aufzustellenden Bilanz ergibt. Ein Firmenwert und stille Reserven sind nicht zu berücksichtigen, ebenso wenig ein nach dem Stichtag der maßgeblichen Bilanz noch entstandener Gewinn oder Verlust.
(2) In allen übrigen Fällen des Ausscheidens eines Gesellschafters erhält der ausscheidende Gesellschafter eine Abfindung, welche sich nach dem von den Finanzbehörden (auf den letzten vor den für den Bewertungsanlaß maßgeblichen Stichtag liegenden oder mit ihm zusammenfallenden 1.1.) rechtskräftig festgestellten vermögenssteuerlichen Wert seines Geschäftsanteils (derzeit gemeiner Wert, ermittelt nach dem sogenannten Stuttgarter Verfahren) bestimmt, wobei jedoch der Grundbesitz-Wert nach 2. Teil 4. Abschnitt des Bewertungsgesetzes festzulegen ist (Fassung der VstR zum heutigen Zeitpunkt).
(3) Am Gewinn oder Verlust der Gesellschaft ist der ausscheidende Gesellschafter zeitanteilig bis zum Zeitpunkt seines Ausscheidens beteiligt. Änderungen der Steuerbilanz, die sich nach dem Ausscheiden auf Grund einer Betriebsprüfung ergeben, bleiben unberücksichtigt.
Das Abfindungsentgelt ist in 5 gleichen Jahresraten auszuzahlen, von denen die erste 6 Monate nach der Feststellung des Abfindungsentgelts, und die zweite erst nach Ablauf eines weiteren Jahres fällig werden. Das Abfindungsentgelt ist von der Fälligkeit der ersten Rate an mit jährlich 2% p.a. über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank zu verzinsen.
(4) In den Fällen des Absatzes (1) und (2) ist der Wert des Geschäftsanteils von einem Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater als Schiedsgutachter festzustellen, falls sich die Beteiligten über den Wert des Geschäftsanteils nicht einigen.
3
Bei fehlender Einigung über seine Person wird der Wirtschaftsprüfer, bzw. Steuerberater auf Antrag eines der Beteiligten von der für die Gesellschaft zuständigen Industrie- und Handelskammer benannt.
4
Die Klägerinnen kündigten wegen tiefgreifender Streitigkeiten mit dem Beklagten mit Schreiben vom 18.06.2018 den Gesellschaftsvertrag. In der Gesellschafterversammlung vom 19.12.2018 wurde die Fortsetzung der Gesellschaft beschlossen. Außerdem wurde folgender Beschluss gefasst:
„Die Erbengemeinschaft, bestehend aus Frau und Frau tritt ihren Gesellschaftsanteil im Nennbetrag von 250.000,00 Euro an den Herrn (den Beklagten) ab. Dieser nimmt die Abtretung an.“
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Die Abtretung wurde mit Urkunde Nr. *** H/2019 des Notars aus Augsburg vom 30.01.2019 notariell beurkundet.
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Die Abtretung des Gesellschaftsanteils war Gegenstand von Zivilprozessen vor dem Landgericht München I und dem Landgericht Augsburg. Die Gerichte kamen zu dem Ergebnis, dass die Übertragung des Geschäftsanteils auf den Beklagten wirksam ist.
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Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 16.04.2021 forderten die Klägerinnen den Beklagten dazu auf, den Betrag von 250.000,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.12.2018 an die Klägerinnen zu bezahlen. Zugleich verlangten sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 0,6 Geschäftsgebühr aus einem Geschäftswert von 250.000,00 EUR zuzüglich Unkostenpauschale und Umsatzsteuer, insgesamt 1.796,66 EUR.
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Die Klagepartei erhob zunächst vor dem Landgericht Augsburg Klage gegen den Beklagten auf Zahlung von 250.000,00 EUR und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Mit Schriftsatz vom 27.08.2021 änderte die Klagepartei die Anträge wie folgt:
„1. Es wird festgestellt, dass sich der Beklagte mit seiner Pflicht, das Abfindungsentgelt der ausgeschiedenen Klägerinnen in Höhe von 250.000,00 Euro gemäß § 12 Absatz 3 der Gesellschaftssatzung der festzustellen, seit dem 19.12.2018 im Verzug befindet.
2. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägerinnen 125.000,01 Euro zu zahlen zuzüglich 2% Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank aus jeweils 41.666,67 Euro seit dem 19.06.2019, dem 19.06.2020 und seit dem 19.06.2021.“
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Mit Schriftsatz vom 12.11.2021 änderte die Klagepartei Ziffer 1. der Klage wie folgt:
„Es wird festgestellt, dass sich der Beklagte mit seiner Pflicht, das Abfindungsentgelt der ausgeschiedenen Klägerinnen in Höhe von 250.000,00 Euro gemäß § 12 Abs. 3 der Gesellschaftssatzung der feststellen zu lassen, seit dem 19.12.2018 im Verzug befindet.“
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Mit Beschluss vom 18.11.2021 erklärte sich das Landgericht Augsburg für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht München I.
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Mit Schriftsatz vom 15.07.2022 erweiterte die Klagepartei den Antrag zu Ziffer 2. auf Zahlung von 166.666,68 Euro.
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Die Klagepartei trägt vor, der Beklagte sei hinsichtlich der Auszahlung des Abfindungsanspruchs passivlegitimiert, da dieser den Gesellschaftsanteil übernommen habe. Wegen der erkennbar überhaupt nicht gegebenen Abwicklungsbereitschaft des Beklagten mit Blick auf die Feststellung des Abfindungsentgelts sei Klage auf Auszahlung der kompletten Abfindung geboten. Der ausgeschlossene Gesellschafter könne den verbliebenen Gesellschafter direkt in Anspruch nehmen, sofern dieser sich treuwidrig verhalte und nicht dafür sorge, dass die Abfindung aus dem Vermögen der Gesellschaft geleistet werden könne.
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Die Klagepartei beantragt, durch Teilurteil
1. festzustellen, dass sich der Beklagte mit seiner Pflicht, das Abfindungsentgelt der ausgeschiedenen Klägerinnen in Höhe von 250.000,00 Euro gemäß § 12 Abs. 3 der Gesellschaftssatzung der feststellen zu lassen, seit 19.12.2018 im Verzug befindet;
2. den Beklagten zu verurteilen, den Klägerinnen 166.666,68 Euro zu zahlen zuzüglich 2% Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank aus jeweils 41.666,67 Euro seit dem 19.06.2019, dem 19.06.2020, dem 19.06.2022 und seit dem 19.06.2022;
3. den Beklagten zu verurteilen, für die Klägerinnen 1.796,66 Euro an Herrn RA in zu zahlen, verzinst mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2021.
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Die beklage Partei beantragt
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Der Beklagte wendet ein, der Abfindungsanspruch richte sich gegen die ... . Die Feststellung der Höhe des Abfindungsanspruchs obliege nicht dem Beklagten. Grundlage der Berechnung des Abfindungsanspruchs sei nicht der Nennbetrag des Gesellschaftsanteils, sondern der von den Finanzbehörden rechtskräftig festgestellte vermögenssteuerliche Wert des Geschäftsanteils. Außerdem rügt der Beklagte die internationale Zuständigkeit des Gerichts, da der Beklagte im Inland keinen Wohnsitz habe.
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Hinsichtlich der Einzelheiten des beiderseitigen Sachvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Das Landgericht München II ist örtlich und international zuständig gemäß § 22 ZPO.
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Da die Klägerinnen statt der ursprünglichen Klage auf Zahlung von 250.000,00 EUR nunmehr die Feststellung beantragen, dass sich der Beklagte mit seiner Pflicht, das Abfindungsentgelt der ausgeschiedenen Klägerinnen in Höhe von 250.000,00 Euro gemäß § 12 Absatz 3 der Gesellschaftssatzung der feststellen zu lassen, seit dem 19.12.2018 im Verzug befindet, liegt eine Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO vor. Da der Beklagte sich rügelos in der mündlichen Verhandlung auf die geänderte Klage eingelassen hat, kann dessen Einwilligung in die Klageänderung vermutet werden (§ 273 ZPO).
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Der Feststellungsantrag ist jedoch unzulässig, da kein Feststellungsinteresse in Sinne des § 256 ZPO besteht. Aus § 12 (4) des Gesellschaftsvertrages ergibt sich, dass der Wert des Geschäftsanteils des ausgeschiedenen Gesellschafters von einem Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater als Schiedsgutachter festzustellen ist. Bei fehlender Einigung über die Person des Schiedsgutachters kann jeder Beteiligte bei der für die Gesellschaft zuständigen Industrie- und Handelskammer die Benennung eines Gutachters beantragen. Der Beklagte ist somit zur Feststellung des Abfindungsanspruchs nicht zuständig. Die Klägerinnen sind Beteiligte im Sinne dieser Vorschrift. Sie können daher von der Befugnis des Antrags auf Benennung eines Gutachters Gebrauch machen. Somit besteht kein Feststellungsinteresse hinsichtlich des geänderten Klageantrags.
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Die Klage ist im übrigen zulässig, jedoch unbegründet. Es handelt sich dabei nicht um ein Teilurteil, da über die Klageansprüche insgesamt entschieden wurde.
21
Die Klägerinnen haben gegen den Beklagten keinen Abfindungsanspruch in Höhe von 166.666,68 EUR aus § 12 (2), (4) des Gesellschaftsvertrages.
22
Der Beklagte ist nicht passivlegitimiert. Der Abfindungsanspruch richtet sich nicht gegen den verbliebenen Gesellschafter, sondern die Gesellschaft selbst (vgl. OLG München, Urteil vom 03.12.2009, Az.: 23 U 3904/07,- juris). Zur persönlichen Haftung der verbliebenen Gesellschaft bei Unmöglichkeit, die Abfindung aus dem Gesellschaftsvermögen zu bezahlen (BGH, Urteil vom 24.01.2012, Az.: II ZR 109/11-, juris) hat die Klagepartei nichts vorgetragen.
23
Darüber hinaus besteht nach dem Gesellschaftsvertrag eine Schiedsgutachtervereinbarung. Dieses Schiedsgutachten wurde unstreitig nicht eingeholt. Der Abfindungsanspruch ist daher nicht fällig.
24
Die Klage war daher abzuweisen.
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Die Nebenforderungen (Verzugszinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten) teilen das Schicksal der Hauptforderung.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
27
Der Streitwert bestimmt sich nach der Hauptforderung. Der Feststellungsantrag wird mit 10.000,00 EUR bewertet.