Inhalt

OLG München, Beschluss v. 14.02.2022 – 20 U 2705/20
Titel:

Sittenwidrigkeit, Berufungsbeklagter, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Abschalteinrichtung, Rechtshängigkeit, Kosten des Berufungsverfahrens, Kostenentscheidung, Sicherheitsleistung, Außergerichtliche Rechtsverfolgung, Prozeßbevollmächtigter, Streitwert, Zug-um-Zug-Leistung, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Unzulässigkeit, Greifbare Anhaltspunkte, Berufungskläger, Erstinstanzliches Vorbringen, Berufungserwiderung, Gesetzeswidrigkeit, Annahmeverzug

Schlagworte:
Schadensersatzanspruch, Diesel-Abgasskandal, Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Thermofenster, AdBlue-Dosierung, Rückrufaktion
Vorinstanzen:
LG Landshut, Urteil vom 27.03.2020 – 22 O 2130/19
LG Landshut, Endurteil vom 25.03.2020 – 22 O 2130/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 19.02.2025 – VIa ZR 366/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 60365

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 27.03.2020, Aktenzeichen 22 O 2130/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Landshut ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 34.626,08 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger macht gegen die beklagte Autoherstellerin Schadensersatzansprüche nach dem Kauf eines Diesel – Pkw geltend. Er erwarb am 29.04.2017 beim … einen gebrauchten Audi A6 Avant 3,0 TDI mit einem Kilometerstand von 23.311 km zum Preis von 45.390,00 €. Das Fahrzeug unterliegt der Abgasnorm EU 6 und ist mit einem von der Beklagten hergestellten Motor mit dem Kennbuchstaben CRT ausgestattet (vgl. Anlage K1). Mit Datum vom 06.04.2018 ordnete das Kraftfahrtbundesamt (KBA) einen Rückruf an, der Fahrzeuge der Modellreihe A6 und A7 mit dem Motorkennbuchstaben CRT betrifft. Nach dem erstinstanzlichen Vorbringen der Beklagten, dem die Klagepartei nicht entgegengetreten ist, bezieht sich der Rückruf lediglich auf eine bestimmte Funktion des SCR-Katalysators, die Eindüsung von Harnstoff (AdBlue) zu reduzieren, wenn der AdBlue-Tank nur noch für eine voraussichtliche Restreichweite von 2.400 km ausreiche.
2
Im Übrigen wird hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen auf das angefochtene Urteil des Landgerichts Landshut vom 27.03.2020 Bezug genommen.
3
Das Landgericht wies die Klage mit Endurteil vom 24.03.2020 ab. Ein vorsätzliches sittenwidriges Verhalten der Beklagten liege nicht vor. Im Übrigen fehle es an der Kausalität zwischen den behaupteten Täuschungen und der Kaufentscheidung des Klägers.
4
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, die er im Wesentlichen wie folgt begründet:
5
Die Beklagte setze in zahlreichen Fahrzeugtypen illegale Abschalteinrichtungen ein. Das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über eine schadstoffmindernde Aufheizstrategie, die nahezu nur auf dem Prüfstand aktiv sei und im Straßenbetrieb abgeschaltet werde. Der Einsatz dieser Strategie führe zu einer erhöhten NOx-Emission auf der Straße. Die Beklagte habe sich aufgrund einer gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung und dadurch verfälschter Abgasmessungen die EU-Typgenehmigung erschlichen. Das mittlerweile aufgespielte Software-Update habe den Mangel nicht behoben. Im Übrigen habe das Landgericht zu Unrecht die Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten verneint.
6
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 24.06.2020 Bezug genommen.
7
Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger:
1.1.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, an den Kläger und Berufungskläger 34.626,08 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus einem Betrag in Höhe von 45.390,00 EUR seit dem 12.05.2017 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit sowie in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeuges der Marke Audi vom Typ A6 3.0 TDI Avant Allroad Quattro mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) …15 nebst 2 Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft.
Hilfsweise:
2.2.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte und Berufungsbeklagte verpflichtet ist, dem Kläger und Berufungskläger Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs der Marke Audi vom Typ A6 3.0 TDI Avant Allroad Quattro mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) …15 durch die Beklagte und Berufungsbeklagte resultieren.
Weiter beantragt er:
3.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte und Berufungsbeklagte mit der Annahme der in den vorgenannten Klageanträgen genannten Zug-um-Zug – Leistung im Annahmeverzug befindet.
4.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.130,98 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie von weiteren Kosten in Höhe von EUR 1.383,97 freizustellen.
8
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
9
Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten. Das Fahrzeug verfüge über keine unzulässige Abschalteinrichtung. Eine Umschaltlogik wie beim EA189-Motor von VW komme nicht zum Einsatz. Da der vom KBA beanstandete Bestandteil der Software des streitgegenständlichen Fahrzeugs lediglich in besonderen, nur ausnahmsweise eintretenden Fahrsituationen die Arbeitsweise des emissionsreduzierenden SCR-Katalysators verändere, scheide im Übrigen auch ein sittenwidriges Handeln der Beklagten aus, da es sich nicht um eine prüfstandsabhängige Strategie handele. Was den klägerischen Vortrag bezüglich des Warmlaufmodus betreffe, so sei die Funktion nicht einmal bei allen Fahrzeugen des auch hier verbauten Motortyps EA897Gen2Evo überhaupt aktiv, im Übrigen sei diese Funktion für die Einhaltung der EU6-Abgaswerte nicht relevant. Das bloße Vorhandensein einer Warmlaufmodusfunktion sei nicht per se unzulässig. Eine Täuschung des KBA liege nicht vor.
10
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderung vom 10.09.2021 Bezug genommen.
11
Der Senat erteilte mit Beschluss vom 27.09.2021 Hinweise gem. § 522 Abs. 2 ZPO, zu denen der Kläger mit Schriftsatz vom 02.11.2021 wie folgt Stellung nahm:
12
Hinsichtlich der „schnellen Motorwärmfunktion“ sei es ausreichend, dass das KBA vergleichbare Fahrzeugtypen der Beklagten zurückgerufen habe. Was die AdBlue-Dosierung angehe, verfüge das Fahrzeug über eine Strategie, die erkenne, ob es sich auf dem NEFZ-Prüfstand befindet. Außerdem verfüge das Fahrzeug über ein sogenanntes „Thermofenster“, welches die Wirkung des Abgasrückführungssystems je nach Außentemperatur verringere. Die Beklagte habe auch sittenwidrig gehandelt, weil sie „massenhaft“ manipulierte Software eingesetzt habe.
II.
13
1. Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 27.03.2020, Aktenzeichen 22 O 2130/19, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
14
Zur Begründung wird zunächst auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
15
2. Im Hinblick auf die Gegenerklärung der Klagepartei sind folgende ergänzende Ausführungen veranlasst:
16
a) Hinsichtlich der gerügten Restreichweiten-Regelung der AdBlue-Dosierung bleibt es dabei, dass diese Funktion keine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt. Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, dass lediglich in besonderen, nur ausnahmsweise eintretenden Fahrsituationen die Arbeitsweise des emissionsreduzierenden SCR-Katalysators verändert werde. Danach betrifft das für Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs angebotene Software-Update lediglich die Arbeitsweise des SCR-Katalysators, wenn der Harnstoff (AdBlue) nur noch für eine voraussichtliche Restreichweite von 2.400 km ausreicht. In diesem Fall wird dem Fahrer eine Warnungsmeldung angezeigt (aktive Restreichweiten-Warnung). Vor dem Software-Update war der Betrieb des SCR-Katalysators so eingestellt, dass es bei aktiver Restreichweiten-Warnung in seltenen und außergewöhnlichen Fahrweisen zu einer Herabsetzung des Wirkungsgrads der Ad-Blue-Einspritzung im SCR-Katalysator kommen konnte. Dem diesbezüglichen Vortrag der Beklagten ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Für die Richtigkeit der lediglich pauschalen Behauptung des Klägers, das Fahrzeug erkenne die Situation des NEFZ und schalte dann in einen anderen Dosiermodus, gibt es keine greifbaren Anhaltspunkte.
17
b) Entsprechendes gilt für die vom Kläger gerügte „Aufwärmfunktion“ des Motors. Angesichts der Vielzahl verschiedener Modellvarianten und Ausstattungsmodifikationen ist es nicht ausreichend, allein aus dem Umstand, das KBA habe deshalb „vergleichbare Fahrzeuge“ zurückgerufen, auf die Unzulässigkeit der Funktion im streitgegenständlichen Fahrzeug zu schließen, zumal der Kläger nicht einmal im Ansatz vorträgt, inwieweit das hiesige Fahrzeug „vergleichbar“ sein soll. In diesem Zusammenhang ist außerdem zu berücksichtigen, dass es für das Fahrzeugmodell A6 mit dem Motorkennbuchstaben CRT nur einen Rückruf gibt, nämlich denjenigen vom Juni 2018, der sich auf die zuvor beschriebene Funktion der AdBlue-Dosierung bei geringer Restreichweite bezieht.
18
c) Soweit der Kläger seine Ansprüche nunmehr auch damit begründen will, dass er die Funktion des sogenannten „Thermofensters“ als unzulässige Abschalteinrichtung ansieht, sei darauf hingewiesen, dass nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Vorhandensein dieser Funktion allein noch nicht ausreicht, um Ansprüche wegen vorsätzlichen sittenwidrigen Handelns der Beklagten gemäß § 826 BGB zu begründen. Danach ist der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Die Annahme objektiver Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (vgl. BGH, Beschluss vom 19.1.2021 – VI ZR 433/19, beck-online). Das Vorliegen derartiger Umstände hat der Kläger vorliegend nicht dargetan.
III.
19
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
20
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
21
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.