Inhalt

OLG München, Beschluss v. 06.05.2022 – 20 U 7451/21 e
Titel:

Klärungsbedürftigkeit, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Klagepartei, Sittenwidrigkeit, Gegenerklärung, Greifbare Anhaltspunkte, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Abschalteinrichtung, Kostenentscheidung, Sicherheitsleistung, Zug-um-Zug, Klärungsfähige Rechtsfrage, Außergerichtliche Rechtsverfolgung, Zurückweisung der Berufung, Abweichende Bedingungen, Streitwert, Kosten des Berufungsverfahrens, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Höchstrichterliche Rechtsprechung, Darlegungslast

Schlagworte:
Dieselmotor EA 288, Abschalteinrichtung, Schadensersatzklage, Sittenwidriges Verhalten, Berufungszurückweisung, Emissionsgrenzwerte, Typgenehmigung
Vorinstanzen:
LG Landshut, Berichtigungsbeschluss vom 03.12.2021 – 51 O 1210/21
LG Landshut, Endurteil vom 17.09.2021 – 51 O 1210/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 12.02.2025 – VIa ZR 772/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 60244

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 17.09.2021, Aktenzeichen 51 O 1210/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Landshut ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 28.387,86 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten nach Kauf eines Fahrzeugs mit Dieselmotor Schadensersatz.
2
Der Kläger hat mit Kaufvertrag vom 26.05.2017 den Pkw VW Passat, FIN: … erworben. In diesem Fahrzeug ist ein Dieselmotor vom Typ EA 288 verbaut. Das Fahrzeug hat einen SCR-Katalysator.
3
Hinsichtlich der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Landshut vom 17.09.2021 Bezug genommen.
4
Das Landgericht Landshut hat die Klage insgesamt abgewiesen, wogegen sich der Kläger mit seiner Berufung vom 20.10.2021 wendet.
5
Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor:
6
Das Erstgericht habe die Rechtsprechung des EuGH zur Frage, welche Abschalteinrichtungen zulässig sind, die Leitlinien der Europäischen Kommission für die Bewertung von Abschalteinrichungen und die Rechtsprechung des BGH zur Darlegungslast des Herstellers in entsprechenden Fällen, nicht beachtet. Der Vortrag des Klägers sei ausreichend schlüssig und substantiiert. Der Motor der Baureihe EA 288 verfüge nach den Feststellungen des Sachverständigen … über eine Reihe von Abschalteinrichtungen und halte die Emissionswerte nach NEFZ nicht ein. Das Erstgericht habe durch die Nichtbeachtung des klägerischen Vortrags gegen Art. 103 GG verstoßen. Bei §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV handle es sich entgegen der Einschätzung des Landgerichts um Schutzgesetze gemäß § 823 Abs. 2 BGB; daneben sei auch der Tatbestand des Betrugs gemäß § 263 BGB erfüllt. Das Verhalten der Beklagten sei als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB einzustufen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung Bezug genommen.
7
Der Kläger beantragt:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 28.387,86 nebst Zinsen aus Euro 28.387,86 hieraus in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 05.02.2021 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs Volkswagen Passat, FIN: ….
II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 5.628,76 Deliktszinsen zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs Volkswagen Passat, FIN: ….
III. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Antrag I genannten Fahrzeugs seit dem 05.02.2021 in Verzug befindet.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von Euro 1.728,48 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten freizustellen.
8
Die Beklagte beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
9
Die Beklagte trägt vor, für das streitgegenständliche Fahrzeuge sei kein Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) erfolgt; beim Motorentyp EA 288 sei keine Abschalteinrichtung verbaut. Das Urteil des BGH vom 28.01.2020, Az: VIII ZR 57/19 betreffe das Gewährleistungsrecht, nicht die deliktische Haftung. Das Landgericht habe die Klage zu Recht ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Auf die Berufungserwiderung wird verwiesen.
10
Der Senat hat darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung gemäß § 522 II ZPO zurückzuweisen. Die Klagepartei hat hierzu mit Schriftsatz vom 14.02.2022, auf den verwiesen wird, Stellung genommen.
II.
11
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 17.09.2021, Aktenzeichen 51 O 1210/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
12
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 10.01.2022 Bezug genommen. Die Ausführungen in der Gegenerklärung der Klagepartei geben zu einer Änderung keinen Anlass. Der Senat hält nach nochmaliger Überprüfung daran fest, dass die Klagepartei die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§§ 826, 31 BGB) bezogen auf den Kauf des streitgegenständlichen Pkw VW Passat am 26.05.2017 nicht nachvollziehbar dargelegt hat.
13
1. Soweit die Klagepartei erneut auf eine Überschreitung der NOx-Grenzwerte bei Messungen unter „von den Standardtests abweichenden Bedingungen“ bzw. im realen Fahrbetrieb verweist, wird auf die Ausführungen im Hinweis unter Ziffer 1 b) bb) (2) Bezug genommen, auf die die Klagepartei nicht eingeht.
14
Unabhängig davon, dass die vorgetragenen Messergebnisse – mit Ausnahme einzelner Messungen der Deutschen Umwelthilfe – nicht den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp betreffen und zu einer Vergleichbarkeit nichts ausgeführt wird (der bloße Hinweis auf die Untersuchung weiterer VW Passat TDI, ohne konkreten Vortrag zu deren technischen Details genügt nicht), kommt etwaigen Diskrepanzen zwischen Stickoxidemissionen unter Prüfstandbedingungen, die zur Erlangung der Typgenehmigung für das der Euro-6-Norm unterfallende Fahrzeug noch allein maßgeblich waren, und unter hiervon abweichenden Bedingungen kein Indizcharakter für die klägerseits behauptete Manipulation der Motorsteuerungssoftware zu (vgl. auch BGH, Urteil vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20, Rn. 23). Greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung, geschweige denn für ein hierauf bezogenes sittenwidriges Verhalten der Beklagten ergeben sich hieraus nicht.
15
2. Soweit die Klagepartei sich nunmehr in ihrer Gegenerklärung auf einen Zwischenbericht des Sachverständigen Dr. H. (43 IT GmbH) vom 29.07.2021 bezieht, der sich mit dem Regeneratinsbetrieb des NOx-Speicherkatalysators befasst, geht der Vortrag inhaltlich ins Leere; in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist kein NOx-Speicherkatalysator (NSK), sondern ein SCR-Katalysator verbaut. Aus der behaupteten Funktion des „Kaltstartheizens“ kann die Klagepartei nichts für sich herleiten, denn der vorgetragene Funktionsbereich von 2°C bis 30°C deckt weitgehend den praktisch relevanten Einsatzbereich eines Kraftfahrzeugs ab. Ungeachtet dessen liegen hierfür – nicht zuletzt mit Blick auf die umfangreichen Untersuchungen und fehlende Beanstandung des Motors EA 288 durch das KBA – ebenfalls keine greifbaren Anhaltspunkte vor.
16
Das bloße Vorhandensein einer (überdies für das streitgegenständliche Fahrzeug von der Beklagten bestrittenen) Fahrkurvenerkennung genügt als greifbarer Anhaltspunkt für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten in dem von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderten Sinne angesichts der eindeutigen Positionierung und fehlenden Beanstandung des Motors durch das KBA nicht. Auf die entsprechenden Ausführungen im Hinweis Ziffer 1 b) bb) (5) wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen. Zweifel an den Feststellungen des KBA hat der Senat nicht.
17
3. Der Kläger wiederholt in der Gegenerklärung seine Rechtsauffassung, das Verhalten der Beklagten erfülle den Tatbestand des § 263 StGB. Es wird auf den Hinweis, Ziffern 2 und 3 Bezug genommen. Auf die dort ausgeführte fehlende Stoffgleichheit des erstrebten Vermögensvorteils mit einem möglichen Vermögensschaden geht die Gegenerklärung nicht ein.
18
4. Entgegen der Auffassung der Klagepartei ist eine Zurückweisung der Berufung nicht nach § 522 Abs. 2 ZPO Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO ausgeschlossen. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BGH, Beschluss vom 22.09.2015 – II ZR V 310/14, ZIP 2016, 266, Rn. 3; Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 543 Rn. 11). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten bestehen u.a. dann, wenn die Rechtsfrage vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird, oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden (BGH a.a.O. m.w.N.). Bezugspunkte sind einerseits die in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO als selbständiger Zulassungsgrund definierten Kriterien der Fortbildung des Rechts und der Wahrung der Rechtseinheit, andererseits die Praxis der Instanzgerichte oder nachhaltige Bedenken im Schrifttum gegen höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. Zöller/Heßler a.a.O.).
19
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die aufgeworfenen Rechtsfragen lassen sich vielmehr – wie im Hinweis und vorstehend ausgeführt – auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zweifelsfrei beantworten. Auch eine Divergenz ist nicht anzunehmen. Der Verweis auf angeblich abweichende Urteile von Landgerichten ist hierfür zur Begründung von vorneherein ungeeignet. Eine Divergenz wäre nur anzunehmen, wenn der Senat ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung eines höher- oder gleichrangigen Gerichts (vgl. Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 42. Aufl., § 543 Rn. 4b m.w.N.). Soweit sich die Klagepartei auf angeblich divergierende Urteile anderer Oberlandesgerichte beruft, hat sie nicht dargelegt, dass der Senat mit der angekündigten Zurückweisung von einem Obersatz abweichen würde, den eines der anderen Obergerichte aufgestellt hat. Die unterschiedliche Subsumtion bzw. Beurteilung eines Sachverhalts durch zwei Gerichte begründet noch keine Divergenz(vgl. Thomas/Putzo/Seiler a.a.O.). Das Urteil des OLG Naumburg bezieht sich zudem auf ein Fahrzeug mit NOx-Speicherkatalysator (NSK).
III.
20
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
21
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.