Titel:
Sittenwidrigkeit, Abschalteinrichtung, Sittenwidrige Schädigung, Klagepartei, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Arglistige Täuschung, Sekundäre Darlegungslast, Kosten des Berufungsverfahrens, Darlegungs- und Beweislast, Vorabentscheidungsersuchen, Berufungserwiderung, Besondere Verwerflichkeit, Gesetzesverstoß, Unzulässigkeit, Schadensersatzpflicht, Kostenentscheidung, BGH-Beschluss, Sicherheitsleistung, Typgenehmigung, Sachverständige
Schlagworte:
Schadensersatzklage, Dieselabgasskandal, Sittenwidrigkeit, Abschalteinrichtung, Thermofenster, Prüfstandserkennung, Berufungsverfahren
Vorinstanz:
LG Hof, Urteil vom 27.08.2020 – 14 O 342/19
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Berichtigungsbeschluss vom 24.03.2022 – 6 U 85/20
BGH Karlsruhe, Urteil vom 28.01.2025 – VIa ZR 393/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 60125
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Hof vom 27.08.2020, Az. 14 O 342/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Hof ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Klagepartei begehrt Schadensersatz von der Beklagten als Fahrzeugherstellerin nach dem Kauf eines PKW mit Dieselantrieb.
2
Die Klägerin erwarb am 02.03.2016 einen gebrauchten Pkw X. (Laufleistung 2.900 km) zum Kaufpreis von 42.500,00 €. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs OM 651, Schadstoffklasse Euro 5, eingebaut.
3
Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hat zur Typgenehmigung des streitgegenständlichen Fahrzeuges nachträglich Nebenbestimmungen angeordnet. Die Beklagte, die diese Anordnung für rechtswidrig hält, hat hiergegen Widerspruch eingelegt. Der Verwaltungsakt ist bislang nicht bestandskräftig geworden. Einen Widerruf der Typengenehmigung hat sich das KBA nicht vorbehalten. In der Rückruf-Datenbank des Kraftfahrtbundesamtes gibt es bezüglich des streitgegenständlichen Fahrzeuges einen Rückruf mit der Beschreibung „unzulässige Abschalteinrichtungen bzw. unzulässige Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems“, der am 29.01.2020 veröffentlicht wurde. Für das Fahrzeug gibt es ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update, welches vom KBA nach Prüfung freigegeben wurde, das die Klagepartei aber nicht hat aufspielen lassen. Die Laufleistung am 15.02.2022 betrug 99.957 km.
4
Mit der Klage begehrt die Klagepartei Schadensersatz wegen behaupteter Manipulationen am Abgassystem in Form einer Rückabwicklung des Vertrags. Sie hat in erster Instanz vorgetragen, in dem Fahrzeug sei eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines sogenannten Thermofensters verbaut, ohne dass diese Einrichtung notwendig sei, um das Fahrzeug vor Schädigungen zu schützen. Eine weitere unzulässige Abschalteinrichtung liege in Form der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) vor. Schließlich bestehe Grund zu der Annahme, dass Manipulationen an der OBD-Schnittstelle vorgenommen worden seien. Es bestehe daher ein Anspruch wegen sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB gegen die Beklagte.
5
Das Landgericht Hof hat die Klage mit Endurteil vom 27.08.2020 abgewiesen.
6
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.
7
Hiergegen wendet sich die Berufung der Klagepartei.
8
Das Landgericht habe den Anspruch der Klagepartei auf rechtliches Gehör verletzt, indem es den Vortrag zur Funktionsweise der Abschalteinrichtungen und zum Vorsatz der Beklagten für unzureichend halte. Die Klagepartei ist weiter der Auffassung, es bestehe ein Anspruch aus § 826 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit VO (EG) 715/2007. Der Vortrag zur temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung sei hinreichend substantiiert und die vorgetragene Abweichung des Emissionsverhaltens im realen Fahrbetrieb im Vergleich zum Prüfstand sei offenkundig relevant. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 02.11.2020 und die Schriftsätze vom 27.09.2021 und 07.02.2022 verwiesen.
9
Die Klagepartei beantragt im Berufungsverfahren zuletzt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei EUR 28.717,18 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs der Marke X. mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ….
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1 genannten Fahrzeuges im Annahmeverzug befindet.
10
Soweit die Klagepartei im Berufungsverfahren zunächst die Zahlung von EUR 31.788,88 beantragt hat, wird die Klage hinsichtlich der Differenz zum zuletzt gestellten Antrag für erledigt erklärt.
11
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und schließt sich der Erledigungserklärung nicht an.
12
Sie verteidigt das Ersturteil unter Aufrechterhaltung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.
13
Wegen des weiteren Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung, die Berufungserwiderung und die weiteren im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze, jeweils mit Anlagen.
14
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Erstgericht die Klage abgewiesen.
15
Auf die zutreffenden Gründe wird Bezug genommen.
16
1. Ein Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB scheidet aus. Einem Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB steht entgegen, dass es an der hinreichend substantiierten Darlegung eines vorsätzlichen und sittenwidrigen schädigenden Verhaltens der Beklagten fehlt.
17
a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, Rn. 29, zitiert, wie auch die folgenden Entscheidungen, nach juris).
18
Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt wird (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rn. 16).
19
Die besondere Verwerflichkeit besteht, wenn dem Kraftfahrtbundesamt vorgespiegelt wird, das Fahrzeug werde auf dem Prüfstand unter den Motorbedingungen betrieben, die auch im normalen Fahrbetrieb zum Einsatz kommen, oder im Typengenehmigungsverfahren unzutreffende Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht werden (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rn. 18, 22) oder bei einem implantierten Thermofenster weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, Rn. 28).
20
b) Legt man diese Maßstäbe zugrunde, ergeben sich aus dem Vortrag des Klägers sowie den getroffenen Feststellungen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass das Verhalten der Beklagten in diesem Sinne als sittenwidrig zu qualifizieren ist.
21
aa) Dafür, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug von der Beklagten eine sog. Prüfstandserkennungssoftware verbaut worden wäre, die bewusst und gewollt von der Beklagten so programmiert worden wäre, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden (Umschaltlogik), und die damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abgezielt hätte, wie sie etwa dem BGH-Urteil vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19) zum WV-Motor EA 189 zugrunde lag, fehlen hier hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte (ebenso KG, Urt. v. 22.12.2020 – 21 U 1032/20, BeckRS 2020, 51871 für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp, bestätigt durch BGH, Urt. v. 29.09.2021 – VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038).
22
bb) Der Einsatz eines sogenannten Thermofensters ist nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, die dem Urteil des BGH vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 – zum Motortyp EA 189 zugrunde liegt. Bei dem bloßen Einsatz eines Thermofensters wie im vorliegenden Fall fehlt es dagegen an einem derartigen arglistigen Vorgehen des beklagten Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, Rn. 17). Allein aus einer objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters folgt ferner kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage wird nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung des Klägers hätte aufdrängen müssen (BGH, Urteile vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/201).
23
Dabei kann unterstellt werden, dass ein Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist. Der darin liegende – unterstellte – Gesetzesverstoß reicht aber nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates, an denen es im Streitfall fehlt (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, Rn. 26).
24
Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die Verantwortlichen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Beschluss vom 09. März 2021 – VI ZR 889/20, Rn. 28). Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen die Klagepartei als Anspruchstellerin (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rn. 19).
25
Die Behauptungen der Klägerin geben keine hinreichenden Anknüpfungspunkte für die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens auf Seiten der Beklagten.
26
(1) Das KBA hat für das streitgegenständliche Fahrzeug eine nachträgliche Nebenbestimmung zur Typgenehmigung erlassen, die nicht bestandskräftig ist. Das KBA hat sich dabei keinen Widerruf der Typgenehmigung vorbehalten.
27
Verfehlt ist die Auffassung der Klagepartei, ein verpflichtender Rückruf seitens des KBA indiziere bereits ausreichend das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung, über die das KBA bei Erteilung der Typ-Genehmigung getäuscht worden sein müsse. Zwar kann ein verpflichtender Rückruf eine unzulässige Abschalteinrichtung indizieren. Damit diese indes eine Haftung der Beklagten wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB auslösen kann, müssen nach der mittlerweile gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Urt. v. 29.09.2021 – VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038, Rn. 14).
28
Was genau Gegenstand des Verwaltungsverfahrens vor dem KBA ist, ist vom Kläger darzulegen. Eine diesbezügliche sekundäre Darlegungs- oder gar Vorlagelast der Beklagten besteht mangels hinreichender Anhaltspunkte dafür, dass Gegenstand dieses Verfahrens nicht nur eine – nach nunmehriger Auffassung des KBA – einfach-rechtlich unzulässige, sondern darüber hinaus auch sittenwidrige Abschalteinrichtung, insbesondere eine Prüfstandserkennungsfunktion i.S.d. Rspr. des BGH ist, nicht (vgl. BGH, Urt. v. 08.03.2021 – VI ZR 505/19, Rn. 28; OLG München, Beschluss vom 08.04.2021 – 8 U 4122/20, Rn. 15). Ein entsprechender Vortrag der Klägerin ist nicht erfolgt.
29
(2) Die Tatsache, dass ein Fahrzeug im normalen Fahrbetrieb höhere Emissionen aufweist als im – bei der Euro 5 – Norm maßgeblichen – NEFZ, begründet ebenfalls keinen Anhaltspunkt, sondern ist vielmehr allgemein bekannt. Die für die Einhaltung der Euro 5-Norm relevanten, im NEFZ-Verfahren gemessenen Werte entsprechen grundsätzlich auch ohne unzulässige Beeinflussung des Messverfahrens nicht den im Rahmen des tatsächlichen Gebrauchs des Fahrzeugs anfallenden Emissionswerten (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20, Rn. 23; OLG München, Urteil vom 05.09.2019 – 14 U 416/19, BeckRS 2019, 26072 Rn. 168). Es ist allgemein bekannt, dass der Straßenbetrieb mit der Prüfstandsituation nicht vergleichbar ist. Dies gilt sowohl hinsichtlich der angegebenen Kraftstoffverbräuche als auch hinsichtlich der Grenzwerte für Emissionen. Auf dem Prüfstand wird eine bestimmte „ideale“, nicht der Praxis entsprechende Situation vorgegeben, etwa hinsichtlich der Umgebungstemperatur, der Kraftentfaltung (Beschleunigung und Geschwindigkeit) oder der Abschaltung der Klimaanlage, sodass der erzielte Wert zwar zu einer relativen Vergleichbarkeit unter den verschiedenen Fahrzeugfabrikaten und -modellen führen mag, absolut genommen aber jeweils nicht mit dem Straßenbetrieb übereinstimmt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.12.2020 – 16a U 155/19, Rn. 59 – 60).
30
cc) Im Hinblick auf die Kühlmittel-Sollwert-Temperaturregelung ist der klägerische Vortrag nicht geeignet, ein anderes Ergebnis zu begründen. Auch bei eingehender Auseinandersetzung mit dem klägerischen Sachvortrag unter Beachtung der vom BGH aufgestellten Maßstäbe verbleibt es bei der Bewertung, dass der Klägervortrag konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine Kühlmittel-Sollwert-Temperaturregelung des streitgegenständlichen Fahrzeugs die Steuerungsbedingungen im normalen Fahrbetrieb anders regelt als auf dem Prüfstand, nicht aufzeigt und diese auch sonst nicht ersichtlich sind. Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass das Kühlmittelthermostat sowohl im Straßenbetrieb als auch auf dem Prüfstand aktiviert ist und der Optimierung des Abgasverhaltens für den Fall des Kaltstarts dient, während der Vortrag der Klagepartei, wie bereits das Landgericht ausgeführt hat (vgl. S. 11 f. der Urteilsgründe), auf Mutmaßungen beruht.
31
Zwar wird im Berufungsverfahren Bezug genommen auf eine Auskunft des KBA vom 09.03.2021 an das Landgericht Mönchengladbach, wonach die in einem Z., Euro 5, Motortyp OM 651, verbaute Strategie zum geregelten Kühlmittelthermostat als unzulässige Abschalteinrichtung anzusehen sei (Berufungsreplik vom 27.09.2021, Bl. 310, 311 d.A.). Der Senat geht für seine Entscheidung auch davon aus, dass das KBA die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung in den Fahrzeugen X. aus dem Produktionszeitraum 2012 – 2015 – zu denen auch das klägerische zählt – als unzulässige Abschalteinrichtung einordnet. Allein aus der Funktionsweise der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung kann aber noch nicht auf eine vorsätzlich sittenwidrige Handlung der Beklagten geschlossen werden. Denn entscheidend ist, ob eine Software allein auf den Prüfstand hin konzipiert ist. Nur in diesem Fall ergibt sich aus der Funktionsweise eine als sittenwidrig zu bewertende Täuschungsabsicht der Beklagten (OLG Stuttgart, Urt. v. 10.12.2021 – 23 U 229/21, Rn. 32; KG, Urt. v. 22.12.2020 – 21 U 1032/20, BeckRS 2020, 51871, Rn. 32). Der Vortrag der Klagepartei enthält jedoch keinen schlüssigen Vortrag dahingehend, dass sich die KSR auf dem Prüfstand anders verhält als im normalen Straßenzyklus.
32
dd) Der Verweis auf die vorgelegten Gutachten Dr. A. vom 12.05.2021 in einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart (Az. 16a U 49/19), Prof. Dr. B. vom 16.02.2021 aus einem Verfahren vor dem Landgericht Ellwangen (Az. 2 O 507/19) und Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) D. vom 13.04.2021 in einem Verfahren vor dem Landgericht Stuttgart (Az. 17 O 622/19) führt ebenfalls zu keiner anderen Bewertung.
33
(1) Der Sachverständige Dr. A. hat Untersuchungen an einem Pkw des Typs X. vorgenommen und ist hierbei zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Teststanderkennung nur aktiv sei, wenn gleichzeitig folgende Bedingungen erfüllt seien: Die Umgebungstemperatur liege zwischen 15 °C und 35 °C, die Ansauglufttemperatur liege zwischen 15 °C und 50 °C und der Luftdruck liege über 800 hPa. Sei eine dieser Bedingungen nicht erfüllt, befinde sich das Fahrzeug nicht im NEFZ-Fahrzyklus. Zudem erkenne die Motorsteuersoftware eine geringe Motordrehzahl. Er schlägt in seinem Gutachten vor, einen Test auf dem Rollenprüfstand durchzuführen, weil durch einen solchen Test der Einfluss der Abschalteinrichtungen auf die Emissionen des untersuchten Fahrzeugs bestimmt werden könnte.
34
Aus dem Gutachten ergibt sich, dass Parameter das Emissionsverhalten bestimmen, die sowohl im realen Verkehr als auch auf dem Prüfstand Wirkung entfalten. Der Nachweis einer Umschaltlogik, wie sie für den Motor EA 189 angenommen worden ist, ergibt sich hieraus noch nicht, ebenso wenig wie hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Steuerung des Motors allein auf den Prüfstand hin ausgelegt worden ist (ebenso OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.09.2021 – 6 U 13/20, Rn. 106, 107).
35
(2) Auch die Ausführungen im Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B. führen zu keiner anderen Bewertung. Der Sachverständige hat Untersuchungen mit einem Pkw des Typs X. in Form von 19 relevanten Messfahrten durchgeführt. Er ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Messergebnisse im Modus „Rollentest“ nicht signifikant von denen im Straßenmodus unterscheiden. Eine Prüfstandserkennung lässt sich hieraus nicht ableiten. Soweit der Sachverständige die Steuerung des geregelten Kühlwasserthermostats als Umschaltlogik bezeichnet, bezieht er sich darauf, dass bei Vorliegen einer Außentemperatur unter 17 °C das geregelte Kühlwasserter nicht wie sonst bei 70 °C aktiviert werde. Die Systematik einer Prüfstandserkennung ergibt sich hieraus jedoch nicht, zumal das Vorliegen einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung nicht ausreichend ist, um den Vorwurf sittenwidrigen Verhaltens darzulegen (ebenso OLG Stuttgart, Urt. v. 10.12.2021 – 23 U 229/21, Rn. 31; OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.09.2021 – 6 U 13/20, Rn. 115 f.).
36
(3) Ebenso wenig lassen sich dem Gutachten von Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) D. Anhaltspunkte für eine Prüfstandserkennung anhand der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung entnehmen. Der Gutachter stellt maßgeblich darauf ab, dass eine Diskrepanz zwischen Stickoxidemissionen unter Prüfstandsbedingungen einerseits, die nach damaliger Rechtslage (Euro-5-Norm) zur Erlangung der Typgenehmigung allein maßgeblich waren, und unter normalen Betriebsbedingungen auf der Straße andererseits bestehe (vgl. S. 22 ff. des vorgelegten Gutachtens). Der Umstand unterschiedlicher Emissionswerte genügt indessen nicht als Anhaltspunkt für eine prüfstandsabhängige Steuerungsstrategie (vgl. BGH, Urt. v. 13.07.2021 – VI ZR 128/20, Rn. 23).
37
ee) Der Vortrag der Klagepartei führt auch nach einer Gesamtwürdigung nicht zu einer sekundären Darlegungslast der Beklagten zu den technischen Gegebenheiten der mit dem Motor ausgestatteten Fahrzeuge. Grundsätzlich trägt der Geschädigte, der sich auf einen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB beruft, die volle Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 33. Aufl., vor § 284, Rn. 34). Die Annahme einer sekundären Darlegungslast setzt voraus, dass der darlegungs- und beweisbelasteten Partei die nähere Darlegung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während die gegnerische Partei alle wesentlichen Tatsachen kennt oder es ihr zuzumuten ist, nähere Angaben zu machen. Die Voraussetzungen für eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten sind hier nicht erfüllt. Um eine Ausforschung zu vermeiden, muss der unstreitige oder zu beweisende Vortrag des Beweispflichtigen greifbare Anhaltspunkte für seine Behauptung liefern (BGH, Urt. v. 29.09.2021 – VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038, Rn. 21; Zöller-Greger, a.a.O, m.w.N.). Daran fehlt es hier, wie bereits dargestellt. Der Senat sieht daher auch keine Veranlassung, der Beklagten – wie von der Klagepartei beantragt – gemäß § 142 ZPO die Vorlage aller sie betreffenden Rückrufbescheide des KBA aufzugeben.
38
ff) Durch die Klagepartei wurden ferner keine Umstände vorgebracht, die auf eine Strategie der Beklagten schließen ließen, das Kraftfahrbundesamt durch die Verwendung der behaupteten Abschalteinrichtungen zu täuschen. Wie, wann und wodurch die Beklagte das KBA konkret worüber getäuscht haben soll, wird seitens der Klagepartei weder konkret dargelegt noch werden hierfür tatsächliche Anhaltspunkte vorgebracht. Die Beklagte erklärt hierzu in der Berufungserwiderung (dort S. 42 – 44), das KBA habe die Angaben der Beklagten nicht als unzureichend beanstandet. Die Temperaturabhängigkeit der Steuerung ihres Emissionskontrollsystems habe sie offengelegt. Eine ausführlichere Beschreibung der Funktionen des Emissionskontrollsystems (sog. AES/BES-Dokumentation) sei im Zeitpunkt der Erteilung der Typengenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug nicht vorgesehen gewesen. Dem ist die Klagepartei nicht substantiiert entgegengetreten. Es ist auch keineswegs offenkundig, dass die Annahme, bei der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung handele es sich um eine zulässige Abschalteinrichtung, jedenfalls zum (maßgeblichen) Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs der Klägerin keine zulässige Auslegung des Gesetzes darstellte, so dass die Verantwortlichen mit dem Vorsatz handelten, die Klägerin über eine Eigenschaft des Fahrzeugs zu täuschen und ihr dadurch einen Vermögensschaden zuzufügen (KG, Urt. v. 22.12.2020 – 21 U 1032/20, BeckRS 2020, 51871, Rn. 32).
39
Selbst wenn die Angaben der Beklagten tatsächlich unvollständig gewesen sein sollten, wäre dies demnach noch kein konkreter Anhaltspunkt für deren Bewusstsein, eine unzulässige Abschalteinrichtung bei Verheimlichung dieses Umstands zu verwenden bzw. verwendet zu haben. Denn es wäre ggf. Sache des KBA gewesen wäre, vermeintlich unvollständige Angaben im Typgenehmigungsverfahren zu monieren, was offensichtlich nicht geschehen ist. Denn das KBA hat zunächst zu prüfen, ob die Antragsunterlagen im Hinblick auf die gesetzlichen Vorgaben vollständig sind. Fehlt es daran, hat es den Antragsteller aufzufordern, die Antragsunterlagen zu ergänzen. Kommt der Antragsteller dem nicht nach, lehnt die Behörde den Antrag ab (BGH, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 101/21, Rn. 20; OLG München, Beschluss vom 01.03.2021 – 8 U 4122/20, Rn. 63).
40
Eine Veranlassung, der Beklagten die Vorlage der Genehmigungsunterlagen gemäß § 142 ZPO aufzugeben, besteht bei dieser Sachlage nicht.
41
gg) Der Vortrag der Klagepartei, die Beklagte habe nach Installation des Software-Updates in Bezug auf das On-Board-Diagnosesystem (OBD) erneut getäuscht, zeitigt ebenfalls nicht die geltend gemachten Ansprüche. Unabhängig davon, ob das OBD-System selbst überhaupt eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 darstellen kann, obwohl es unstreitig die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems selbst weder aktiviert, verändert, verzögert noch deaktiviert (vgl. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007), ist ein auf die Programmierung des OBD gestützter Anspruch ausgeschlossen, soweit dieses im normalen Straßenverkehr sowie im Rahmen der Abgasuntersuchung und der Inspektion keine Fehlfunktion des Abgassystemes anzeigt. Denn wenn – wie hier – die für die Typengenehmigung zuständige Behörde die vorgelegte Software in Kenntnis der darin enthaltenen Abschalteinrichtungen (insbesondere des Thermofensters) auch und gerade im Hinblick auf das dadurch beeinflusste weitere Emissionsverhalten absegnet, muss das OBD dies dergestalt nachvollziehen können, dass die Warnlampe im Realbetrieb gerade nicht schon dann anspringt, wenn die angebliche Grenzwertüberschreitung allein auf nach Ansicht des KBA zulässiges Verhalten zurückzuführen ist (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.10.2020 – 17 U 296/19).
42
hh) Schließlich fehlt es an jedwedem substantiierten Vortrag der Klagepartei hinsichtlich in Bezug auf die Entwicklung des streitgegenständlichen Motors im Konzern der Beklagten erfolgten Entscheidungsprozesse sowie die inhaltliche Auseinandersetzung der Organe der Beklagten mit den Voraussetzungen nach Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007. Dabei ist zu beachten, dass über eine Wissenszusammenrechnung kein Weg zu dem für das Merkmal der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB erforderlichen moralischen Unwerturteil (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15, Rn. 13, 22 f., 27) führt. Die die Verwerflichkeit begründende bewusste Täuschung lässt sich nicht dadurch konstruieren, dass die im Hause der juristischen Person vorhandenen kognitiven Elemente „mosaikartig“ zusammengesetzt werden, weil eine solche Konstruktion dem personalen Charakter der Schadensersatzpflicht gemäß § 826 BGB nicht gerecht würde (BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, Rn. 23).
43
2. Ansprüche der Klagepartei aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB sind ebenfalls nicht gegeben. Diese würden jeweils den Nachweis eines deliktischen Handelns bzw. einer vorsätzlichen Täuschungshandlung voraussetzen. Dieser ist – wie oben dargelegt – der Klagepartei nicht gelungen. Im Übrigen scheitert dieser Anspruch beim vorliegenden Gebrauchtwagenkauf bereits am Fehlen der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 5/20, Rn. 24).
44
3. Der Klagepartei steht auch kein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG zu.
45
Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt offensichtlich nicht im Aufgabenbereich des Art. 5 VO 715/2007/EG (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20 –, Rn. 12, juris). Es besteht insoweit auch keine Veranlassung für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, Rn. 35).
46
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, §§ 711, 709 S. 2 ZPO.
47
2. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht zuzulassen, weil die für die vorliegende Entscheidung tragenden Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung höchstrichterlich geklärt sind (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 101/21; Beschluss vom 29.09.2021 – VII ZR 126/21; Beschluss vom 13.10.2021 – VII ZR 99/21).