Titel:
Reparaturkosten, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Zurückbehaltungsrecht, Erstattungsanspruch, Elektronischer Rechtsverkehr, Zug-um-Zug, Streitwert, Befreiungsanspruch, Schadensbeseitigung, Verfahren nach billigem Ermessen, Wert des Beschwerdegegenstandes, Abtretung, Reparaturwerkstatt, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Sachverständigengutachten, Haftungsfreistellung, Reparaturverträge, Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung
Schlagworte:
Verkehrsunfall, Schadenersatzansprüche, Reparaturkosten, Werkstattrisiko, Ersatzfähigkeit, Verzugszinsen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 60074
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 335,22 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.06.2022 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 335,22 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf restliche Schadenersatzansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 31.01.2022 in Höhe von 335,22 €.
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Am 31.01.2022 kam zwischen der Klägerin und dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Unfallgegner zu einem Verkehrsunfall. Die Haftung der Beklagten ist zwischen den Parteien dem Grunde nach unstreitig. Reparaturkosten sind in Höhe von 6.774,82 € angefallen, auf die die Beklagte 6.439,60 € gezahlt hat. Die Beklagte hat die Kosten der Corona-Schutzmaßnahmen, der Sicherheitsmaßnahmen vor Ofentrocknung, der Probefahrt, der Vorbereitung Karosserielackierung und der Fahrzeugreinigung nicht erstattet.
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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Ersatz weiterer Reparaturkosten in Höhe von 335,22 €.
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Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Die Klägerin hat das Bestehen eines eigenen Anspruchs aufgrund eines Haftungsschadens ausreichend dargelegt und nachgewiesen.
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Die Reparaturkosten sind in dieser Höhe erstattungsfähig. Hierbei handelte es sich um den erforderlichen Herstellungsaufwand. Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB sind Aufwendungen ersatzfähig, die ein verständiger wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung sind insofern regelmäßig Grenzen gesetzt, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt.
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Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Absatz 2 S. 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Das Werkstattrisiko geht insofern zulasten des Schädigers (AG Norderstedt, Urteil vom 14.9.2012 – 44 C 164/12; LG Köln, Urteil vom 07.05.2014 – 9 S 314/13). Dabei darf ein Geschädigter nach der oben angesprochenen subjektbezogenen Schadensbetrachtung grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und das hierfür benötigten Material zur Schadensbeseitigung erforderlich sind und darf demgemäß – wie hier – einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren (BGH, NJW, 302, 304; AG Düsseldorf, 21.11.2014 – 37 C 11789/11). Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (LG Köln, 07.05.2014, AZ: 9 S 314/13; AG Villingen-Schwenningen, 05.02.2015, AZ: 11 C 507/14; OLG Hamm, 31.01.1995, AZ: 9 U 168/94). Es besteht kein Grund dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Ein Auswahlverschulden der Klägerin ist insoweit nicht zu erkennen. Die durch die Werkstatt in der Reparaturrechnung belegten Aufwendung sind im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der Reparaturkosten.
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind hier die Kosten der Corona-Schutzmaßnahmen, der Sicherheitsmaßnahmen vor Ofentrocknung, der Probefahrt, der Vorbereitung Karosserielackierung und der Fahrzeugreinigung ersatzfähig.
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Mangels besserer Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten hat die Klägerin die Reparaturkosten insoweit für erforderlich halten dürfen. Die Reparatur und die Abrechnung sind der Einflußsphäre des Geschädigten entzogen. Es besteht kein Grund, dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Von daher war auch kein Beweis über die Erforderlichkeit zu erheben, da das Werkstattrisiko eben auch Arbeiten umfassen würde, die nicht ausgeführt wurden (LG Köln, 07.05.2014, AZ: 9 S 314/13; AG Villingen-Schwenningen, 05.02.2015, AZ: 11 C 507/14; OLG Hamm, 31.01.1995, AZ: 9 U 168/94).
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Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob die Rechnung von der Klägerin bereits ausgeglichen worden ist oder nicht (AG Kassel, Urteil vom 08.02.2018 – 435 C 4137/17; AG Karlsruhe, Urteil vom 18.11.2008 – 5 C 365/08).
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Für den Fall der noch nicht erfolgten Zahlung stand der Klägerin zwar ein Befreiungsanspruch gemäß §§ 249, 257 BGB zu. Dieser Befreiungsanspruch ist gemäß § 250 Satz 2 BGB in einen Geldanspruch übergegangen (AG Karlsruhe, Urteil vom 18.11.2008 – 5 C 365/08).
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Danach hat der Geschädigte die Möglichkeit, zu einem Anspruch auf Geldersatz zu gelangen, wenn er dem Ersatzpflichtigen erfolglos eine Frist zur Herstellung, d.h. zur Haftungsfreistellung mit Ablehnungsandrohung setzt. Dem steht es nach Rechtsprechung des BGH gleich, wenn der Schuldner die geforderte Herstellung oder überhaupt jeden Schadensersatz ernsthaft und endgültig verweigert. Dann wandelt sich der Freistellungs– in einen Zahlungsanspruch um, wenn der Geschädigte Geldersatz fordert (BGH, NJW 2004, 1868 ff.). Die Beklagte hat bereits außergerichtlich jegliche Zahlung auf weitere Reparaturkosten ernsthaft und endgültig abgelehnt, so dass es einer Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung seitens des Klägers zur Umwandlung in einen Geldanspruch nicht bedurfte. Die Klägerin kann somit unmittelbar Zahlung verlangen.
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Die Beklagte kann grundsätzlich verlangen, dass ihr Zug um Zug etwaige Erstattungsansprüche des Klägers gegen die Reparaturwerkstatt aus dem Reparaturvertrag abgetreten werden.
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Eine solche Abtretung schmälert die Rechtsposition des Klägers als Geschädigten nicht und ist nicht davon abhängig, dass etwaige Ansprüche gegen die Reparaturwerkstatt tatsächlich bestehen. Vielmehr genügt es, dass es möglich erscheint, dass solche Ansprüche vorhanden sind. Die Berechtigung eines solchen Anspruchs ist vielmehr dann im Verhältnis zwischen dem Schädiger, hier der Beklagten, und der Reparaturwerkstatt zu klären (AG Kassel, Urteil vom 08.02.2018 – 435 C 4137/17). Voraussetzung des § 255 BGB analog ist nämlich nur, dass der abzutretende Anspruch als möglich erscheint. Dies ist der Fall.
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Vorliegend wurden die etwaigen Erstattungsansprüche der Klägerin gegen die Reparaturwerkstatt aus dem Reparaturvertrag jedoch bereits im Rahmen der Klageschrift an die Beklagte abgetreten, sodass es keiner Verurteilung Zug-um-Zug mehr bedarf. Die Beklagte hat die Abtretung auch bereits angenommen.
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Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB. Ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB schließt den Verzug mit der Erfüllung der Leistungspflicht und damit die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen nur aus, wenn es vor oder bei Eintritt der Verzugsvoraussetzungen ausgeübt wird. Beruft sich der Schuldner erst danach auf sein Zurückbehaltungsrecht, wird der bereits eingetretene Verzug dadurch nicht beseitigt. Der Schuldner muss vielmehr durch geeignete Handlungen den Verzug beenden, zum Beispiel seine eigene Leistung Zug um Zug gegen Bewirkung der Gegenleistung anbieten (BGH, Urteil vom 26.09.2013, Az. VII ZR 2/13 m.w.N.)
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.