Inhalt

LG München I, Endurteil v. 14.03.2022 – 22 O 12454/21
Titel:

Bestätigungsvermerk, Unterbevollmächtigter, Treuhandkonto, Klagepartei, Konzernabschluß, Jahresabschluß, haftungsbegründende Kausalität, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kausalitätsvermutung, zugunsten Dritter, Informatorische Anhörung, Anlagestimmung, Treuhänderische, Fehlerhaftes Testat, Saldenbestätigung, Typischer Geschehensablauf, Ad-hoc-Mitteilung, Unrichtige, Abschlussprüfer, Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens

Schlagworte:
Klageabweisung, Sittenwidrige Schädigung, Kausalitätsnachweis, Aufklärungspflichtverletzung, Anscheinsbeweis, Abschlussprüferhaftung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 21.07.2022 – 8 U 2069/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 06.11.2024 – III ZB 107/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 60011

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klagepartei verlangt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit Käufen von Aktien der …
2
Die Beklagte war seit 2010 alleinige Abschlussprüferin der …, einem Zahlungsdienstleistungsunternehmen. Die Beklagte hat die Jahres- und Konzernabschlüsse für die Jahre 2016, 2017 und 2018 ohne Einschränkungen testiert. Das Testat für den Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2016 wurde am 05.04.2017, das Testat für den Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2017 wurde am 11.04.2018 und das Testat für den Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2018 wurde am 24.04.2019 erteilt.
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Die … arbeitete im Rahmen ihrer Geschäfte auch mit Partnerunternehmen in Ländern zusammen, in denen sie keine Lizenz als Zahlungsdienstleister hatte, um Zahlungen abzuwickeln (Third-Party-Acquiring). Die Verträge sahen dabei vor, dass die Partnerunternehmen Kreditkartentransaktionen für Kunden abwickeln, die durch die … vermittelt wurden. Die … verpflichtete sich hierbei, die Partner von Vermögensverlusten aus der Geschäftsbeziehung schadlos zu halten, wodurch insbesondere Schäden aus der Rückabwicklung von Zahlungsvorgängen sowie gegebenenfalls von Kartennetzwerkorganisationen verhängte Strafzahlungen umfasst werden sollten. Die Besicherung sollte hierbei über die Stellung treuhänderisch verwalteter Barsicherheiten auf Treuhandkonten erfolgen.
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Im September 2018 wurde die Aktie der … in den DAX aufgenommen.
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Bis einschließlich 30.11.2019 war Treuhänder unter anderem die Firma … welche Treuhandkonten bei der … unterhielt.
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Ende 2018 meldete sich ein Wistleblower bei der F... Times und behauptete, dass das „Acquiring“-Geschäft von … in … in wesentlichem Umfang keine realistische Grundlage habe. Nach weiteren Recherchen veröffentlichte die F... Times am 30.01.2019, 01.02.2019 und 02.02.2019 kritische Artikel über die …, wonach es schwere Probleme in … gebe, da Mitarbeiter von … die Zahlen geschönt hätten. Die Folge waren Kursverluste der Aktien der … Am 15.10.2019 berichtete die F... Times erneut negativ über den …-Konzern. Wieder kam es zu Kursverlusten.
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Von Februar 2019 bis April 2019 verhängte die BaFin ein Leerverkaufsverbot für die …-Aktie.
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Am 31.10.2019 beauftragte die … die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft … mit dern Erstellung eines forensischen Sondergutachtens betreffend die Geschäftsjahre 2016-2018.
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Am 27.04.2020 wurde die für den 29.04.2020 geplante Veröffentlichung des Geschäftsberichts 2019 verschoben.
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Am 28.04.2020 wurde der … Sonderbericht veröffentlicht. Im Rahmen des Ergebnisses dieser Sonderprüfung teilte die … mit, dass keine ordnungsgemäßen Nachweise über die Guthaben auf Treuhandkonten eingeholt werden konnten und ihr keine Bankkontoauszüge, die Zahlungseingänge von rund 1 Milliarden € auf den Treuhandkonten belegen würden, übermittelt wurden. Am selben Tag erlitt die …-Aktie einen Kursverfall von 26 %.
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Am 18.06.2020 teilte die Beklagte der … mit, dass das Testat 2019 verweigert werde, wenn keine ausreichenden Prüfungsnachweise über das Treuhandkonto in Höhe von 1,9 Milliar vom selben Tag gab den € vorgelegt werden könnten. In einer ad-hoc-Mitteilung der … diese bekannt, dass der Veröffentlichungstermin für den Jahres- und Konzernabschluss 2019 wegen Hinweisen auf die Vorlage von unrichtigen Saldenbestätigungen erneut verschoben werden müsse. Wenn ein testierter Jahresabschluss nicht bis zum Folgetag vorgelegt werden könne, drohe der … die Kündigung von Krediten in Höhe von circa 2 Milliarden €.
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Am 22.06.2020 teilte die … im Rahmen einer Ad-hoc-Mitteilung mit, dass Bankguthaben in Höhe von 1,9 Milliarden € auf Treuhandkonten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht existierten. Dieser Betrag stellte ca. ein Viertel des Gesellschaftsvermögens dar.
13
Am 25.06.2020 stellte die … Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Das Amtsgericht … hat das Insolvenzverfahren am 25.8.2020 eröffnet.
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Am 21.07.2020 wurde der Vorstandsvorsitzende der … aufgrund eines Haftbefehls der Staatsanwaltschaft beim Landgericht … festgenommen.
15
Die Klagepartei trägt vor, sie habe zu den nachfolgend näher bezeichneten Zeitpunkten, die nachfolgend näher bezeichnete Anzahl an Aktien der … zu dem nachfolgend näher bezeichneten Kurs erworben (Anlage K 1):
14.09.2018: 163 Stück, Kurs 182,35 €
Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K 1 vollumfänglich Bezug genommen.
16
Die Beklagte habe die Konzernabschlüsse der … für die Jahre 2016 bis 2018 schuldhaft testiert, obwohl diese Jahr für Jahr den Cash-Bestand des Unternehmens um mehr als eine Milliarde € überhöht ausgewiesen habe. Sie habe sich für die Jahre 2016 bis 2018 keine Salden- bestätigungen für von der … behauptete und als Zahlungsmitteläquivalente bilanzierte Bankguthaben in Höhe von einer Milliarde € vorlegen lassen. Sie habe behauptete Vermögenswerte der … „ins Blaue hinein“ testiert.
17
Die Klagepartei meint, die Beklagte hafte ihr gegenüber wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) und nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (§311 Abs. 3BGB).
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Die individuelle Kausalität der jeweiligen Jahresabschlüsse bzw. Testate spiele hinsichtlich der Kausalität der Kaufentscheidung keine Rolle. Denn ohne die zu beanstandenden Bestätigungsvermerke der Beklagten hätte die … ihre Geschäfte nicht fortsetzen können. Der Kläger hätte sich am Unternehmen überhaupt nicht mehr beteiligen können. Für den Kläger würde die Vermutung streiten, die fehlerhaften Testate der Beklagten seien für seine Kauf- und Haltensentscheidung ursächlich gewesen. Dies ergebe sich bereits aus der Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens, welche auch im Rahmen des § 826 BGB gelte. Dazu legt die Klagepartei ein privates Rechtsgutachten des … vor (Anlage K32). Die fehlerhaften Testate seien sowohl äquivalent als auch adäquat kausal, da es offensichtlich sei, dass Anleger den Testaten der Beklagten großen Vertrauen schenkten und daran ihre Entscheidung über Kauf und Verkauf der Wertpapiere zumindest orientiert hätten. Auch nach dem Schutzzweck der Norm des § 826 BGB seien die Schäden der Aktionäre gedeckt, da auf den Schutzzweck der konkret verletzten Verhaltensnorm § 317 Abs. 1 S. 2 HGB abzustellen sei. Der Schutzbereich des § 826 sei auch für mittelbare Schäden eröffnet.
19
Die Klagepartei beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 29.723,05 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übertragung von 163 Stück Aktien (ISBN … der … an die Beklagte oder einen von der Beklagten zu benennenden Dritten.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der im Klageantrag zu 1. Genannten Gegenleistung im Verzug befindet
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Wäger Zinsen in Höhe von 4 % aus 29.723,05 EUR seit dem 14.09.2018 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit zu zah- ten.
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Die Beklagte beantragt:
Klageabweisung.
21
Die Beklagte trägt vor, auch sie sei Opfer eines ausgeklügelten Betrugssystems geworden.
22
Sie habe ihre berufsspezifischen Abschlussprüfaufgaben und -pflichten vollumfänglich erfüllt. Eine etwaige Pflichtverletzung sei jedenfalls nicht schuldhaft oder vorsätzlich gewesen. Die Jahresabschlüsse der … seien nach derzeitigem Kenntnisstand bis zum Geschäftsjahr 2018 nicht fehlerhaft. Eine Kausalität zwischen einer etwaigen Pflichtverletzung und der Anlageentscheidung der Klagepartei sei nicht gegeben.
23
Der Betrug sei nur durch Prüfungshandlungen der Beklagten nach Wechsel des Treuhänders aufgedeckt worden. Die Pflichten nach § 43 WPO seien bei der Jahresprüfung stets beachtet worden.
24
Die Beklagte habe keine Kenntnis von einer etwaigen Nichtexistenz der Guthaben auf den Treuhandkonten gehabt. In den Jahren 2015 bis 2018 hätten Zahlungseingänge von den TPA-Partnern bzw. den Treuhändern von 203,3 Millionen € nachvollzogen werden können. Zudem habe die Beklagte Saldenbestätigungen der TPA-Partner und der Treuhänder eingeholt. Aus diesen Salden- bestätigungen hätten sich keine Hinweise auf die Unrichtigkeit der Jahresabschlüsse ergeben. Die Beklagte habe die Treuhänder auch persönlich aufgesucht und Gespräche geführt. Für den Stichtag 31.12.2016 und 31.12.2018 seien der Beklagten Bankkontoauszüge der Konten des Treuhänders bei der … vorgelegt worden. Eine Geschäftsbeziehung zwischen der … und der … habe nicht vorgelegen, sodass keine rechtliche Grundlage für die Einholung von Bankbestätigungen bestanden habe.
25
Auch die Prüfungshandlungen zur Existenz und Höhe der Umsatzerlöse aus dem TPA-Geschäft seien ausreichend gewesen. Es seien auch in den Jahren 2015 bis 2018 jeweils zweistellige Millionenbeträge der TPA-Partner auf den Konten der Beklagten eingegangen.
26
Die Prüfer der Beklagten hätten die Testate mit der Überzeugung erteilt, dass die durchgeführten Prüfungshandlungen ordnungsgemäß gewesen seien und die Erteilung der uneingeschränkten Bestätigungsvermerke richtig gewesen sei.
27
Die Beklagte meint, die Sonderuntersuchung der … lasse keine Rückschlüsse auf die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Jahresabschlüsse zu. Die Erkenntnislage sei zum Zeitpunkt der Sonderuntersuchung eine andere gewesen.
28
Die Beklagte habe im Rahmen der Abschlussprüfung davon ausgehen dürfen, dass ihr die Vorstände der geprüften Gesellschaft oder Dritte keine manipulierten oder fehlerhaften Auskünfte erteilten.
29
Nach den bestehenden Prüfstandards ergäbe sich keine Pflicht eine Bankbestätigung einzuholen. Eine Prüfung sei anhand von Saldenbestätigungen möglich. Insbesondere sei die Bank des Treuhänders in der vorliegenden Konstellation nicht als dritte Partei, sondern als vierte Partei einzustufen.
30
Die Guthaben auf Treuhandkonten seien zutreffend als Zahlungsmittel oder Zahlungsmitteläquivalente bilanziert worden.
31
Eine Kausalität zwischen dem Bestätigungsvermerk auf dem jeweiligen Jahresabschluss und der Investitionsentscheidung der Klagepartei sei nicht gegeben. Es bestehe kein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen Bestätigungsvermerken und der Investitionsentscheidung.
32
Ein etwaiger Schaden stehe noch nicht endgültig fest.
33
Die Klagepartei sei nicht in den Schutzbereich des Prüfauftrags einbezogen.
34
Der Klägervertreter hat im Termin zur mündlichen Verhandlung für die Klagepartei eine Erklärung abgegeben.
35
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf sämtliche eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Terminprotokoll vollumfänglich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
A.
37
Die Klagepartei hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 29.723,05 €.
38
Ein Anspruch besteht weder aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (I.), noch aus § 826 BGB (II.) oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 332 HGB (III.).
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I. Ein Anspruch aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter besteht nicht. Der Vertrag über die Jahresprüfung nach § 316 HGB beinhaltet grundsätzlich keine Drittwirkung. Der Bundesgerichtshof führt hierzu in seinem Urteil vom 21.11.2018 – VII ZR 3/18 folgendes aus:
„(…) Zutreffend hat das Berufungsgericht für den Streitfall angenommen, dass der Beklagte als Wirtschaftsprüfer aus dem Prüfvertrag, der eine obligatorische oder freiwillige Jahresabschlussprüfung nach den Maßstäben der §§ 316, 317 HGB zum Gegenstand hat, gemäß § 323 Abs. 1 Satz 3 HGB nur der zu prüfenden Gesellschaft und den mit ihr verbundenen Unternehmen haftet. Dies gilt auch, wenn der Bestätigungsvermerk im Zusammenhang mit einem Börsengang oder – wie hier – der Ausgabe öffentlich notierter Wertpapiere in einen Verkaufsprospekt aufgenommen worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 2014 – III 156/13 Rn. 16, NJW 2014, 2345; Beschluss vom 11. November 2008 – III ZR 317/07 Rn. 5; Beschluss vom 30. Oktober 2008 – III ZR 307/07 Rn. 5, NJW 2009, 512; Urteil vom 6. April 2006 – III ZR 256/04, BGHZ 167, 155, juris Rn. 13; Urteil vom 15. Dezember 2005 – III ZR 424/04, NJW-RR 2006, 611, juris Rn. 12 f, Urteil vom 2. April 1998 – III ZR 245/96, BGHZ 138, 257, juris Rn. 9) (…)“.
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Dem schließt, sich das Gericht an. Im vorliegenden Fall ergeben sich auch keine Anhaltspunkte für vertragliche Regelungen in dem Vertrag über die Jahresprüfung, welche entgegen dem vorstehenden Grundsatz dazu führen würden, dass die Anleger in den Schutzbereich einbezogen werden.
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II. Ein Anspruch aus § 826 BGB ist nicht gegeben. Nach § 826 BGB besteht ein deliktischer Anspruch, wenn eine Person durch ein vorsätzlich sittenwidriges Verhalten bei einer anderen Person einen Schaden herbeiführt. Für eine Haftung nach § 826 BGB ist es notwendig, dass der Täter Kenntnis von dem Eintritt eines Schadens, der Kausalität des eigenen Verhaltens und der die Sittenwidrigkeit des Verhaltens begründenden Umstände hat (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 826 Rn. 26).
42
Es kann offen bleiben, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines vorsätzlichen Verhaltens und eines Sittenverstoßes vorliegen, denn eine Schadensersatzpflicht kann nur angenommen werden, wenn die Klagepartei den Nachweis der konkreten haftungsbegründenden Kausalität für ihre Kaufentscheidung am 14.09.2018 führen kann. Dies ist indes vorliegend nicht der Fall.
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1. Für die Annahme der Kausalität reicht es nicht aus, dass die fehlerhaften Testate nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg in Gestalt der streitgegenständlichen Aktienkäufe entfiele. Vielmehr setzt die Haftung den Nachweis der konkreten Kausalität für den Willensentschluss des Anlegers voraus. Denn § 826 BGB gewährleistet keinen allgemeinen Schutz des enttäuschten Anlegervertrauens. Eine solche generelle, unabhängig von der Kenntnis des potentiellen späteren Anlegers bestehende Kausalität des Testatmangels wäre unvertretbar, weil sie im Sinne einer Dauerkausalität auf unabsehbare Zeit auch jedem beliebigen späteren Aktienerwerber stets zugute käme (vgl. OLG Stuttgart 12 U 147/05 mwN). Der Anleger hat daher im Rahmen des § 286 ZPO darzulegen und zu beweisen, dass er den Unternehmensbericht nebst Testat gelesen bzw. gekannt hat und zumindest auch hierauf seine Entscheidung gestützt hat (vgl. BGH VII ZR 236/19 Rn. 37; BGH NJW-RR 2008, 1004 Rn. 20).
44
Vorliegend ergibt sich aus den Erklärungen des Klägervertreters für die Klagepartei im Rahmen der informatorischen Anhörung im Termin eine konkrete haftungsbegründende Kausalität der Testate der Beklagten für ihre Kaufentscheidung indes nicht:
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Der Kläger selbst, dessen persönliches Erscheinen zum Termin angeordnet war, ist nicht erschienen, hat aber dem Unterbevollmächtigten eine Vollmacht nach § 141 Abs. 3 ZPO erteilt. Im Rahmen der informatorischen Anhörung hat der Unterbevollmächtigte für den Kläger angegeben, er Kläger habe, im Jahr 1980 angefangen, in Aktien zu investieren. Seine Investitionen seien konservativ. Er habe wegen der guten Beurteilungen durch die Beklagte … investiert.
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Er habe sich die Bilanzen, Konzernabschlüsse und Kennzahlen angeschaut, bevor er in … investiert habe. Die Testate der Beklagten seien für seine Investitionen erheblich gewesen, denn … im Dax gewesen und entsprechend von der Beklagte geprüft.
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Ein Einfluss der Testate der Beklagten in den Jahresberichten der … von 2016 bis 2017 auf die am 14.09.2018 gefasste Kaufentscheidung der Klagepartei kann vor dem Hintergrund dieser Einlassung nicht festgestellt werden. Dass und unter welchen Umständen die Klagepartei überhaupt Kenntnis von der Erteilung der Testate durch die Beklagte, geschweige denn von den Testaten selbst und ggf. welchen erlangt hat, ist nicht schlüssig vorgetragen. Die pauschale Behauptung, dass der Kläger sich die Bilanzen, Konzernabschlüsse und Kennzahlen angeschaut habe, ist nicht überzeugend. So konnte bereits nicht dargelegt werden, welches Testat sich der Kläger wo angeschaut habe. Im Übrigen konnten zu den konkreten Umständen der Kaufentscheidung keinerlei Angaben gemacht werden. Es liegen somit keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Testate der Beklagten, insbesondere das Testat zum Geschäftsjahr 2017, das sich bei der ersten streitgegenständlichen Kaufentscheidung auf schon 9 Monate alte Zahlen zum Stichtag 31.12.2017 bezog, irgendeine, geschweigen denn eine entscheidende Rolle gespielt haben.
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2. Die Klagepartei kann sich auch nicht auf die Kausalitätsvermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens berufen.
49
Der Bundesgerichtshof nimmt in ständiger Rechtsprechung an, dass derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweispflichtig dafür ist, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte also den Rat oder Hinweis unbeachtet gelassen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 08.05.2012, XI ZR 262/10 Rn. 26). Eine solche „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens“ zugunsten eines Anlegers wird vom Bundesgerichtshof jedoch ausschließlich im Bereich der Verletzung vertraglicher oder vorvertraglicher Aufklärungspflichten angenommen (vgl. BGH, Urteil vom 19.11.2019, Az. VI ZR 575/16 Rn. 23 mwN). Außerhalb (vor-)vertraglicher Beziehungen, insbesondere im hier einschlägigen Bereich des Deliktsrechts, wird diese Rechtsfigur grundsätzlich nicht herangezogen (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az. VI ZR 541/15, Rn. 30 mwN). Im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 04.06.2013 (vgl. Az. VI ZR 293/12, Rn. 25 ff. mwN) wurde für den Tatbestand der sittenwidrigen Schädigung gern. § 826 BGB entschieden, dass auf den Nachweis der konkreten Kausalität nicht verzichtet werden kann, da der Kaufentschluss Folge einer individuellen Willensentscheidung und sich damit einer typisierenden Betrachtung. Im Rahmen des § 826 BGB bedarf es grundsätzlich eines Nachweises des konkreten Kausalzusammenhangs zwischen Täuschung und der Willensentscheidung des Anlegers, da sonst eine uferlose Ausweitung des ohnehin offenen Haftungstatbestandes der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung auf diesem Gebiet drohte (vgl. BGH aaO).
50
Von diesem Grundsatz besteht zwar dann eine Ausnahme, wenn es um die Haftung eines Wirtschaftsprüfers für unrichtige Bestätigungsvermerke geht, die in Prospekten Verwendung gefunden haben (vgl. BGH in NZG 2020, 1030, 1033). Diese Rechtsprechung ist aber auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, da unstreitig kein Prospekt für das Aktieninvestment existierte und die Klagepartei auch nicht prospektgestützt beraten wurde.
51
3. Die Klagepartei kann sich hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität auch nicht auf einen Anscheinsbeweis berufen.
52
Der Anscheinsbeweis gilt nur für typische Geschehensabläufe, bei denen ein bestimmter Sachverhalt nach der Lebenserfahrung auf das Hervorrufen einer bestimmten Folge schließen lässt. Die Anlageentscheidung eines potentiellen Aktienkäufers erfolgt jedoch nicht im Rahmen eines typischen Geschehensablaufs, sondern stellt jeweils eine durch vielfältige rationale und irrationale Faktoren, insbesondere auch durch spekulative Elemente beeinflusste Willensentscheidung dar.
53
Die Annahme eines Anscheinsbeweises ist daher im Falle einer falschen Kapitalmarktinformation nur denkbar, wenn diese zu einer regelrechten positiven Anlagestimmung geführt hat (BGH NJW 2008, 76 Rn. 14). Nach der Rechtsprechung des BGH ist bei ad-hoc-Mitteilungen und Prospektangaben nur in Ausnahmefällen eine solche Anlagestimmung zu bejahen (vgl. BGH, Urteil vom 04.06.2007, Az. II ZR 147/05 ComROAD IV Rn. 27 mwN).
54
Selbst wenn man diese Rechtsprechung auf testierte Jahresabschlüsse übertragen wollte, ist zu berücksichtigen, dass für den Aktienkauf vor allem die Entwicklungspotenziale eines Unternehmens, die allgemeine Marktentwicklung und das Börsenumfeld von Bedeutung sind. Dass Testate das Börsenpublikum generell in der Einschätzung und Bewertung eines Unternehmens bzw. einer Aktie bewogen haben, begründet für sich allein noch keine Anlagestimmung (vgl. BGH aaO Rn. 14). Andererseits kommt es im Zusammenhang mit der Anlagestimmung nicht darauf an, ob der Anleger den Unternehmensbericht mit dem Testat gelesen oder gekannt hat (vgl. BGH, Urteil vom 14.07.1998, Az. IX ZR 173/97 Rn. 29 mwN). Ausschlaggebend ist vielmehr, dass der Bericht die Einschätzung eines Wertpapiers in Fachkreisen mitbestimmt und damit eine Anlagestimmung erzeugt hat, die der Erwerber für sich in Anspruch nehmen kann. Um die rein hypothetische Frage, ob die Erteilung eines anderen, eingeschränkten Bestätigungsvermerks durch die Beklagte oder durch die Verweigerung des Bestätigungsvermerkes überhaupt, zu einem Einbruch des Aktienkurses und damit zu einer negativen Anlagestimmung geführt hätte, geht es indes – anders als die Klagepartei meint – nicht. Zu fragen ist allein, ob eine positive, durch einen Unternehmensbericht erzeugte Anlagestimmung vorliegt. Dies ist nicht (mehr) der Fall, wenn im Laufe der Zeit andere Faktoren für die Einschätzung des Wertpapiers bestimmend werden, zum Beispiel eine Änderung des Börsenindex, der Konjunktureinschätzung oder neuere Unternehmensdaten. Nach der Rechtsprechung des BGH lässt sich die Dauer der von einem Unternehmensbericht ausgehenden Anlagestimmung zwar nicht allgemeingültig festlegen; in aller Regel werden sie jedoch spätestens ein Jahr nach Veröffentlichung des Unternehmensberichts nicht mehr bestehen (BGH aaO).
55
Vorliegend waren zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Kaufs am 16.09.2018 seit Veröffentlichung des Unternehmensberichts von 2018 jedoch beinahe ein halbes Jahr vergangen. Zudem mangelt es an jeglichem Sachvortrag der Klagepartei zum Bestehen einer positiven Anlagestimmung im September 2018, die allein oder zumindest maßgeblich von Bestätigungsvermerken der Beklagten auf den Jahresabschlüssen der … hervorgerufen wurde. Mit der bevorstehenden Aufnahme der … Aktie in den Dax zum September 2018 sind bereits andere gewichtige kursbeeinflussende Merkmale vorhanden. Eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Stimmungsbild zum Investitionszeitpunkt des Klägers wurde nicht vorgelegt.
56
III. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 332 HGB besteht nicht.
57
Nach § 332 Abs, 1 HGB macht sich ein Abschlussprüfer strafbar, wenn er einen unrichtigen Bericht erstattet, erhebliche Umstände im Prüfbericht verschweigt oder einen unrichtigen Bestätigungsvermerk erteilt. In sämtlichen Varianten erfordert die Strafnorm hierbei einen Vorsatz des Täters.
58
In der ersten Variante ist erforderlich, dass der Prüfbericht unrichtig ist. Unrichtig ist der Bericht dann, wenn das mitgeteilte Ergebnis von den subjektiv-individuellen Prüfungsfeststellungen des Prüfers abweicht. Allein entscheidend ist also nicht die Abweichung des Berichts von der Wirklichkeit, sondern das Abweichen des Berichts vom Ergebnis der Prüfung. Der Abschlussprüfer, der aufgrund fehlerhafter Feststellungen einen objektiv unrichtigen Prüfungsbericht erstellt und hierüber zutreffend berichtet, macht sich nicht nach § 332 HGB strafbar (MüKoHGB/Klinger, 4. Aufl. 2020, HGB § 332 Rn. 19, 20).
59
Ein Verschweigen im Sinne der zweiten Variante bedeutet die Nichterwähnung von Umständen und Sachverhalten, die dem Prüfer bei der Prüfung bekannt geworden sind und durch deren Nichterwähnung der Prüfungsbericht unvollständig oder lückenhaft wird (MüKoHGB/Klinger, 4. Aufl. 2020, HGB § 332 Rn. 27).
60
Der Bestätigungsvermerk ist unrichtig im Sinne der dritten Variante, wenn er nicht mit dem Ergebnis der Prüfung übereinstimmt. Dies bedeutet, dass der konkrete Bestätigungsvermerk nach dem Prüfungsergebnis, wie es sich für den Prüfer subjektiv darstellt, nicht hätte erteilt werden dürfen (MüKoHGB/Klinger, 4. Aufl. 2020, HGB § 332 Rn. 29).
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Alle drei Tatbestandsalternativen des § 332 HGB sind nur bei vorsätzlichem Handeln strafbar. Bedingter Vorsatz ist ausreichend, fahrlässiges Handeln ist straflos. Beim bedingten Vorsatz muss der Prüfer die Möglichkeit einer unrichtigen Berichterstattung, des Verschweigens erheblicher Umstände oder des Erteilens eines inhaltlich unrichtigen Bestätigungsvermerks nach § 332 erkennen, gleichwohl aber – das heißt trotz dieser Erkenntnis – den Prüfungsbericht erstatten bzw. den Bestätigungsvermerk erteilen (MüKoHGB/Klinger, 4. Aufl. 2020, HGB § 332 Rn. 34, 35).
62
Auch insoweit kann indes dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines vorsätzlichen Verhaltens vorliegen, denn – wie bereits oben unter II. dargestellt-- mangelt es vorliegend am Nachweis der Kausalität der Prüfungen der Beklagten für den bei der Klagepartei eingetretenen Schaden. Auf die obigen Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen
B.
63
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
C.
64
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.