Inhalt

LG München I, Endurteil v. 07.12.2022 – 1 S 6696/22 WEG
Titel:

Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Ordnungsmäßige Verwaltung, Eigentümerversammlung, Wohnungseigentumsgesetz, Abrechnungsergebnisse, Wohnungseigentümerversammlung, Elektronischer Rechtsverkehr, Verteilungsschlüssel, Jahresabrechnung, Teilungserklärung, Werdender Wohnungseigentümer, Einzelabrechnung, Charta der Grundrechte, Verwaltungsbeirat, Einzelner Wohnungseigentümer, WEG-Versammlung, Anderer Wohnungseigentümer, Abrechnungsspitzen

Leitsatz:
Die Wohnungseigentümer beschließen nur noch über die Abrechnungsspitze, nicht jedoch über deren Berechnungsgrundlagen. Fehler im Rahmen der Jahresabrechnung oder des Vermögensberichts rechtfertigen eine Ungültigerklärung daher nur noch insoweit, als diese für das Abrechnungsergebnis relevant sind. Die richtige und vollständige Darstellung des sonstigen Vermögens im Vermögensbericht ist jedoch für das Abrechnungsergebnis in aller Regel irrelevant. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Wohnungseigentum
Vorinstanz:
AG München, Urteil vom 01.06.2022 – 1295 C 10514/21 WEG
Fundstellen:
BeckRS 2022, 60010
LSK 2022, 60010
ZMR 2024, 1068

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 01.06.2022, Az. 1295 C 10514/21 WEG, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts München ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwehren, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für beide Instanzen in Abänderung der amtsgerichtlichen Streitwertfestsetzung auf 366.093,20 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf die amtsgerichtliche Entscheidung Bezug genommen. Ergänzend wird in der gebotenen Kürze Folgendes festgestellt:
2
Die Klägerin beantragte erstinstanzlich die Feststellung der Nichtigkeit, hilfsweise die Ungültigerklärung der Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 08.06.2021 zu den Tagesordnungspunkten 2 (über die virtuelle Eigentümerversammlung), 3.1 (Genehmigung des Ergebnisses der Gesamtabrechnung 2019 vom 24.06.2020 mit vorgenommenen Periodenabgrenzungen (Forderungen/aktive Rechnungsabgrenzung bzw. Verbindlichkeiten/passive Rechnungsabgrenzung)), TOP 3.2 (Genehmigung des Ergebnisses der Einzelabrechnungen 2019 vom 24.06.2020), TOP 4.2 (Genehmigung des Ergebnisses der Gesamtabrechnung 2020 vom 04.02.2021 mit darin vorgenommenen Periodenabgrenzungen (Forderungen/aktive Rechnungsabgrenzung bzw. Verbindlichkeiten/passive Rechnungsabgrenzung)), TOP 4.3 (Genehmigung des Ergebnisses der Einzelabrechnungen 2020 vom 04.02.2021), TOP 6 (Fortführung monatlicher Hausgeldvorauszahlungen gemäß den Einzelwirtschaftsplänen vom 13.03.2019), TOP 7 (Gestattung des Anbringens von zwei Außenrollos für die Wohnung 27 und die Wohnung 24), TOP 8 (Beauftragung der Firma … zum maximal zulässigen Zuschnitt der Bäume gemäß Angebot vom 22.11.2019 zu einem Preis von 18.550 €), TOP 9 (malerische Überarbeitung der Fenster der Häuser 86 und 86 b) und TOP 12 (Kostenbelastung der Leckortung in Höhe von 214,20 € für den Eigentümer, in dessen Einheit der Leckortungsbericht angefallen ist).
3
Hinsichtlich des Inhalts der Beschlüsse wird auf das Protokoll der Eigentümerversammlung vom 08.06.2021 (Anlage K4) Bezug genommen.
4
Die Beklagte beantragte erstinstanzlich Klageabweisung.
5
Das Amtsgericht München hat der Klage mit Urteil vom 01.06.2022 im Hilfsantrag stattgegeben.
6
Zur Begründung wird ausgeführt, zum Zeitpunkt der Einladung sei das Abhalten einer Eigentümerversammlung nach § 5 der 12. BaylfSMV in der Fassung vom 05.05.2021 nicht zulässig gewesen. Eine Teilnahme sei den Eigentümern daher nicht zumutbar gewesen. In der Einladung sei auch explizit darauf hingewiesen worden, dass ein gesetzliches Verbot zur Abhaltung einer Präsenz-Eigentümerversammlung besteht. Daher wäre es Pflicht der Verwalterin gewesen, die Versammlung entsprechend zu verschieben, um das Teilnahmerecht der Eigentümer nach § 23 Abs. 1 WEG als deren elementares Kernrecht zu gewährleisten. Dies gelte umso mehr, als eine besondere Dringlichkeit, die der Verschiebung um wenige Wochen entgegengestanden hätte, nicht vorgetragen sei. Der Umstand, dass die Versammlung nach Änderung der infektionsschutzrechtlichen Lage durch die ab 07.06.2021 geltende 13. BaylfSMV vom 05.06.2021 ohne signifikante Einschränkungen als Präsenzversammlung hätte durchgeführt werden können, ändere hieran nichts, denn es sei nicht Aufgabe der Wohnungseigentümer, die rechtlichen Entwicklungen zu verfolgen und aus der jeweils gültigen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung herauszulesen, ob sie nunmehr gegebenenfalls doch ohne Begehung einer Ordnungswidrigkeit an der Versammlung teilnehmen könnten. Zudem sei es nicht zulässig gewesen, eine digitale Teilnahme über Zoom ohne vorangegangenen Beschluss zuzulassen. Auch reiche die Möglichkeit des virtuellen Verfolgens der Eigentümerversammlung ohne jegliche Einflussmöglichkeit nicht aus, um die Beschneidung der wesentlichen Eigentümerrechte auszugleichen. Dass entgegen dem Wortlaut der Einladung, wonach Wortmeldungen über Zoom nicht erlaubt seien, tatsächlich später doch Wortmeldungen zugelassen wurden, ändere hieran nichts. Auch stehe die Zuschaltung nach dem Wortlaut der Einladung unter der Bedingung, dass eine Stimmrechtsvollmacht erteilt wird. Dies sei nicht zulässig. Dass die Klägerin selbst eine solche Vollmacht erteilt habe, stehe dem nicht entgegen. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Klägerin bei einer allgemeinen Diskussion in einer Präsenzveranstaltung Argumente hätte vorbringen können, die zu einer anderen Beschlussfassung geführt hätten.
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Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit am 09.06.2022 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Die Berufung wurde mit am 08.07.2022 eingegangenem Schriftsatz form- und fristgerecht begründet.
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Mit der Berufung verfolgt die Beklagte den erstinstanzlich gestellten Klageabweisungsantrag weiter. Ihrer Ansicht nach ist das Amtsgericht zu Unrecht vom Bestehen eines Versammlungsverbots im Zeitpunkt der Einladung ausgegangen. Denn § 5 der 12. BaylfSMV sei auf WEGVersammlungen nicht anwendbar, weil WEG-Versammlungen privatrechtliche, von Gesetzes wegen nicht-öffentliche Versammlungen seien. Zudem gestatte § 7 Abs. 2 der 12. BaylfSMV unter bestimmten Voraussetzungen das Abhalten von Versammlungen nach Art. 8 GG in geschlossenen Räumen. Diese Ausnahmeregelung müsse auch für WEG-Versammlungen gelten. Zumindest sei Art. 8 GG im Lichte von Art. 12 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entsprechend weit auszulegen. Entscheidend sei im Übrigen, dass am Versammlungstag selbst das Versammlungsverbot nicht mehr bestanden habe. Insofern sei es den einzelnen Eigentümern auch nicht unzumutbar, sich über die geltende Rechtslage im Versammlungszeitpunkt zu informieren.
9
Selbst wenn man einen formellen Fehler im Rahmen der Einladung annehme, fehle es an der Kausalität für die Beschlussfassung zu den einzelnen Tagesordnungspunkten, da der Kläger selbst an der Versammlung online habe teilnehmen wollen und im Übrigen Vollmacht erteilt habe. Die Beklagte beantragt in diesem Zusammenhang die Zulassung der Revision hinsichtlich der Frage, ob ein Versammlungsverbot im Einladungszeitpunkt die Ungültigerklärung der Beschlüsse rechtfertige und ob eine WEG-Versammlung unter den Schutz des Art. 8 GG oder des Art. 12 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Verbindung mit Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention falle. Ferner wurde gemäß Art. 267 Absatz 3 AEUV die Vorlage an den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens beantragt, weil der enge Versammlungsbegriff gemäß Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die sich hierauf stützenden Entscheidungen der nationalen Gerichte nicht mit Art. 12 Abs. 1 der Europäischen Grundrechtecharta vereinbar sei.
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Die Klägerin beantragte die Zurückweisung der Berufung. Sie meint, die Abhaltung von WEG-Versammlungen falle nicht unter den Anwendungsbereich von § 7 der 12. BaylfSMV. Im Übrigen käme es hierauf auch nicht an, weil die Verwaltung bei der Einladung selbst von einem solchen Verbot ausgegangen sei. Da die Versammlung erst ab 07.06.2021 zulässig geworden sei, fehle es im Übrigen an einer ausreichenden Einhaltung der Ladungsfrist. Die Möglichkeit der digitalen Zuschaltung zur Versammlung, die im Übrigen beim Kläger nicht funktioniert habe, sei mangels vorausgehender Beschlussfassung hierüber unzulässig gewesen. Die gefassten Beschlüsse seien im Übrigen auch aus materiellrechtlichen Gründen aufzuheben. Der Beschluss zu TOP 2 enthalte nicht den notwendigen Inhalt einer Beschlussfassung nach § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG. Die Delegation der gesamten Technik auf den Verwalter sei unzulässig, die Sicherstellung der Nichtöffentlichkeit der Versammlung nicht gewährleistet. Es fehle an der notwendigen Zweifaktorauthentifizierung für eine Online-Teilnahme und einer Regelung des Datenschutzes. Zudem sei nicht geregelt, ob das Stimmrecht entzogen werden solle.
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Der Beschluss zu TOP 3.1 (Gesamtabrechnung 2019) entspreche nicht den Vorgaben des § 28 Abs. 2 Satz 2 WEG n.F. Eine Genehmigung periodengerechter Abgrenzungen in Form von Forderungen und Verbindlichkeiten sei auch nach der WEG-Reform nicht vorgesehen. Die nach dem Beschluss genehmigte Jahresabrechnung sei zudem rechnerisch nicht schlüssig.
12
Bei der Beschlussfassung über die Einzelabrechnungen gemäß TOP 3.2 sei die Abrechnungsspitze nicht ausgewiesen worden.
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Zudem sei teilweise ein falscher Verteilungsschlüssel angewandt worden. Hinsichtlich der Stromkosten werde nicht zwischen dem Wohngebäude und den Kosten der Tiefgarage unterschieden, obwohl dies in der Versammlung vom 07.04.2008 zu TOP 7 entsprechend beschlossen worden sei. Kabelgebühren seien nur nach den 67 Einheiten, nicht jedoch nach dem allgemeinen Kostenverteilungsschlüssel umgelegt worden. Die Wartung der Tiefgarage sei anteilig nach Stellplätzen und nicht nach allgemeinem Kostenverteilungsschlüssel erfolgt. Die „Direktkosten Sondereigentum“ seien nicht zuzuordnen, die Verwaltervergütung auf der Bemessungsgrundlage im Verwaltervertrag und nicht nach allgemeinem Kostenverteilungsschlüssel umgelegt. Die Kosten des Geldverkehrs beinhalteten mutmaßlich auch Kosten für den Verwalterservice der Hausbank M. e. G., obwohl diese vom Verwalter selbst zu tragen seien. Die Anpassung der Vorschüsse zur Erhaltungsrücklage sei nicht transparent nachvollziehbar. Auch seien aus der Erhaltungsrücklage finanzierte Maßnahmen in der Einzelabrechnung noch einmal verteilt. Die Warmwasserkosten seien unzulässigerweise mit einer von der Wohnfläche abweichenden beheizbaren Wohnfläche abgerechnet worden. Außerdem seien nicht alle Ausgaben des Jahres 2019 verteilt worden. Eine Vorverteilung auf die einzelnen Gebäude der WEG bzw. der Tiefgarage habe nicht stattgefunden.
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Die Beschlussfassung zu TOP 4.2 (Gesamtabrechnung 2020) enthalte dieselben Fehler wie die Gesamtabrechnung 2019. Entsprechendes gelte hinsichtlich der Einzelabrechnungen (TOP 4.3). Im Beschluss zu TOP 6 (Hausgeldvorauszahlungen des Wirtschaftsjahres 2021) seien Heizung und Warmwasser nach einer unzutreffenden Kostenschätzung auf die einzelnen Einheiten umgelegt worden. Außerdem seien die Stromkosten der Tiefgarage, die Kabelgebühren, die Kosten des Geldverkehrs und die Verwaltervergütung falsch umgelegt worden.
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Die Beschlussfassung zu TOP 7 hinsichtlich der Gestattung der Anbringung von Außenrollos sei nicht ausreichend bestimmt. Zudem werde der optisch-ästhetische Gesamteindruck beeinträchtigt. Für die Beschlussfassung zu TOP 8 (Zuschnitt der Bäume in den Außenanlagen) fehle es an drei Vergleichsangeboten. Gleiches gelte hinsichtlich TOP 9 (malerische Überarbeitung der Fenster der Häuser 86 und 86 b). Der Beschluss zu TOP 12 (Kostenbelastung der Klägerin hinsichtlich der Leckwartung in Höhe von 214,20 €) widerspräche ordnungsgemäßer Verwaltung, weil die Untersuchungspflicht bei Schäden, die eine Ursache im Gemeinschaftseigentum haben können, bei der Beklagten liege und eine Kostentragung für die Klägerin nur in Betracht käme, wenn diese vorsätzlich zu Unrecht einen auf das Gemeinschaftseigentum zurückzuführenden Schaden gemeldet habe. Dies sei nicht der Fall gewesen.
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Die Kammer hat mit Verfügung vom 10.08.2022 und vom 26.10.2022 richterliche Hinweise erteilt und am 09.11.2022 mündlich zur Sache verhandelt. Auf die erteilten Hinweise, das Protokoll der mündlichen Verhandlung und sämtliche Schriftsätze der Parteivertreter inklusive Anlagen wird ergänzend Bezug genommen.
II.
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Die gemäß § 511 Abs. 1, Abs. 2 ZPO statthafte und nach §§ 517, 519 Abs. 1, 2, § 520 Abs. 1, 2, 3 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Beschlussfassung ist aus mehreren Gründen formell fehlerhaft.
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Zum einen galt für die Wohnungseigentümerversammlung im Einladungszeitpunkt gemäß § 5 S. 1 der 12. BaylfSMV ein gemäß § 29 Nr. 3 BaylfSMV mit Geldbuße bewehrtes Versammlungsverbot, weswegen zu dieser Zeit überhaupt nicht zu der Versammlung hätte eingeladen werden dürfen. Eine ordnungsgemäße Einladung lag ferner auch deshalb nicht vor, weil dem Kläger nach deren Wortlaut die präsente Teilnahme vollständig verwehrt wurde. Weiter entsprach es nicht ordnungsgemäßer Verwaltung, ohne vorherige Beschlussfassung die Online-Teilnahme an der Versammlung zu gestatten.
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Außerdem entsprechen die gefassten Beschlüsse materiellrechtlich nicht ordnungsgemäßer Verwaltung. Im Einzelnen ist hierzu folgendes auszuführen:
A. Formelle Fehler:
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1. Im Zeitpunkt der Versendung der Einladung am 11.05.2021 war die Durchführung von präsentischen Wohnungseigentümerversammlungen gemäß § 5 der zu dieser Zeit geltenden 12. BaylfSMV generell unzulässig. Nach der im Zeitpunkt der Versendung der Einladung gültigen Rechtslage war es den Eigentümern infolge der geltenden gesetzlichen Regelungen daher nicht zumutbar, zu der Eigentümerversammlung zu erscheinen. Dementsprechend entspricht es auch nicht ordnungsgemäßer Verwaltung, zu einer solchen Eigentümerversammlung einzuladen. Dieser formelle Fehler der Einladung wird auch nicht dadurch geheilt, dass das Verbot mit Inkrafttreten der 13. BaylfSMV am 07.06.2021, also einen Tag vor der Versammlung, aufgehoben wurde. Die formell rechtswidrige Einladung hat sich auch kausal auf die angefochtene Beschlussfassung ausgewirkt.
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1.1. Die Durchführung einer Wohnungseigentümerversammlung war im Einladungszeitpunkt gemäß § 5 Satz 1 der 12. BaylfSMV landesweit untersagt. Dem steh nicht entgegen, dass § 5 Satz 1 der 12. BaylfSMV sich im 2. Teil der Verordnung befindet, der mit „öffentliches Leben“ überschrieben ist. Zwar gilt für Wohnungseigentümerversammlungen der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit, d.h. sie sind grundsätzlich im Interesse des freien, unbeeinflussten Meinungsaustauschs der Wohnungseigentümer nur einem beschränkten Teilnehmerkreis zugänglich und es muss räumlich gewährleistet sein, dass nichtteilnahmeberechtigte Dritte keinen Einblick in den Verlauf der Versammlung bekommen können (std. Rechtsprechung, vgl. schon BGH V ZB 24/92; T. Spielbauer in Spieldauer/Then, WEG, 3. Aufl., § 24 Rn. 3). Aus dem Umstand, dass eine WEG-Versammlung nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich ist, lässt sich jedoch nicht ableiten, dass Wohnungseigentümerversammlungen infektiosnschutzrechtlich nicht dem „öffentlichen Leben“ zuzuordnen wären und damit auch keine Veranstaltung bzw. Versammlung im Sinne des § 5 der 12. BaylfSMV sei. Denn der wohnungseigentumsrechtliche Begriff der Nichtöffentlichkeit und die infektionsschutzrechtlichen Differenzierungen der 12. BaylfSMV haben eine völlig unterschiedliche Zielrichtung. Infektionsschutzrechtlich relevant ist nämlich nicht nur eine Unterscheidung danach, ob ein Kreis grundsätzlich in sich abgeschlossen oder beliebig erweiterbar ist, sondern vielmehr vor allem, ob das Treffen zu Kontakten zwischen Menschen führt, die sich ansonsten nicht regelmäßig begegnen, ob also Menschen außerhalb ihrer üblichen familiären oder freundschaftlichen Bindungen zusammentreffen. Aus infektionsschutzrechtlicher Sicht umfasst der Begriff des „öffentlichen Lebens“ nämlich nicht nur Bereiche, die für jedermann zugänglich oder einsehbar sind. Entscheidend für die Differenzierung zwischen dem öffentlichen und dem privaten Bereich ist hier vielmehr die infektionsschutzrechtliche Zielrichtung, Zusammenkünfte von größerer Personengruppen aus unterschiedlichen Haushalten zu unterbinden, um Ansteckungscluster (sogenannter Superspreadingevents) soweit als möglich zu verhindern. Im Gegensatz zu einem Zusammentreffen im rein privaten Kreis, das von persönlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen mit häufigeren Begegnungen geprägt ist und bei dem regelmäßig auch nicht sehr viele verschiedene Personen bzw. Haushalte zusammentreffen, gehen mit der Durchführung einer Wohnungseigentümerversammlung nahezu zwingend Kontakte mit einer Vielzahl verschiedener Haushalte einher, zu denen üblicherweise sonst keine nähere persönliche Bindung besteht. Auch wenn Wohnungseigentümerversammlungen grundsätzlich „geschlossene Veranstaltungen“ in dem Sinn sind, dass sie nicht für jede beliebige Person zugänglich sind, kann der mögliche Teilnehmerkreis einer solchen Versammlung insbesondere bei größeren Wohnungseigentumsgemeinschaften durchaus mehrere 100 Personen umfassen, die schon per definitionem aus vielen verschiedenen Haushalten stammen und in der Regel – anders als bei einer Zusammenkunft im rein privaten Kreis – normalerweise ansonsten keinen engeren Kontakt zueinander haben. Bei Wohnungseigentümerversammlungen handelt es sich daher zum einen um größere Zusammenkünfte einander ansonsten regelmäßig nicht nahestehender Personen mit entsprechend hohem Ansteckungspotenzial, zum anderen aber auch nicht um Zusammenkünfte im grundrechtlich besonders geschützten rein privaten Lebensbereich; sie sind daher nach dem Schutzzweck der Infektionsschutzverordnung dem öffentlichen Leben und nicht dem reinen Privatbereich zuzuordnen (vgl. ebenso AG Kaufbeuren, Urteil vom 9. September 2021 – 5 C 34/21 –; AG München, Beschluss vom 25.02.2021, 1291 C 2946/21; LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 29.03.2021, Az. 2-13 C7/21). Dies ergibt im Übrigen auch ein Vergleich mit § 15 der 12. BaylfSMV, wonach auch Tagungen, Kongresse, Messen und „vergleichbare Veranstaltungen“ untersagt sind. Auch eine Fachtagung ist regelmäßig eine zwar nicht jedermann zugängliche, aber eine einen größeren Personenkreis umfassender Zusammenkunft von Personen, die ansonsten nicht in regelmäßigem oder engem Kontakt stehen. Insofern scheint es aus infektionsschutzrechtlicher Hinsicht verfehlt, eine solche Tagung zu untersagen, eine Wohnungseigentümerversammlung hingegen nicht. Dass die Zugehörigkeit zum öffentlichen Bereich infektionsschutzrechtlich nicht allein daran scheitert, dass der Teilnehmerbereich begrenzt ist, zeigt im Übrigen auch ein Vergleich mit den im damaligen Zeitpunkt geltenden Infektionsschutzvorschriften anderer Bundesländer. So differenziert zum Beispiel auch die Coronaschutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 11.03.2021 den „öffentlichen Raum“ gemäß § 1 Abs. 5 als denjenigen Bereich, der nicht vom Schutzbereich des Art. 13 GG umfasst ist, was zur Folge hat, dass eine Wohnungseigentümerversammlung auch dann im „öffentlichen Raum“ stattfindet, wenn zu diesem Bereich, wie es gesetzlich vorgesehen ist, nur Wohnungseigentümern Zutritt gewährt wird. Gleiches gilt für § 1 Abs. 4 der hessischen Coronaschutzverordnung (vgl. dazu LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 29.03.2021, Az. 2-13 C7/21).
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1.2. Der Ausnahmetatbestand des § 7 der 12. BaylfSMV ist auf Wohnungseigentümerversammlungen nicht anwendbar. Denn die Wohnungseigentümerversammlung unterfällt nicht dem besonderen Schutz des Art. 8 GG. Unter einer Versammlung im verfassungsrechtlichen Sinne fallen nur solche Veranstaltungen, die durch eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen gekennzeichnet sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.07.2001 – 1 BvQ 28/01 = NJW 2001, 2459 = DVBl 2001, 1351 = DÖV 2001, 907 = BayVBl 2001, 687 = NJ 2002, 27; sog. enger Versammlungsbegriff). Kennzeichnend für eine Versammlung im verfassungsrechtlichen Sinn ist mithin, dass ihr Ziel die gemeinschaftlichen Meinungskundgabe ist (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 31. März 2022 – 202 ObOWi 220/22 –). Ziel einer WEG-Versammlung ist demgegenüber nicht die Kundgabe bzw. Verbreitung einer bereits vorhandenen gemeinsamen Meinung, sondern sie dient vielmehr dem Prozess der Willens- und Meinungsbildung selbst. Sie ist daher nicht auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet und unterfällt deswegen auch er nicht der in § 7 der 12. BaylfSMVG vorgesehenen Ausnahmeregelung für Versammlungen im Sinn des Art. 8 GG.
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1.3. In diesem Zusammenhang bestand für die Kammer auch keinerlei Veranlassung dazu, das Verfahren gemäß Art. 267 AEUV dem EuGH vorzulegen.
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1.3.1. Die enge Auslegung des verfassungsrechtlichen Versammlungsbegriffs steht nicht im Widerspruch zu Art. 12 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Der Wortlaut des Art. 8 GG ist nämlich sogar weiter gefasst als Art. 12 der Grundrechtecharta, denn er enthält anders als letztere überhaupt keine Regelbeispiele für den Versammlungszweck; soweit Art. 12 der Grundrechtecharta insoweit explizit auch den „zivilgesellschaftlichen Bereich“ erwähnt, bedeutet dies daher nicht, dass dessen verfassungsrechtlicher Schutzbereich über den Zweck der freien gemeinsamen Meinungskundgabe hinausgeht.
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1.3.2. Vor allem ist die Reichweite des Schutzbereichs des Art. 12 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union aber hier auch nicht entscheidungsrelevant. Nach Art. 51 der Grundrechtecharta findet diese nämlich nur insoweit Anwendung, als es um die Umsetzung von Unionsrecht geht. Ein Bezug zu Unionsrecht ist hier in keiner Weise ersichtlich.
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1.3.3; Im Übrigen war die von der Beklagten beantragte Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV ferner auch deswegen nicht veranlasst, weil es für die Entscheidung wegen der weiteren formellen und materiellen Fehler der gefassten Beschlüsse nicht allein auf das Bestehen eines Versammlungsverbots ankommt (vgl. dazu nachfolgend Ziffer 2, 3 und B).
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1.4. Selbst wenn man unterstellt, dass das Versammlungsverbot des § 5 der BaylfSMV auf Wohnungseigentümerversammlungen infolge von deren Nichtöffentlichkeit nicht anwendbar ist, durften sich gemäß § 1 a Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 der 12. BaylfSMV Stand 05.05.22 (BayMBl. 2021 Nr. 307) bei einer (für München an diesem Tag gemäß Anlage K24 zugrundezulegenden) 7-Tage-Inzidenz von zwischen 35 und 100 nur Angehörige zweier Hausstände mit insgesamt nicht mehr als 5 Personen treffen, Geimpfte und Genesene nicht mitgezählt. Theoretisch wäre daher selbst ein (privates) Treffen des Verwalters mit den drei Beiräten nur unter der Voraussetzung möglich gewesen, dass alle Beteiligten entweder geimpft oder genesen sind. Das war Anfang Mai 2021, als die Impfung gegen SARS-CoV-2 gerichtsbekannt noch nicht allgemein verfügbar, sondern vielmehr nur bestimmten Risikogruppen zugänglich war, unwahrscheinlich (wenn auch nicht unmöglich). Da der Verwalter und die Beiratsmitglieder selbst bei Teilnahme von nur einem Beiratsmitglied bereits aus mindestens zwei Haushalten stammen, wäre die Teilnahme jedem weiteren ungeimpften und nicht genesenen Eigentümer in jedem Fall untersagt gewesen. Zumindest insofern bestand also mutmaßlich auch für einen beträchtlichen Teil der Eigentümer ein nicht durch Eigeninitiative überwindbares Teilnahmeverbot. Auch deswegen widersprach es ordnungsgemäßer Verwaltung, bei dieser Pandemielage eine Eigentümerversammlung einzuberufen. Die Anberaumung einer Eigentümerversammlung war daher im verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt unzulässig.
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1.5. Die formelle Rechtswidrigkeit der Einladung wird auch nicht dadurch geheilt, dass mit Inkrafttreten der 13. BaylfSMV am 07.06.2021 Eigentümerversammlungen grundsätzlich inzidenzabhängig zulässig wurden. Eine Einladung, die zu einem gesetzlich verbotenen Tun auffordert, entfaltet nicht die Rechtsfolgen einer wirksamen Einladung nach § 24 Abs. 4 WEG; sie ist vielmehr in ihrer Wirkung einer (wenn auch unabsichtlichen) Nicht-Einladung gleichzusetzen. Ein Wohnungseigentümer, der eine entsprechende Einladung erhält und das Vorliegen eines Versammlungsverbots feststellt, darf diese Ladung vielmehr legitimerweise als unzureichend ignorieren. Insbesondere sind die Wohnungseigentümer bei dieser Rechtslage nicht gehalten, täglich zu überprüfen, ob und wenn ja in welcher Form eine Versammlung gegebenenfalls zum anberaumten Termin doch noch durchgeführt werden könnte. Denn die Einladungsplanung und Durchführung der Versammlung ist originäre Aufgabe des Verwalters. Der Umstand, dass sich am Tag vor der Versammlung die Rechtslage geändert hat, vermag anders ausgedrückt nichts mehr an der Tatsache zu ändern, dass keine wirksame Einladung im Sinne des § 24 Abs. 4 WEG vorlag. Selbst wenn man eine Heilung des Fehlers durch Inkrafttreten der 13. BalfSMV unterstellt, wäre die Einladung damit erst am Tag vor der Eigentümerversammlung wirksam geworden. In diesem Fall wäre allerdings die Ladungsfrist des § 24 Abs. 4 S. 2 WEG nicht eingehalten. Denn die Eigentümer mussten sich dann allerfrühestens am Tag vor der Versammlung als eingeladen betrachten. Anders könnte man dies nur dann beurteilen, wenn der Verwalter die Einladung vorab explizit an die Bedingung geknüpft hätte, dass sich die Rechtslage entsprechend ändert. Selbst in diesem hypothetischen Fall müsste man sich allerdings fragen, ob mit Eintritt der Bedingung einen Tag vor der Versammlung noch eine ausreichende Vorbereitungszeit entsprechend der gemäß § 24 Abs. 4 Satz 2 WEG vorgesehenen Frist anzunehmen ist, was eher zu verneinen sein dürfte.
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1.6. Allerdings führt der Umstand, dass im Zeitpunkt der Einladung ein Versammlungsverbot bestand, nicht zur Nichtigkeit der auf der Versammlung getroffenen Beschlüsse. Dabei kann dahinstehen, ob Beschlüsse, die auf einer trotz bestehendem Versammlungsverbot durchgeführten Wohnungseigentümerversammlung gefasst werden, nichtig sind (so z.B. AG München, Urteil vom 19. November 2020 – 483 C 8456/20 WEG, ZMR 2021, 159) oder lediglich anfechtbar sind (so AG Kaufbeuren, Urteil vom 9. September 2021 – 5 C 34/21 –; AG Augsburg, Urteil vom 30. September 2021 – 31 C 2231/20 WEG –). Denn im Zeitpunkt der tatsächlichen Durchführung der Versammlung bestand das Versammlungsverbot nicht mehr. Die Beschlussfassung selbst verstieß daher nicht nach § 23 Abs. 4 WEG gegen ein gesetzliches Verbot. Auch ist eine Ladung unter Verkennung des Bestehens eines Versammlungsverbots zwar in ihrer Wirkung für die Eigentümer einer Nichtladung gleich zu setzen; es wird dadurch jedoch nicht bewusst in den Kernbereich des Wohnungseigentums eingegriffen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung führt die Nichtladung eines Wohnungseigentümers nur dann zur Nichtigkeit der auf dieser Versammlung gefassten Beschlüsse, wenn durch die Nichtladung Mitwirkungsrechte bewusst umgangen werden sollen (vgl. BGH 5. Zivilsenat, Urteil vom 20.07.2012, V ZR 235/11). Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein, zumal aus dem Text der Einladung ersichtlich wird, dass die Verwaltung sich nicht bewusst über das Versammlungsverbot des § 5 der 12. BaylfSMV hinweggesetzt, sondern lediglich dessen Voraussetzungen verkannt hat. Das Bestehen eines Versammlungsverbots im Zeitpunkt der Übersendung der Einladung führt daher nur zur Anfechtbarkeit der auf der Versammlung gefassten Beschlüsse.
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1.7. Dieser Ladungsmangel hat sich kausal auf die streitgegenständliche Beschlussfassung ausgewirkt. Dies gilt selbst dann, wenn man entgegen der Auffassung der Kammer eine Verpflichtung der Eigentümer zur täglichen Überprüfung der Rechtslage zum Bestehen eines Versammlungsverbots unterstellt und den verfahrensgegenständlichen Ladungsfehler damit lediglich als Verstoß gegen die Einhaltung der Ladungsfrist des § 24 Abs. 4 Satz 2 WEG qualifiziert.
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Zwar handelt es sich bei § 24 Abs. 4 Satz 2 WEG nur um eine Sollvorschrift. Sinn und Zweck der Einberufungsvorschriften ist es jedoch unter anderem, den Wohnungseigentümern zu ermöglichen, sich auf die Beratung und Beschlussfassung angemessen vorzubereiten. Aus diesem Grund führt ein Verstoß gegen § 24 Abs. 4 Satz 2 WEG zur Ungültigerklärung der gefassten Beschlüsse, wenn diese auf dem formellen Mangel beruhen.
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Die in einer solchen Versammlung gefassten Beschlüsse sind im Falle der Anfechtung für ungültig zu erklären, sofern der Ladungsfehler für die spätere Beteiligung/Nichtbeteiligung der Wohnungseigentümer an der Versammlung zumindest mitursächlich war. Es wird nach der Rechtsprechung regelmäßig vermutet, dass der angefochtene Beschluss im Sinne einer Kausalitätserwägung auf dem Mangel beruht (BayOLGZ 1992, 79, 82; OLG Köln WE 1996, 311 ff). Die Kausalitätsvermutung kann durch den Nachweis widerlegt werden, dass der Beschluss auch ohne den Verstoß inhaltsgleich gefasst worden wäre (BGH NJW 2002, 1647 ff.; Staudinger/Bub, WEG, 2005, § 24 Rn 146 m.w.N.; LG München I, Urteil vom 27. September 2018 – 36 S 18251/16 WEG –). An den Nachweis der fehlenden Ursächlichkeit des Mangels sind strenge Anforderungen zu stellen, so dass es nicht allein auf die Auswirkung des Abstimmungsverhaltens auf das Abstimmungsergebnis, sondern auch auf die Möglichkeit, in einer der Abstimmung vorausgehenden Aussprache durch überzeugende Argumente das Abstimmungsverhalten der anderen Stimmberechtigten zu beeinflussen, ankommt. Kausal ist ein Ladungsmangel, wenn er die Teilnahme an der Aussprache und an der Abstimmung konkret beeinträchtigt und hierdurch das Beschlussergebnis beeinflusst worden sein kann, das heißt es muss feststehen, dass bei vernünftiger Betrachtungsweise zumindest mit der Möglichkeit zu rechnen war, dass die Wohnungseigentümer ohne den Ladungsfehler anders abgestimmt hätten. Verfahrensrechtlich trägt die Beklagte die materielle Feststellungslast für die Tatsachen, durch die die Kausalitätsvermutung widerlegt werden soll (zu allem OLG Hamburg, ZMR 2006, 704 ff.). Davon kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Zum einen mussten sämtliche Eigentümer bis zum Tag vor der Versammlung davon ausgehen, dass die Versammlung einem Versammlungsverbot unterliegt. Insofern ist es nicht nur nicht auszuschließen, sondern sogar hochgradig wahrscheinlich, dass die Mehrzahl der Eigentümer – wie auch der Geschäftsführer der Klägerin – sich allein schon durch die Gesundheitsvorschriften und die Bedrohung mit einem Ordnungswidrigkeitenverfahren an der persönlichen Teilnahme bei der Versammlung gehindert sahen, weil ihnen die Änderung der Rechtslage nicht bekannt war. Allein deswegen hätte zumindest ein Hinweis der Verwaltung auf das Inkrafttreten der 13. BaylfSMV und die damit einhergehende Möglichkeit der persönlichen Teilnahme an der Versammlung erfolgen müssen. Zudem hätte auch rein zeitlich am Tag vor der Versammlung keine ausreichende Möglichkeit mehr bestanden, sich auf eine persönliche Teilnahme vorzubereiten. Hätte hingegen im Zeitpunkt der Übersendung der Einladung kein gesetzliches Versammlungsverbot bestanden, wären nicht nur der Vertreter der Klägerin, sondern mutmaßlich auch viele andere Eigentümer persönlich zu der Versammlung erschienen und hätten das Abstimmungsergebnis durch entsprechende persönliche Redebeiträge hinsichtlich jedes einzelnen Beschlusses entsprechend beeinflussen können.
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2. Die Durchführung der Eigentümerversammlung der verfahrensgegenständlichen Art und Weise widerspricht auch deswegen ordnungsgemäßer Verwaltung, weil die Einladung vom 11.05.2021 (Anlage K3) bei sorgfältigen Durchlesen von einem verständigen, objektiven Wohnungseigentümer nur dahingehend verstanden werden kann, dass er zum anberaumten Versammlungstermin nicht persönlich erscheinen darf.
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2.1. Zwar ist in der Rechtsprechung zu Recht anerkannt worden, dass es pandemiebedingt nicht zu beanstanden ist, wenn der Verwalter in der Einladung Vertretungsmöglichkeiten bewirbt, sich bei der Größe des angemieteten Saals an der zu erwartenden Teilnehmerzahl orientiert und darauf hinweist, dass bei Überschreiten der Teilnehmerzahl eine Absage vorbehalten bleibt (vgl. LG Frankfurt, Urteil vom 17. Dezember 2020 – 2-13 S 108/20 –; ebenso AG Kassel, Urteil vom 28. Januar 2021 – 800 C 2510/20 –). Die Einladung zur Eigentümerversammlung darf aber andererseits auch nicht so formuliert sein, dass darin eine regelrechte „Ausladung“ der Eigentümer unter Verweisung auf die Möglichkeit der Vollmachtserteilung zu sehen ist. Denn das Recht auf persönliche Teilnahme an einer Eigentümerversammlung zählt zum unantastbaren Kernbereich der Mitgliedschaft des Wohnungseigentümers (siehe etwa OLG Saarbrücken, ZMR 2004, 67; LG Karlsruhe, ZWE 2013, 36, 47; Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 23, Rn. 137; Merle, in: Bärmann, WEG, 14. Aufl. 2018, § 23, Rn. 140 a). Es ist daher unzulässig, den Eigentümern in der Einladung die präsente Teilnahme unter Hinweis auf die Möglichkeit der Benennung eines Vertreters zu verwehren (AG Hamburg-St. Georg, Urteil vom 10. Dezember 2021 – 980 b C 12/21 –; AG Augsburg, Urteil vom 30. September 2021 – 31 C 2231/20 WEG). Dies gilt auch dann, wenn in der Einladung kein ausdrückliches Verbot formuliert ist, bei den Eigentümern aber der Eindruck erweckt wird, ihre Teilnahme sei nicht gewünscht (AG München, Urteil vom 19. November 2020 – 483 C 8456/20 WEG –). Gleiches gilt, wenn zur Vollmachtsübersendung mit dem Hinweis aufgefordert wird, die Versammlung solle „möglichst“ nur durch den Versammlungsleiter abgehalten und protokolliert werden (AG Bottrop, Urteil vom 7. Mai 2021 – 20 C 55/20 –). Ebenso wenig ist es zulässig, die Eigentümer direkt oder indirekt zu einer Bevollmächtigung zu zwingen, indem von der Teilnahme an der Versammlung im Hinblick auf die bestehenden gesundheitlichen Risiken „dringend abgeraten“ wird (AG Ludwigshafen, Beschluss vom 16. März 2021 – 2p C 37/21 –).
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Zusammengefasst ist es zwar grundsätzlich zulässig, im Hinblick auf die Corona-Pandemie die Möglichkeit einer Vollmachtserteilung zu bewerben. Unzulässig sind hingegen Formulierungen, die über die bloße Bewerbung hinausgehenden psychischen Druck in Richtung auf die Vollmachtserteilung aufbauen oder geeignet sind, den Eindruck der Alternativlosigkeit der Vollmachtserteilung zu erwecken. Letzteres ist hier der Fall.
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Die Einladung enthält nämlich zunächst im Fettdruck einen Hinweis auf das gesetzliche Verbot „wie gewohnt (…) eine Präsenz-Eigentümerversammlung mit allen im Grundbuch eingetragenen Eigentümern abzuhalten“. In der Folge wird darauf hingewiesen, dass die geplante „Versammlung mit geringer Teilnehmerzahl“ „möglichst nur mit dem Verwaltungsbeirat“ in den Büroräumen der Hausverwaltung abgehalten werden soll. Schon dies kann – nicht nur, aber insbesondere gerade auch mit Blick auf den gewählten Veranstaltungsort – vom verständigen Leser nur dahingehend verstanden werden, dass eine Teilnahme aller anderen Wohnungseigentümer generell unerwünscht ist. Anschließend folgt, eingeleitet durch das mit vergrößerter Schrift, Fettdruck und Unterstreichung hervorgehobene Wort „wichtig“, der Hinweis, Voraussetzung für die Umsetzung der Versammlung mit geringer Teilnehmerzahl sei, „dass kein Eigentümer auf seinem Recht der persönlichen Teilnahme besteht und zudem auch nicht am Versammlungsort erscheint.“ Auch dies lässt sich bei verständiger Würdigung nur so verstehen, dass Nichtbeiratsmitglieder nicht erscheinen dürfen. Dies wird durch den darauffolgenden Hinweis auf das „grundsätzlich“ bestehende Teilnahmerecht der Eigentümer nicht entkräftet, denn jeder Grundsatz impliziert Ausnahmen. Der anschließende Hinweis auf die Notwendigkeit eines Versammlungsabbruchs oder eine Nichteröffnung bei Überschreitung der zulässigen Teilnehmerzahl kann daher nicht nur so verstanden werden, dass ein Abbruch notwendig wird, wenn zu viele Eigentümer erscheinen, sondern auch dahingehend, dass wegen der Gefahr des Versammlungsabbruchs eine präsente Teilnahme ausnahmsweise gerade nicht vorgesehen ist. Dafür spricht insbesondere auch die Verwendung des Konjunktivs im Zusammenhang mit dem Versammlungsabbruch.
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Es folgt, wiederum vergrößert, in Fettdruck und unterstrichen, die Bitte, dem Verwalter oder dem Verwaltungsbeirat eine Vollmacht zu erteilen und diese vor Beginn der Versammlung unterzeichnet an die Hausverwaltung zurückzusenden. Wer die Eigentümerversammlung mitverfolgen wolle, könne dies per Video-Zuschaltung ohne Wortmeldung und ohne Abstimmungsmöglichkeit tun.
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Diesen Ladungstext kann der verständige, sorgfältig lesenden Wohnungseigentümer nur dahingehend verstehen, dass er auf keinen Fall zu der Präsenzveranstaltung erscheinen soll. Insbesondere der textlich deutlich markierte Hinweis, es sei „Voraussetzung für die Durchführung der Versammlung“, „dass kein Eigentümer auf seinem Recht zur persönlichen Teilnahme besteht und zudem auch nicht am Versammlungsort erscheint“, bringt nicht nur deutlich zum Ausdruck, dass das persönliche Erscheinen der Eigentümer auf Versammlung unerwünscht ist, sondern er lässt sich darüber hinausgehend auch als Verbot verstehen, auf der Versammlung zu erscheinen. Die nachfolgend beiden Sätze sind nicht geeignet, diesen Eindruck zu relativieren. Denn der Hinweis auf die Notwendigkeit eines Versammlungsabbruchs oder einer Nichteröffnung bei Überschreitung der zulässigen Teilnehmerzahl kann im Kontext des vorangehenden Satzes auch als Begründung für ein zuvor ausgesprochenes Erscheinensverbot gelesen werden. Implizit wird zudem zumindest der Eindruck erweckt, dass teilnahmewillige Eigentümer die Durchführung der Versammlung gefährden. Diese Interpretation wird noch einmal verstärkt durch die nachfolgende, noch deutlich stärker hervorgehobene Bitte um Voraberteilung einer Vollmacht, und zwar wiederum nur an den Verwalter und die Beiratsmitglieder, womit wiederum recht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird, dass dies die einzigen erwünschten Teilnehmer sind. Auch der anschließende Hinweis, dass Eigentümer, die die Eigentümerversammlung mitverfolgen wollen, sich per Video zuschalten können, kann im Gegenschluss nur dahingehend verstanden werden, dass eine persönliche präsentische Teilnahme gerade nicht möglich sein soll. Diese Interpretationsmöglichkeit wird weiter verstärkt durch den Hinweis zu TOP 2 betreffend die Beschlussfassung über die virtuelle Eigentümerversammlung auf Seite 4 der Einladung. Dort wird als Voraussetzung für eine virtuelle Eigentümerversammlung neben einer vorangehenden Beschlussfassung auch die Möglichkeit einer Präsenzteilnahme genannt. Darunter befindet in Klammern der Zusatz „aktuell wegen Covid-19 nicht möglich“.
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Zusammengefasst beinhaltet das Einladungsschreiben aus Sicht des objektiven, verständigen Wohnungseigentümers die Einberufung einer Präsenzversammlung des Verwalters und des Verwaltungsbeirats unter impliziter, wenn auch nicht direkt ausdrücklich formulierter Untersagung der präsentischen Teilnahme aller anderen Miteigentümer. Das zum mitgliedschaftlichen Kernbereich zählende Recht auf Teilnahme an der Versammlung wird auch nicht ausreichend dadurch gewährleistet, dass die Wohnungseigentümer Vollmachten erteilen und die Versammlung digital passiv mitverfolgen konnten. Beides vermag die Einflussmöglichkeit im Rahmen einer persönlichen Teilnahme nicht zu ersetzen. Denn die digitale Mitverfolgung war gemäß der Einladung auf das bloße passive Zuhören beschränkt und die Bevollmächtigung eines Vertreters beinhaltet naturgemäß den Verzicht auf jegliche eigene Diskussionsteilnahme.
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2.2. Dieser Beschlussmangel führt allerdings nicht zur Nichtigkeit sämtlicher in der Versammlung gefassten Beschlüsse. Zwar gehört die Teilnahme an der Versammlung wie dargelegt grundsätzlich zum mitgliedschaftlichen Kernbereich der Mitverwaltungsrechte des Wohnungseigentümers. Nicht jeder Eingriff in Teilnahme- und Stimmrechte eines Wohnungseigentümers rechtfertigt aber die Annahme eines nichtigkeitskonstituierenden Kernbereichseingriffs. Insbesondere ist der Kernbereich bei Eingriffen in das Teilnahmerecht, die keinen vollständigen Ausschluss aus der Versammlung bedeuten, nicht betroffen (vgl. z.B. LG Karlsruhe, Urteil vom 17. November 2015, 11 S 46/15; Schultzky in: Jennißen, Wohnungseigentumsgesetz, 7. Aufl. 2021, § 23 WEG Rn. 18). Selbst schwerwiegende Verletzungen elementarer Mitgliedschaftsrechte führen in der Regel nur dazu, dass der formelle Beschlussmangel auch ohne nachgewiesene Kausalität die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses rechtfertigt (vgl. Schultzky a.a.O.) So liegt der Fall hier. Zwar hat die Hausverwaltung mit der gewählten Einladungsformulierung die Teilnahme sämtlicher nicht dem Verwaltungsbeirat angehörender Eigentümer gravierend eingeschränkt; dies geschah jedoch – anders als in dem anerkanntermaßen zur Nichtigkeit führenden Fall der bewussten Nichtladung eines einzelnen Eigentümers – nicht in rechtswidriger Benachteiligungsabsicht, sondern vielmehr in dem grundsätzlich anerkennenswerten Versuch, selbst unter den Umständen einer Pandemie mit nahezu täglich wechselnden rechtlichen Bestimmungen bei gerichtlich noch im Wesentlichen ungeklärter Rechtslage irgendwie eine Versammlung zu ermöglichen. Damit versuchte die Verwaltung, dem berechtigten Anliegen der Eigentümer auf eine angemessene Selbstverwaltung trotz Pandemie so weitgehend Rechnung zu tragen, wie es ihr In Anbetracht der Rechtslage zulässig erschien. Auch wurden anders als in den von Teilen der Rechtsprechung bisher für nichtig befundenen Fällen der „Ein-Mann-Versammlung“ immerhin die Verwaltungsbeiräte in die Versammlung mit einbezogen, sodass verschiedene Personen bevollmächtigt werden konnten und auf diese Weise wenigstens in bescheidenem Umfang eine Diskussion ermöglicht wurde. In Anbetracht dieser besonderen Umstände erscheint es deswegen nicht sachgerecht, von einer Nichtigkeit der Beschlüsse auszugehen, zumal damit den Eigentümern die Möglichkeit genommen wird, in dieser Form zustande gekommene Beschlüsse bestandskräftig werden zu lassen (so im Ergebnis auch AG Augsburg, Urteil vom 30. September 2021 – 31 C 2231/20 WEG –; AG Kaufbeuren, Urteil vom 9. September 2021 – 5 C 34/21 –; a.A.: AG München, Urteil vom 19. November 2020 – 483 C 8456/20 WEG –; AG Hamburg-St. Georg, Urteil vom 28. Januar 2022 – 980 a C 23/21 WEG –).
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2.3. Ungeachtet dessen stellt der Entzug des Teilnahmerechts für faktisch alle Eigentümer mit Ausnahme des Verwaltungsbeirats einen derart schwerwiegenden Verstoß gegen die Teilnahme-Mitwirkungsrechte dar, dass die Feststellung, dass sich der Beschlussmangel auch auf das Abstimmungsergebnis ausgewirkt hat, nicht erforderlich ist (vergleiche BGH, Urteil vom 14. Februar 2020 – V ZR 159/19 – zum rechtsfehlerhaften Ausschluss einer werdenden Wohnungseigentümerin). Da die Klägerin auch materiellrechtlich umfassende Bedenken gegen die angefochtenen Beschlüsse vorgetragen hat, wäre im Übrigen auch nicht auszuschließen gewesen, dass die Beschlussfassungen nach einer allgemeinen Diskussion in einer Präsenzveranstaltung anders ausgefallen wären.
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3. Die zu den angegriffenen Tagesordnungspunkten gefassten Beschlüsse sind auch deswegen für ungültig zu erklären, weil die Verwaltung ohne vorangegangene Beschlussfassung eine Online-Teilnahme gestattet hat.
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3.1. Eine Erweiterung der Teilnahmemöglichkeit mittels digitaler Technik setzt eine vorherige Willensbildung der Eigentümer hierzu voraus. Der Beschluss muss in jedem Fall vor der betreffenden Versammlung gefasst werden, damit die Wohnungseigentümer eine Grundlage für die von ihnen zu treffende Entscheidung haben, ob sie physisch oder online an der Versammlung teilnehmen möchten bzw. können (G. Hermann in BeckOGK, Hrsg.: Krüger, Stand 01.9.2022, § 23 Rn. 27; Hogenschurz, Münchner Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2021, WEG § 23 Rn. 32). Die Ausgestaltung muss den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit sicherstellen, kann aber im Übrigen entsprechend § 118 Abs. 1 S. 2 AktG Regelungen zur Gewährung einzelner oder aller Rechte (Teilnahme, Beiträge, Abstimmung) enthalten. Die Onlineteilnahme eröffnet nämlich zahlreiche Fragen und Problemfelder (angefangen von der Sicherstellung der Nichtöffentlichkeit über den Umgang mit Verbindungsproblemen bis zur Frage des Grades der zulässigen Beteiligung), über die die Eigentümer sich im vorliegenden Fall vor der Beschlussfassung überhaupt nicht austauschen konnten. Relevant ist dies vorliegend auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Klägerin behauptet, ihr Vertreter habe infolge einer technischen Störung nicht online an der Versammlung teilnehmen können. Soweit sich die Ursache einer technischen Störung nicht ermitteln lässt, geht dies zwar nach allgemeinen Beweislastregel zulasten des Anfechtungsklägers (vgl. Hogenschurz, Münchner Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2021, WEG § 23 Rn. 42). Allerdings muss der Kläger dann im Gegenzug im Vorfeld wenigstens auch die Möglichkeit gehabt haben, auf die Wahl der technischen Ausrüstung im Wege der Beschlussfassung Einfluss zu nehmen. Auch hätten die Eigentümer sich bei einer solchen Vorbefassung verbindlich darauf verständigen können, ob Redebeiträge erlaubt sind oder nicht. Dann wäre es auch nicht zu der völlig untragbaren Situation gekommen, dass, wie die Beklagte selbst unbestritten vorträgt, einzelne Eigentümer trotz des von der Verwaltung in der Ladung ausgesprochenen Verbots digitale Redebeiträge abgegeben haben. Dadurch haben sich einzelne Eigentümer eine Teilname- und Einflussmöglichkeit eröffnet, die anderen Eigentümern von vornherein verwehrt war, sei es, weil sie sich wie der Kläger technisch nicht zuschalten konnten, sei es aber auch, weil sie im Hinblick auf das in der Einladung ausgesprochene Redeverbot von vornherein von einer Zuschaltung abgesehen haben. All diese Fehler, die auch für das Abstimmungsergebnis kausal geworden sein können, hätten bei einer sorgfältigen Vorbereitung im Rahmen einer Beschlussfassung mit hoher Wahrscheinlichkeit vermieden werden können.
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3.2. Der Beschluss zu TOP 2 heilt diesen Mangel nicht, denn er bezieht sich erkennbar auf zukünftige Versammlungen und nicht auf die bereits laufende. Unerheblich ist auch, dass sich der Kläger selbst auf die Vollmachtserteilung und Zoom-Teilnahme eingelassen hat; denn darin ist kein konkludenter Verzicht auf eine ordnungsgemäße Beschlussfassung hierzu zu sehen.
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3.3. Ein solcher Beschluss hätte im übrigen auch nicht einfach nur die vom Verwalter gewählte Vorgehensweise mittels Übersendung eines Zoom-Links für zulässig erklären dürfen. Denn § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG erlaubt keine Abweichung vom Grundsatz der Nichtöffentlichkeit. Es darf daher keine Gestaltung gewählt werden, die die Inhalte der Versammlung Unbeteiligten zugänglich macht. Die Eröffnung einer Online-Teilnahmemöglichkeit verlangt zwar keine besonderen Vorkehrungen zur Wahrung der Nichtöffentlichkeit, die über die für Präsenzversammlungen hinausgehen. Analog zur Präsenzversammlungsstätte muss aber auch die Organisation der Onlineversammlung geeignet sein, Verstöße gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit zu verhindern. Ausreichend, aber als Mindeststandard erforderlich dürfte es daher sein, wenn die Online-Teilnehmer erklären, dass der an sie übertragene Bild und Ton nicht weiterverbreitet oder aufgezeichnet wird und auch von Dritten nicht wahrgenommen werden kann (Schultzky in: Jennißen, Wohnungseigentumsgesetz, 7. Aufl. 2021, § 23 WEG Rn. 102; noch weitergehend im Sinne der Notwendigkeit einer Zweifaktorauthentifizierung Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG – Recht 2021, Kap. 8 Rn. 65). Der in der Ladung enthaltene Hinweis, dass die Weitergabe der Zugangsdaten an Nichteigentümer aus Datenschutzgründen nicht gestattet ist, reicht hierfür jedenfalls nicht aus.
B. Materiellrechtliche Fehler
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Die angefochtenen Beschlüsse entsprechen auch materiellrechtlich nicht ordnungsgemäßer Verwaltung.
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1. Hinsichtlich der Zulässigkeit des Beschlusses zu TOP 2 kann im Wesentlichen auf die Ausführungen zu Ziffer A 3 Bezug genommen werden. Zwar ist der Beschluss nicht mangels Bestimmtheit nichtig, weil er noch einen ausreichend bestimmbaren Regelungsgehalt enthält. Unschädlich erscheint in dem Zusammenhang auch, dass nicht festgelegt ist, welche Eigentümerrechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausgeübt werden können und welcher Weg der elektronischen Kommunikation (zum Beispiel Bild- und Tonübertragung) beschritten werden soll; zwar ist die Festlegung der Teilnahmerechte von wesentlicher Bedeutung; fehlt es an einer Festlegung der Teilnahmerechte und lassen sich diese auch nicht durch Auslegung ermitteln, ist allerdings im Zweifel davon auszugehen, dass alle in Frage kommenden Rechte ausgeübt werden können (vgl. Schultzky in: Jennißen, Wohnungseigentumsgesetz, 7. Aufl. 2021, § 23 WEG Rn. 24; Elzer in Zehelein, Miete in Zeiten von Corona, § 5 Rz. 39 ff.)
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Der Beschluss widerspricht aber zumindest insofern den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung, als er keinerlei erkennbare Vorkehrungen hinsichtlich der Gewährleistung der Nichtöffentlichkeit, der Authentizfizierung und des Datenschutzes vorsieht. Der Verwalter könnte deswegen auch Gestaltungsmöglichkeiten wählen, die mit dem Grundsatz der Nichtöffentlichkeit unvereinbar sind bzw. bei denen eine Identifikation der Teilnehmer nicht sicher möglich ist.
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2. Die Beschlussfassung über die Genehmigung des Ergebnisses der Gesamtabrechnung sowie der Einzelabrechnungen 2019 (TOP 3.1 und TOP 3.2) widerspricht ordnungsgemäßer Verwaltung.
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2.1. Soweit die Klägerin rügt, dass die Genehmigung zu TOP 3.1 auch den Vermögensstatus sowie die dabei vorgenommenen Periodenabgrenzungen umfasst, trifft zwar zu, dass die Genehmigung des Vermögensberichts nicht Gegenstand der Beschlussfassung nach § 28 Abs. 2 WEG ist. Denn die Wohnungseigentümer beschließen nur noch über die Abrechnungsspitze, nicht jedoch über deren Berechnungsgrundlagen. Fehler im Rahmen der Jahresabrechnung oder des Vermögensberichts rechtfertigen eine Ungültigerklärung daher nur noch insoweit, als diese für das Abrechnungsergebnis relevant sind. Die richtige und vollständige Darstellung des sonstigen Vermögens im Vermögensbericht ist jedoch für das Abrechnungsergebnis in aller Regel irrelevant (vergleiche hierzu Jennißen, in: Jennißen, Wohnungseigentumsgesetz, 7. Aufl. 2021, § 28 WEG Rn. 230). Die Aufnahme des Vermögensstatus inklusive der Periodenabgrenzungen in den Genehmigungsbeschluss war daher rechtlich fehlerhaft. Es handelt sich hierbei aber nach Auffassung der Kammer um einen unschädlichen Formulierungsfehler, der einer nachvollziehbaren Unsicherheit der Verwaltung im Hinblick auf die Neuerungen in dem erst wenige Monate zuvor in Kraft getretenen WEMoG geschuldet ist. Der Beschluss kann daher auch dahingehend ausgelegt werden, dass der Hinweis auf den Vermögensstatus lediglich informatorischen Charakter haben soll, sodass in diesem Beschlussteil kein eigenständiger Regelungsgehalt gegenüber dem wohl mit der „Ergebnisgenemigung“ gemeinten Beschluss über die Abrechnungsspitzen (Nachforderungen/Guthaben) zu sehen ist.
51
2.2. Mit Recht rügt die Klägerin hingegen die fehlende Schlüssigkeit der Jahresgesamtabrechnung 2019. Die Kontenanfangs- und Endbestände stimmen nicht mit dem Saldo der Ein- und Ausgaben überein. Der Saldo der Einnahmen und Ausgaben beträgt 45.686,60 € Minus. Der Anfangsbestand beider Konten beträgt 62.891,22, der Endbestand 67.837,27, der Kontenstand ist demnach nicht gesunken, sondern sogar leicht gestiegen. Zwar trifft zu, dass die Jahresabrechnung als solche inklusive des darin befindlichen Zahlenwerk nach § 28 Abs. 2 WEG nicht mehr wie früher Gegenstand der Beschlussfassung ist. Dies bedeutet jedoch entgegen der Auffassung der Beklagten mitnichten, dass das Rechenwerk der Jahresabrechnung für die Beschlussfassung völlig irrelevant ist, weil nur noch eine „Zahl“ beschlossen werde und kein Rechenwerk. Zwar trifft es zu, dass die Jahresabrechnung bloß der Vorbereitung der Beschlussfassung dient und Fehler in diesem Rechenwerk daher für sich genommen noch nicht die Anfechtung rechtfertigen. Dies gilt aber nur solange, wie der Fehler sich nicht auf die zu beschließende Abrechnungsspitze auswirkt, wenn die Wohnungseigentümer also auch bei ordnungsgemäßer Vorbereitung durch eine korrekte Jahresabrechnung dieselben konkreten Beträge hätten beschließen müssen. Der Höhe oder dem Schlüssel nach falsch ermittelte Ausgaben/Einnahmen wirken sich aber immer auf die Spitze aus (vgl. Skauradzun in Müko BGB, 8. Auflage 2021, § 28 Rn. 74; ebenso Hügel/Elzer WEG, 3. Auflage, § 28 Rn. 74 f.). Fehler in der Jahresabrechnung sind im Rahmen der Anfechtung weiterhin jedenfalls insoweit zu berücksichtigen, als sie von Relevanz für das Abrechnungsergebnis (die Abrechnungspitze) sind. Stimmt der Saldo der Einnahmen und Ausgaben mit einem Vergleich der Kontenanfangs- und Endbestände nicht überein, ist die Jahresabrechnung nicht schlüssig und die errechneten Abrechnungsspitzen sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsch. Damit ist daher zumindest ein Anscheinsbeweis dahingehend erbracht, dass die errechnete Abrechnungsspitze nicht korrekt ist. Insoweit besteht eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten dahingehend, darzulegen, warum die Abrechnungsspitzen im Ergebnis trotzdem rechnerisch richtig sind, weil das Zahlenwerk lediglich ergebnisneutrale Fehler enthält, die sich nicht auf die Abrechnungsspitzen ausgewirkt haben. Dem ist der Beklagte trotz Rüge der Schlüssigkeit und Hinweis des Gerichts auf die Beachtlichkeit ergebnisrelevanter Abrechnungsfehler nicht nachgekommen.
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2.3. Denselben Fehler weist die Jahresgesamtabrechnung 2020 auf. Auch hier stimmen die Einnahmen und Ausgaben nicht mit den Kontenanfangs- und Endbeständen überein. Daher entspricht auch die Beschlussfassung zu TOP 4.2 nicht ordnungsgemäßer Verwaltung.
53
2.4. Auch die Einzelabrechnungen des Jahres 2019 und 2020 enthalten Fehler, die für das Abrechnungsergebnis relevant sind.
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2.4.1. Die Beklagte rügt insoweit zu Recht, dass die Beschlussfassung zu TOP 3.2 und TOP 4.3, mit der jeweils das Ergebnis der Einzelabrechnungen des Jahres 2019 bzw. des Jahres 2020 genehmigt wird, den Anforderungen des § 28 Abs. 2 WEG bereits deswegen nicht gerecht wird, weil diese Jahreseinzelabrechnungen keine Abrechnungsspitzen enthalten, sondern lediglich Abrechnungssalden. Die Abrechnungsspitzen, also die Differenzbeträge zwischen dem klägerischen Anteil an den Ausgaben und den nach dem Wirtschaftsplan geschuldeten Vorauszahlungen, erschließt sich aus der Abrechnungen noch nicht einmal rechnerisch, und zwar weder aus den Gesamt – noch aus den Einzelabrechnungen. Denn die Abrechnungen enthalten nur die Ist –, nicht die Sollzahlungen laut Wirtschaftsplan. Die Abrechnungsspitze lässt sich daher aus den vorgelegten Jahresabrechnungen noch nicht einmal rechnerisch erschließen. Lässt sich die Höhe der Abrechnungsspitze nicht einmal rechnerisch aus der Jahresabrechnung ableiten, sondern ist hierfür eine vom Verwalter vorzunehmende Berechnung erforderlich, die der gerichtlichen Nachprüfung im Anfechtungsprozess entzogen ist, entsprach die Jahresabrechnung auch nach der zur früheren Rechtslage wohl herrschenden Ansicht nicht ordnungsgemäßer Verwaltung (zum damaligen Meinungsstreit umfassend LG Frankfurt, Urteil vom 31. Mai 2017 – 2-13 S 135/16 –; Staudinger/Häublein (2018) WEG, § 28 Rn. 174 ff.). Nachdem durch die WEG-Reform nunmehr klargestellt ist, dass Gegenstand der Beschlussfassung nach § 28 Abs. 2 WEG ausschließlich die Abrechnungsspitze ist, kann erst recht nicht mehr davon ausgegangen werden, dass es ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht, das Ergebnis einer Jahresabrechnung zu genehmigen, aus der sich die Abrechnungsspitze nicht rechnerisch ableiten lässt.
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2.4.2. Auch falsch angewandte Verteilungsschlüssel wirken sich rechnerisch auf die Abrechnungsspitze aus und führen daher zur Ungültigkeit der streitgegenständlichen Beschlussfassung zu den Ergebnissen der Jahresabrechnungen.
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2.4.2.1. Wenig überzeugend erscheint zwar die Rüge des Klägers, die Hausverwaltung habe bei der Ermittlung der Verteilungsschlüssel nicht ausreichend berücksichtigt, dass nach dem Beschluss zu TOP 7 vom 07.04.2008 (Anlage K9) die Wohn- und Nutzfläche in Quadratmeter als allgemeiner Verteilungsschlüssel des Anwesens gilt. Da zu diesem Beschluss nur ein Auszug aus der Beschlusssammlung vorliegt, kann der Aussagegehalt dieses Beschlusses durch die Kammer nicht abschließend beurteilt werden. Für eine abschließende Auslegung wäre mindestens die Vorlage des dazugehörigen Protokolls erforderlich. Der Wortlaut gemäß Beschlusssammlung ist jedoch aus sich heraus schon kaum verständlich, weswegen dieser Beschluss nichtig sein könnte. Hinzu kommt, dass offenkundig abweichend von § 16 Abs. 4 WEG a.F. auch der Kostenverteilungsschlüssel der Teilungserklärung für Instandsetzungs- und Instandhaltungsmaßnahmen anlassunabhängig geändert werden sollte. Die Gültigkeit des Beschlusses zu TOP 7 vom 07.04.2008 kann letztlich aber dahinstehen, weil zumindest einzelne Kostenverteilungsschlüssel unabhängig hiervon falsch gewählt wurden (vgl. nachfolgend Ziffer 2.4.2.2 bis 2.4.2.5)
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2.4.2.2. So wurden die Kabelgebühren nach Einheiten umgelegt. Dieser Verteilungsschlüssel lässt sich jedoch weder aus dem Gesetz noch aus der Teilungserklärung nachvollziehbar ableiten. Zwar bestand und besteht grundsätzlich eine Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer dahingehend, den gültigen Kostenverteilungsschlüssel hierfür zu ändern (§ 16 Abs. 3 WEG a.F. bzw. § 16 Abs. 2 S. 2 WEG n.F.). Einen entsprechenden Beschluss hat die Beklagte aber nicht vorgelegt.
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2.4.2.3. Die „Direktkosten Sondereigentum“ lassen sich ebenso wenig nachvollziehbar zuordnen, und zwar weder nach deren Höhe und Gegenstand noch nach dem angewandten Schlüssel. Dieser Punkt betrifft nur die Abrechnungen des Jahres 2019.
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2.4.2.4. Die Umlageschlüssel für die Verwalterkosten wurde aus dem Verwaltervertrag abgeleitet. Zur Begründung verweist die Beklagte auf § 16 der Teilungserklärung. Diese Regelung sieht zwar für die nach einzelnen Häusern getrennt ausscheidbaren Kosten eine Verteilung nur unter den Miteigentümern im jeweiligen Haus vor, allerdings sind diese Kosten innerhalb der Häuser nach Miteigentumsanteilen und nicht, wie in der Jahresabrechnung vorgenommen, nach der Anzahl der Wohnungen bzw. der Gewerbeeinheiten umzulegen. Anderes gilt für die Tiefgarage, die gemäß § 16 Abs. 1 S. 3 der Teilungserklärung nach Stellplätzen abzurechnen ist.
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2.4.2.5. Die Berechnungsgrundlage für den verbrauchsunabhängigen Anteil an den Warmwasserkosten auf Basis der „beheizbaren Wohnfläche“ widerspricht § 8 der HeizkostenV, wonach (anders als nach § 7 Abs. 1 HeizkostenV bei Heizkosten) bei den Grundkosten für Warmwasser nur nach Wohn- und Nutzfläche differenziert werden darf, nicht aber nach „beheizbarer Fläche“. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus § 8 Abs. 3 der Teilungserklärung, da die Vorschriften der HeizkostenV gemäß § 2 HeizkostenV rechtsgeschäftlichen Bestimmungen vorgehen.
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3. Hinsichtlich der Beschlussfassung zu TOP 6 (Wirtschaftsplan 2021) gelten im Wesentlichen dieselben Erwägungen wie zur Jahresabrechnung. Anfechtbar ist nur noch die Höhe der Vorschüsse selbst, sodass Mängel des Wirtschaftsplans nur noch insofern entscheidungsrelevant sind, als diese sich inzident auf die Hausgeldhöhe auswirken. Ein lediglich formell unzureichender Wirtschaftsplan kann die Anfechtung des Beschlusses über die Vorschüsse nicht hinreichend stützen. Die Anfechtungsklage muss zumindest die Abänderung der beschlossenen Beträge anstreben. Wird dem Wirtschaftsplan ein anderer als der maßgebende Verteilungsschlüssel zugrunde gelegt, und orientieren sich die im Beschluss festgesetzten Vorschüsse an diesem Wirtschaftsplan, ist der Beschluss fehlerhaft und damit anfechtbar (vgl. Jennißen a.a.O. § 28 Rn. 114). Hier ergeben sich entsprechend den obigen Ausführungen jedenfalls Fehler bei den Kabelgebühren und bei der Berechnung der Verwalterkosten (mit Ausnahme der Tiefgarage, die gemäß § 16 Abs. 1 S. 3 der Teilungserklärung nach Stellplätzen abzurechnen ist).
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4. Die Gestattung der Anbringung von Außenrollos „in der bestehenden Form und Farbe“ (TOP 7) widerspricht zumindest ordnungsgemäßer Verwaltung, da aus dem Beschlusstext selbst nicht ableitbar ist, welche Formen und Farben die im Jahr 2021 vorhandenen Außenrollos hatten.
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5. Für die Inauftraggabe von Baumschneidearbeiten in der Außenanlage (TOP 8) fehlen Vergleichsangebote. Eine Auftragsvergabe entspricht grundsätzlich nur dann ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn zuvor (also vor Beschlussfassung über die Auftragsvergabe) mehrere (in der Regel drei) Alternativ- oder Konkurrenzangebote eingeholt und geprüft wurden, um überteuerte Auftragsvergaben zu verhindern (std. Rspr., vgl. Sommer/Heinemann in: Jennißen, Wohnungseigentumsgesetz, 7. Aufl. 2021, § 19 WEG Rn. 121 f.). Von der Einholung weiterer Angebote kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn davon auszugehen ist, dass das Sanierungskonzept nur von einem besonders vertrauten Fachunternehmen durchgeführt werden kann, wenn feststeht, dass kein günstigeres Angebot zustande kommen wird, oder wenn es sich um eine Bagatellmaßnahme (mit Kosten von in der Regel unter 3.000 €) handelt (vgl. Jennißen a.a.O. m.w.N.). Angesichts eines Kostenvolumens von 18.550 € kann hiervon keine Rede sein.
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6. Gleiches gilt im Grundsatz für die Malerarbeiten an den Fenstern des Hauses 86 und 86 b (TOP 9). Dass dieselbe Firma gewählt werden soll, die im Vorjahr bereits die entsprechenden Arbeiten an Haus 88 durchgeführt hat, ergibt sich – anders als von der Beklagten behauptet – weder aus dem Protokoll noch aus der (gleichlautenden) Anlage zur Einladung. Insoweit ist vielmehr nur davon die Rede, dass derartige Arbeiten von „den Firmen“ nur auf Regie übernommen werden und der Regie-Stundensatz „rd. € 66 brutto“ beträgt. Nach der für die Beschlussauslegung maßgeblichen Sicht eines verständigen, objektiven Wohnungseigentümers kann sich der Verwalter die durchführende Firma daher bei lediglich auf 66 € gedeckeltem Stundensatz sogar frei aussuchen. Selbst wenn man den Beschlusstext im Sinn einer Beauftragung derselben Firma auslegt, entbindet dies die Wohnungseigentümer nicht völlig von einer sorgfältigen Wirtschaftlichkeitsprüfung. Zwar kann die Einholung von Vergleichsangeboten bei einer Nachtragsbeauftragung entbehrlich sein, wenn ein laufender Auftrag eine nachträgliche Beauftragung als wirtschaftlich sinnvoll erscheinen lässt und die Auftragsbedingungen (insbesondere das zu entrichtende Entgelt) unverändert bleiben (LG Berlin v. 8.5.2018 – 85 S 49/17, ZMR 2018, 849, 850; AG Charlottenburg v. 7.9.2017 – 72 C 32/17, ZMR 2018, 632, 633). Ob dies der Fall ist, können die Eignetümer hier überhaupt nicht prüfen. Außer dem gedeckelten Stundensatz fehlt zudem hier jegliche Kalkulation der Gesamtkosten. Eine bisherige Übung, stets denselben Vertragspartner auszuwählen, getreu dem Motto „bekannt und bewährt“, ist in diesem Fall kein Kriterium, dass im Rahmen der Kosten-Nutzen-Analyse das Wirtschaftlichkeitsgebot für sich allein übertrumpfen kann (vgl. Jennißen a.a.O.; LG Koblenz v. 30.4.2018 – 2 S 67/16, ZMR 2018, 795, 796; a.A. AG Charlottenburg v. 3.5.2018 – 72 C 15/18, ZMR 2018, 873, 874.).
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7. Der Beschluss zu TOP 12 ändert dem Wortlaut nach nicht den Kostenverteilungsschlüssel für die Leckortungskosten, sondern er begründet eine Erstattungspflicht. Hierfür besteht streng genommen schon gar keine Beschlusskompetenz, auch nicht aus „§ 21 Abs. 7 WEG“. Zum einen ist diese Regelung mit Inkrafttreten des WEMoG entfallen, zum anderen bezog sie sich nur auf Zahlungsmodalitäten. Die Kosten des Leckortungsberichts fallen darunter nicht, sie sind ibs. auch kein „besonderer Verwaltungsaufwand“, denn damit ist Sonderaufwand des Verwalters gemeint. Selbst wenn man den Beschluss geltungserhaltend dahingehend auslegt, dass eine Änderung der Kostenverteilung nach § 16 Abs. 2 S. 2 WEG gewollt war, darf diese Änderung nicht willkürlich sein. Willkürlich ist ein abgeänderter Verteilungsschlüssel dann, wenn die Änderung nur dem Interesse einzelner Wohnungseigentümer dient, die sich besserstellen wollen, ohne dass hierfür objektbezogene Gründe feststellbar sind. Anders als es der Beschlusstext suggeriert, bestehen solche obkjektbezogenen Differenzierungsgründe, die eine Kostenüberwälzung auf den Kläger rechtfertigen, hier aber gerade nicht. Denn der in Auftrag gegebene Thermographiebericht schließt nicht aus, dass die Ursache der Verfärbungen des klägerischen Parketts im Gemeinschaftseigentum liegt, sondern er indiziert dies im Gegenteil vielmehr sogar; er benennt nämlich als mögliche Ursache der Parkettverfärbungen, die entlang der Heizleitungen verlaufen, einen geringen Bodenaufbau und hochliegende Heizleitungen.
III.
66
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
IV.
67
Der Streitwert orientiert sich mit Ausnahme der Jahresabrechnungen 2019/2020 an der erstinstanzlichen Festsetzung. Für den Streitwert der Anfechtung von Abrechnungsbeschlüssen nach § 28 Abs. 2 WEG n.F. ist weiter die bisherige Rechtsprechung des BGH (Beschluss v. 9. Februar 2017 – V ZR 188/16) heranzuziehen, wonach der Nennbetrag der Jahresabrechnung für das Gesamtinteresse und der auf den Kläger entfallende Anteil als Einzelinteresse maßgeblich ist (vgl. LG Frankfurt, Beschluss vom 8. August 2022 – 2-13 S 35/22 –). Demnach entspricht das 7,5 fache Einzelinteresse der Klägerin bezüglich der Jahresabrechnung 2019 137.514 € und für die Jahresabrechnung 2020 97.039 €. Soweit entspricht dies auch dem klägerischen Antrag, allerdings sind die Einzelabrechnungen nicht zusätzlich einzuberechnen, da es sich wirtschaftlich um den identischen Streitgegenstand handelt. Hinsichtlich des Wirtschaftsplans 2021 hat das Amtsgericht hingegen zutreffend die 7,5 fache klägerische Jahresvorauszahlung in Höhe von 120.060 € herangezogen, da eine Teilanfechtung und Ungültigerklärung einzelner Positionen jedenfalls beim Wirtschaftsplan nicht mehr möglich ist; denn diese Einzelpositionen sind nicht mehr Beschlussgegenstand (vgl. Jennißen in: Jennißen, Wohnungseigentumsgesetz, 7. Aufl. 2021, § 28 WEG Rn. 111; Suilmann in: Jennißen, Wohnungseigentumsgesetz, 7. Aufl. 2021, § 49 GKG Rn. 12). Für die restlichen Beschlüsse besteht kein Anlass zur Abänderung des amtsgerichtlichen Streitwerts von 2.000 € für TOP 7, 8.266 € für TOP 8, 1.000 € für TOP 9 und 214,20 € für TOP 12.
V.
68
Die Revision wird nicht zugelassen. Weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gebieten eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nach § 543 Abs. 1, Abs. 2 ZPO. Insbesondere handelt es sich bei der Frage, ob die Einladung zu einer „Versammlung mit geringer Teilnehmerzahl“ in der verfahrensgegenständlichen Form ordnungsgemäßer Verwaltung entsprach, um eine eng am Wortlaut der Einladung orientierte Einzelfallentscheidung.