Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 23.02.2022 – Au 6 K 21.31131
Titel:

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Normenketten:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO § 87b
Leitsatz:
Ein Festnahmebefehl zur Vernehmung zum Tatvorwurf der Propaganda für eine Terrororganisation (Art. 7 Abs. 2 des türkischen Terrorbekämpfungsgesetzes) wegen des Verdachts einer seitens des türkischen Staates als „Terrorismus“ bezeichnete Handlung stellt ohne ersichtlichen Politmalus noch keine Verfolgungshandlung dar. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volks-, sunnitischer Religionszugehörigkeit, Im Asylfolgeverfahren, Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes sowie auf die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten, Im Asylerstverfahren behauptetes HDP-Engagement und sonstiges politisches Engagement (nicht exponiert), Im Asylerstverfahren behauptete Teilnahme an Versammlungen mit PKK-Bezug und deswegen eingestelltes Strafverfahren mit noch anhängigem Rechtsmittel der Oberstaatsanwaltschaft dagegen, Im Asylerstverfahren behauptete anlasslose Ingewahrsamnahme und Vortrag eines Anwerbeversuchs als Spitzel, Im Asylerstverfahren behauptete Wehrdienstverweigerung, Im Asylfolgeverfahren vorgelegte türkische Unterlagen zu einem Strafverfahren wegen Terrorpropaganda, Türkei, HDP, Festnahmebefehl, UYAP, E-Devlet, Terrorpropaganda, Twitter
Fundstelle:
BeckRS 2022, 5984

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Nach den gerichtlichen Feststellungen im Asylerstverfahren (VG Augsburg, U.v. 24.2.2021 - Au 6 K 19.30241 - Rn. 1 ff.) ist der am ... 1989 in ... in der Türkei geborene Kläger kurdischer Volks-, sunnitischer Religionszugehörigkeit und hielt sich vor seiner Ausreise in ... auf. Er reiste am ... 2018 auf dem Luftweg über ... nach ... aus und über den Landweg am 18. November 2018 nach Deutschland ein, wo er Asyl beantragte.
2
In seiner auf Türkisch geführten Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 7. Dezember 2018 gab der Kläger im Wesentlichen an (Behördenakte zum Asylerstverfahren, Bl. 86 ff.), er habe den Wehrdienst nicht geleistet und wolle als Kurde nicht zum Militär. Zu seinen Ausreisegründen gab er an, dass er während seines Studiums in ... 2009 Mitglied der Studentenvereinigung gewesen sei und er im Dezember 2010 das Studium habe abbrechen müssen, da Druck auf ihn ausgeübt worden sei, die Polizei ihn bedroht habe und auch wegen des Angriffs durch faschistische Gruppen. 2010 sei die Lage zwischen türkischen und kurdischen Studenten sehr angespannt gewesen und es habe Auseinandersetzungen gegeben. Ein kurdischer Student, den er gekannt habe, sei getötet worden. Daher sei er im Dezember 2010 zurück nach ... gegangen und habe 2011 bei Wahlen für unabhängige Kandidaten Werbung gemacht. Im Dezember 2011 sei sein Bruder ins Gefängnis gekommen und es habe zwei Hausdurchsuchungen der Polizei bei seiner Familie gegeben. Mit der Studentenverbindung seien sie bei der Jugendorganisation der BDP in ... im Meinungsaustausch gewesen. 2014 seien gegen ihn zwei Verfahren eröffnet worden, da er am 9. Januar und 14. Februar 2014 an Demonstrationen teilgenommen habe. Er sei von der Anklage freigesprochen worden. Die Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft stehe noch aus. Er habe damals keinen Rechtsanwalt gehabt. Damals sei der Friedensprozess zwischen Türken und Kurden gewesen und es habe öfter Freisprüche gegeben. Danach seien viele Freisprüche angefochten worden. Auch seine Schwester sei wegen des Verfahrens in der Türkei untergetaucht. Im Juni 2014 sei er drei Stunden und im Juli 2014 während des Besuchs seines Bruders im Gefängnis in ... einen Tag in Polizeigewahrsam genommen worden. Nach diesen Vorfällen habe er sich zurückgezogen. Für die Wahlen im Juni und November 2015 habe er wieder Wahlwerbung für die HDP gemacht. Ende 2015 hätten inoffiziell gewählte Vertreter der Kurden in ... die Autonomie erklärt. Er sei mit drei Freunden dort gewesen. Es habe Polizeiangriffe gegeben. Er sei zurück nach, da es dort sehr gefährlich gewesen sei. Sie hätten sich in ... mit der Jugendorganisation der HDP getroffen. Mitglieder des regionalen kurdischen Gemeinderats aus ... hätten gewollt, dass in Städten wie ... und ... die Selbstverwaltung erklärt werde. Da die Auseinandersetzungen immer schlimmer geworden seien, sie keine Kämpfer seien und sie auch von Freunden gehört hätten, dass die Polizei hinter ihnen her sei, seien sie zurück nach ... gegangen. Nach ein oder zwei Monaten Aufenthalt in ... sei er wegen seiner Sicherheit für drei oder vier Monate nach ... gegangen. Die Tätigkeiten in der Partei seien aufgrund des Druckes gestoppt worden. Nach einer Trauerfeier für einen in ... gefallenen Freund hätten Polizisten Ausweiskontrollen gemacht und sie bedroht, da sie gewusst hätten, dass sie im Zentrum von ... für die kurdische Bewegung aktiv seien und sie deshalb beobachtet würden. Seine Eltern hätten Angst um ihn gehabt, dass er wie sein jüngerer Bruder ins Gefängnis komme. Daher hätten sie ihn zu seinem Onkel nach ... geschickt. Dort habe er wieder keine Ruhe vor der Polizei gehabt, da sie bei einer Ausweiskontrolle gesehen hätten, dass gegen ihn eine Anklage laufe. Sie hätten ihn wie einen Terroristen behandelt und beschimpft. Auch habe er den Wehrdienst noch vor sich. Er habe nicht in ... bleiben können, da dies eine faschistische türkische Stadt sei. Er sei dann für einen Monat bei Freunden in ... geblieben und nach ... für das Referendum zurückgekehrt. Aufgrund des Druckes hätten sie für die Partei nicht aktiv sein können, sie hätten nur das HDP-Gebäude besuchen können. Er sei aktives Mitglied und inoffizieller Vorstand der Jugendorganisation der HDP gewesen. Wäre es offiziell gewesen, hätte er noch mehr Probleme bekommen. Für die Wahlen am 24. Juni 2018 habe er wieder Wahlkampftätigkeiten für die HDP gemacht und sei mit dem Kandidaten ... von Dorf zu Dorf gezogen, um Wahlkampf zu machen. Bei einer Ausweiskontrolle habe er, da er noch keinen Wehrdienst geleistet habe und da sein altes Verfahren im System einsehbar gewesen sei, warten müssen und sei erst nach Niederschrift des Protokolls wieder freigelassen worden. ... sei später festgenommen und unter einem Vorwand ins Gefängnis gekommen. Am 4. August 2018 hätten Polizisten ihr Haus durchsucht und Dokumente, Bücher, Zeitschriften und Musterstimmzettel beschlagnahmt. Sie hätten ihn deshalb aufs Polizeirevier mitgenommen. Er sei zwei Tage in ... im Revier für Terrorbekämpfung gewesen und dort geschlagen, bedroht und beschimpft worden. Es sei nichts protokolliert worden. Sie hätten gesagt, sie ließen ihn gehen, wenn er für sie als Spitzel arbeite. Einen Tag nach seiner Entlassung seien zwei Polizisten der Abteilung für Terrorbekämpfung in Zivil gekommen, hätten ihn mit dem Auto mitgenommen und in ein Gebiet etwa 15 bis 20 km entfernt von ... gebracht. Sie hätten ihm erneut gedroht, dass er für sie als Spitzel arbeiten solle, sonst würden sie ihn umbringen und behaupten, dies sei im Kampf passiert. Auch sei seine Familie bedroht worden. Auch könnten sie seine Schwester mitnehmen, da auch gegen sie ein Verfahren laufe. Wegen der Drohungen sei er auf ihr Angebot eingegangen. Er sei in ... ausgesetzt worden und am nächsten Tag sei er über ... und ... nach ... gegangen, wo er seine Ausreise vorbereitet habe. Sonst sei ihm in der Türkei nichts passiert. Er sei offizielles Mitglied der HDP gewesen und habe das Volk in ... und ... über seine Rechte und die Kultur der Kurden informiert. Ansonsten gebe es keine Anklage, kein Urteil oder keinen Haftbefehl gegen ihn. Er habe keinen e-Devlet-Zugang. Sein Bruder sei im Gefängnis, da er bei der BDP für die Bibliothek zuständig gewesen sei. Er sei zu zehn Jahren Haft wegen Terrorunterstützung verurteilt worden. Es sei mit einem Freund nach ... gegangen, dieser sei zur PKK gegangen und dessen Eltern hätten seinen Bruder angezeigt, dass er den Freund dazu gebracht habe.
3
Der Kläger legte einen Familienregisterauszug, eine Meldebescheinigung, einen Nachweis seiner HDP-Mitgliedschaft, eine Entscheidung mit Freispruch und einen Berufungsantrag der Oberstaatsanwaltschaft ... vor (Behördenakte, Bl. 106 ff.).
4
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 28. Januar 2019 den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) sowie auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ab (Nr. 4). Die Abschiebung in die Türkei wurde angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung führte das Bundesamt aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vorlägen, weil der Kläger eine Verfolgung im Herkunftsstaat nicht habe glaubhaft machen können. Eine konkrete Verfolgung in Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal habe er nicht erlitten. Nach seinem Sachvortrag gehöre er nicht zu einem gefährdeten Personenkreis, da es sich bei ihm um keine exponierte Person innerhalb der HDP handle, die eine ernsthafte staatliche Verfolgung zu befürchten hätte. Seine Aktivitäten seien nicht über die eines einfachen Parteimitglieds hinausgegangen. Seinen Vortrag, er sei inoffizielles Vorstandsmitglied der Jugendorganisation der HDP gewesen, habe er nicht mit konkreten Beweismitteln nachgewiesen. Insgesamt sei der Kläger aufgrund seiner politischen Betätigung nicht in den Fokus der staatlichen Behörden geraten. Sein Sachvortrag sei zudem weder substantiiert noch schlüssig. Selbst bei Wahrunterstellung seines Vortrags sprächen die mehrfachen Polizeikontrollen und kurzfristigen Ingewahrsamnahmen nicht dafür, dass gegen den Kläger ernsthaft ermittelt werde, da er weder für eine längere Zeit inhaftiert worden sei, noch aktuell Anklagen, Urteile oder Fahndungen gegen ihn vorlägen. Erschwerend komme hinzu, dass der Kläger ohne Schwierigkeiten einen Pass bei einer offiziellen Behörde in ... beantragen und nach eigenen Angaben problemlos aus der Türkei habe ausreisen können. Die Wehrpflicht als solche und die Wehrpflichtpraxis in der Türkei stellten grundsätzlich keine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung dar. Die Zugehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Kurden in der Türkei vermöge dem Antrag nicht zum Erfolg zu verhelfen.
5
Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht im Wesentlichen mit der Begründung ab (VG Augsburg, U.v. 24.2.2021 - Au 6 K 19.30241 - Rn. 18 ff.), der Kläger habe keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG, da er insbesondere keine Verfolgung wegen seines politischen Engagements, insbesondere für die HDP, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten habe. Einfache Mitglieder der HDP gerieten durch die bloße Mitgliedschaft in der HDP nicht besonders in den Fokus staatlicher Sicherheitsbehörden. Drohungen der Polizei in ... und ... etwa 2009 bis 2011 seien schon zeitlich nicht ausreiserelevant; bloße Verzögerungen durch Polizeikontrollen auf Reise mit einem Kandidaten bei Wahlkampftätigkeiten für die Wahl am 24. Juni 2018 von Dorf zu Dorf stellten keine Verfolgung dar. Auch eine Verfolgung wegen einer Zurechnung zur PKK drohe dem Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Das offene Strafverfahren gegen ihn anlässlich von Teilnahmen an Kundgebungen wegen Ermordungen kurdischer Aktivistinnen und des Jahrestags der Auslieferung Öcalans an die Türkei stelle eine legitime Strafverfolgung dar. Ein Politmalus sei nicht erkennbar. Diese zwei Verfahren seien jeweils eingestellt worden und die Staatsanwaltschaft sei gegen die Einstellung bezüglich des Verfahrens hinsichtlich der Demonstration am 15. Februar 2014 vorgegangen. Dieses Verfahren sei nach seinen Angaben noch anhängig. Da der Kläger nicht von anderen Verfahren oder Sachverhalten berichtet habe, sei davon auszugehen, dass in Anbetracht zweier eingestellter Verfahren, wovon gegen eines ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, das Verfahren mit dem Aktenzeichen ... das noch offene Rechtsmittelverfahren sei, eingeleitet von der Oberstaatsanwaltschaft .... Dieses offene Verfahren stelle im Falle des Klägers eine reguläre Maßnahme einer Strafverfolgungsbehörde im Rahmen der Terrorismusbekämpfung dar, denn die PKK sei als terroristische Organisation eingestuft. Auch unter Berücksichtigung des weiten Begriffsverständnisses des türkischen Staats von „Terrorismus“ seien keine objektiven Umstände erkennbar, dass dem Kläger eine härtere als die sonst übliche Behandlung droht. Die Oberstaatsanwaltschaft ... habe Rechtsmittel gegen die Einstellungsentscheidung eingelegt, da es Beweise gebe, dass es eine Straftat nach Art. 7 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 3713 gebe. Diese Vorschrift des türkischen Antiterrorgesetzes regele den Straftatbestand der Propaganda für eine terroristische Organisation. Das Verfahren hinsichtlich des Klägers sei knapp sechs Jahre nach seiner Eröffnung und mehr als drei Jahre nach seiner Einstellung bzw. Einlegung des Rechtsmittels ausweislich seiner Angaben und den vorgelegten Unterlagen immer noch offen und der Kläger auch danach bis zu seiner Ausreise von den türkischen Behörden nicht weiter behelligt worden. Der Vorwurf der Propaganda für die terroristische Vereinigung sei hinsichtlich des Klägers nicht aus der Luft gegriffen, denn der Kläger sei tatsächlich auf Demonstrationen mit PKK-Bezügen gewesen, also einer Vereinigung, die Gewalt gegen sich und andere propagiert und ausübt, und mit Bezug zu deren Führungskräften konkludent befürwortend anwesend. Dass wegen eines (Anfangs-)Verdachts wegen des Vorwurfs der Propaganda für eine terroristische Organisation bezüglich der Demonstration am 15. Februar 2014 gegen den Kläger, der dort Parolen mit welchem Inhalt auch immer gerufen habe, ein offenes Strafverfahren existiere, stelle legitime Strafverfolgung wegen Propaganda für eine auch in Europa als Terrororganisation eingestufte Vereinigung dar, da kein Politmalus erkennbar sei und das Strafverfahren auf einem vom Kläger selbst gesetzten Anlass basiere. Gegen eine politische Verfolgung spreche weiter, dass der Kläger einen Reisepass, gültig vom 16. April 2018 bis 20. September 2019 gehabt habe und unbehelligt über den Flughafen in ... nach Mazedonien ausgereist sei. Eine Verfolgung in Gestalt einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung drohe dem Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.
Ein Antrag auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil blieb erfolglos (BayVGH, B.v. 15.4.2021 - 24 ZB 21.30424).
6
Am 10. August 2021 ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigten einen Asylfolgeantrag stellen und zur Begründung im Wesentlichen ausführen, er habe am 26. Juli 2021 mit seinem türkischen Rechtsanwalt telefoniert, diesem seine Identitätsnummer übermittelt und der Anwalt habe die in UYAP gespeicherten Daten des Klägers abgefragt und festgestellt, dass gegen ihn ein weiteres strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Propaganda für eine terroristische Organisation anhängig sei. Dem Kläger würden Beiträge in sozialen Medien in den Jahren 2019 und 2020 zum Vorwurf gemacht, wobei die Posts von ihm stammten, er sie aber nur weitergeleitet habe. Nun sei ein Haftbefehl des Landgerichts ... gegen den Kläger offen. Ausdrucke hierzu wurden dem Antrag beigefügt sowie ein Schreiben eines türkischen Rechtsanwalts nachgereicht.
Den beigefügten Kopien mit Übersetzungen ist zu entnehmen (BAMF-Akte Bl. 10 ff., 53 f., 57):
7
- Gouverneursamt, Provinz-Polizeipräsidium, Strafanzeige vom 19. März 2021 an die Oberstaatsanwaltschaft, Az.,
Tatvorwurf: Propaganda für die Terrororganisation,
Tatort: Posts über Twitter und soziale Medien, Tatdatum: 4. März 2021 und davor […] Beschuldigter: namentlich genannter Kläger mit weiterer Angabe, er sei zuletzt am ... 2018 über den Flughafen ... mit dem Reisepass ins Ausland gereist und bis zum heutigen Tage sei keine legale Einreise festgestellt worden.
Zusammenfassung des Falles: Ermittlungen zu einem namentlichen Profilkonto des Klägers, [folgt Darstellung der früheren Strafverfahren und über deren Rechtsmittelstand bzw. Freispruch], Einleitung einer gerichtlichen Untersuchung gegen den Kläger wegen des Verdachts der „Propaganda für eine terroristische Vereinigung“ und Übersendung weiterer Anlagen.
8
- Amtsgericht, Haftrichter, Festnahmebefehl vom 25. März 2021, Az. ... gegen den namentlich genannten Kläger wegen des Verdachts der Propaganda für eine terroristische Organisation mit Tatdatum 4. März 2021 aufgrund Art. 7 Abs. 2 Anti-Terror-Gesetz. Festnahmegrund: Ermittlungsphase, um eine Aussage zu machen oder gezielte Festnahme zwecks Verhaftung (Art. 98 CMK), [folgt Anweisungen für näheres Verfahren zur Vernehmung mit anschließender Freilassung].
9
- Oberstaatsanwaltschaft, Anklageschrift an das 2. Gericht für schwere Strafen in ... vom 4. Juli 2021, Az.... u.a. wegen Propaganda für eine Terrororganisation strafbar nach Art. 7 Abs. 2 Anti-Terror-Gesetz [folgen weitere Angaben].
Bericht über die Ermittlungen in sozialen Medien zur Veröffentlichung von Beiträgen zugunsten der Terrororganisation PKK/KCK, allgemeine Informationen über die PKK, Aufstellung einzelner Beiträge, welche der namentlich genannte Kläger öffentlich einsehbar teilte und die Terrororganisation PKK/KCK lobte, insbesondere mehrfach Fotos bewaffneter Mitglieder der Terrororganisation PKK/KCK mit befürwortenden Kommentaren einschließlich einer Grußformel für Öcalan [„Präsident APO“] teilte (BAMF-Akte Bl. 16 ff.). Der Haftbefehl sei erlassen worden, weil der Kläger als Verdächtiger nicht gehört werden konnte. Es wurde festgestellt, dass der Kläger die Straftaten im Namen der Organisation begangen habe und mit diesen Posts versuche, die Terrororganisation zu legitimieren. Fotos, Flaggen und Ankündigung von Aktivitäten sowie Anpreisung der Mitglieder der Organisation als Helden seien Propaganda für diese Terrororganisation PKK/KCK.
10
- Rechtsanwalt,, Schreiben vom 18. August 2021: [… Ausführungen zur Identität des Klägers] … Er und seine Familie hätten seit langen Jahren bei den kurdischen Parteien wie […] HDP als Mitglied, Leiter oder freiwillige politische Arbeit geleistet und aus diesem Grund sei der Kläger in Gewahrsam genommen und eine Klage gegen ihn mit dem Vorwurf der Organisation Propaganda eingelegt worden. Während der Dauer der Ingewahrsamnahme sei der Kläger zahlreichen Rechtsverletzungen ausgesetzt gewesen, Folter und schlechter Behandlung, seine Gesundheit und Psyche seien gestört worden. Am 25. Juli 2021 habe ihn sein Mandant angerufen und Informationen über laufende Verfahren haben wollen. Am 26. Juli 2021 habe der Kläger ihm sein Kennwort für das Bürgerportal UYAP mitgeteilt und unter Nutzung dieser Daten habe der Anwalt erfahren, dass gegen den Kläger wegen Beiträgen, die er auf dem sozialen Netzwerk Twitter geteilt habe, der Vorwurf der Organisation Propaganda erhoben und am 25. März 2021 ein Festnahmebefehl erlassen worden sei. Die Dokumente habe er dem Schreiben beigefügt. Wegen der drohenden schweren Haftstrafe drohe dem Kläger auch die Ingewahrsamnahme aufgrund des Haftbefehls. […]
11
Das Bundesamt hörte den Kläger am 14. September 2021 in türkischer Sprache an (ebenda Bl. 83 ff.). Der Kläger gab im Wesentlichen an, ihm drohe bei einer Rückkehr in die Türkei die Festnahme, da er bereits zuvor dort kriminalisiert worden sei. Nach Ablehnung seines Asylantrags habe er mit dem Anwalt in der Türkei Kontakt aufgenommen, der das Kennwort für UYAP verlangt und dann recherchiert habe und ihm den Festnahmebefehl mit den weiteren Unterlagen übermittelt habe. Auf Nachfrage bestätigte er, er habe diesem Anwalt in der Türkei keine Vollmacht erteilt, sondern nur ein Passwort für UYAP mitgeteilt. Auf weitere Nachfrage, warum er da nicht selbst in e-Devlet nachgeschaut habe, auch ohne Anwalt, erklärte der Kläger, er wollte, dass sein Anwalt nachschaue, da er sich besser auskenne und bei der türkischen Staatsanwaltschaft sich erkundigen könne (ebenda Bl. 85). Der Kläger meldete sich während der Anhörung in e-Devlet an und dort sei die Anklageschrift vorzufinden (ebenda Bl. 85). Auf weitere Fragen gab er an, den Account über Twitter bereits seit dem Jahr 2011 zu haben und einen Teil der Tweets darin selbst verfasst, den größten Teil aber retweetet zu haben, insbesondere die in der Anklageschrift genannten Tweets. Er habe sie im Zeitraum ab 2019 verfasst oder geteilt, als er schon in Deutschland gewesen sei (ebenda Bl. 85). Den in der Anklageschrift genannten Vorwürfen stimme er nicht zu, denn es gebe Meinungsfreiheit und er habe keine Terrororganisation verteidigt. Die PKK sei seiner Meinung nach keine Terrororganisation, er selbst sei gegen Gewalt und die PKK habe sich seit ihrer Gründung grundlegend gewandelt. Er sei gegen eine bewaffnete Organisation, aber seine Freunde, Nachbarn und Bekannte würden sich der PKK anschließen, deshalb könne er sie nicht als Terroristen bezeichnen. Der Kläger habe sich für einen anderen Weg entschieden und meine, dass dies politisch entschieden werden sollte, was die HDP versuche. Er und seine Familie verstünden sich als kurdische Aktivisten. Sein Bruder sei zu einer Haftstrafe von 10 Jahren und 10 Monaten in der Türkei verurteilt worden, nur weil er in der Bibliothek für die BDP gearbeitet habe. […] (ebenda Bl. 86).
Auf Vorhalt räumte er ein, dass die PKK eine bewaffnete Organisation sei und gute und schlechte Dinge gemacht habe. Nicht alle Kurden stimmten mit den Taten der PKK überein. Selbstverständlich seien Waffen keine Lösung […]. Auf Vorhalt des Inhalts seiner Tweets, die das Maß freier und friedlicher politischer Meinungsäußerungen verließen, insbesondere, wenn er die PKK lobe und deren Taten gut heiße, widersprach der Kläger, die YPG, auf die sich seine Tweets bezögen, würde in Deutschland und Europa nicht als Terrororganisation eingestuft. […] Dass die PKK in Deutschland als Terrororganisation eingestuft sei, das wisse er auch (ebenda Bl. 87). Auf Nachfrage, ob es einen bestimmten Grund für diese Tweets nach der Einreise nach Deutschland gegeben habe, erklärte der Kläger, er habe das auch schon vorher gemacht, sei anscheinend aber erst ab 2019 beobachtet worden (ebenda Bl. 87). Weshalb frühere Tweets nicht in der Anklageschrift aufgeführt seien, wisse er nicht, das müsse die türkische Justiz beantworten (ebenda Bl. 87).
Bei einer Rückkehr in die Türkei fürchte er Inhaftierung und den Vorwurf schwerster Straftaten durch die türkische Justiz. Auch seine alten Akten könnten dann wiedereröffnet und er zu einer Gesamtstrafe verurteilt werden und insgesamt eine höhere Strafe erhalten. In der Türkei werde man wegen Terrorpropaganda nicht angemessen bestraft, nicht wie in Deutschland eine Haftstrafe in eine Geldstrafe umgewandelt.
12
Auf dem Kontrollbogen bestätigte der Kläger, es habe bei der in türkischer Sprache durchgeführten Anhörung keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben, das rückübersetzte Protokoll entspreche seinen Angaben und diese seien vollständig und entsprächen der Wahrheit (BAMF-Akte Bl. 89).
13
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 22. September 2021 den Antrag des Klägers als unzulässig (Nr. 1 des Bescheids) und auf Abänderung des Bescheids vom 28. Januar 2019 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ab (Nr. 2). Auf die hiergegen erhobene Klage und einen rechtlichen Hinweis des Berichterstatters hob das Bundesamt diesen Bescheid mit Bescheid vom 18. Oktober 2021 auf; das Verfahren wurde eingestellt (VG Augsburg, B.v. 21.10.2021 - Au 6 K 21.30953).
14
Das Bundesamt lehnte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 10. November 2021 den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) sowie auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ab (Nr. 4). Die Abschiebung in die Türkei wurde angedroht (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung führte das Bundesamt aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vorlägen, weil der Kläger eine Verfolgung im Herkunftsstaat nicht habe glaubhaft machen können. Die Echtheit der vorgelegten Dokumente sei zwar nicht in Zweifel zu ziehen, aber eine konkrete Vorverfolgung in Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal habe er nicht erlitten bzw. zu befürchten. Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, wegen seiner Aktivität in den sozialen Medien bei einer Rückkehr in die Türkei politisch verfolgt zu werden, da die Maßnahmen des türkischen Staates auf die Abwehr von Terrorismus abzielen und nicht, wie vom Kläger behauptet, eine unzulässige Beschränkung seiner politischen Meinungsfreiheit darstellten oder in Zusammenhang mit seiner kurdischen Volkszugehörigkeit stünden. Es handele sich um eine legitime, nicht mit einem Politmalus behaftete Strafverfolgung. Auch wenn die türkischen Behörden willkürlich darüber zu entscheiden schienen, wer für die Veröffentlichung von als verboten angesehenen Nachrichten in den sozialen Netzwerken strafverfolgt werde und welche im Ausland „geposteten“ Beiträge von türkischen Behörden erfasst würden, auch ein hohes Risiko einer Strafverfolgung aufgrund des „Likens“ oder Teilens von Inhalten mit bewaffneten kurdischen Kämpfern bestehe, sei es dem Kläger nicht gelungen, eine politische Verfolgung glaubhaft darzulegen. So habe bereits das VG Augsburg im Erstverfahren die Überzeugung gewonnen, dass der Vorwurf der Propaganda für eine terroristische Vereinigung hinsichtlich des Klägers im Rahmen anderer Ermittlungen seinerzeit nicht aus der Luft gegriffen sei (Rn. 37) und auch der Kläger habe nicht bestritten, diese Tweets bzw. Retweets über seinen Twitter-Account veröffentlicht zu haben, jedoch mit der Einschränkung, dass es sich hierbei lediglich um freie Meinungsäußerung gehandelt habe. Nach Sichtung der in der Anklageschrift aufgeführten Tweets sei dies jedoch eine Verharmlosung auch mit Blick auf die Sicht des Klägers in seiner informatorischen Anhörung auf die PKK. Ein Großteil der Tweets haben einen direkten Bezug zur PKK/KCK und auch zur YPG und es sei auch unerheblich, ob die YPG in Deutschland oder Europa als Terrororganisation eingestuft sei oder nicht. Maßgeblich für das Handeln des Klägers sei das geltende türkische Strafrecht. Der Kläger müsse auch nicht mit einer unverhältnismäßigen und diskriminierenden hohen Haftstrafe rechnen wegen Terrorpropaganda laut Art. 7 Terrorbekämpfungsgesetz (Gesetz Nummer 3713). Der Strafrahmen betrage bei Terrorpropaganda ein bis zu fünf Jahren, der nach Satz 2 um die Hälfte erhöht werde. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen ebenfalls nicht vor. Auch Abschiebungsverbote seien nicht ersichtlich. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in der Türkei würden nicht zu der Annahme führen, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. In der Türkei bestehe kein generelles, strukturelles Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in der Haft, die Art. 3 EMRK zuwiderlaufen würde. Konkrete Anhaltspunkte im Einzelfall des Klägers seien hierfür aber nicht geltend gemacht oder ersichtlich. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate sei angemessen. Schutzwürdige Belange seien nicht vorgetragen worden.
15
Gegen diesen am 15. November 2021 als Einschreiben zur Post gegebenen Bescheid ließ der Kläger am 26. November 2021 Klage erheben mit dem Antrag:
16
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 1, 3 bis 6 ihres Bescheids vom 10. November 2021 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
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II. Hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen.
18
III. Höchst hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass beim Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf das Herkunftsland vorliegt.
19
Weiter ließ er trotz gerichtlicher Aufforderung in der Erstzustellung und Setzung einer Präklusionsfrist in der Ladung bis zur mündlichen Verhandlung keine weitere Klagebegründung vorlegen.
20
Die Beklagte hat ihre Verfahrensakten vorgelegt und 21 Klageabweisung beantragt.
21
Die Regierung von Schwaben als Vertreterin des öffentlichen Interesses hat auf jegliche Zustellungen mit Ausnahme der Endentscheidung verzichtet.
22
Mit Beschluss vom 28. Januar 2022 hat die Kammer den Rechtsstreit in der Hauptsache zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Mit der Ladung übersandte das Gericht die aktuelle Erkenntnismittelliste.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die von der Beklagten am vorgelegte Behördenakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

24
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 10. November 2021 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
26
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.
27
Im Einzelnen sind definiert die Verfolgungshandlungen in § 3a AsylG, die Verfolgungsgründe in § 3b AsylG und die Akteure, von denen eine Verfolgung ausgehen kann bzw. die Schutz bieten können, in §§ 3c, 3d AsylG. Einem Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, der nicht den Ausschlusstatbeständen nach § 3 Abs. 2 AsylG oder nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG unterfällt oder der den in § 3 Abs. 3 AsylG bezeichneten anderweitigen Schutzumfang genießt, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG) und den Verfolgungshandlungen - den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen, § 3a AsylG - muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
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Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
29
a) Die politische Lage in der Türkei stellt sich derzeit wie folgt dar:
30
Die Türkei ist nach ihrer Verfassung eine konstitutionelle Präsidialrepublik und ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat und war besonders den Grundsätzen des Staatsgründers Mustafa Kemal („Atatürk“) verpflichtet. Der - im Jahr 2014 erstmals direkt vom Volk gewählte - Staatspräsident hatte eine eher repräsentative Funktion; die Regierungsgeschäfte führte der Ministerpräsident. Durch die Verfassungsänderungen des Jahres 2018 ist die Türkei in eine Präsidialrepublik umgewandelt worden, in welcher Staats- und Regierungschef personenidentisch sind: Staatspräsidenten Erdoğan (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 6 f.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - im Folgenden: BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 5 ff. m.w.N.; Accord, Türkei COI-Compilation, Auszug in deutscher Übersetzung, Dez. 2020, S. 10 ff.).
Im Parlament besteht von Verfassungs wegen ein Mehrparteiensystem, in welchem die seit dem Jahr 2002 regierende „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AKP) des früheren Ministerpräsidenten und heutigen Staatspräsidenten Erdoğan die zahlenstärkste Fraktion darstellt. Die heutige Parteienlandschaft in der Türkei ist geprägt von drei Faktoren, die sich gegenseitig verstärken: Erstens herrschen zwischen den Parteien relativ stabile Größenverhältnisse in der Relation 4 zu 2 zu 1. Die AKP ist stets unangefochten stärkste Kraft. Mit klarem Abstand folgt die CHP, die in der Regel halb so viele Stimmen bekommt wie die AKP, und darauf die MHP mit wiederum circa der Hälfte der Stimmen der CHP. Die pro-kurdische Partei der Demokratie der Völker (HDP) hat sich erst in den letzten Jahren dauerhaft etabliert. Zweitens sind die Wähler von drei der genannten Parteien relativ klar abgegrenzten Milieus zuzuordnen, die sich nicht nur nach ethno-kulturellen Zugehörigkeiten unterscheiden lassen, sondern auch nach divergierenden Lebensstilen sowie schichtenspezifischen sozialen und wirtschaftlichen Lagen. Die AKP stützt sich primär auf eine türkisch-national empfindende und ausgeprägt religiöse Wählerschaft mit konservativer Sittlichkeit und traditionellem Lebensstil, die eher den unteren Einkommens- und Bildungsschichten zuzurechnen ist. Die CHP dagegen vertritt die türkisch-säkularen Schichten höheren Bildungsgrades mit einem europäischen Lebensstil und durchschnittlich deutlich höheren Einkommen. Ob im Hinblick auf Schicht oder Bildung, Modernität oder Konservatismus: Die MHP steht zwischen den beiden größeren Parteien. Charakteristisch für sie ist ein stark ethnisch gefärbter türkischer Nationalismus, der sich in erster Linie als bedingungslose Identifikation mit dem Staat und als starke Ablehnung kurdischer Identität äußert. Die HDP gibt sich als linke Alternative, wird jedoch generell als die Partei der kurdischen Bewegung wahrgenommen. Mehr noch als bei den anderen Parteien ist die ethnisch-nationale Komponente für die Zugehörigkeit ihrer Anhängerschaft bestimmend. Drittens verfügen drei der genannten Parteien über geographische Stammregionen mit einem eigenen Milieu. So ist die AKP in allen Landesteilen stark vertreten, hat aber ihr Stammgebiet in Zentralanatolien und an der Schwarzmeerküste. Die CHP hat an den Küsten der Ägäis und in zweiter Linie in Thrazien und am Mittelmeer großen Rückhalt; die HDP hingegen in den primär kurdisch besiedelten Regionen. Die klare Aufteilung folgt auch der wirtschaftlichen Entwicklung der Stammregionen, denn die CHP reüssiert in den ökonomisch am stärksten entwickelten Regionen, die keine oder nur wenig staatliche Förderung benötigen. Die AKP vertritt die immer noch eher provinziell geprägten Gebiete, die auf staatliche Infrastrukturleistungen und Investitionen angewiesen sind. Die HDP ist in den kurdischen besiedelten Gebieten zuhause, die als Schauplatz des türkisch-kurdischen Konflikts (dazu unten) besonders unterentwickelt sind. Wahlergebnisse in der Türkei bilden deshalb nicht primär Verteilungskonflikte ab, sondern Identitäten ihrer Wähler: In den europäischen Ländern, die türkische Arbeitsmigranten aufgenommen haben, stimmten weit über 60 Prozent für Erdoğan und seine AKP; dagegen votierten in den USA, wo sich die türkische Migration aus Akademikern und anderen Angehörigen der Mittelschicht zusammensetzt, weniger als 20 Prozent für die AKP (zum Ganzen Stiftung Wissenschaft und Politik - SWP, Die Türkei nach den Wahlen: Alles wie gehabt und doch tiefgreifend anders, S. 2 f., www.swp-berlin.org; detailliert zu den Parteien Accord, Türkei COI-Compilation, Auszug in deutscher Übersetzung, Dez. 2020, S. 22 ff.).
31
In der vorverlegten Präsidentschaftswahl vom 24. Juni 2018 hat Erdoğan die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen können; auch die regierende AKP errang bei der Parlamentswahl mit 42,5% der Stimmen die relative Mehrheit und zusammen mit den 11,2% Stimmenanteil der mit ihr verbündeten ultranationalistischen MHP auch die Mehrheit der Parlamentssitze, während die linkskemalistische CHP 22,65% erreichte, die rechtsnationalistische IYI Parti 9,96% und die kurdische HDP trotz Inhaftierung ihres Vorsitzenden Demirtas seit 2016 11,70% (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 6 f.; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 6 f.; Accord, Türkei COI-Compilation, Auszug in deutscher Übersetzung, Dez. 2020, S. 17).
Durch die o.g. abgeschlossene Verfassungsänderung wurde Staatspräsident Erdoğan zugleich Regierungschef. Ohne parlamentarische Mitsprache ernennt und entlässt der Staatspräsident die Regierungsmitglieder, kann Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen und vier der 13 Mitglieder im Rat der Richter und Staatsanwälte (HSK) ernennen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 7, 22; Accord, Türkei COI-Compilation, Auszug in deutscher Übersetzung, Dez. 2020, S. 20). In den Kommunalwahlen vom 30. März 2019 verlor die AKP nach 20 Jahren die Stadt Ankara an die Opposition, ebenso die Großstädte Adana, Antalya und Mersin sowie in der Wiederholungswahl am 23. Juni 2019 auch das von ihr seit 25 Jahren regierte Istanbul, wo Staatspräsident Erdoğan einst als Bürgermeister seine politische Laufbahn begonnen hatte. Diese ist von nationaler Bedeutung, da ein Fünftel der türkischen Bevölkerung in Istanbul lebt und die Stadt ein Drittel des Bruttonationalproduktes erwirtschaftet. Zudem hatte Staatspräsident Erdoğan mehrmals erklärt, wer Istanbul regiere, regiere die Türkei (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 6; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 6).
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In der Nacht vom 15./16. Juli 2016 fand in der Türkei ein Putschversuch von Teilen des Militärs gegen Staatspräsident Erdoğan statt, dem sich auf Aufrufe der AKP hin viele Bürger entgegenstellten und der innerhalb weniger Stunden durch regierungstreue Militärs und Sicherheitskräfte niedergeschlagen wurde. Staatspräsident Erdoğan und die Regierung machten den seit dem Jahr 1999 im Exil in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen und dessen bis dahin vor allem für ihr Engagement in der Bildung und in der humanitären Hilfe bekannte Gülen-Bewegung (zu ihrer Entwicklung vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 4; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 12 f.; zum Putschversuch Accord, Türkei COI-Compilation, Auszug in deutscher Übersetzung, Dez. 2020, S. 35 ff.) für den Putsch verantwortlich. Diese wurde als terroristische Organisation eingestuft und ihre echten oder mutmaßlichen Anhänger im Zuge einer „Säuberung“, die sich auch auf Anhänger der verbotenen „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) erstreckte, mit einer Verhaftungswelle überzogen. Gegen ca. 600.000 Personen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet, über 25.000 Personen befinden sich in Haft. Über 150.000 Beamte und Lehrer an Privatschulen wurden vom Dienst suspendiert bzw. aus dem Militärdienst entlassen. Flankiert wurden diese Maßnahmen durch die Ausrufung des Ausnahmezustands (Notstand), welcher der Exekutive erhebliche Handlungsvollmachten einräumte, mehrfach verlängert wurde und zwar am 19. Juli 2018 auslief, aber in einigen Bereichen in dauerhaft geltendes Recht überführt wurde (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 03.06.2021, S. 4 f. - im Folgenden: Lagebericht; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 8, 12, 23 f.). Zu diesen Regelungen gehören insbesondere die Ermächtigung der Gouverneure, Ausgangssperren zu verhängen, Demonstrationen und Kundgebungen zu verbieten, Vereine zu schließen sowie Personen und private Kommunikation intensiver zu überwachen (vgl. Stiftung Wissenschaft und Politik - SWP, Die Türkei nach den Wahlen: Alles wie gehabt und doch tiefgreifend anders, S. 8, www.swp-berlin.org; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 7).
Als Sicherheitsorgane werden die Polizei in den Städten, die Jandarma am Stadtrand und in den ländlichen Gebieten sowie der Geheimdienst (MIT) landesweit tätig; das Militär ging in den vergangenen Jahren seiner staatlichen Sonderrolle mit einer de-facto-Autonomie gegenüber parlamentarischer Kontrolle als Hüter kemalistischer Grundsätze verlustig (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 7) und dem Verteidigungsminister als ziviler Instanz unterstellt mit der zusätzlichen Befugnis des Staatspräsidenten, den Kommandeuren der Teilstreitkräfte direkt Befehle zu erteilen (BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 27). Durch die „Säuberungen“ in Folge des Putsches wurde seine innenpolitische Selbständigkeit beseitigt und z.B. die Militärgerichtsbarkeit in die zivile Gerichtsbarkeit überführt.
33
Neben dem Putschversuch im Juli 2016 prägt der Kurdenkonflikt die innenpolitische Situation in der Türkei, in welchem der PKK zugehörige oder von türkischen Behörden und Gerichten ihr zugerechnete Personen erheblichen Repressalien ausgesetzt sind (vgl. dazu unten). Die PKK (auch KADEK oder KONGRA-GEL genannt) ist in der Europäischen Union als Terrororganisation gelistet (vgl. Rat der Europäischen Union, B.v. 4.8.2017 - (GASP) 2017/1426, Anhang Nr. II. 12, ABl. L 204/95 f.) und unterliegt seit 1993 in der Bundesrepublik Deutschland einem Betätigungsverbot; ihre Anhängerzahl wird hier auf rund 14.000 Personen geschätzt (vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz, www.verfassungsschutz.de/de/ arbeitsfelder/af-auslaenderextremismus-ohne-islamismus/was-ist-auslaenderextremismus/ arbeiterpartei-kurdistans-pkk, Abfrage vom 26.4.2018; zu Struktur und Zielen auch Accord, Türkei COI-Compilation, Auszug in deutscher Übersetzung, Dez. 2020, S. 32 ff., 92 ff.). Die PKK wird als die schlagkräftigste ausländerextremistische Organisation in Deutschland eingestuft; sie sei in der Lage, Personen weit über den Kreis der Anhängerschaft hinaus zu mobilisieren. Trotz weitgehend störungsfrei verlaufender Veranstaltungen in Europa bleibe Gewalt eine Option der PKK-Ideologie, was sich nicht zuletzt durch in Deutschland durchgeführte Rekrutierungen für die Guerillaeinheiten zeige (Bundesamt für Verfassungsschutz, ebenda).
34
b) Eine Gruppenverfolgung allein wegen einer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden haben Asylbewerber aus der Türkei nicht zu befürchten. Kurden gehören zu einer weit verbreiteten Bevölkerungsgruppe in der Türkei (Daten bei Accord, Türkei COI-Compilation, Auszug in deutscher Übersetzung, Dez. 2020, S. 7, 203 ff.). Anhaltspunkte für eine staatliche oder staatlich geduldete Gruppenverfolgung ethnischer Kurden liegen nicht vor (vgl. in st. Rspr. VG Augsburg, U.v. 17.12.2019 - Au 6 K 17.35166 - juris Rn. 40 ff. m.w.N.; bestätigend BayVGH, B.v. 10.2.2020 - 24 ZB 20.30271 - Rn. 6). Dies gilt auch für den Kläger.
35
c) Eine individuelle Verfolgung wegen einer Zugehörigkeit/Zurechnung zur PKK oder HDP hat der Kläger nicht zu befürchten. Weder gehört er ihnen an, noch wird er ihnen vom türkischen Staat als Mitglied zugerechnet.
36
d) Eine individuelle Verfolgung wegen des Vorwurfs von „Terrorismus“ hat der Kläger nicht zu befürchten. Zwar sind dem Festnahmebefehl zur Vernehmung der Tatvorwurf der Propaganda für eine Terrororganisation und als einschlägige Gesetzesstelle Art. 7 Abs. 2 des Terrorbekämpfungsgesetzes, mithin der Verdacht einer seitens des türkischen Staats als „Terrorismus“ bezeichneten Handlung/Haltung zu entnehmen. Es liegt aber in der reinen strafprozessualen Ermittlung und dem Festnahmebefehl zwecks Vernehmung mit anschließend vorgesehener Freilassung von der Intensität der Maßnahme ohne ersichtlichen Politmalus her noch keine Verfolgungshandlung vor.
37
Der Kläger macht hierzu im Wesentlichen geltend, er habe lediglich die o.g. Tweets in Twitter verfasst oder geteilt. Das sei keine propagandistische Unterstützung etwaigen Terrors, denn er lehne Gewalt ab.
38
Unscharf und Vorwand für die Bandbreite an Repressalien ist der von türkischen Behörden und Gerichten angewandte Begriff des „Terrorismus“. Zwar gewährleistet die türkische Rechtsordnung die Presse- und Meinungsfreiheit, schränkt sie jedoch durch zahlreiche Bestimmungen der Straf- und Antiterrorgesetze ein mit einer unspezifischen Terrorismusdefinition. Seitens der regierenden AKP wird eine Neudefinition des „Terrorismus“-Begriffs im Antiterrorgesetz vorbereitet, wonach auch Personen, die in Medien und sozialen Netzwerken „Terrorpropaganda betreiben sowie Terrororganisationen logistische Unterstützung leisten“, erfasst werden. Ebenso problematisch ist jedoch die sehr weite Auslegung des „Terrorismus“-Begriffs durch die Gerichte. So kann etwa auch öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten der Südosttürkei oder das Teilen von Beiträgen mit PKK-Bezug bei entsprechender Auslegung bereits den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen. Die „Beleidigung des Türkentums“ ist gemäß Art. 301 tStGB strafbar und kann von jedem Staatsbürger zur Anzeige gebracht werden, der Meinungs- oder Medienäußerungen für eine Verunglimpfung der nationalen Ehre hält (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 4, 9 f.; SFH, Türkei: Teilen und „Liken“ von „kritischen“ Inhalten auf Facebook, Auskunft vom 29.10.2020, S. 5 ff.). Die Wahrscheinlichkeit einer Strafverfolgung ist eher willkürlich und nicht prognostizierbar; Bezüge zur PKK werden aber eher strafverfolgungsrelevant als bloß zur HDP (vgl. SFH, Türkei: Teilen und „Liken“ von „kritischen“ Inhalten auf Facebook, Auskunft vom 29.10.2020, S. 5 ff.).
39
Die Anwendungspraxis des Internetgesetzes vom März 2018 und des Gesetzes über soziale Medien aus dem Jahr 2020 ermöglichen weiterhin die (Teil-) Sperrung von Webseiten oder einzelner Artikel mit dem Ziel einer inhaltlichen Zensur sowie der Speicherung und Abfrage von Nutzer-Daten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 11).
40
Exilpolitische Aktivitäten türkischer Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind, können nach türkischen Gesetzen bestraft werden. Diese Personen können Ziel polizeilicher oder justizieller Maßnahmen werden, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen, vor allem auch Mitgliedern des sog. „Gülen-Netzwerkes“ (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 15 f.). Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können (vgl. BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 88 f.). Es muss davon ausgegangen werden, dass türkische Stellen Regierungsgegner im Ausland vor allem aus Gülen- und PKK-Kreisen ausspähen (Lagebericht ebenda, S. 15 f.). In diesem Zusammenhang können auch regimekritische Äußerungen insbesondere zu Gunsten der PKK strafverfolgungsrelevant werden (vgl. SFH, Türkei: Teilen und „Liken“ von „kritischen“ Inhalten auf Facebook, Auskunft vom 29.10.2020, S. 5 ff.).
41
Die neue Strafverfolgung gegen den Kläger wegen des Tatvorwurfs der Propaganda für eine Terrororganisation weist zwar ersichtlich einen unterstellten prokurdischen und separatistischen Bezug auf. Die einschlägige zitierte Gesetzesstelle Art. 7 Abs. 2 des Terrorbekämpfungsgesetzes unterstreicht dies.
42
Allein aus dem Akt der Strafverfolgung als solchem aber kann noch nicht darauf geschlossen werden, dass eine Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsrechts vorliegt. Nach der Rechtsprechung ist bei staatlichen Maßnahmen, die allein dem grundsätzlich legitimen staatlichen Rechtsgüterschutz, etwa im Bereich der Terrorismusbekämpfung, dienen oder die nicht über das hinausgehen, was auch bei der Ahndung sonstiger krimineller Taten ohne politischen Bezug regelmäßig angewandt wird, nicht von politischer Verfolgung auszugehen (vgl. VG Augsburg, U.v. 10.11.2021 - Au 3 K 20.30960 - Rn. 35 m.w.N. auf NdsOVG, U.v. 31.5.2016 - 11 LB 53/15 - juris; VG Bremen, U.v. 08.5.2020 - 2 K 962/18 - juris Rn. 23).
43
aa) Die abstrakte Strafbarkeit und Strafandrohung einer Propaganda für eine Terrororganisation nach Art. 7 Abs. 2 des Terrorbekämpfungsgesetzes stellen noch keine Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG dar, da sie nicht automatisch an ein in § 3b AsylG genanntes Merkmal anknüpfen, sondern allein an eine behauptete Tathandlung der Propaganda für eine Terrororganisation.
44
Der Schutz des Staates vor Terrorismus und die Unterbindung der Verherrlichung terroristischer Ziele sind per se noch von der Verteidigung der staatlichen Ordnung durch einen Staat umfasst. Die Unterbindung und ggf. strafrechtliche Sanktionierung von Propaganda für eine Terrororganisation ist ein auch in demokratischen Staaten gebilligtes öffentliches Interesse, das durch entsprechende Strafnormen wie § 129a Abs. 5 StGB auch in Deutschland geschützt wird. Wie die Beklagte zutreffend in ihrer Bescheidsbegründung ausführt, handelt es sich abstrakt noch um eine staatliche Verfolgung kriminellen Unrechts in Bezug auf eine Terrororganisation, vorbehaltlich der konkreten Anwendung der Norm im Einzelfall. Daher ist der Straftatbestand des Art. 7 Abs. 2 des Terrorbekämpfungsgesetzes keine als solche diskriminierende gesetzliche Maßnahme.
45
Dies gilt auch für die abstrakte Strafandrohung, die im deutschen Strafrecht nach § 129a Abs. 5 StGB die Unterstützung einer Terrororganisation mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft und die Werbung von Mitgliedern für eine Terrororganisation mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft und die in der Türkei nach Art. 7 Abs. 2 Satz 1 des Terrorbekämpfungsgesetzes (Gesetz Nr. 3713) mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu maximal fünf Jahren und somit noch innerhalb des maximalen Strafmaßes des deutschen Strafrechts und nicht unvertretbar schärfer ahndet.
46
bb) Auch die konkrete Anwendung der Strafnorm des Art. 7 Abs. 2 des Terrorbekämpfungsgesetzes (Gesetz Nr. 3713) durch die türkischen Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte lässt weder abstrakt noch im Fall des Klägers konkret eine Diskriminierung („Politmalus“) erkennen.
47
Wie die Beklagte zutreffend in ihrer Bescheidsbegründung ausführt, setzt eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung voraus, dass sich aus den Umständen des Einzelfalls ergibt, dass entweder im Rahmen des Strafverfolgungsprozesses über alle Instanzen oder aus Inhalt, Umfang und Begleitumständen des Urteils entnommen werden kann, dass bestehende Strafverfolgungsnormen unverhältnismäßig oder diskriminierend angewandt würden, um den Kläger in Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal gezielt rechtsgutverletzend vom Rest der Gesellschaft abzugrenzen. Es sei bei Anknüpfung an eine politisch oppositionelle Überzeugung zu unterscheiden, ob sich aus den Umständen der Strafverfolgung ein unverhältnismäßiger Charakter erkennen lasse, dass der Staat das Strafrecht zur Verfolgung politischer Gegner einsetze, oder ob es sich um rechtmäßige Strafverfolgung handele.
Sie führt weiter aus, bei Wahrunterstellung des Festnahmebefehls ergebe sich, dass der Kläger der Straftat „Betreiben von Propaganda für eine Terrororganisation“ verdächtigt und deswegen festgenommen und nach der Aufnahme der Aussage freigelassen werden soll. Es handele sich um eine staatliche Verfolgung kriminellen Unrechts in Bezug auf eine Terrororganisation. Da der Kläger die Tweets einräume, die ersichtlich Bezug zur gewaltsamen Durchsetzung politischer Ziele, Grußadressen an bewaffnete Kämpfer und an den früheren Vorsitzender der PKK Öcalan enthielten, sei von einem legitimen Strafverfahren auszugehen. Schließlich sei eine Festnahme hinsichtlich eines Verhörs mit anschließender Freilassung beantragt und angeordnet worden. Aus den Inhalten der beiden Dokumente ergebe sich nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit, dass das Verfahren in der Türkei nicht rechtsstaatlichen Prinzipien entspreche. Das Asylverfahren stelle kein (internationales) Rechtsmittelverfahren dar, sondern schütze nur vor diskriminierender Verfolgung. Demnach sei dem Kläger die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz aufgrund politischer Verfolgung zu versagen, da er lediglich vor einer legitimen Strafverfolgung aus der Türkei geflohen sei.
48
(1) Vorliegend handelt es sich um einen häufigen Fall der Strafverfolgung in der Türkei, denn es ist bekannt, dass kurzfristige Festnahmen von offizieller Seite regelmäßig mit dem Hinweis auf die angebliche Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bzw. Verbreitung von Propaganda einer kriminellen Organisation gerechtfertigt werden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 18).
49
(2) Davon abgesehen mag die Häufigkeit der Einleitung und Durchführung solcher Strafverfahren wegen vermeintlicher „Terrorpropaganda“ im Vergleich zur Zahl jener in Deutschland aus vergleichbarem Anlass befremden. Sie folgt aber aus der Strafhoheit des türkischen Staats und lässt weder abstrakt noch im Fall des Klägers konkret eine Diskriminierung („Politmalus“) erkennen.
50
cc) Ob sich der Kläger durch die mehrfache Teilung und Verfassung von die PKK verherrlichenden Tweets nach Art. 7 Abs. 2 des Terrorbekämpfungsgesetzes (Gesetz Nr. 3713) strafbar gemacht hat oder nicht, entzieht sich der Bewertung des Verwaltungsgerichts. Nach derzeitigem Verfahrensstand ist der Kläger nicht verurteilt worden, vielmehr soll er ausweislich des von ihm in Kopie vorgelegten Festnahmebefehls erst zum Tatvorwurf vernommen und danach wieder freigelassen werden. Ob er tatsächlich verurteilt würde, ist derzeit völlig offen.
51
Letztlich aber ist die Auslegung türkischer Strafnormen nach der türkischen Verfassung Aufgabe der türkischen Strafgerichte und nicht eines deutschen Verwaltungsgerichts. Dass das Vorgehen des türkischen Staates über das hinausgeht, was erforderlich ist, damit dieser sein legitimes Recht auf staatlichen Rechtsgüterschutz ausüben kann (vgl. VG Augsburg, U.v. 10.11.2021 - Au 3 K 20.30960 - Rn. 35 m.w.N. auf VG München, U.v. 9.10.2019 - M 1 K 17.39717 - juris Rn. 44 m.w.N.), also eine diskriminierende Anwendung der türkischen Strafnorm auf den Kläger oder ein „Politmalus“, können zum derzeitigen Stand ihres Strafverfahrens in der Türkei jedenfalls nicht festgestellt werden.
52
dd) Dass das Strafverfahren gegen den Kläger in der Türkei gegen grundlegende prozessuale Werte und das Gebot der Verfahrensfairness verstieße, ist nach derzeitigem Verfahrensstand nicht ersichtlich und auch von ihm nicht substantiiert geltend gemacht worden.
53
Hinsichtlich der Strafzumessungs- und Strafverfolgungspraxis in der Türkei zeigt sich ein tendenziell negatives Bild: Von der Europäischen Union wurden der Türkei erhebliche Defizite im Bereich der Justiz bescheinigt. Sichert das türkische Recht im Bereich der allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung noch die grundsätzlichen Verfahrensgarantien, bestehen in politisierten Strafverfahren, etwa wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der oder Propaganda für die PKK, DHKP-C oder Gülen-Bewegung, erhebliche Zweifel an der richterlichen Unabhängigkeit und fairen Prozessführung. So wurden einzelne Richter nach kontroversen Entscheidungen suspendiert oder (straf) versetzt, woraufhin andere Richter gegen die gleichen Angeklagten zum politisch opportunen Ergebnis kamen. Belastbare Erkenntnisse über eine Beeinflussung justizieller Entscheidungen in konkreten Einzelfällen lassen sich indes kaum gewinnen. Erschwerend kommt hinzu, dass auch bereits im Rahmen von Ermittlungen noch vor formeller Anklageerhebung gezielt weitgehende freiheitsbeschränkende Maßnahmen erwirkt werden wie Untersuchungshaft oder Ausreisesperren, gestützt auf pauschale Behauptungen, ohne diese mit einem konkreten und individualisierten Tatvorwurf zu unterlegen. Damit werden die Betroffenen bereits vor einem gerichtlichen Urteil erheblich in ihren Rechten beeinträchtigt, was eine generelle abschreckende Wirkung bei der Ausübung von Rechten bewirkt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 12; auch AI, Amnesty Report Türkei 2016, S. 1; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 21 f.; auch Kamil Taylan, Gutachten an das VG Magdeburg vom 5.11.2017, S. 12 ff.). Generell ist die türkische Justiz überlastet und nach den zahlreichen Entlassungen in der Justiz in Folge des Putschversuches in Teilen dysfunktional geworden; so dass sich Verfahren häufig lange hinziehen; so wurden ca. 4.000 Richter und Staatsanwälte entlassen und durch unerfahrenes Personal ersetzt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 12; Zahlen auch bei Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 13; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 21; Accord, Türkei COI-Compilation, Auszug in deutscher Übersetzung, Dez. 2020, S. 40 ff., 104 ff.). Der für Entscheidungen u. a. über Verwarnungen, Versetzungen oder den Verbleib im justiziellen Beruf zuständige Rat der Richter und Staatsanwälte (HSK, vormals Hoher Rat HSYK) unter Vorsitz des Justizministers wurde einer stärkeren Kontrolle des Justizministers unterstellt und damit in seiner Unabhängigkeit deutlich eingeschränkt; ein Teil der Mitglieder wird direkt durch den Staatspräsidenten ernannt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 12). Im Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere persönlichen Daten, beim Zugang zu den erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte und - jedenfalls in Terrorprozessen - bei den Verteidigungsmöglichkeiten bestehen erhebliche Defizite; so werden Fälle mit Bezug zur angeblichen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung, der PKK oder deren zivilem Arm KCK häufig als geheim eingestuft und Rechtsanwälten bis zur Anklageerhebung keine Akteneinsicht ermöglicht, aber Teile von Akten oder vertrauliche Informationen werden in AKPnahen Medien veröffentlicht (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 12). Gerichtsprotokolle werden mit wochenlanger Verzögerung erstellt. Beweisanträge der Verteidigung und die Befragung von Belastungszeugen durch die Verteidiger werden im Rahmen der Verhandlungsführung des Gerichts eingeschränkt. Geheime Zeugen können im Prozess nicht direkt befragt werden. Der subjektive Tatbestand wird nicht erörtert, sondern als gegeben unterstellt. Häufig wird auch ein individueller Tatbeitrag allenfalls kursorisch dargestellt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 13).
54
Im Zuge der strafrechtlichen Aufarbeitung des Putschversuches vom Juli 2016 schränkte das Dekret 668 am 27. Juli 2016 die regulären Verfahrensgarantien für Personen weitreichend ein, auch wenn es mittlerweile entschärft wurde. Seit dem 31. Juli 2018 ist befristet bis zum 31. Juli 2021 bei folgenden Straftaten der Polizeigewahrsam für 48 Stunden, bei gemeinschaftlich begangenen Straftaten für vier Tage möglich: „Straftaten gegen die Sicherheit des Staates“ (Art. 302-308 tStGB), „Straftaten gegen die Verfassungsordnung“ (Art. 309-316 tStGB), „Straftaten gegen die nationale Verteidigung“ (Art. 317-325 tStGB), „Straftaten gegen Staatsgeheimnisse und Spionage“ (Art. 326-339 tStGB), Straftaten im Rahmen des Antiterrorgesetzes sowie Straftaten, die innerhalb einer Organisation begangen werden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 13).
55
Für andere Straftaten gelten die allgemeinen Regeln: Nach spätestens 24 Stunden zuzüglich zwölf Stunden Transportzeit muss der Betroffene dem zuständigen Haftrichter vorgeführt werden (Art. 91 Abs. 1 tStPO). Beim Ergreifen auf „frischer Tat“ beispielsweise während einer gewalttätigen Demonstration kann die Frist auf bis zu 48 Stunden ausgeweitet werden (Art. 91 Abs. 4 tStPO). In Fällen von Kollektivvergehen, Schwierigkeiten der Beweissicherung oder einer großen Anzahl von Beschuldigten kann der polizeiliche Gewahrsam bis zu drei Tage (jeweils um einen Tag) verlängert werden (Art. 91 Abs. 3 tStPO). In der Vergangenheit gab es Anzeichen dafür, dass diese Fristen in der Praxis in Einzelfällen überschritten wurden. Eine Verurteilung in Abwesenheit des Angeklagten ist unzulässig, es sei denn er wurde zumindest einmal vom Gericht angehört, ansonsten kommen die Fristen für Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung zum Tragen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 13).
56
(1) Hier hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass das Strafverfahren nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen bisher sorgfältig und in den im türkischen Strafprozess vorgesehenen Verfahrensstufen abgelaufen ist und bisher zu keiner Verurteilung geführt hat.
57
Der Kläger soll ausweislich der Begründung des Festnahmebefehls ergriffen, vernommen und wieder freigelassen werden. Eine willkürliche Vorenthaltung einer angemessenen Äußerungsmöglichkeit oder Verfahrensvertretung ist nicht glaubhaft gemacht oder sonst ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als anders als im Bereich der allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung das türkische Recht die grundsätzlichen Verfahrensgarantien in politisierten Strafverfahren, etwa wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der oder Propaganda für die PKK, nicht mehr vollständig sichere und erhebliche Zweifel an der richterlichen Unabhängigkeit und fairen Prozessführung entstünden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 12). Erschwerend komme hinzu, dass auch bereits im Rahmen von Ermittlungen noch vor formeller Anklageerhebung gezielt weitgehende freiheitsbeschränkende Maßnahmen erwirkt würden, wie Untersuchungshaft oder Ausreisesperren, gestützt auf pauschale Behauptungen, ohne diese mit einem konkreten und individualisierten Tatvorwurf zu unterlegen. Damit würden die Betroffenen bereits vor einem gerichtlichen Urteil erheblich in ihren Rechten beeinträchtigt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 12).
Dies ist hier gerade nicht der Fall. da nur eine kurzfristige Ingewahrsamnahme zur Vernehmung, aber keine Untersuchungshaft - gar unabsehbarer Dauer angesichts der Überlastung der türkischen Justiz - des Klägers angeordnet ist.
58
Soweit der Kläger befürchtet, wegen seiner in der Stellungnahme des Gouverneursamts zitierten früheren Verurteilung (OLG, U.v. 22.12.2015) unabhängig vom jetzigen Festnahmebefehl inhaftiert zu werden, ist dies jedenfalls derzeit nicht beachtlich wahrscheinlich. Ausweislich desselben Dokuments wurde der Kläger am 11. Juni 2014 ergriffen, in Gewahrsam genommen, zu beiden damals anhängigen Strafverfahren verhört und noch am selben Tag wieder freigelassen. Zwar wurde ausweislich dieses Dokuments danach seine Freilassung unter Auflage wegen Aufschiebung der Verkündung einer fünfjährigen Haftstrafe angeordnet, aber diese Auflagen - welche auch immer - hinderten in den folgenden Jahren nicht die Bewegungsfreiheit des Klägers, erst recht nicht seine - auch nach diesem Dokument - offiziell registrierte und damit offensichtlich legale Ausreise auf dem Luftweg rund vier Jahre später. Wenn ihn die türkische Justiz bereits damals trotz des zweiten noch in der Berufungsinstanz anhängigen Strafverfahrens weder an einer Ausreise hindern noch gar zu ergreifen suchte, ist zur Überzeugung des Verwaltungsgerichts nicht hinreichend wahrscheinlich, dass das Risiko einer Inhaftierung über die Vernehmung hinaus durch das nun anhängige Strafverfahren wegen Terrorpropaganda maßgeblich zu Lasten des Klägers gesteigert wäre.
59
Dass die alten Strafverfahren - wie der Kläger meint - im Fall seiner aktuellen Festnahme wieder aufgerollt würden und ihm nun eine entsprechend härtere Strafe drohte, ist derzeit reine Spekulation und auch aus den vorgenannten Gründen nicht hinreichend wahrscheinlich.
60
(2) Weiter hat der Kläger nach eigenen Angaben Kenntnis vom Festnahmebefehl durch Einsicht in E-Devlet und UYAP erlangt. Eine geheime Verfahrensführung oder eine willkürliche Vorenthaltung einer Akteneinsicht, insbesondere durch einen den Aktenzugang sperrenden Geheimhaltungsvermerk, wie sie sonst in Verfahren mit „Terrorbezug“ vorkommen, sind nicht glaubhaft gemacht oder sonst ersichtlich.
61
(3) Schließlich dient der erlassene Festnahmebefehl seiner Vernehmung zum Tatvorwurf und damit der Erfüllung eines zwingenden Elements des türkischen Strafprozesses: Eine Verurteilung in Abwesenheit des Angeklagten ist unzulässig, es sei denn er wurde zumindest einmal vom Gericht angehört, ansonsten kommen die Fristen für Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung zum Tragen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 13).
62
Daher wurde der Kläger zur Vernehmung geladen, wurde wegen seines Ausbleibens ein Festnahmebefehl erlassen und sollte er durch Ergreifen vorgeführt werden. Eine willkürliche Verfahrensgestaltung oder gar eine Verfolgungshandlung kann daher derzeit nicht gesehen werden.
63
ee) Eine Verfolgung i. S. des § 3 i.V.m. § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG durch Anwendung physischer oder psychischer sowie sexueller Gewalt droht nicht.
64
Dem hilfsweise gestellten Beweisantrag war nicht zu entsprechen. Es wurde beantragt, Zum Beweis dafür, dass Personen in der Türkei unter dem Vorwurf der Unterstützung der PKK/KCK festgenommen werden, mit höherer Wahrscheinlichkeit als andere Straftäter mit menschenrechtswidriger Behandlung durch die türkische Polizei zu rechnen haben, und dass Strafurteile bei diesem Vorwurf deutlich höhere Strafen enthalten als vergleichbare Verurteilungen und damit von einem Politmalus auszugehen ist, wird Beweis durch Auskunft des Auswärtigen Amts und Amnesty International eingeholt.
Erstens ist sachlich nicht hinreichend substantiiert, dass und welche anderen bzw. besseren Erkenntnisse von dieser Beweiserhebung zu erwarten wären, als in den zum Verfahrensgegenstand gemachten Auskünften beider benannten Auskunftsstellen bereits enthalten und - nachfolgend - gewürdigt sind. Im Übrigen ist es eine Frage des Einzelfalls und der gerichtlichen Würdigung (§ 108 VwGO) der jeweiligen Gefahrenlage, ob und inwieweit einer Person in der Türkei angesichts der Bandbreite der Definition des Terrorismus in der Türkei (vgl. dazu oben) tatsächlich Gefahr läuft, Repressionen zu erfahren. Ebenso ist es eine Frage des Einzelfalls, ob andere Personen weniger scharf bestraft werden, wobei der Beweisantrag hierzu auch unbehilflich ist, da er die Vergleichsgruppe offenlässt. Dass vermeintliche Terrorpropaganda für andere Terrororganisationen in der Türkei weniger scharf bestraft würde als für die PKK/KCK, ist nicht hinreichend substantiiert, sondern ins Blaue hinein unterstellt.
Zweitens ist dieser Antrag auch nach § 87b VwGO präkludiert, da er nicht in der mit der Ladung gesetzten einwöchigen Frist ab Zugang der Ladung (am 3. Februar 2022) bis 10. Februar 2022 angekündigt und die Verspätung auch nicht genügend entschuldigt wurde. Das Ergebnis dieser Beweisaufnahme abzuwarten, würde die Entscheidung über die Klage aber erheblich verzögern.
65
In der Behandlung Straftatverdächtiger zeigt sich ein ambivalentes Bild: Einerseits verfolgt die Türkei offiziell eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Folter des Staates; eine strafrechtliche Verfolgung von hiergegen verstoßenden Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten ist aber nicht bekannt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 18; auch AI, Amnesty Report Türkei 2016, S. 2; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 28 f.). Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 kam es vermehrt zu Folter- und Misshandlungsvorwürfen gegen Strafverfolgungsbehörden. In unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Putschversuch und im Rahmen des Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen die PKK im Südosten des Landes kamen bzw. kommen allerdings Misshandlungen von in Gewahrsam befindlichen Personen vor. Menschenrechtsorganisationen berichten, dass Dritten der Zugang zu ärztlichen Berichten über den Zustand inhaftierter bzw. in Gewahrsam genommener Personen häufig verweigert wird und eine unabhängige Überprüfung von Foltervorwürfen nur schwer möglich ist (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 18; eine Zunahme der Berichte über Misshandlungen in Polizeigewahrsam bestätigt AI, Auskunft vom 23.4.2019 an das VG Karlsruhe, S. 2 f.; AI, Auskunft an das VG Magdeburg vom 28.1.2020, S. 1 f.; Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 17 f.; Schweizer Flüchtlingshilfe SFH, Schnellrecherche an das VG Karlsruhe vom 17.2.2017, S. 3). Teils wird auf im Erlassweg eingeräumte Straffreiheit der entsprechend der Notstandsverordnungen tätigen Staatsbediensteten verwiesen (vgl. AI, Stellungnahme an das VG Karlsruhe vom 9.3.2017, S. 2). Misshandlungen von am Putschversuch Beteiligter wie Piloten und Offiziere in den ersten Tagen nach dem Putschversuch im Juli 2016 werden aber als gesichert angesehen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Ansbach vom 4.4.2017, S. 2; AI, Auskunft an das VG Magdeburg vom 1.3.2018, S. 3; offiziell genehmigte Fotos gefolterter Offiziere bei Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 20; Kamil Taylan, Gutachten an das VG Magdeburg vom 5.11.2017, S. 19 f.). Schutzvorkehrungen zur Vermeidung bzw. Dokumentation von Folter im Polizeigewahrsam wie die Durchführung ärztlicher Untersuchungen bei Aufnahme und Entlassung aus Gewahrsam oder Haft in Abwesenheit der Vollzugsbeamten werden unterlaufen; teils die untersuchenden Ärzte auch eingeschüchtert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 18).
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Das Risiko solcher Misshandlungen ist für der PKK oder der Gülen-Bewegung zugerechnete Personen erhöht (vgl. AI, Auskunft vom 23.4.2019 an das VG Karlsruhe, S. 3), nicht aber für Inhaftierte aus dem Bereich des islamistischen Extremismus wie IS-Verdächtige. Für ein strukturell bestehendes Risiko von Misshandlungen von IS-Verdächtigen oder gehäufte Einzelfälle solcher Misshandlungen gibt es nach Recherchen des Auswärtigen Amts unter Einbeziehung von Menschenrechtsorganisationen keine Anhaltspunkte (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Wiesbaden vom 12.3.2018). Dass Gülen-Verdächtigte in Strafhaft mit systematischer Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung zu rechnen hätten. lägen keine Erkenntnisse vor (Auswärtiges Amt, Auskunft vom „8.8.2020“ [Eingang: 16.1.2020 am VG] an das VG Augsburg zu Frage 1 f). Gleichwohl gibt es auch Hinweise, dass wegen der Vertretung von wegen PKK- oder „FETÖ“-Verdachts angeklagter Personen selbst verhaftete Rechtsanwälte in staatlicher Haft misshandelt wurden und das türkische Parlament entsprechenden Beschwerden nicht nachgeht (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Magdeburg vom 5.11.2017, S. 15 ff.).
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Dass sich eine Misshandlung bei der Vollstreckung des nun erlassenen Festnahmebefehls (Ingewahrsamnahme und Vernehmung) ereignen oder wiederholen wird, ist nicht hinreichend wahrscheinlich. Erst recht wird der Kläger nach derzeitigem Verfahrensstand auch unmittelbar nach der Vernehmung auch wieder freigelassen werden, wie der Festnahmebefehl es anordnet, auch wenn der Kläger dies auf Grund seiner Einschätzung der türkischen Strafverfolgungsbehörden und mit Blick auf seine - soeben gewürdigten - früheren und teils noch offenen bzw. nicht strafvollstreckten Strafverfahren bestreitet.
68
ff) Eine Verfolgung i. S. des § 3 i.V.m. § 3a Abs. 2 AsylG in Gestalt diskriminierend angewandter administrativer oder justizieller Maßnahmen oder eine diskriminierende Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes droht auch sonst nicht.
69
Die Türkei gewährleistet grundsätzlich Verfahrensgarantien im Strafverfahren; Mängel gibt es beim Umgang mit vertraulichen Informationen und beim Zugang zu erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte, insbesondere bei der Akteneinsicht in Fällen wegen angeblicher Mitgliedschaft bei PKK und FETÖ (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 3.6.2021, S. 12). Nach spätestens 24 Stunden zuzüglich 12 Stunden Transportzeit muss der Betroffene bei regulären Straftaten dem zuständigen Haftrichter vorgeführt werden; in Fällen von Kollektivvergehen, Schwierigkeiten der Beweissicherung oder einer großen Anzahl von Beschuldigten kann der polizeiliche Gewahrsam nach Art. 91 tStPO auf bis zu drei Tage verlängert werden. Seit dem 31. Juli 2018 ist (befristet bis 31. Juli 2021) bei folgenden Straftaten der Polizeigewahrsam für 48 Stunden, bei gemeinschaftlich begangenen Straftaten für vier Tage möglich: „Straftaten gegen die Sicherheit des Staates“ (Art. 302-308 tStGB), „Straftaten gegen die Verfassungsordnung“ (Art. 309-316 tStGB), „Straftaten gegen die nationale Verteidigung“ (Art. 317-325 tStGB), „Straftaten gegen Staatsgeheimnisse und Spionage“ (Art. 326-339 tStGB), Straftaten im Rahmen des Antiterrorgesetzes sowie Straftaten, die innerhalb einer Organisation begangen werden. Bei diesen Strafvorwürfen kann auch die Kommunikation zwischen Mandanten und Verteidigern weiter audio-visuell überwacht werden, was zumindest in Fällen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der „Gülen-Bewegung“ regelmäßig der Fall ist. Inzwischen ist der Kontakt mit Verteidigern wieder zeitlich unbeschränkt eröffnet (vgl. Lagebericht, S. 15; schon Lagebericht vom 3.8.2018 ebenda S. 19).
70
Wie soeben ausgeführt, ist in den vorgelegten Dokumenten kein Anhaltspunkt für eine diskriminierende Anwendung administrativer oder justizieller Maßnahmen oder für eine diskriminierende Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes ersichtlich. Gegenteiliges hat der Kläger nicht substantiiert geltend gemacht. Die Strafverfolgung wegen Terrorpropaganda war und ist nicht illegitim unter Würdigung der vom Kläger als selbst gepostet oder geteilt eingestandenen Tweets, welche wie gezeigt Grußadressen an Öcalan und befürwortende Darstellungen und Preisungen von Kämpfern enthalten.
71
gg) Gegen ein staatliches Verfolgungsinteresse spricht auch die unbehelligte Ausreise mit eigenem Reisepass.
72
Gegen eine politische Verfolgung spricht nach Auffassung des Verwaltungsgerichts im Asylerstverfahren weiter, dass der Kläger einen Reisepass, gültig vom 16. April 2018 bis 20. September 2019 gehabt habe und unbehelligt über den Flughafen in ... nach Mazedonien ausgereist sei. Daran hat sich durch die neu vorgelegten Unterlagen nichts geändert. Im Gegenteil wurde seine offensichtlich legale Ausreise auf dem Luftweg ausweislich des Berichts des Gouverneursamts offiziell registriert und damals trotz offener Strafverfahren nicht unterbunden. Wenn ihn die türkische Justiz bereits weder an einer Ausreise hindern noch gar zu ergreifen suchte, ist zur Überzeugung des Verwaltungsgerichts nicht hinreichend wahrscheinlich, dass das Risiko einer Inhaftierung über die Vernehmung hinaus durch das nun anhängige Strafverfahren wegen Terrorpropaganda maßgeblich zu Lasten des Klägers gesteigert wäre (vgl. oben).
73
3. Der Kläger hat aus diesen Gründen auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr in die Türkei ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
74
4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
75
5. Nachdem sich auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG als rechtmäßig erweist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.