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OLG München, Beschluss v. 21.07.2022 – 8 U 2069/22
Titel:

Sofortige Beschwerde gegen einen Aussetzungsbeschluss vor dem Hintergrund eines Verfahrens nach dem KapMuG

Normenketten:
ZPO § 321a Abs. 1 S. 2, § 567 Abs. 1
KapMuG § 8
Leitsatz:
Nach § 8 Abs. 1 S. 1 KapMuG setzt das Prozessgericht nach der Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses im Klageregister von Amts wegen alle bereits anhängigen oder bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsziele im Musterverfahren noch anhängig werdenden Verfahren aus, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
sofortige Beschwerde, Aussetzungsbeschluss, Rüge, Musterentscheid, Fortsetzungsantrag, Pilotverfahren
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 14.03.2022 – 22 O 12454/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 06.11.2024 – III ZB 107/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 59839

Tenor

1. Die Beschwerde der Klagepartei vom 11. Juli 2022 gegen den Aussetzungsbeschluss des Senats vom 04.07.2022 wird als unzulässig verworfen.
2. Die Anhörungsrüge der Klagepartei vom 11. Juli 2022 gegen den Aussetzungsbeschluss des Senats vom 04.07.2022 wird kostenpflichtig als unzulässig verworfen.
3. Die Fortsetzung des Verfahrens wird abgelehnt. Bei dem Aussetzungsbeschluss des Senats vom 04.07.2022 hat es sein Bewenden.
4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Der Senat hat die Parteien am 23.06.2022 darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, das Verfahren gem. § 8 KapMuG auszusetzen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Klagepartei hat sich mit Schriftsatz vom 30.06.2022 gegen die beabsichtigte Aussetzung gewandt, wie im Aussetzungsbeschluss vom 04.07.2022 S. 6 unter II.2. im Einzelnen ausgeführt wurde. Die Rechtsbeschwerde wurde in diesem Beschluss ausdrücklich nicht zugelassen.
2
Mit Schriftsatz vom 11. Juli 2022 führten die Klägervertreter folgendes aus:
„legen wir Beschwerde gegen den Beschluss vom 04.07.2022 ein. Wir beantragen nochmals die Zulassung der Rechtsbeschwerde, da entgegen den Ausführungen des erkennenden Senats die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO gegeben sind. Sollte der Senat uns in den beiden genannten Punkten nicht folgen wollen, dürfen wir bitten, die nachstehenden Ausführungen auch als Anhörungsrüge gem. § 321a ZPO zu verstehen.“
II.
3
1. Die Beschwerde der Klagepartei gegen den Aussetzungsbeschluss des Senats vom 04.07.2022 ist offensichtlich unstatthaft und war deshalb zu verwerfen.
4
Die sofortige Beschwerde findet gem. § 567 I ZPO nur gegen im ersten Rechtszug ergangene Entscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte statt. Hier hat aber das Oberlandesgericht entschieden. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 I ZPO nur statthaft, wenn 1. dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder 2. das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat. Eine derartige ausdrückliche gesetzliche Bestimmung liegt für den vorliegenden Fall nicht vor, die Rechtsbeschwerde hat der Senat hier ausdrücklich nicht zugelassen.
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2. Auch die Gehörsrüge der Klagepartei ist unzulässig.
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Die Rüge ist bereits deshalb unzulässig, weil sie gem. § 321a I 2 ZPO gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung nicht stattfindet. Die Aussetzung gem. § 8 KapMuG stellt offensichtlich keine Endentscheidung des Berufungsverfahrens dar, nachdem das Berufungsverfahren gem. § 22 IV KapMuG mit der Einreichung des rechtskräftigen Musterentscheids durch einen Beteiligten wieder aufgenommen wird.
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Auch daraus, dass eine Aussetzung gem. § 8 KapMuG einen jahrelangen faktischen „Stillstand“ des Ausgangsverfahrens zur Folge haben kann, ergibt sich schon deshalb nichts anderes, weil es den Parteien unbenommen bleibt, jederzeit die Fortsetzung eines entgegen § 8 KapMuG ausgesetzten Verfahrens zu verlangen (Gängel/Huth/Gansel, Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, 4. Auflage 2013, § 8 Rn. 18, beck-online; Vorwerk/Wolf, KapMuG/Fullenkamp, 2. Aufl. 2020, § 8 Rn. 30). Nach der Rspr. des BGH verlangt das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes nämlich die Aufhebung eines entgegen § 7 I KapMuG a.F. (nunmehr § 8 KapMuG) erlassenen Aussetzungsbeschlusses (BGH, Beschluss vom 11. 9. 2012 – XI ZB 32/11, Rz. 13), dazu s.u.
8
3. Der Senat legt den Schriftsatz der Klagepartei vom 04.07.2022 deshalb als Fortsetzungsantrag aus. Er bleibt jedoch dabei, dass die Vorsetzungen für eine Aussetzung gem. § 8 KapMuG vorlagen und weiterhin vorliegen.
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Der Senat hat sich auch mit dem nunmehrigen Vorbringen im Schriftsatz der Klagepartei vom 04.07.2022 zumindest im Kern bereits im Rahmen seiner zahlreichen eigenen Aussetzungsentscheidungen gem. § 8 KapMuG befasst (vgl. Senat, Beschluss vom 06.05.2022 – 8 U 5530/22, BeckRS 2022, 9764, WM 2022, 1120; vgl. Verfahren der Klägervertreter: 8 U 976/22, 8 U 1239/22, 8 U 491/22). Darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen und ergänzend noch kurz folgendes angemerkt:
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a) Der Hinweis auf die P.-Verfahrensserie liegt neben der Sache. Dort ist (zumindest bisher) kein Musterfahren zustande gekommen, sodass der Senat einige Berufungsverfahren als „Pilotverfahren“ entscheiden konnte. Das „Pilotverfahren“ der vorliegenden Verfahrensserie ist dagegen das Musterverfahren, im Hinblick auf das – bei Vorliegen der Voraussetzungen – gem. § 8 KapMuG zwingend auszusetzen war.
11
b) Die Klagepartei verkennt bei ihren Ausführungen zur angeblich mangelnden KapMuGFähigkeit der Bestätigungsvermerke der Beklagten weiterhin, dass diese hier – zumindest bisher – überhaupt nicht unmittelbarer Gegenstand des Musterverfahrens sind. Die Frage, ob die Bestätigungsvermerke der Beklagten selbst unmittelbarer Gegenstand eines Musterverfahrens sein könnten, stellt sich daher – zumindest derzeit – nicht (vgl. bereits Senat, Beschluss vom 06.05.2022 – 8 U 5530/22, BeckRS 2022, 9764, WM 2022, 1120, Rz. 38 ff.).
12
Daher bestand insoweit auch kein Anlass zur Zulassung der Rechtsbeschwerde (vgl. bereits Senat, Beschluss vom 06.05.2022 – 8 U 5530/22, BeckRS 2022, 9764, WM 2022, 1120, Rz. 86).
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c) Dass sich die in dem Vorlageschluss aufgeführten Feststellungsziele auf eine Haftung der Beklagten nach § 37b,37c WpHG. a.F. i.V.m. § 830 Abs. 2 Satz 1, Abs. 2 Alt. 2 BGB (Feststellungziele B I und II) beziehen, steht der Aussetzung nicht entgegen, wie ebenfalls bereits im Aussetzungsbeschluss ausgeführt wurde. Der Senat hielte eine (vorsätzliche) Beihilfe der Beklagten zu einem Verstoß der W. AG gegen §§ 37b WpHG a. F. ff. ohne weiteres auch für sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB. Außerdem deckt der Vorlagebeschluss insbesondere zu B.III. in der Sache auch den Tatbestand von § 826 BGB ab (vgl. bereits Senat, Beschluss vom 06.05.2022 – 8 U 5530/22, BeckRS 2022, 9764, WM 2022, 1120, Rz. 73 ff.).
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d) Soweit die Klagepartei meint, die Aussetzungsbefugnis des Prozessgerichtes sei in den Fällen zu begrenzen, in denen nur ein Teil der im Vorlagebeschluss genannten Feststellungsziele für einen Rechtsstreit von Bedeutung sei, trifft dies nicht zu.
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Gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG setzt das Prozessgericht nach der Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses im Klageregister von Amts wegen alle bereits anhängigen oder bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsziele im Musterverfahren noch anhängig werdenden Verfahren aus, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt. Das ist hier der Fall, wie der Senat bereits ausführlich dargelegt hat. Dass das Musterverfahren keine weitergehenden Feststellungsziele haben dürfte, als den jeweiligen Beklagten betreffend, kann dem Gesetz dagegen nicht entnommen werden. Für eine entsprechende Abwägung gibt es keine Rechtsgrundlage. Derartiges hat auch der XI. Zivilsenat des BGH in seinem Beschluss v. 30.04.2019 – XI ZB 13/18, nicht erwogen. Danach soll eine Aussetzung gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG nur dann vorzunehmen sein, wenn sich das Prozessgericht bereits die Überzeugung gebildet hat, dass es auf die Feststellungsziele für den Ausgang des Rechtsstreites konkret ankommen wird (diese Überzeugung hat sich der Senat gebildet, vgl. bereits Beschluss vom 06.05.2022 – 8 U 5530/22, BeckRS 2022, 9764, WM 2022, 1120, Rz. 47) und nicht etwa, dass es auf alle Feststellungsziele konkret ankommen wird. Dies erschiene auch fernliegend; denn insbesondere bei Musterverfahren mit mehreren Musterbeklagten ist dies regelmäßig nicht der Fall.
III.
16
1. Da die Rügen und Anträge somit zurückzuweisen waren, war es nicht erforderlich, der Gegenseite Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (§ 321 a Abs. 3 ZPO).
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2. Die Klagepartei trägt die Kosten ihres erfolglosen Antrags gem. § 321a ZPO (vgl. ZöllerVollkommer, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 321a Rnr. 22).
18
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens bilden nach der Rspr. des BGH dagegen selbst bei unbegründeter Beschwerde gegen die Aussetzung des Rechtsstreits nach § 8 KapMuG einen Teil der Kosten des Rechtsstreits, die unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens die nach §§ 91 ff. ZPO in der Sache unterliegende Partei zu tragen hat (BGH, Beschluss vom 30. November 2010 – XI ZB 23/10 –, Rn. 18, juris; ebenso BGH, Beschluss vom 16. Juni 2020 – II ZB 30/19 –, Rn. 28, juris).
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Der Fortsetzungsantrag stellt kein „Rechtsmittel“ dar und bedarf somit ebenfalls keiner Kostenentscheidung.
20
3. Daher bestand kein Anlass zur Zulassung der Rechtsbeschwerde (vgl. bereits Senat, Beschluss vom 06.05.2022 – 8 U 5530/22, BeckRS 2022, 9764, WM 2022, 1120, Rz. 85 ff.) und besteht ein solcher Anlass auch weiterhin nicht.