Titel:
Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Übereinstimmungsbescheinigung, Unzulässigkeit, Klagepartei, Manipulations-Software, Maßgeblicher Zeitpunkt, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Beschlüsse, Abschaltvorrichtungen, OLG Nürnberg, Emissionsgrenzwerte, Elektronischer Rechtsverkehr, Greifbare Anhaltspunkte, OLG Stuttgart, Kraftfahrt-Bundesamt, Gesetzesverstoß, OLG Braunschweig, Hinweisbeschluss
Schlagworte:
Sittenwidrige Schädigung, Schädigungsvorsatz, Beweislast, Täuschung, Deliktische Haftung, Thermofenster
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 26.09.2024 – 16 U 3027/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 59831
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 6.550,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte als Herstellerin Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs wegen dort angeblich verbauter unzulässiger Abschalteinrichtungen geltend.
2
Die Klagepartei erwarb von einem nicht am Rechtsstreit beteiligten Händler am 11.05.2017 den streitgegenständlichen Pkw VW Tiguan, der mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten 2.0l Motor des Typs EA288 ausgestattet ist, zu einem Kaufpreis von 32.750 Euro als Gebrauchtfahrzeug. Die Erstzulassung des Fahrzeugs war am 04.11.2015. Das Fahrzeug hatte zum Zeitpunkt der Übergabe eine Laufleistung von 19.150 km. Für das Fahrzeug wurde eine EG-Typgenehmigung für die Emissionsklasse Euro 6 ausgestellt.
3
Um den Ausstoß von Stickoxid zu optimieren, wird bei dem Fahrzeug im Wege der sog. Abgasrückführung ein Teil des Abgases zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt und nimmt erneut an der Verbrennung teil. Die Abgasrückführung wird außerhalb eines bestimmten Temperaturfensters zurückgefahren (sog. Thermofenster). Dessen konkrete Beschaffenheit ist zwischen den Parteien umstritten.
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Das Fahrzeug verfügt darüber hinaus zur Reduzierung des Stickoxidausstoßes über einen SCR-Katalysator, der mit AdBlue betrieben wird.
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Das streitgegenständliche Fahrzeug ist nicht von einem verpflichtenden Rückruf des Kraftfahrtbundesamts im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen.
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Die Klagepartei behauptet, das Fahrzeug sei mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen, welche dazu führten, dass das Fahrzeug nach Erkennen des Prüfstandbetriebes im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durch Aktivierung von Strategien zu einer höheren Reduzierung des Stickstoffausstoßes komme als im Normalbetrieb. Nur auf diese Weise würde das Fahrzeug die vorgegebenen Emissionsgrenzen einhalten können.
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Zudem handele es sich bei dem Thermofenster ebenfalls um eine unzulässige Abschalteinrichtung.
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Die Klagepartei beantragt:
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag bezüglich des Fahrzeugs der Marke VW mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens EUR 6.550,00 betragen muss, zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
- 2.
-
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.085,28 freizustellen.
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Die Beklagte beantragt:
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Die Beklagte behauptet, dass das Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung enthalte. Das KBA habe den streitgegenständlichen Motortyp EA 288 eingehend überprüft und festgestellt, dass dort keine unzulässige Äbschalteinrichtung zum Einsatz komme. Der Klagepartei sei es nicht gelungen, die Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu substanziieren. Das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge insbesondere nicht über eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Umschaltlogik, wie sie in bestimmten Motorenvarianten des Typs EA 189 enthalten gewesen sei. Der streitgegenständliche EA288-Motor halte bei voller Funktionsfähigkeit aller abgasbehandelnden Bauteile die gesetzlich vorgegebenen Abgasgrenzwerte ein. Dies erfolge unabhängig von der im Fahrzeug hinterlegten Fahrkurvenerkennung. Es gebe regulatorisch kein Verbot einer Fahrkurven- oder Zykluserkennung als solcher. Insbesondere werde eine Fahrkurve nicht dafür genutzt, Emissionsgrenzwerte einzuhalten. Auch das Thermofenster stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Der Einsatz von Thermofenstern sei technischer Standard in jedem modernen Dieselfahrzeug.
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Das Fahrzeug verfüge über eine wirksame EG-Typgenehmigung und könne uneingeschränkt genutzt werden. Eine Stilllegung des Fahrzeugs drohe nicht, da das streitgegenständliche Fahrzeug keiner Rückrufaktion des KBA in Bezug auf den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterliegt. Für das streitgegenständliche Fahrzeug stehe daher auch kein Software-Update zur Entfernung einer angeblich unzulässigen Abschalteinrichtung zur Verfügung.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf das wechselseitige schriftsätzliche Vorbringen der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
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Beweis ist nicht erhoben worden.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klage ist zulässig.
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Die Zuständigkeit des Gerichts folgt aus § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG in sachlicher und aus § 32 ZPO in örtlicher Hinsicht.
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Die Klage ist unbegründet, da dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Klageforderung zusteht.
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Es sind weder Ansprüche aus § 826 BGB, aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB noch aus § 831 BGB gegeben. Nachdem auch keine weiteren Anspruchsgrundlagen ersichtlich bzw. erfüllt sind, war die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen.
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I. Ein Anspruch aus § 826 BGB ist mangels sittenwidriger Schädigungshandlung bzw. mangels Täuschungsvorsatzes nicht gegeben.
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1) Voraussetzung für eine Haftung nach § 826 BGB ist eine Schadenszufügung, die auf einer schädigenden Handlung beruht, die aus objektiver Sicht als sittenwidrig einzustufen ist, weil sie nach ihrem Inhalt bzw. Gesamtcharakter im Widerspruch zum Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkender steht und daher mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (vgl. BGH, Urt. vom 19.11.2013 – VI ZR 336/12, NJW 2014, 383 Rn. 9; BGH, Urt. vom 28.06.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn. 16). Erforderlich ist zudem ein mit den objektiven Voraussetzungen korrespondierender Schädigungsvorsatz.
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Die Klagepartei trägt hierbei grundsätzlich die volle Darlegungs- und ggf. Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen einer deliktischen Haftung der Beklagten (vgl. BGH, Urteil vom 19.07.2004 – II ZR 218/03, NJW 2004, 2664, 2665 f.). Die bloße Behauptung einer „unzulässigen Abschalteinrichtung“ stellt ohne die erforderliche Darlegung unter die EG-VO subsumtionsfähiger Tatsachen, eine reine Rechtsbehauptung dar, die die Voraussetzungen einer Haftung nach § 826 BGB nicht schlüssig darlegt (vgl. OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19, juris Rn. 55). Einem Autohersteller ist es vor diesem Hintergrund nicht zumutbar, auf die bloße pauschale Behauptung einer „unzulässigen Abschalteinrichtung“ hin im Einzelnen darlegen zu müssen, welche konkreten Abschalteinrichtungen ein bestimmter Motor enthält und warum diese ggf. für notwendig gehalten werden, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19, juris Rn. 65; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19, juris Rn. 61).
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2) Unter Anwendung dieser Grundsätze kann auf Grundlage des Sachvortrags der Klagepartei nicht vom Vorliegen dieser Voraussetzungen ausgegangen werden. Vielmehr erfolgt der klägerische Vortrag hinsichtlich der behaupteten Abschaltvorrichtungen ins Blaue hinein.
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a) Grundsätzlich bleibt es im Zivilprozess einer Partei unbenommen, Tatsachen zu behaupten, über die sie keine gesicherte Kenntnis hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich halten darf. Hiervon zu unterscheiden sind indes Fallgestaltungen, in denen eine Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ Behauptungen aufstellt (vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19 –, juris). In diesen Fällen liegt eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung vor, die mit Blick auf deren Rechtsfolgen jedoch nicht leichthin, sondern nur in Ausnahmefällen anzunehmen ist. Denn die Bejahung einer Behauptung ins Blaue hinein führt dazu, dass entsprechenden Beweisangeboten nicht nachzugehen ist (OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19; OLG Koblenz, Urteil vom 18.06.2019 – 3 U 416/19; OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18). Dies stellt folglich einen erheblichen Eingriff in die prozessualen Rechte und den Anspruch auf rechtliches Gehör einer Partei dar, der eine sorgfältige Sachprüfung erfordert.
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b) Unter Anwendung dieser Grundsätze stellen die klägerseits vorgebrachten Behauptungen bezogen auf den Verbau unzulässiger Abschaltvorrichtungen im streitgegenständlichen Pkw jedoch Behauptungen ins Blaue hinein dar, da für den Einsatz entsprechender Manipulationssoftware im Fahrzeug der Klagepartei jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkt fehlt (dies auch unter Berücksichtigung von BGH, Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740; siehe auch OLG Köln, Beschluss vom 28.01.2019 – 28 U 36/18; OLG München, Beschluss vom 22.03.2019 – 21 U 533/19; OLG Köln, Beschluss vom 19.02.2019 – 4 U 175/18; OLG Oldenburg, Beschluss vom 27.02.2019 – 1 U 50/18; OLG Celle, Beschluss vom 09.01.2019 – 7 U 169/18; OLG Koblenz, Urteil vom 18.06.2019 – 3 U 416/19; OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
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aa) Zunächst festzuhalten ist zwar, dass die Klagepartei den Einbau einer unzulässigen Abschaltvorrichtung im streitgegenständlichen Pkw in der oben genannten Form substantiiert dargelegt hat.
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Insofern hat die Klagepartei nicht lediglich eine „unzulässige Abschaltvorrichtung“ behauptet, was ohne die erforderliche Darlegung unter die EG-VO subsumtionsfähiger Tatsachen, eine reine Rechtsbehauptung darstellen würde, die die Voraussetzungen einer Haftung nach § 826 BGB nicht schlüssig darlegen könnte (vgl. OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19, juris Rn. 55). Einem Autohersteller wäre es vor diesem Hintergrund nicht zumutbar, auf die bloße pauschale Behauptung einer „unzulässigen Abschalteinrichtung“ hin im Einzelnen darlegen zu müssen, welche konkreten Abschalteinrichtungen ein bestimmter Motor enthält und warum diese ggf. für notwendig gehalten werden, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19, juris Rn. 65; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19, juris Rn. 61).
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Vielmehr hat die Klagepartei mit Blick auf Art. 5 Abs. 2 VO-EG 715/2007 schlüssig dargelegt, dass der streitgegenständliche Motor eine Manipulationssoftware aufgewiesen habe, die bei erkanntem Prüfbetrieb ein vom Echtbetrieb abweichendes Emissionsverhalten des Fahrzeugs herbeiführe, um auf diese Weise die Einhaltung der andernfalls nicht erreichten Emissionsgrenzwerte sicherzustellen. Dass eine solche Abschalteinrichtung unzulässig wäre, liegt auf der Hand (BGH, Beschluss vom 08.01.2019 – VIII ZR 225/17 zum VW-Motor EA189).
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bb) Es fehlen jedoch hinreichende greifbare Anhaltspunkte dafür, dass der streitgegenständliche Fahrzeugmotor tatsächlich über eine derartige Manipulationssoftware bzw. unzulässige Abschalteinrichtungen verfügt.
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(i) Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der streitgegenständliche Pkw nicht von einem verbindlichen Rückruf durch das KBA bezogen auf dessen Emissionsverhalten betroffen ist. Wenngleich das Vorliegen eines entsprechenden KBA-Bescheids keine zwingende Voraussetzung für die Annahme einer begründeten und greifbaren Vermutung bezogen auf eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, müssen bei Fehlen eines entsprechenden Bescheids aber sonstige greifbare Anhaltspunkte hierfür gegeben sein.
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Keine hinreichenden Anhaltspunkte können insbesondere dem klägerischen Vortrag entnommen werden, dass in dem Motor EA 288 zunächst dieselben unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut worden seien wie in dem Motor EA 189. Die Ausführungen hierzu beruhen auf nicht näher belegten Mutmaßungen. Zwar verweist die Klagepartei unter anderem auf die „Applikationsrichtlininen & Freigabeverfahren EA 288“ und stellt darauf ab, dass sich aus diesen Unterlagen ergeben würde, dass in den Motor EA 288 eine Zykluserkennung verbaut sei, die die Abgasreinigungsvorgänge im Prüfstandmodus in unzulässiger Weise steuere. Ein entsprechender Rückschluss ist aus Sicht des Gerichts aber nicht möglich. Insbesondere ist darauf zu verweisen, dass eine Zykluserkennung an sich nicht verboten ist (OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 07.03.2022 – Az. 16 U 3067/21 i.V.m. Beschluss vom 22.03.2022 – Az. 16 U 3067/21 m.z.w.H). Maßgeblich ist vielmehr, ob und inwiefern mittels dieser auf das Emissionsverhalten Einfluss genommen wird. Dies lässt sich den vorgelegten Unterlagen nicht entnehmen. Die Beklagte hat insoweit zudem im Einzelnen dargelegt, dass die Fahrkurve keine Auswirkung auf die Einhaltung des Stickoxidgrenzwerts hatte und das Kraftfahrtbundesamt Kenntnis von der Entfernung der Fahrkurve hatte. Soweit in den „Applikationsrichtlininen & Freigabeverfahren EA 288“ als Zielwerte für den Stickoxidausstoß nur für den NEFZ-Zyklus (kalt) ein Wert angegeben ist, der unterhalb des EU-Grenzwerts liegt, ist dies ebenfalls kein Hinweis auf eine unzulässige Abschalteinrichtung. Denn der EU-Grenzwert existiert auch nur für den genannten NEFZ-Zyklus (kalt). Zum hier maßgeblichen Zeitpunkt war im Rahmen der Prüfung der Einhaltung der Emissionsgrenzwerte allein der Prüfstand maßgeblich, so dass eine gewisse Überschreitung der real gemessenen Schadstoffwerte nicht gegen die gesetzlichen Vorgaben verstößt.
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Nicht ausreichend ist insoweit der bloße Verweis auf staatsanwaltschaftliche Ermittlungen sowie strafprozessuale Maßnahmen gegen die Beklagte bzw. deren Verantwortliche. Ob die strafrechtlichen Vorwürfe gerade den im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motortyp EA288 der Schadstoffklasse Euro 6 auf dem europäischen Markt betreffen, lässt sich nicht nachvollziehen.
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(ii) Insofern ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte aus der Bezugnahme auf andere Gerichtsurteile. Eine solche Bezugnahme kann eine hinreichende eigene Darstellung des Sachverhalts nicht ersetzen,
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(iii) Gleiches gilt für den Vortrag, dass der tatsächliche Schadstoffausstoß im Realbetrieb erheblich höher sei als gesetzlich zulässig. Hieraus lässt sich nicht ohne weiteres auf eine Manipulation der Software rückschließen, zumal allgemein bekannt ist, dass der Schadstoffausstoß beim tatsächlichen Fahren meist höher ist als auf dem Prüfstand und maßgeblich vom Fahrverhalten abhängt. Zum hier maßgeblichen Zeitpunkt war im Rahmen der Prüfung der Einhaltung der Emissionsgrenzwerte allein der Prüfstand maßgeblich, wodurch sich eine gewisse Überschreitung der real gemessenen Schadstoffwerte erklären lässt (OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 07.03.2022 – Az. 16 U 3067/21 i.V.m. Beschluss vom 22.03.2022 – Az. 16 U 3067/21). All das liefert keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeugmotor eine entsprechende Manipulationssoftware verbaut ist. Der Vortrag der Klagepartei verdeutlicht vielmehr, dass sie davon ausgeht, jedweder unter Federführung der Beklagten entwickelte Dieselmotor sei mit einer den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand erkennenden unzulässigen Manipulationssoftware ausgerüstet. Die Klagepartei äußert letztlich spekulativ den Generalverdacht, dass auch bei ihrem Fahrzeug vom Vorliegen einer entsprechenden Software ausgegangen werden müsse. Diese rein spekulative Äußerung eines Generalverdachts kann nicht als tatsächlicher Anknüpfungspunkt für die Vermutung des Einsatzes einer Manipulationssoftware angesehen werden. Umgekehrt kann schließlich die Beklagte darauf verweisen, dass das Bundesministerium für Verkehr mitgeteilt hat, dass im Zuge der Untersuchungen der Motoren der Baureihe EA 288 keine Abgasmanipulationen und unzulässige Abschalteinrichtungen festgestellt werden konnten.
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(iv) Unter Gesamtwürdigung und nochmaliger Abwägung der voranstehend benannten Punkte sowie nach Würdigung und Abwägung des gesamten klägerischen Vortrags werden klägerseits demgemäß insgesamt keine konkreten und greifbaren Umstände dafür vorgetragen, dass der streitgegenständliche Pkw über eine unzulässige Abschaltvorrichtung in der oben dargelegten Form verfügen würde. Der Vortrag erfolgt mithin ins Blaue hinein. Vor diesem Hintergrund war die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu einer etwaigen Schädigungshandlung der Beklagten nicht geboten. Entsprechenden Beweisangeboten der Klagepartei ist vor diesem Hintergrund nicht nachzugehen (vgl. OLG München WM 2019, 1937, 1941; OLG Koblenz, Urt. v. 18.6.2019 – 3 U 416/19, juris; OLG Nürnberg, Urt. v. 19.7.2019 – 5 U 1670/18, juris).
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(v) Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 10, da die Ausführungen auf den hiesigen Rechtsstreit nicht übertragen werden können.
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Gegenstand des Verfahrens des Bundesgerichtshofs war das Vorliegen eines Sachmangels, nicht aber eine sittenwidrige Schädigungshandlung, an welche erheblich höhere Substantiierungsanforderungen zu stellen sind.
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Darüber hinaus unterscheidet sich die vorliegende Konstellation von der Entscheidung des BGHs dadurch, dass in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall zwar nicht das betreffende Fahrzeug selbst, aber mehrere andere Fahrzeugtypen, die mit dem dort streitgegenständlichen Motortyp, dargelegt anhand des Motorkennbuchstabens (dort OM 651), ausgestattet waren, von einer Rückrufaktion des Kraftfahrtbundesamts betroffen waren.
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Abschließend kann es ersichtlich nicht darauf ankommen, dass irgendeine Rückrufaktion erfolgt ist, sondern diese muss gerade im Hinblick auf eine unzulässige Abschalteinrichtung ausgesprochen worden sein. Nur dann können hierauf Anhaltspunkte für die Vermutung einer Manipulationssoftware gestützt werden. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
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(vii) Auch ein Hinweis des Gerichts (§ 139 ZPO) war nicht veranlasst, da die Beklagte bereits in der Klageerwiderung hinreichend deutlich darauf hingewiesen hat, dass der klägerische Vortrag pauschal und unsubstantiiert ist.
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3) Auch bezogen auf das unstreitig in den streitgegenständlichen Pkw eingebaute Thermofenster fehlt es an einem schlüssigen Sachvortrag für die Annahme einer diesbezüglichen sittenwidrigen Schädigungshandlung und darüber hinaus auch für die Annahme des erforderlichen Schädigungsvorsatzes.
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a) Ob es sich bei dem konkreten Thermofenster des streitgegenständlichen Fahrzeugs um eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 VO-EG 715/2007 handelt, kann im Ergebnis dahinstehen. Soweit der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 14.07.2022 (Az. Rs C-128/20) im Ergebnis von einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegangen ist, so betraf die Entscheidung ein Fahrzeug mit einem EA189-Motor und den dort speziell vorgegebenen Variablen.
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Selbst wenn dies der Fall sein sollte, wäre allenfalls ein im Wege der Vertragshaftung zu regulierender Sachmangel gegeben. In diesem Zusammenhang ist das Verhältnis zwischen Vertrags- und Deliktshaftung zu berücksichtigen. Allein eine Verletzung vertraglicher Leistungspflichten stellt grundsätzlich keine sittenwidrige Schädigung dar, selbst wenn sie im Einzelfall vorsätzlich erfolgt. Insofern werden die vertragsrechtlichen Rechtsbehelfe nicht durch einen deliktischen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB ergänzt (OLG Koblenz, Urteil vom 18.06.2019 – 3 U 416/19, juris Rn. 37). Eine Sittenwidrigkeit kommt nur dann in Betracht kommen, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in den streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (OLG Stuttgart, Urteil v. 30.07.2019 – 10 U 134/19, juris Rn. 81). Dass die relevanten Umstände erkennbar waren und die Beklagte sie hätte kennen können oder kennen müssen, reicht für die Feststellung des erforderlichen Vorsatzes nicht aus.
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Bei Abschalteinrichtungen, die sowohl im realen Fahrbetrieb als auch auf dem Prüfstand vom Grundsatz her in gleicher Weise arbeiten und bei denen als Rechtfertigung ernsthaft Belange des Bauteilschutzes angeführt werden können, kann nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Beklagte einen Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hat. Vielmehr muss, selbst wenn hinsichtlich des Thermofensters von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen sein sollte, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden. Umstände, die das infrage stellen würden, sind nicht ersichtlich. Dass auf Seiten der Beklagten das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes und der zumindest billigenden Inkaufnahme desselben gegeben war, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Die Klagepartei bezieht sich in ihren Ausführungen hierzu allein auf pauschale Behauptungen und Mutmaßungen.
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Dass in Bezug auf das Thermofenster die Gesetzeslage nicht unzweifelhaft und eindeutig war, zeigt neben der Uneinigkeit der Gerichte und der Literatur über den Inhalt und die Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 a) EG-VO 715/2007 auch der Umstand, dass sich das Kraftfahrtbundesamt sowie das Bundesverkehrsministerium offenbar bislang nicht von der Unzulässigkeit des Thermofensters im streitgegenständlichen Fahrzeug haben überzeugen können und ein behördlicher Rückruf insoweit nicht angeordnet worden ist. Nach der Einschätzung der vom Bundesverkehrsministerium eingesetzten Untersuchungskommission Volkswagen liegt ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenstern jedenfalls nicht eindeutig vor. Auch der hohe Begründungsaufwand in den gerichtlichen Entscheidungen zum Thermofenster zeigt, dass keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist, gegen welche die Beklagte bewusst verstoßen hätte. Überdies findet sich die temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung bei unterschiedlichen Herstellern und Fahrzeugtypen und stellt einen gewissen Industriestandard dar. Dabei handelt es sich um eine allgemeinkundige Tatsache gemäß § 291 ZPO, die keines Beweises bedarf. Eine Auslegung, wonach ein Thermofenster eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, war daher jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht unvertretbar. Dabei nimmt das Gericht auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 17.12.2020 in den Blick (Rechtssache C-693/18). Hieraus lässt sich jedoch kein zwingender Rückschluss darauf ziehen, dass die Organe der Beklagte bereits im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkreten Thermofensters angesichts der dargelegten Erwägungen positive Kenntnis von dessen (möglicher) Unzulässigkeit hatten. Ein Handeln unter jedenfalls damals noch vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann jedoch nicht als besonders verwerflich angesehen werden (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19, juris Rn. 81 ff.; vgl. auch OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18; OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 07.03.2022 – Az. 16 U 3067/21 i.V.m. Beschluss vom 22.03.2022 – Az. 16 U 3067/21).
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Nach alledem dürfte es sich bei dem Streit um Zulässigkeit und Größe eines Thermofensters eher um einen Expertenstreit als um eine vorsätzliche „unerlaubte Handlung“ des Herstellers handeln (OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19, juris Rn. 164). Das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass insoweit ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt.
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b) Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rn. 16 bei juris; Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, Rn. 27 bei juris; Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, Rn. 13 bei juris; Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, Rn. 16 bei juris; Beschluss vom 25.11.2021 – III ZR 202/20, Rn. 14 bei juris, vgl. auch OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 07.03.2022- Az. 16 U 3067/21 i.V.m. Beschluss vom 22.03.2022 – Az. 16 U 3067/21). Dies gelte auch dann, wenn die dortige Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt habe (vgl. BGH, Urteil vom 19.01.2021, Rdn. 13 zitiert nach juris). Der BGH geht dabei zugunsten des Klägers davon aus, dass es sich bei einer temperaturbeeinflussten Steuerung der Abgasrückführung um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung 715/2007 (EG) handelt (vgl. BGH, a.a.O., Rdn. 16 zitiert nach juris).
47
Der Fall des Einbaus eines „Thermofensters“ unterscheide sich von dem durch den Bundesgerichtshof mit Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, entschiedenen Fall, in welchem ein Automobilhersteller im eigenen Kosten- und Gewinninteresse die grundsätzliche unternehmerische Entscheidung getroffen hatte, dem Kraftfahrtbundesamt zwecks Erlangung der Typengenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig vorzuspiegeln, dass die von ihm hergestellten Dieselfahrzeuge die neu festgelegten Grenzwerte einhalten würden (vgl. BGH a.a.O., Rdn. 17 zitiert nach juris). Bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems fehle es an einem derartigen arglistigen Vorgehen des beklagten Automobilherstellers, welches die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. Es handle sich insoweit nicht um eine Funktion, die bei erkanntem Prüfstandbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviere und den Stickoxidsausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziere (vgl. BGH, a.a.O., Rdn. 18 zitiert nach juris). Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit sei nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem vom Bundesgerichtshof unterstellten Verstoß gegen die Verordnung 715/2007 (EG) weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen.
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Der Bundesgerichtshof verneint die Haftung selbst dann, wenn die Steuerung so konzipiert ist, dass die Temperaturwerte, oberhalb bzw. unterhalb derer die Abgasrückführung reduziert wird, einen Bereich umgrenzen, der annähernd die Temperaturen abdeckt, die auf dem Prüfstandstand herrschen (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 286/20; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20). Ein solcher Befund ändert nichts daran das die Abgasrückführung im Straßenbetrieb unter gleichen Bedingungen genauso funktioniert wie auf dem Prüfstand.
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Das Kraftfahrtbundesamt hat aber bislang wegen des Einbaus von Thermofenstern keine Typengenehmigungen widerrufen. Es ist auch nicht substantiiert vorgetragen und ersichtlich, dass die Beklagte die Typengenehmigung „erschlichen“ und das Kraftfahrtbundesamt bewusst getäuscht hat. Lediglich allgemeine Behauptungen reichen hier keineswegs aus. Eine Täuschung des KBA konnte schon deshalb nicht gelingen, weil der Behörde der Einsatz von „Thermofenstern“ in Dieselfahrzeugen spätestens seit dem Jahr 2008 bekannt war (vgl. die von der Beklagten in Bezug genommene, in dem Verfahren vor dem OLG Stuttgart, Az. 16a U 194/19, eingeholte amtliche Auskunft des KBA vom 11.09.2020). Die Klagepartei hat im konkreten Fall über den Einbau eines Thermofensters hinaus weitere Umstände, welche die Sittenwidrigkeit begründen könnten, weder substantiiert vorgetragen noch sind solche ersichtlich.
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c) Bezogen auf den Einsatz des Thermofensters fehlt es zudem an einer hinreichend substantiierten Darlegung des subjektiven Tatbestandes des § 826 BGB, insbesondere des Schädigungsvorsatzes. Bei dem Thermofenster handelt es sich nicht um eine Software, die nach ihrer Funktionsweise ausschließlich darauf gerichtet ist, die Emissionswerte auf dem Prüfstand zu beeinflussen, sondern um eine Emissionsregelung, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise funktioniert wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motorschutzes ernsthaft diskutiert werden können (vgl. OLG Köln, Urteil vom 11.04.2019 – 3 U 67/18, juris Rn. 35). Hier bedarf es umso eingehender Darlegung des bestehenden Bewusstseins der möglichen Unzulässigkeit der Emissionsregelung verbunden mit einer billigenden Inkaufnahme derselben. Dafür konkret sprechende Indizien und Anhaltspunkte sind von der Klagepartei nicht dargetan worden.
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II. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte auch kein Anspruch aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu, da zum einen kein Verstoß gegen diese Vorschriften vorliegt (1) und sie zum anderen nicht als Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB einzuordnen sind (2).
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1) Selbst wenn von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen wäre, fehlt es bereits an einem tatbestandlichen Verstoß gegen die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
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Gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 EG-FGV hat der Inhaber der EG-Typgenehmigung für jedes dem genehmigten Typ entsprechende Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung nach Art. 18 i.V.m. Anhang IX der Richtlinie 2007/46/EG auszustellen und dem Fahrzeug beizufügen. Nach der Definition in Art. 3 Nr. 36 der Richtlinie 2007/46/EG ist eine Übereinstimmungsbescheinigung „das in Anhang IX wiedergegebene, vom Hersteller ausgestellte Dokument, mit dem bescheinigt wird, dass ein Fahrzeug aus der Baureihe eines nach dieser Richtlinie genehmigten Typs zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspricht“. Nach § 27 Abs. 1 S. 1 EG-FGV dürfen neue Fahrzeuge, für die eine Übereinstimmungsbescheinigung vorgeschrieben ist, im Inland zur Verwendung im Straßenverkehr nur feilgeboten, veräußert oder in den Verkehr gebracht werden, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind.
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Zum Teil wird vertreten, dass es an einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung bei Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung fehle, da in diesem Fall das Fahrzeug, für das die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt sei, nicht dem genehmigten Typ entspreche. Tatsächlich ist dies nicht zutreffend. Die Bescheinigung ist dann gültig, wenn der Hersteller sie unter Verwendung des vorgeschriebenen Formulars ausgestellt hat und wenn sie fälschungssicher sowie vollständig ist. Es gilt daher ein formeller Gültigkeitsbegriff (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – 7 U 134/17, juris Rn. 106 ff.; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19, juris Rn. 105 ff.).
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2) §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sind zudem nicht als Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB einzuordnen.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB nur eine solche Rechtsnorm, die nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Es genügt, dass die Norm auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben. Andererseits reicht es gerade nicht aus, dass der Individualschutz als bloßer Reflex durch Befolgung der Norm objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen (zum Ganzen siehe etwa BGH, Urteil vom 14.05.2013 – VI ZR 255/11; BGH, Urteil vom 13.03.2018 – VI ZR 143/17).
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Die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bauen auf die EG-VO 715/2007 und die Richtlinie 2007/46/EG auf bzw. setzen diese um. Auf den oben beschriebenen Individualschutz sind die genannten Vorschriften gerade nicht ausgerichtet. Die Rahmenrichtlinie 2007/46/EG bezweckt ausweislich der Erwägungsgründe in erster Linie die Vollendung des europäischen Binnenmarktes; darüber hinaus sollte sie die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisieren und spezifizieren, wobei diese Rechtsakte vor allem auf hohe Verkehrssicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Nutzung abzielten. Individualinteressen, vor allem das Vermögensinteresse von Kraftfahrzeugerwerbern, finden darin keine Erwähnung. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Zweck der Artt. 18 Abs. 1 und 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG, deren Umsetzung die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV dienen, und den §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV selbst. Auch insoweit ergibt sich nicht eine weitergehende Berücksichtigung individueller Interessen (ausführlich zum Ganzen: BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az, VI ZR 252/19 Rn. 72 ff; OLG Braunschweig, Urteil vom 19. Februar 2019 – 7 U 134/17, juris Rn. 137 ff. sowie OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19, juris Rn. 76 ff.).
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III. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte auch kein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 263 StGB zu.
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Der Hersteller selbst als juristische Person kann gemäß § 14 StGB keine Straftaten begehen. Voraussetzung für eine Haftung ist daher, dass ein verfassungsmäßiger Vertreter i.S.d. § 31 BGB den Tatbestand des § 263 StGB erfüllt hat. Eine Haftung scheidet hier bereits deswegen aus, weil es an der gebotenen Darlegung der Verwirklichung sämtlicher Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB durch die entsprechenden Personen fehlt (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 19. Februar 2019 – 7 U 134/17, juris Rn. 162 ff.; OLG München, Beschluss vom 09.05.2019 – 32 U 1304/19, juris Rn. 4 f.). Es fehlt bereits an substantiiertem Vortrag dazu, über welche objektiven Umstände seitens der Beklagten getäuscht worden sein soll. Soweit die Klagepartei hierfür auf die behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen abstellt, gelten die vorstehenden Ausführungen im Rahmen der Haftung nach § 826 BGB entsprechend.
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IV. Auch scheidet eine Haftung nach § 831 BGB aus.
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Hierfür müsste ein Verrichtungsgehilfe den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung rechtswidrig erfüllt haben. Insoweit gelten die vorstehenden Ausführungen zu den § 826 BGB und §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 263 StGB entsprechend (vgl. etwa OLG Stuttgart, Urteil vom 21.06.2011 – 12 U 26/11, juris Rn. 101 f.).
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Eine Haftung nach §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Vorschriften der EG-VO Nr. 715/2007 kommt ebenfalls nicht in Betracht, da zum einen das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung ins Blaue hinein behauptet wurde und zum anderen die Vorschriften der EG-VO Nr. 715/2007 kein Schutzgesetz darstellen (siehe bereits oben).
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V. Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich, auch soweit diese von der Klagepartei ausdrücklich geltend gemacht werden (vgl. zu etwaigen vertraglichen Ansprüchen OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – 7 U 134/17).
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Mangels Anspruchs in der Hauptsache besteht auch kein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Zinsen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.