Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 06.05.2022 – 10 U 72/21
Titel:

Klagepartei, Abschalteinrichtung, Sachmängel, Sittenwidrigkeit, Arglistige Täuschung, Fehlende Nachfristsetzung, Anwartschaftsrechte, Darlegungs- und Beweislast, Schädigungsvorsatz, Gewährleistungsansprüche, Rücktritt vom Kaufvertrag, Betriebsuntersagung, Bewusster Gesetzesverstoß, Unzulässigkeit, Zug-um-Zug, Darlehensverträge, Berichtigung Beschlüsse, Software-Update, BGH-Beschluss, Schriftsätze

Schlagworte:
Schadensersatz, unzulässige Abschalteinrichtung, Rücktritt vom Kaufvertrag, Nachfristsetzung, arglistige Täuschung, Sittenwidrigkeit, deliktische Ansprüche
Vorinstanz:
LG Aschaffenburg, Urteil vom 05.08.2020 – 31 O 267/19
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Beschluss vom 31.05.2022 – 10 U 72/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 12.11.2024 – VIa ZR 906/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 59731

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 05.08.2020 im Beschlussverfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf bis zu 80.000,00 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis längstens 27.05.2022.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klagepartei nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
2
1. Die Klagepartei erwarb am xx.xx.2017 von der Beklagten ein Neufahrzeug der Marke X., Typ … zum Kaufpreis von 75.472,18 € (Anlage K 1), das ihr in der Folge übergeben wurde. Auf den Kaufpreis zahlte die Klagepartei 26.000,00 € an. Den Restkaufpreis finanzierte sie mit einem Darlehen der X. Bank, wodurch ihr Finanzierungskosten in Höhe von insgesamt 2.052,31 € entstanden (Anlage K 2). Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs OM 651 Euro 6 sowie mit einem SCR-Katalysator ausgestattet. Das Fahrzeug ist von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt betroffen. Die Beklagte entwickelte daraufhin in Absprache mit dem KBA ein Software-Update zur Behebung der Beanstandungen. Das Software-Update wurde vom KBA freigegeben und in der Folge auf das Fahrzeug der Klagepartei aufgespielt.
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In der Klageschrift vom 16.07.2019, die der Beklagten am 16.08.2019 zugestellt wurde, erklärte die Klagepartei den Rücktritt vom Kaufvertrag (Seite 10 der Klageschrift). Zum 06.07.2020 betrug der Kilometerstand 34.576 km.
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2. Die Klagepartei hat in erster Instanz vorgetragen, in dem von ihr erworbenen Fahrzeug kämen mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen zum Einsatz (Thermofenster, „schmutziger Onlineberechnungsmodus“). Zu Beginn der Warmlaufphase und/oder bei positiven einstelligen Außentemperaturen (Seite 4 der Klage bzw. „bei in Deutschland normalen Außentemperaturen“, Seite 9 der Klage bzw. „bei 14° C und weniger“, Seite 4 der Replik) werde der Grad der Abgasrückführung reduziert bzw. die Zufuhr von AdBlue verringert oder ganz ausgesetzt (Seite 4 der Klage). Das AGR-System und der SCR-Katalysator würden zudem ab einer bestimmten Drehzahl reduziert oder gar in Gänze abgeschaltet (Seite 4 der Klage). Das Fahrzeug schalte in einen anderen Modus („online“), nachdem eine bestimmte Menge NOx von den NOx-Sensoren nach dem Motorstart gemessen worden sei. Im „online“-Modus werde die AdBlue Zuführungsrate offenbar stark verringert (Seite 6 der Replik). Auf dieser Grundlage hat die Klagepartei in erster Instanz zuletzt beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 24.823,98 EUR sowie Zinsen in Höhe von 2.971,32 EUR, nebst weiterer Zinsen aus 33.486,93 EUR in Höhe von 4 Prozent pro Jahr seit dem 27.06.2020 zu zahlen, und die Klagepartei von den aktuell noch bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber der X. Bank aus dem Darlehensvertrag zur Darlehensvertragsnummer … in Höhe von derzeit noch 44.037,56 EUR freizustellen, Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeuges X. …-Klasse mit der Fahrzeugidentifikationsnummer WDF… und Übertragung des der Klagepartei gegenüber der X. Bank zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorstehend bezeichneten Fahrzeuges.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1 genannten Fahrzeugs zwei Wochen nach Rechtshängigkeit in Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte ist dem Vortrag der Klagepartei in erster Instanz entgegengetreten und hat Klageabweisung beantragt.
4.
Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 05.08.2020 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 04.09.2020 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
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Der Klagepartei stehe mangels Rücktrittsrechts kein Anspruch aus einem Rückgewährschuldverhältnis und auch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung des Kaufpreises für das Fahrzeug zu.
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Ein Anspruch aus §§ 346 BGB i.V.m. 437 Nr. 2, 440, 323 BGB scheitere jedenfalls daran, dass es an einer nach §§ 437 Nr. 2, 440 BGB erforderlichen Nachfristsetzung fehle. Das klägerseits behauptete Verhalten unterfalle nicht einem arglistigen Verhalten, denn dass die Beklagte vorsätzlich gehandelt habe, also sie selbst davon ausgegangen sei zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege, sei nicht ausreichend dargetan. Angesichts der äußerst kontroversen Diskussionen über die Zulässigkeit des „Thermofensters“ sei eine Auslegung dahingehend, dass ein „Thermofenster“ eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, jedenfalls nicht unvertretbar, so dass ein zumindest bedingt vorsätzliches Handeln der Beklagten fern liege. Gleiches gelte zu dem Vortrag zur Dosierung der AdBlue-Menge im SCR-System. Auch wenn die Klägerseite aus dem eigenen Vortrag der Beklagtenseite schlussfolgern will, dass diese selbst zwei Modi und damit einen sauberen und einen „schmutzigen“ Modus geschaffen habe, könne aus dem klägerseits herangezogenen Beklagtenvortrag gerade nicht gefolgert werden, dass diese zwei Modi abhängig von der Erkennung einer Prüfstandsumgebung sind. Umstände hierfür seien nicht dargetan und insbesondere aus dem eigenen Vortrag der Beklagten nicht ersichtlich.
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Ein Anspruch der Klagepartei aus §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB, scheide schon deshalb aus, weil das klägerseits behauptete Verhalten der Beklagten unter keinem Gesichtspunkt als sittenwidrig anzusehen sei.
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Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz im Übrigen wird Bezug genommen auf die Feststellungen im angegriffenen Ersturteil (§ 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO).
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5. Gegen das vorgenannte Endurteil wendet sich die zulässige Berufung der Klagepartei. Sie trägt im Wesentlichen vor:
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Im Fahrzeug der Klagepartei kämen Abschalteinrichtungen zum Einsatz, unter anderem eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung als auch ein „schmutziger Onlineberechnungsmodus“. Durch die verwendeten Abschalteinrichtungen werde die Wirkung dieser Systeme reduziert, wodurch die Stickoxid-Emissionen anstiegen. Wegen der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtungen sei das Fahrzeug der Klagepartei mit einem Sachmangel behaftet. Die Mangelhaftigkeit folge aus dem Umstand, dass wegen der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtungen eine Betriebseinschränkung nach § 5 Abs. 1 FZV drohe. Die Klagepartei habe gegen die Beklagte zudem einen Anspruch auf Rückzahlung des gezahlten Betrags abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Der Anspruch folge aus § 826 BGB, aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Verordnung (EG) 715/2007, sowie aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB und § 831 BGB und aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 16 UWG.
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Die Klagepartei beantragt,
unter Abänderung des am 05.08.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts Aschaffenburg, Az. 31 O 267/19, wie folgt zu entscheiden:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 24.823,98 EUR sowie Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, und die Klagepartei von den aktuell noch bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber der X. Bank aus dem Darlehensvertrag zur Darlehensvertragsnummer … in Höhe von derzeit noch 44.037,56 EUR freizustellen, Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeuges X. …-Klasse mit der Fahrzeugidentifikationsnummer WDF… und Übertragung des der Klagepartei gegenüber der X. Bank zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorstehend bezeichneten Fahrzeuges.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1. genannten Fahrzeuges zwei Wochen nach Rechtshängigkeit in Annahmeverzug befindet.
3. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit im Übrigen erledigt ist.
6. Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.
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Sie hält der Berufung insbesondere entgegen:
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Das streitgegenständliche Fahrzeug sei zwar von einem Rückruf betroffen. Die für das streitgegenständliche Fahrzeug angeordneten nachträglichen Nebenbestimmungen könnten jedoch unproblematisch umgesetzt werden. Das maßgebliche Software-Update sei von der Beklagten bereits entwickelt und vom KBA nach intensiver Prüfung freigegeben worden. Das Software-Update habe keinen relevanten Einfluss auf die zertifizierten Werte zum Kraftstoffverbrauch und zu CO₂-Emissionen und auch nicht auf die Motorleistung, das Drehmoment, die Geräuschemissionen und die Dauerhaltbarkeit des Fahrzeugs. Dazu habe die Beklagte umfangreiche Erprobungen durchgeführt und dabei keine relevanten Abweichungen feststellen können. Das KBA habe der Beklagten auf dieser Basis die erforderliche Genehmigung für das Software-Update des Fahrzeugs erteilt (Anlage B 8). Die geänderte Motorsteuerungssoftware sei bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug bereits aufgespielt worden. Eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung könne daher im vorliegenden Fall nicht mehr drohen, weil die Klägerin das für ihr Fahrzeug entwickelte Software-Update bereits habe aufspielen lassen, so dass es keine verwaltungsrechtliche Anordnung (mehr) gebe, gegen die verstoßen werden könne.
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Wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen.
II.
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Nach der einstimmigen Auffassung des Senats ist die Berufung offensichtlich unbegründet, so dass das Rechtsmittel keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinn des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO bietet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
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1. Der Vortrag der Klagepartei im Schriftsatz vom 03.05.2022 zu weiteren acht Abschalteinrichtungen (Punkt A.I.), zur Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (Punkte A.II., A.III.), zu Bewährungsstrafen gegen A.-Mitarbeiter (Punkt B.) und zur Zurückweisung von Widersprüchen der Beklagten (Punkt C.) ist neu und wird (erstmals) außerhalb der Berufungsbegründungfrist gehalten, so dass er als verspätet zurückzuweisen ist und im Berufungsverfahren nicht berücksichtigt werden kann. Die als Anlagen BK 9 und BK 10 vorgelegten Gutachten wurden ebenfalls nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist vorgelegt und können daher – wie der entsprechende Sachvortrag hierzu – ebenfalls keine Berücksichtigung mehr finden.
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2. Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche der Klagepartei gegen die Beklagte nicht bestehen. Der von der Klagepartei erklärte Rücktritt (§§ 437 Nr. 2,323, 346, 349 BGB) setzt neben dem Vorliegen eines Sachmangels im Sinne des § 434 BGB zu seiner Wirksamkeit grundsätzlich weiter voraus, dass der Käufer dem Verkäufer erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat. Im Streitfall fehlt es sowohl an einem Mangel als auch an der erforderlichen Nachfristsetzung.
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, auf die sich die Klagepartei im Ausgangspunkt noch zutreffend bezieht, weist ein Fahrzeug, das mit einer Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 Verordnung 715/2007/EG versehen ist, die gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Verordnung 715/2007/EG unzulässig ist, einen Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB auf. Ihm fehlt die Eignung für die gewöhnliche Verwendung im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB, denn es besteht eine (latente) Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde, so dass der weitere (ungestörte) Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr nicht gewährleistet ist (BGH, Beschluss vom 09.01.2019, VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133 Rn. 5; Urteil vom 21.07.2021, VIII ZR 254/20, NJW 2021, 2958 Rn. 24).
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Dies zugrunde gelegt, begründet jedenfalls die Verwendung des Thermofensters keinen Sachmangel. Das KBA hat die Verwendung des Thermofensters im Fahrzeug der Klagepartei nicht beanstandet und insbesondere das Fahrzeug nicht deswegen zurückgerufen. Wegen der Verwendung des Thermofensters drohte der Klagepartei folglich zu keinem Zeitpunkt eine Betriebsuntersagung. Vielmehr war der weitere ungestörte Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr jederzeit gewährleistet.
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b) Der Bundesgerichtshof hat ferner höchstrichterlich geklärt, dass der behauptete Sachmangel nicht nur zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorliegen, sondern zudem auch bei Zugang des Gewährleistungsbegehrens noch fortbestehen muss (BGH, Urteil vom 27.05.2020, VIII ZR 315/18, NJW 2020, 2879 Rn. 43; Urteil vom 21.07.2021, VIII ZR 254/20, NJW 2021, 2958 Rn. 24).
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Im Streitfall hat die Beklagte den Rücktritt vom Kaufvertrag erst am 16.07.2019 erklärt. Zu diesem Zeitpunkt war die von der Klagepartei – neben dem Thermofenster – beanstandete AdBlue-Dosierungsstrategie bereits aufgrund des von der Beklagten angebotenen und aufgespielten Software-Updates beseitigt oder jedenfalls deaktiviert. Jedenfalls lässt sich Gegenteiliges dem Sachvortrag der Parteien nicht entnehmen. Vor diesem Hintergrund kann der Senat offenlassen, ob die AdBlue-Dosierungsstrategie überhaupt einen Sachmangel darstellt.
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Zwar trägt die Klagepartei vor, durch das Software-Update käme es zu zahlreichen Folgemängeln, sie stellt dabei aber nicht in Abrede, dass die ursprünglich vom KBA beanstandete Funktion der Motorsteuerung beseitigt bzw. deaktiviert wurde.
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c) Gewährleistungsansprüche der Klagepartei scheitern zudem, wie das Landgericht zutreffend erkannt und ausgeführt hat, an der fehlenden Nachfristsetzung durch die Klagepartei. aa) Eine Fristsetzung ist allerdings, wie die Klagepartei im Ansatzpunkt noch zutreffend annimmt, dann entbehrlich ist, wenn die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung diesem unzumutbar ist. Für das Eingreifen eines solchen Ausnahmetatbestands und damit für das Vorliegen der hierfür erforderlichen Voraussetzungen ist indes die Klagepartei als der Käufer, der sekundäre Gewährleistungsrechte geltend macht, nach allgemeinen Grundsätzen darlegungs- und beweisbelastet (BGH, Urteil vom 29.09.2021, VIII ZR 111/20, NJW 2022, 463 Rn. 23).
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Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Nachbesserung durch ein Software-Update unzumutbar sein, wenn das Software-Update zur Mangelbeseitigung ungeeignet ist oder zu Folgeschäden führt (BGH, Urteil vom 26.01.2022, VIII ZR 140/20, MDR 2022, 362 Rn. 27). Im Streitfall kann sich die Klagepartei schon deshalb nicht mehr auf die Unzumutbarkeit der Nachbesserung im Form eines Software-Updates berufen, weil die geänderte Motorsteuerungssoftware bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug bereits aufgespielt wurde (Seite 29 der Berufungserwiderung).
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Jedenfalls aber ist die Klagepartei für diese Voraussetzungen beweisfällig geblieben. Die Klagepartei hat insoweit vorgetragen, mit dem Software-Update gehe eine erhebliche Erhöhung der CO₂-Werte, ein erheblicher Kraftstoffmehrverbrauch, ein erheblicher Leistungsverlust und eine Verringerung der Laufleistung einher (Seite 12 der Klage). Es kann dahinstehen, ob dieser Vortrag vor dem Hintergrund, dass das Software-Update bereits aufgespielt wurde und die Klagepartei das Fahrzeug weiterhin genutzt hat (vgl. Seite 29 der Berufungserwiderung), konkreter hätte sein können. Jedenfalls aber hat die Beklagte diesen Vortrag unter Bezugnahme auf die Anlage B 8 qualifiziert bestritten und vorgetragen, das KBA habe durch Messungen eines Drittunternehmens festgestellt, dass das Update keinen Einfluss auf die Schadstoffemissionen, Kraftstoffverbrauchswerte und CO₂-Emissionen, Motorleistung und Geräuschemissionen habe. Dem hat die Klagepartei nur entgegnet, dass sie „bestreitet“, dass „das angebotene Update geeignet ist, um den vertragsgemäßen Zustand herzustellen und dass durch das Update keine Folgeschäden entstünden“ (Seite 45 der Berufungsbegründung, Seite 10 der Replik). Es genüge „nicht, einen Mangel abzustellen, wenn dafür ein anderer Mangel entsteht und dass dies geschehen wird, muss die Klagepartei nicht beweisen oder auch nur als sicher eintretend behaupten“ (Seite 46 der Berufungsbegründung). Die Klagepartei hat somit – wohl in Verkennung der Beweislast – bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist keinen Beweis dafür angeboten, dass ihr von der Beklagten bestrittener Sachvortrag zutreffen würde.
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bb) Soweit die Klagepartei meint, durch die arglistige Täuschung der Beklagten sei das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört (Seite 46 der Berufungsbegründung), kann auch die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen werden, mit denen es dargelegt hat, dass und warum die Beklagte nicht arglistig gehandelt hat.
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3. Im Ergebnis ebenfalls zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass keine deliktischen Ansprüche der Klagepartei gegen die Beklagte bestehen.
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a) Ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte nach § 826 BGB wegen des im Fahrzeug der Klagepartei unstreitig zum Einsatz kommenden „Thermofensters“ besteht nicht. Es fehlt sowohl an der objektiven Sittenwidrigkeit als auch am Schädigungsvorsatz.
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(Spätestens) Seit der Entscheidungsserie vom 16.09.2021 (Urteile vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20) nimmt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung an, dass es im Hinblick auf die – bis heute bestehende! – unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters unabhängig vom konkret verwendeten Typ des Dieselmotors und herstellerübergreifend (zu A.: u.a. Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721; zu VW: Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814; zu Audi: Beschluss vom 01.09.2021, VII ZR 128/21, juris; Beschluss vom 13.10.2021, VII ZR 164/21, juris; zu BMW: Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris) sowohl an einem besonders verwerflichen Verhalten des Herstellers als auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz fehlt.
Im Einzelnen:
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aa) Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) sind nicht bereits deshalb gegeben, weil die Beklagte das in Rede stehende Fahrzeug aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 13; Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 10; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 Rn. 12). Dabei kann zugunsten der Klagepartei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist, denn der darin liegende Gesetzesverstoß wäre auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 16; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 26; Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 13; Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 1154/20, VersR 2021, 1575 Rn. 13; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 Rn. 15).
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(1) Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ist nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, die dem Grundsatzurteil vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962) zugrunde liegt (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 17; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 27). Dort hatte der Automobilhersteller entschieden, von der Einhaltung der gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abzusehen und dem KBA stattdessen zwecks Erlangung der Typgenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig vorzuspiegeln, dass die von ihm hergestellten Dieselfahrzeuge die Grenzwerte einhalten. Die Software war bewusst und gewollt so programmiert, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden (Umschaltlogik), und zielte damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ab. Die mit einer derartigen – evident unzulässigen – Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeuge hatte der Hersteller sodann unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzten, in den Verkehr gebracht. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich.
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(2) Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ist weder „evident unzulässig“ (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 17) noch von vornherein durch Arglist geprägt (BGH, Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 27). Das Thermofenster unterscheidet nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen entspricht die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand. Daher reicht allein der Vortrag der Klagepartei, dass die Abgasrückführung in ihrem Fahrzeug „bei 14° C und weniger“ reduziert werde oder die Bezugnahme auf Feststellungen des Landgerichts Stuttgart in Parallelverfahren („7° oder darunter“, Seite 5 der Replik), nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben.
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bb) Um das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig zu bewerten, bedarf es daher – über die Verwendung des Thermofensters hinaus – weiterer Umstände (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 19; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 28; Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 13; Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 1154/20, VersR 2021, 1575 Rn. 13; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 Rn. 16), für die die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast trägt (BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 1154/20, VersR 2021, 1575 Rn. 13). Keinesfalls ausreichend hierfür ist allein der Umstand, dass die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz des Thermofensters eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 13).
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(1) Über die Verwendung des Thermofensters hinaus setzt daher bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit voraus, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 19; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 28 Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 13; Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 1154/20, VersR 2021, 1575 Rn. 13; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 Rn. 16), also mit „Vorsatz“ gehandelt haben (vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 1154/20, VersR 2021, 1575 Rn. 14). Eine lediglich fahrlässige Verkennung der Rechtslage ist insoweit nicht ausreichend (vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 1154/20, VersR 2021, 1575 Rn. 14). Für diese Tatbestandsvoraussetzung trägt die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 19; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 29; Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 14; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 Rn. 17).
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(2) Für ein derartiges Vorstellungsbild sprechende Anhaltspunkte hat die Klagepartei nicht aufgezeigt.
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(a) Die Klagepartei hat zunächst nicht dargelegt, dass es sich bei dem Thermofenster um eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung handelt. Das Thermofenster ist nicht mit einer Prüfstanderkennung verbunden, weshalb dessen Verwendung unter diesem Gesichtspunkt nicht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleichsteht. Bei Implementierung des Thermofensters erfolgt die Abgasreinigung im Grundsatz auf dem Prüfstand und im realen Betrieb in gleicher Weise. Es liegt damit – im „Thermofenster“ als solchem – noch kein System der Prüfstanderkennung vor (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 19; Urteil vom 13.01.2022, III ZR 205/20, juris Rn. 27 f.). Soweit die Klagepartei sinngemäß behauptet (vgl. Seite 11 des Schriftsatzes vom 26.06.2020, Seite 16 der Berufungsbegründung), der Temperaturbereich des Thermofensters sei auf die Bedingungen auf dem Prüfstand exakt zugeschnitten, hat sie die Ausgestaltung des Thermofensters schlüssig und in prozessual beachtlicher Weise vorzutragen (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 20, 24; Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris Rn. 14; Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 101/21, juris Rn. 17). Dies ist nicht geschehen. Schon nach dem eigenen Vortrag der Klagepartei kann keine Rede davon sein, dass das Thermofenster exakt auf die Bedingungen des Prüfstands zugeschnitten ist. Überdies fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass der Vortrag der Klagepartei zutreffen könnte.
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(b) Eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes ist auf Grundlage des klägerischen Vortrags nicht erkennbar, insbesondere nicht durch wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des Kraftfahrt-Bundesamtes hindeuteten. Nicht ausreichend ist insbesondere der Vortrag der Klagepartei, die Beklagte insoweit ihre „Anzeigepflicht verletzt“ (Seiten 27 ff. des Schriftsatzes vom 26.06.2020; ähnlich Seite 62 der Berufungsbegründung). Eine (neuerliche) Täuschung des KBA hat die Klagepartei schlüssig vorzutragen und greifbare Anhaltspunkte hierfür dazulegen (vgl. BGH, Urteil vom 13.01.2022, III ZR 205/20, juris Rn. 22). Dies ist schon nicht geschehen.
38
Eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung bei Dieselmotoren zur Vermeidung von Stickoxiden ist überdies seit Jahrzehnten üblich und in Fachkreisen allgemein bekannt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.02.2022, 8 U 143/21, juris Rn. 10). Zumindest ab 2008 war der allgemeine Einsatz von „Thermofenstern“ auch dem EU-Normgeber (vgl. Mitteilung der EU-Kommission – 2008/C 182/08 – über die Anwendung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Emissionen, dort unter Nr. 8) bekannt (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, juris Rn. 36). Dem KBA war die Verwendung von Thermofenstern bei allen Herstellern und die in diesem Zusammenhang geführte rechtliche Diskussion um den Motorschutz ebenfalls bekannt. In erster Instanz ist unwidersprochen geblieben, dass die Beklagte mindestens mitgeteilt hat, die Abgasreinigung hänge von der „Lufttemperatur“ ab (Seite 12 des Schriftsatzes vom 22.07.2020 = Bl. 562). Das KBA war deshalb zu einer Überprüfung des Emissionsverhaltens der Fahrzeuge – gegebenenfalls nach weiteren Rückfragen beim Hersteller – ohne weiteres in der Lage (BGH, Urteil vom 13.01.2022, III ZR 205/20, juris Rn. 25).
39
Selbst wenn die Beklagte erforderliche Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen. Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden, sind nach alledem nicht zu erkennen (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 26). cc) Dem Sachvortrag der Klagepartei lässt sich zudem nicht entnehmen, dass die Beklagte mit Schädigungsvorsatz gehandelt hätte.
40
Bei einer Abschalteinrichtung, die – wie hier – im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden kann, kann bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 30). Die Rechtslage hinsichtlich der Zulässigkeit eines Thermofensters ist – bis heute – zweifelhaft. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt aber für eine Haftung der Beklagten nicht (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 31 f.). Auch folgt allein aus der – unterstellten – objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung des Klägers hätte aufdrängen müssen (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 32).
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Dass bestimmte Ausgestaltungen des Thermofensters nunmehr vom Generalanwalt beim EuGH als unzulässige Abschalteinrichtungen angesehen werden (vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH vom 23.09.2021 – C-128/20, Celex-Nr. 62020CC0128, juris Rn. 104) und denkbar ist, dass diese Sicht in Zukunft auch vom KBA übernommen wird, ändert an der vorstehenden Beurteilung nichts. Denn für diese sind die damaligen, vor Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeuges liegenden, Vorstellungen und Erkenntnisse maßgeblich (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, juris Rn. 38).
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b) Einen Anspruch gegen die Beklagte nach § 826 BGB wegen der vormals zum Einsatz kommenden AdBlue-Dosierungsstrategie hat die Klagepartei ebenfalls nicht schlüssig dargelegt.
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aa) Wie bereits oben – mit Blick auf das Thermofenster – dargestellt, setzt bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit voraus, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Für diese Tatbestandsvoraussetzung trägt die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast.
44
(1) Der Rückrufbescheid des KBA – aus Parallelverfahren (auch der Klägervertreter) gerichtsbekannt vom 03.08.2018 – rügt indes im Kern nur, dass die betroffenen Fahrzeuge während der Fahrt nach Erreichen eines bestimmten Roh-NOx-Integrals (= „Stickoxidmasse“) nicht bis zum nächsten Motorstart wieder von der Onlineberechnung in die Füllstandberechnung zurückschalteten. Mit dem nachfolgend vom KBA freigegebenen Softwareupdate konnte der ursprünglich konservative Ansatz des Herstellers im Hinblick auf das Risiko von „Ammoniakschlupf“ nunmehr technisch im Hinblick auf eine weitere NOx-Reduzierung optimiert werden. Dieser Sachverhalt bietet keine greifbaren tatsächlichen Anknüpfungspunkte dafür, dass der Einsatz der beiden Betriebsarten von einer verwerflichen Gesinnung der Beklagten zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens getragen wäre (ebenso Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 30.11.2021, 7 U 36/21, SchlHA 2021, 470 Rn. 83).
45
(2) Die Klagepartei hat ausgeführt, dass sie sich zur „temperaturabhängigen“ Reduzierung der Wirksamkeit des SCR-Katalysators den Vortrag der A. zu eigen macht (im Einzelnen Seiten 18 ff. der Berufungsbegründung). Allerdings hat die Beklagte in den Ausführungen, die sich die Klagepartei ausdrücklich zu eigen macht, auch ausgeführt: „Der Wechsel zwischen diesen komplementären Modellen „verringert“ die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems daher schon begrifflich nicht.“
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(3) Nicht ausreichend ist weiter der Vortrag der Klagepartei, die Beklagte überspiele durch das Software-Update und vernichte damit die inkriminierten Software bei sämtlichen Fahrzeugen (Seite 62 der Berufungsbegründung). Insbesondere lässt sich aus der Anlage K 19 (= BK 8) für den Streitfall insoweit nichts herleiten. Das von der Klagepartei behauptete gezielte Verschweigen oder gar Verheimlichen von Updates lässt sich der Anlage nicht entnehmen. Aus ihr ergibt sich lediglich, dass die Beklagte bemüht ist, ihren Verpflichtungen gegenüber dem KBA schnellstmöglich und gewissenhaft nachzukommen. Auch aus dem verschiedentlich erwähnten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Stuttgart (vgl. Seite 7 der Klageschrift) ergibt sich diesbezüglich nichts.
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(4) Verfehlt ist die Auffassung der Klagepartei (vgl. Seite 27 des Schriftsatzes vom 26.06.2020), ein verpflichtender Rückruf des Fahrzeugs der Klagepartei seitens des KBA indiziere bereits ausreichend das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung, über die das KBA bei Erteilung der Typ-Genehmigung getäuscht worden sein müsse (BGH, Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038 Rn. 14; Urteil vom 24.03.2022, VII ZR 266/20, juris Rn. 20).
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bb) Dem Sachvortrag der Klagepartei lässt sich zudem auch insoweit nicht entnehmen, dass die Beklagte mit Schädigungsvorsatz gehandelt hätte.
49
Die Klagepartei hat ausdrücklich zugestanden, dass die von ihr behauptete Funktion der Motorsteuerung im Realbetrieb ebenso arbeitet wie unter Prüfstandbedingungen, zwischen beiden Situationen also keinen Unterschied macht (vgl. Seite 4 des Schriftsatzes vom 26.06.2020 = Bl. 387). Bei einer Abschalteinrichtung, die – wie hier – im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden kann, kann bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 30). Derartige Anhaltspunkte lassen sich dem Vortrag der Klagepartei nicht entnehmen.
50
c) Andere deliktische Anspruchsgrundlagen verhelfen der Klage ebenfalls nicht zum Erfolg.
51
aa) Das oben unter II. 3. lit. a) und b) Ausgeführte gilt für einen Anspruch aus § 831 BGB und einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB entsprechend.
52
bb) Der Klageanspruch ergibt sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV, weil es sich bei den Vorschriften der EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handelt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff.; Beschluss vom 18.05.2021, VI ZR 486/20, juris Rn. 21; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 35; Urteil vom 23.09.2021, III ZR 200/20, juris Rn. 14). Anderes ergibt sich auch nicht aus der Anlage BK 14, in der es unter Rn. 14 heißt: „Daher ist die Kommission der Auffassung, dass Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007 nicht dazu dient, dass wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs zu schützen.“
53
cc) Entsprechendes gilt für einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 VO 715/2007/EG (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 15; Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 20; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, Rn. 10, juris; Urteil vom 23.03.2021, VI ZR 1180/20, juris Rn. 19; vgl. auch BGH, Urteil vom 23.09.2021, III ZR 200/20, juris Rn. 14).
54
dd) Einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 16 UWG hat die Klagepartei nicht schlüssig dargelegt.
III.
55
Die Berufungsangriffe erfordern keine Erörterung in mündlicher Verhandlung.
56
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Voraussetzungen einer Haftung nach § 826 BGB sind höchstrichterlich sein langem geklärt. Hinsichtlich der Entwicklung und des Einsatzes einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 hat der Bundesgerichtshof die Voraussetzungen durch zahlreiche Entscheidungen weiter konkretisiert (grundlegend BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316). Ob die Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten vorliegen, hängt vom Sachvortrag der Parteien und den darauf gründenden tatrichterlichen Feststellungen ab. Rechtsfragen – insbesondere solche, die Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein könnten – stellen sich in diesem Zusammenhang nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 223/20, juris Rn. 8 Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 45/21, juris Rn. 8; Beschluss vom 13.10.2021, VII ZR 179/21, juris Rn. 9; Beschluss vom 13.10.2021, VII ZR 295/20, juris Rn. 9; Beschluss vom 21.03.2022, VIa ZR 334/21, juris Rn. 13).
57
Der Senat regt daher – unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme – die kostengünstigere Rücknahme der Berufung an, die zwei Gerichtsgebühren spart (vgl. Nr. 1220, 1222 Kostenverzeichnis GKG).