Titel:
Kein Schadensersatz im Zusammenhang mit dem von Audi entwickelten und hergestellten 3,0-Liter-Motor (hier: Audi Q5 3.0 TDI quattro S tronic)
Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
ZPO § 296 Abs. 1, § 522 Abs. 2, § 530
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; BeckRS 2023, 15119; KG BeckRS 2023, 33393; BeckRS 2024, 7118; BeckRS 2024, 12263; OLG Celle BeckRS 2023, 34908; OLG Dresden BeckRS 2023, 5152; OLG Hamm BeckRS 2021, 37295; OLG München BeckRS 2023, 32991; BeckRS 2024, 3294; BeckRS 2024, 7529; BeckRS 2024, 7526; BeckRS 2024, 9624; BeckRS 2023, 49064; BeckRS 2024, 23145; OLG Naumburg BeckRS 2023, 41799; OLG Saarbrücken BeckRS 2022, 34471; BeckRS 2024, 9899; OLG Stuttgart BeckRS 2024, 738; OLG Bamberg BeckRS 2023, 31419 (mwN in Ls. 1); OLG München BeckRS 2022, 36080 (mwN in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mwN in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mwN in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Strategien, die sich auf die Aufwärmung eines SCR-Katalysators mit AdBlue-Einspritzung beziehen, können bei einem Fahrzeug, das weder über einen SCR-Katalysator noch über einen AdBlue-Tank verfügt, keine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einer Vorrichtung, die unter Realbedingungen gleichermaßen wie auf dem Prüfstand funktioniert, deren grundlegende Funktionsweise den Zulassungsbehörden bekannt ist und die nicht beanstandet wurde, ist der Vorwurf vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nicht begründet; das gilt auch für ein mit 20-33 Grad bedatetes Thermofenster. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
4. Weder das Erstgericht noch das Berufungsgericht sind gehalten, sich Tatsachenvortrag aus Anlagen selbst herauszusuchen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
5. Ein Verweis auf RDE-Messungen ist unbehelflich, da sich ohne Weiteres aus den Vorschriften zur Durchführung des NEFZ ergibt, dass dort verschiedene Fahrzeugfunktionen deaktiviert werden dürfen (Elektronik und andere), die im Realbetrieb aktiv sind, und die Fahrkurven des NEFZ nach Geschwindigkeit und Dauer determiniert sind. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi, 3,0 Liter-Dieselmotor, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, SCR-Katalysators, AdBlue-Einspritzung, RDE-Messungen, (kein) Rückruf, (kein) "großer" Schadensersatz
Vorinstanz:
LG Ingolstadt vom 13.10.2021 – 62 O 627/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 30.10.2024 – VIa ZR 590/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 59559
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 13.10.2021, Aktenzeichen 62 O 627/20 Die, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 32.224,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 13.10.2021 Bezug genommen.
2
Im Berufungsverfahren wird beantragt,
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei EUR 38.180,00 zuzüglich Finanzierungskosten in Höhe von EUR 2.077,26 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.10.2019 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 8.032,26 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Audi Q5 3.0 TDI Euro 5, 180kW, mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …, zu zahlen.
- 2.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 17.10.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstandes in Annahmeverzug befindet.
- 3.
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Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.613,24 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.10.2019 an die Klagepartei zu zahlen.
3
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
4
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 13.10.2021, Aktenzeichen 62 O 627/20 Die, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
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Zum Vorbringen im Schriftsatz vom 07.03.2022 ist Folgendes auszuführen:
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1. Die Erläuterungen zu den Strategien A und B (bei Fahrzeugen der Schadstoffklasse Euro 6), die die Klagepartei nur auszugsweise vorbringt, und die daraus resultierende Schlussfolgerung, es müsse daher auch bei Fahrzeugen der Schadstoffklasse Euro 5 eine Prüfstandserkennung vorhanden sein, sind unzutreffend, da die beiden Strategien sich senatsbekannt – und zur Überzeugung des Senats aufgrund der Befassung weit überwiegend mit Verfahren im Zusammenhang mit dem sogenannten Diesel-Skandal auch den Klägervertretern bekannt – auf die Aufwärmung eines SCR-Katalysators mit AdBlue-Einspritzung beziehen, die mit Blick auf die Einhaltung der strengeren Emissionswerte der Klasse Euro6 erfolgte. Dass dieser Vortrag erstmals mit der Erwiderung auf den Hinweisbeschluss des Senats vorgebracht wird und daher nach Maßgabe der Ausführungen unter unten Ziffer 4 nicht zuzulassen wäre, kann dahinstehen. Über einen SCR-Katalysator und AdBlue-Tank verfügt das klägerische Fahrzeug nicht. Ein Rückschluss dahingehend, dass auch schon bei Fahrzeugen der Schadstoffklasse Euro5 eine vergleichbare Abschalteinrichtung vorgelegen haben müsse, ist aus dem Einsatz der Strategien A und B bei Fahrzeugen der Klasse Euro6 nicht möglich oder geeignet, greifbare Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung zu begründen.
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2. Ebenso wenig verfängt aus den Gründen des Hinweisbeschlusses der Verweis auf die lediglich für möglich gehaltene, aber nicht weiter überprüfte These des Sachverständigen R. im Ergänzungsgutachten gegenüber dem Landgericht Bielefeld.
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Die Sinnhaftigkeit eines nunmehr beantragten Sachverständigengutachtens dazu, dass die unterschiedlichen Messergebnisse dieses Sachverständigen R. nicht durch die von ihm vorgenommene Absenkung der Umgebungstemperatur beeinflusst gewesen seien, erschließt sich schon deshalb nicht, weil die Klagepartei sich ausdrücklich auch für ihre Ansprüche auf ein Thermofenster beruft, welches unstreitig vorhanden ist und ab einem Temperaturbereich von 17 Grad die Abgasrückführung reduziertnach dem neuen Vorbringen im Schriftsatz vom 07.03.2022 sogar ab unter 20 Grad Celsius –, mithin exakt in dem Bereich, in dem die Messungen des Sachverständigen R. erfolgt sind.
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3. Die Schlussfolgerung – entgegen dem erstinstanzlichen Vortrag und dem Berufungsvorbringen – das Thermofenster sei mit 20-33 Grad bedatet, ist neu. Ungeachtet dessen würde auch diese enge Bedatung der Klage nicht zum Erfolg verhelfen, weil nach wie vor bei einer Vorrichtung, die unter Realbedingungen gleichermaßen wie auf dem Prüfstand funktioniert, deren grundlegende Funktionsweise den Zulassungsbehörden bekannt ist und die nicht beanstandet wurde, der Vorwurf vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nicht begründet wäre.
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4. Die Ausführungen unter Ziff. III. und IV „in einfachen Worten“ enthalten neuen Vortrag. Die Klagepartei hat ausdrücklich erstinstanzlich vorgetragen, dass bei Messungen des Sachverständigen R. im Rahmen seines Ergänzungsgutachten im NEFZ bei Umgebungstemperaturen von 23 Grad die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte eingehalten würden, und sich „keine Besonderheiten bei den Messungen“ ergeben hätten. Die Klagepartei hat ihr Vorbringen ausschließlich hierauf gestützt.
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Eine Phase-3-Messung bei 23 Grad Celsius war nicht Gegenstand ihres erstinstanzlichen Sachvortrags. Die Behauptung, dass nach dem auf das klägerische Fahrzeug übertragbaren Gutachten die Emissionen auch bei einem unmittelbar an das Ende des NEFZ anschließenden zweiten Durchlaufen der zweiten Phase (“Phase 3“) höher waren, führt nicht zu greifbaren Anhaltspunkten, da diese Behauptung gemäß § 530, § 296 Abs. 1 ZPO unberücksichtigt bleiben muss.
13
Dieser Vortrag stellt eine vollständig neue Hilfstatsache zur Stützung der Behauptung dar, dass die Beklagte eine unzulässige Abschalteinrichtung in dem Fahrzeug des Klägers verbaut habe. Dass die Emissionen auch bei einem unmittelbar an das Ende des NEFZ anschließenden zweiten Durchlaufen der zweiten Phase höher waren, hat der Kläger erstmals in seiner Stellungnahme auf den Hinweisbeschluss des Senats behauptet und findet sich weder in den erstinstanzlich eingereichten Schriftsätzen (s.o., vielmehr wurde ausdrücklich die Einhaltung der Grenzwerte des NEFZ bei 23 Grad Celsius vorgetragen) noch – trotz der auf mangelnde Substantiierung gestützten Klageabweisung durch das Landgericht und entgegen § 520 ZPO – in der Berufungsbegründung. Weder war das Landgericht noch ist der Senat gehalten, sich Tatsachenvortrag aus Anlagen selbst herauszusuchen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 2007 – II ZR 111/05, juris Rn 25).
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Der Kläger hat die Verspätung auch nicht entschuldigt. Die Zulassung des verspäteten Vortrags würde zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, dass durch die Zulassung des neuen Vortrags eine Entscheidung durch Beschluss und nicht etwa durch ein späteres Berufungsurteil verzögert wird (OLG München, Beschluss vom 1. April 2015 – 19 U 4174/14, juris Rn. 22; MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl., ZPO, § 522 Rn. 31; Saenger/Wöstmann, ZPO, 9. Aufl., § 530 Rn. 5 m.w.N., vgl. auch Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 16. Juli 2007 – 3 U 167/06, juris Rn. 4). Denn wenn man den Vortrag des Klägers als greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung ansehen würde, müsste Beweis erhoben werden, sodass in jedem Fall eine Verzögerung eintritt (vgl. BeckOK ZPO/Wulf, 43. Ed., § 530 Rn. 14). Der Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO dient nicht der Verlängerung der gesetzlichen Berufungsbegründungsfrist (vgl. OLG Köln, Beschlüsse vom 10. Juni 2020 – 19 U 11/20, juris Rn. 35 f.; vom 11. November 2013 – 19 U 98/13, juris Rn. 5; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. April 2014 – I-14 U 144/13, juris Rn. 26 ff.; OLG Stuttgart, Urteil vom 6. April 2005 – 9 U 188/04, juris Rn. 20). Insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden, in dem das erstinstanzliche Gericht einen Vortrag mit Recht als unsubstantiiert zurückgewiesen und das Berufungsgericht zur Vorbereitung einer Beschlussentscheidung darauf hingewiesen hat, dass in der Berufungsbegründung die erforderliche Substanz nach wie vor fehlt, muss der Berufungskläger die Verspätungsfolgen tragen (Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 5. Aufl., § 522 Rn. 80).
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5. Ebenso wenig verhelfen die Ausführungen zu RDE-Messungen der DUH zum Erfolg. Es ergibt sich ohne weiteres aus den Vorschriften zur Durchführung des NEFZ, dass dort verschiedene Fahrzeugfunktionen deaktiviert werden dürfen (Elektronik u.a.), die im Realbetrieb aktiv sind. Ebenso sind die Fahrkurven des NEFZ determiniert nach Geschwindigkeit und Dauer. Damit wird ein Realbetrieb gerade nicht simuliert. Aus diesem Grund ist der Verweis auf RDE-Messungen unbehelflich.
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6. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs III ZR 202/20 ist vorliegend nicht einschlägig, da diverse dort unstreitig gebliebene Parameter hier weder vorgetragen und noch unstreitig geblieben sind (Erkennung Rotation der Antriebsachse, Radio- und Multimedia-Einheit). Hinzu kommt, dass auf den konkreten klägerischen Fahrzeugtyp AUDI Q5 3.0 l, 180 kW, Euro 5 bezogene Auskünfte des KBA vorliegen (B19, B20; BE1 zu einem AUDI A6 3,0 l 180 kW), wonach keine Abschalteinrichtungen festgestellt wurden und daher weder Rückrufe erfolgten noch nachträgliche Nebenbestimmungen wegen des Emissionsverhaltens, dies auch, wie die Beklagte dargelegt hat, in Kenntnis der Funktion zur Deaktivierung des DSP seit den Jahren 2016-2018. Der Kläger selbst hat, wie im Hinweisbeschluss ausgeführt, die Einholung einer Auskunft des KBA beantragt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.