Titel:
Sittenwidrigkeit, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Sachverständigengutachten, Kosten des Berufungsverfahrens, Abschalteinrichtung, Privatgutachter, Sittenwidrige Schädigung, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Kostenentscheidung, Sicherheitsleistung, Zug-um-Zug, Gegenerklärung, Klagepartei, Außergerichtliche Rechtsverfolgung, gesetzliches Schuldverhältnis, Streitwert, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Deliktischer Anspruch, Darlegungslast, Substantiierung
Schlagworte:
Schadensersatzklage, Vertragliche Ansprüche, Deliktische Ansprüche, Unzulässige Abschalteinrichtung, Sittenwidriges Verhalten, Substantiierung von Sachvortrag, Rückruf durch das KBA
Vorinstanz:
LG München I vom 05.11.2021 – 41 O 5375/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 23.10.2024 – VIa ZR 450/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 59479
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 05.11.2021, Aktenzeichen 41 O 5375/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 31.830,77 € festgesetzt.
Gründe
1
Das Landgericht hat die auf Schadensersatz gerichtete Klage im Zusammenhang mit dem Erwerb eines gebrauchten Pkws BMW 550d, Schadstoffklasse Euro 6, in dem ein Dieselmotor N57 mit einem Hubraum von 3.0 l und 280 KW Leistung verbaut ist, vollumfänglich abgewiesen.
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Die zulässige Klage sei unbegründet. Dem Kläger stünden gegen die Beklagte weder vertragliche, noch deliktische Ansprüche zu. Vertragliche Ansprüche schieden schon deswegen aus, da zwischen den Parteien zu keinem Zeitpunkt eine Vertragsbeziehung bestanden habe.
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Deliktische Ansprüche ergäben sich weder aus §§ 826,31 BGB, § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB noch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem sonstigen Schutzgesetz.
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Der geltend gemachte Anspruch könne nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO (EG) Nummer 715/2007 hergeleitet werden, da das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. des Art. 5 VO (EG) Nummer 715/2007 liege.
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Es bestehe auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB, denn es fehle jedenfalls an der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des möglicherweise erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden.
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Auch ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte bestehe nicht. Das Gericht habe vorliegend nicht feststellen können, dass die Beklagte in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise dem Kläger vorsätzlich Schaden zugefügt hat. Als Anknüpfungspunkt für ein sittenwidriges Verhalten auf der Seite der Beklagten komme hier allein die behauptete Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Betracht. Vorliegend habe der Kläger aber den Beweis für seine Behauptung, die Beklagte habe in sittenwidriger Weise unzulässige Abschalteinrichtungen in den im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motor integriert, nicht führen können. Das beantragte Sachverständigengutachten sei nicht zu erholen gewesen, da die entsprechenden Behauptungen lediglich ins Blaue hinein erfolgt seien, d. h. tatsächliche Anhaltspunkte dafür fehlten. Dabei habe das Gericht seiner Entscheidung die Anforderungen des BGH an die Substantiierung von Sachvortrag zugrunde gelegt.
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Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 05.11.2021 Bezug genommen.
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Gegen dieses Endurteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung im vollen Umfang der Klageabweisung mit dem Ziel der Verurteilung der Beklagten gemäß den Anträgen 1. Instanz.
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Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagte in dem veräußerten Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut habe und diese – ähnlich den Fällen des VW-Dieselskandals – zu einer Haftung der Beklagten führe.
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Gerügt wird insbesondere:
- Das Erstgericht habe die aktuelle Rechtsprechung des EuGH zur Klarstellung, welche Abschalteinrichtungen als unzulässig anzusehen seien, sowie die Rechtsprechung des BGH zur Frage der Darlegungslast des Herstellers in Bezug auf den Vorsatz einer sittenwidrigen Schädigung übersehen oder ignoriert.
- Insbesondere habe das Erstgericht übersehen, dass für das streitgegenständliche Fahrzeug ein verbindlicher Rückruf durch das KBA vorliege.
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Das Erstgericht habe hierbei schlichtweg falsch ausgeführt.
- Im Übrigen werde der erstinstanzliche Vortrag zu den enthaltenen unzulässigen Abschalteinrichtungen im streitgegenständlichen Fahrzeug um eine weitere in den Fahrzeugen der Beklagten festgestellte Abschalteinrichtung präzisiert.
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Es handele sich hierbei um eine Funktion, die in praktisch allen bislang überprüften Motorsteuerungen des Motors B 37 und B 47 mit Baujahr bis 2017 enthalten sei, und damit auch im streitgegenständlichen Fahrzeug.
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Auf die – im Übrigen fast ausschließlich aus Textbausteinen bestehende – Berufungsbegründung wird Bezug genommen.
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Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger,
I. unter Abänderung des Ersturteils die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei Euro 31.830,77 nebst Zinsen aus Euro 31.830,77 hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 08.03.2021 zu bezahlen Zug um Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des Pkw Typ BMW 550d, FIN: …01,
II. die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei Euro 4.231,23 Deliktszinsen zu bezahlen Zug um Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des Pkw Typ BMW 550d, FIN: …01,
III. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Antrag I genannten Fahrzeug seit dem 08.03.2021 in Verzug befindet,
IV. die Beklagte zu verurteilen, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von Euro 1.883,06 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Der Senat hat mit Verfügung vom 24.01.2022 darauf hingewiesen, dass und aus welchen Gründen beabsichtigt sei, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, und hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Zu dem Hinweis ging eine inhaltliche Stellungnahme des Klägers vom 02.03.2022 ein.
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Auf die Schriftsätze der Parteien im Berufungsverfahren wird im Übrigen Bezug genommen.
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Die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 05.11.2021, Aktenzeichen 41 O 5375/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird zunächst auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 24.01.2022 Bezug genommen.
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Die Ausführungen des Berufungsführers in der Gegenerklärung vom 02.03.2022 geben weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Anlass zu einer Änderung der Ansicht des Senats, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat.
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Ergänzend ist zu den Einwänden im Schriftsatz vom 02.03.2022 noch Folgendes auszuführen:
22
Eine hinreichende Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Senats im Hinweis findet nicht statt.
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1. Die Klagepartei verkennt weiterhin, dass die Anforderungen an einen substantiierten Tatsachenvortrag unter anderem von der in Anspruch genommenen Anspruchsgrundlage, aber vor allem von dem konkret zu beurteilenden Sachverhalt abhängen.
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a) Vorliegend ist unstreitig, dass der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug erst am 23.06.2018 erwarb, die Beklagte aber bereits im Februar 2018 an das KBA herantrat und die Softwareproblematik offenlegte.
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Unstreitig wurde auch das Fahrzeug des Klägers im Sommer 2018 mit der korrekten Software versehen. Unwidersprochen trug die Beklagte vor, dass KBA habe im Mai 2018 das aufzuspielende Software-Update freigegeben. Auch in der Gegenerklärung erfolgte diesbezüglich kein weiterer Vortrag.
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b) Im Hinblick auf den hier konkret zu beurteilenden Sachverhalt kann das Verhalten der Beklagten zum Zeitpunkt des Kaufs des Pkws durch den Kläger im Juni 2018 nicht – mehr – als sittenwidrig qualifiziert werden.
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Wie bereits das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens bei den konkret Geschädigten zugrunde zu legen, insbesondere wenn – wie hier – die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen. Im Fall der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB wird das gesetzliche Schuldverhältnis erst mit Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten begründet; der haftungsbegründende Tatbestand setzt die Zuführung eines Schadens zwingend voraus. Deshalb kann im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen anderen Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten diesem gegenüber als nicht sittenwidrig zu werten sein (BGH, NJW 2021, 1814).
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Selbst wenn, wie der Kläger behaupten will, der ursprünglichen Programmierung ein vorsätzliches sittenwidriges Handeln zugrunde gelegen haben sollte, hätte die Beklagte jedenfalls ihr Verhalten noch vor dem Kauf der streitgegenständlichen Pkw durch den Kläger mit der Folge geändert, dass jedenfalls zum Kaufzeitpunkt eine Sittenwidrigkeit nicht – mehr – bejaht werden kann.
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c) Auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des BGH vom 25.11.2021 (BGH, Beschluss vom 25.11.2021 – III ZR 202/20) gilt vorliegend nichts anderes.
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In dem vom BGH zu beurteilenden Fall fand gerade keine Verhaltensänderung der Beklagten vor dem Kauf des dort streitgegenständlichen PKWs statt.
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2. Aus den erstmals in der Gegenerklärung dargestellten Untersuchungen des Privatgutachters Heitz zur „Kaltstartheizung“ kann die Klagepartei nichts für sich herleiten, zumal sich diese ausschließlich auf BMW Motoren der Baureihen B 37 und B 47 beziehen.
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Nach dem Vortrag der Klagepartei arbeitet diese Funktion bei Umgebungstemperaturen zwischen 15°C und 35,5°C. Das sind Bedingungen, die zwar die im NEFZ vorhandenen einschließen, aber deutlich darüber hinausgehen. Zudem stellt der Privatgutachter in der vorgelegten Stellungnahme vom 09.12.2021 (Anlage K E 10) nicht in Abrede, dass die Funktion auch im normalen Fahrbetrieb zur Anwendung kommt. Die Schlussfolgerung der Klagepartei, die Funktion sei im Realbetrieb „bestenfalls zufällig“ aktiv, wird durch das Gutachten nicht gestützt.
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3. Dass in anderen Verfahren aufgrund des dortigen Vortrags Obergerichte die Einholung von Sachverständigengutachten beschlossen haben, begründet keine Divergenz im revisionsrechtlichen Sinne.
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Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 3 ZPO, 47, 48 GKG bestimmt.