Inhalt

OLG Bamberg, Urteil v. 09.03.2022 – 8 U 199/21
Titel:

Kein Schadensersatzanspruch wegen des Einbaus unzulässiger Abschalteinrichtungen (Thermofenster, Harnstoffeinspritzung, Aufheizstrategie) in ein Dieselfahrzeug (hier: Audi A6 Avant 3.0 TDI quattro)

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
StGB § 263
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; BeckRS 2023, 15119; KG BeckRS 2023, 33393; BeckRS 2024, 7118; BeckRS 2024, 12263; OLG Celle BeckRS 2023, 34908; OLG Dresden BeckRS 2023, 5152; OLG Hamm BeckRS 2021, 37295; OLG München BeckRS 2023, 32991; BeckRS 2024, 3294; BeckRS 2024, 7529; BeckRS 2024, 7526; BeckRS 2024, 9624; BeckRS 2023, 49064; OLG Naumburg BeckRS 2023, 41799; OLG Saarbrücken BeckRS 2022, 34471; BeckRS 2024, 9899; OLG Stuttgart BeckRS 2024, 738; OLG Bamberg BeckRS 2023, 31419 (mwN in Ls. 1); OLG München BeckRS 2022, 36080 (mwN in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mwN in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mwN in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Für einen Anspruch aus §§ 31, 826 BGB genügt nicht, dass zwar aufgrund eines amtlichen Rückrufs des Kraftfahrt-Bundesamtes beim Fahrzeug des Käufers ein Software-Update aufgespielt werden soll, dieser aber kein Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamtes erhält, in dem ihm eine Betriebsuntersagung bzw. Betriebsbeschränkung angedroht wird. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Beim Einsatz eines sog. Thermofensters fehlt es an einem arglistigen Verhalten, welches die Qualifikation des Verhaltens des Automobilherstellers als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Allein die Existenz einer Abschaltung der Harnstoffeinspritzung bzw. eine "Aufheizstrategie" lässt nicht auf die Verwerflichkeit des Gesamtverhaltens des Herstellers schließen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
5. Dem Käufer steht gegen den Hersteller kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm den §§ 6, 27 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG zu, da es sich bei diesen Vorschriften nicht um Schutzgesetze iSv § 823 Abs. 2 BGB handelt (anders nachfolgend BGH BeckRS 2024, 27838). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi, 3,0 Liter-Dieselmotor, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, Abschaltung der Harnstoffeinspritzung, Aufheizstrategie, Schutzgesetz, Software-Update
Vorinstanz:
LG Aschaffenburg vom 17.08.2021 – 21 O 197/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 16.10.2024 – VIa ZR 595/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 59413

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 17.08.2021, Az. 21 O 197/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil sowie das angefochtene Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Kauf eines Neufahrzeugs X., … 3.0 TDI. Die Beklagte ist die Herstellerin des Fahrzeugs.
2
Der Kläger erwarb am 08.09.2014 beim X. in … das Neufahrzeug X. … 3.0 TDI (FIN: …) zum Kaufpreis von 61.651,- EUR. Das Fahrzeug war mit einem Dieselmotor vom Typ 3.0 V6-TDI (Euro 6) ausgestattet. Die Beklagte war in den Vertragsschluss weder eingebunden noch hatte sie Kenntnis davon.
3
Seitens der Beklagten wurde auf Anordnung des Kraftfahrt-Bundesamtes ein Software-Update zur Aktualisierung der Motorsteuerungssoftware entwickelt. Das Software-Update wurde mit Bestätigungsschreiben des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 12.05.2018 freigegeben. In der ursprünglichen Anordnung des Software-Updates vertrat das Kraftfahrt-Bundesamt die Auffassung, im Motor des Fahrzeugs würde eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz kommen.
4
Das Fahrzeug verfügt über eine gültige Typengenehmigung sowie eine gültige Zulassung.
5
Der Kläger behauptet, im Dieselmotor des Fahrzeugs seien unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut. So würde sich im Motor ein übergroßes „Thermofenster“ befinden. Auch würde sich die Harnstoffeinspritzung unter bestimmten Umständen abschalten. Zudem enthalte das Fahrzeug eine „Aufheizstrategie“. Der Kläger hätte das Fahrzeug nicht erworben, wenn er gewusst hätte, dass die angegebenen Messwerte im normalen Straßenverkehr nicht eingehalten würden. Die Beklagte hätte entsprechende Kenntnis über die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt.
6
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 51.170,33 EUR Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkw's Marke X. … 3.0 TDI, FIN: …, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 51.170,33 EUR seit dem 15.09.2020 zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Gegenleistung gemäß Ziffer 1 in Verzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.137,63 EUR zu erstatten.
7
Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt.
8
Die Beklagte führt aus, der SCR-Katalysator würde mit AdBlue betrieben, um die Stickoxidemissionen zu reduzieren. Zu einer Herabsetzung des Wirkungsgrads der Einspritzung komme es nur dann, wenn die Restmenge von AdBlue im Tank des Fahrzeugs nur noch für eine verbleibende Fahrtstrecke von 2.400 km ausreiche und der Fahrer das Fahrzeug über eine längere Zeit hochlastig und dynamisch bewege, wie beispielsweise durch Fahrten mit hoher Geschwindigkeit über einen längeren Zeitraum. Durch das aufgespielte Software-Update werde diese Funktion deaktiviert. Auch das verwendete „Thermofenster“ stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar, sondern diene dem Motorschutz. Die EG-Typengenehmigung sei nicht gefährdet. Insoweit läge keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vor. Auch sei der Beklagten kein täuschendes Verhalten vorzuwerfen.
9
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf das Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 17.08.2021 Bezug genommen. Zudem wird auf die gewechselten Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten der Parteien sowie die vorgelegten Anlagen verwiesen.
10
Das Landgericht Aschaffenburg hat mit Endurteil vom 17.08.2021 die Klage abgewiesen. Durch das Landgericht wird ausgeführt, der Kläger habe die Voraussetzungen für das Vorliegen eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagte nicht nachgewiesen. Das im Motor enthaltene sog. „Thermofenster“ sei nicht objektiv sittenwidrig. Es läge keine Prüftstanderkennung wie beim Motor vom Typ EA 189 vor. Das Kraftfahrt-Bundesamt habe zwar die eingeschränkte Zufuhr von AdBlue als „unzulässige Abschalteinrichtung“ bewertet. Dies sei aber nicht mit der Software vergleichbar, die im Motor des Typs EA 189 verbaut war. Der Kläger trage nicht vor, dass das Kraftfahrt-Bundesamt eine Prüfstanderkennung festgestellt hätte. Aus der Wirkungsweise der Motorsteuerung könne nicht auf eine Prüfstanderkennung geschlossen werden. Durch die Motorsteuerungssoftware würde der Fahrer bei 2.400 km Restreichweite eine Mitteilung erhalten, dass der Tank mit AdBlue zur Neige gehe. Gleichzeitig werde die Einspritzung vermindert. Diese Regelung geben dem Fahrer die Möglichkeit, AdBlue nachzufüllen, ohne dass das Fahrzeug bei einer Reichweite von 0 km nicht mehr gestartet werden könne. Dies führe zu einer Verlängerung der Möglichkeit zum Nachfüllen von AdBlue. Die Behauptungen des Klägers zum Vorliegen einer „Aufheizstrategie“ seien nicht hinreichend substantiiert. Der Kläger trage insoweit keine greifbaren Anhaltspunkte vor. Vielmehr stelle sich der Vortrag des Klägers als willkürliche Vermutung „ins Blaue hinein“ dar. Die Darstellung des Klägers beruhe auf einer Mutmaßung und auf Verdachtsäußerungen.
11
Gegen das den Klägervertretern am 20.08.2021 zugestellte Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 17.08.2021 hat der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 20.09.2021, eingegangen bei dem Oberlandesgericht Bamberg am gleichen Tag, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 22.11.2021, eingegangen bei dem Oberlandesgericht Bamberg am gleichen Tag, nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch den Senat fristgerecht begründet.
12
Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus, durch das Kraftfahrt-Bundesamt sei im Rahmen eines verpflichtenden Rückrufs das Vorliegen einer illegalen Motorsteuerungssoftware festgestellt worden. Es sei ein unzulässig großes „Thermofenster“ verbaut. Auch liege eine schadstoffmindernde „Aufheizstrategie“ vor. Der Vortrag der Klägerseite sei ausreichend substantiiert. Die „Aufheizstrategie“ sei nur im Prüfstandlauf aktiviert. Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten sei gegeben.
13
Der Kläger hat in der Berufungsinstanz beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 51.170,33 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 15.09.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkw's Marke X. … 3.0 TDI, FIN: …, zu bezahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Gegenleistung gemäß Ziffer 1 in Verzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger weitere 1.137,63 EUR für die Interessenvertretung durch seine Prozessbevollmächtigten zu erstatten.
14
Die Beklagte hat die Zurückweisung der Berufung beantragt und wiederholt sowie vertieft ihre bisherige Argumentation. Ein vorsätzliches Verhalten der Beklagten sei nicht dargelegt. Im übrigen verweist die Beklagte auf amtliche Auskünfte des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 16.11.2020 gegenüber dem Landgericht Itzehohe, vom 22.02.2021 gegenüber dem Landgericht Dortmund und vom 26.01.2021 gegenüber dem Landgericht Potsdam.
15
Im übrigen wird auf die Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen im Berufungsverfahren sowie das Protokoll der öffentlichen Sitzung des Oberlandesgerichts Bamberg vom 09.03.2022 Bezug genommen.
II.
16
1. Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
17
2. a) Beanstandungsfrei hat das Landgericht Aschaffenburg ausgeführt, dass dem Kläger kein Schadensersatzanspruch aufgrund einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß den §§ 826, 31 BGB zusteht. Auch aus Sicht des Senats konnte der Kläger die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen nicht belegen. Insbesondere ist der Senat davon überzeugt, dass im Fahrzeug des Klägers keine unzulässige Abschalteinrichtung, die den Abgasausstoß ausschließlich in Prüfstandsituationen reduzieren würde, verbaut wurde.
18
b) Sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist ein Verhalten, welches nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung und den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rdnr. 15, NJW 2020, 1962, 1963). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az. VI ZR 536/15, Rdnr. 16, NJW 2017, 250, 252). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 07.05.2019, Az. VI ZR 512/17, Rdnr. 8, NJW 2019, 2164, 2165).
19
Als objektiv sittenwidrig wäre das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zum Kläger insbesondere dann zu qualifizieren, wenn die Beklagte auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes systematisch, langjährig Motoren in den Verkehr gebracht hätte, obwohl deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rdnr. 25, NJW 2020, 1962, 1965). Durch die Verwendung eines derartigen Motors ginge in dieser Konstellation nicht nur eine erhöhte Belastung der Umwelt einher, sondern auch die Gefahr, dass bei einer Aufdeckung für die betroffenen Fahrzeuge eine Betriebsbeschränkung oder eine Betriebsuntersagung drohen würde. Ein solches Verhalten wäre im Verhältnis zu einer Partei, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwerben würde, verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren.
20
c) Im vorliegenden Fall konnte der Kläger weder nachweisen, dass im Motor seines Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Prüfstanderkennung verbaut worden ist, noch dass seinem Fahrzeug eine Betriebsbeschränkung bzw. Betriebsuntersagung drohte bzw. droht.
21
Durch das Kraftfahrt-Bundesamt wurden für das Fahrzeug des Klägers im Rahmen eines amtlichen Rückrufs nachträgliche Nebenbestimmungen angeordnet. Dies führte zur Entwicklung eines Software-Updates durch die Beklagte, welches durch das Kraftfahrt-Bundesamt am 12.05.2018 freigegeben wurde. Im Rahmen des Rückrufs behielt sich aber das Kraftfahrt-Bundesamt, anders als beim Motor vom Typ EA 189, keine Aufhebung der Typengenehmigung für das Fahrzeug des Klägers vor. Insoweit drohte auch weder eine Betriebsuntersagung noch eine Betriebsbeschränkung für das Fahrzeug. Dies wurde indirekt auch durch die Angaben des Klägervertreters im Rahmen der Berufungsverhandlung vom 09.03.2022 bestätigt, indem er angab, auf Nachfrage der Klägervertreter, welche Schreiben der Kläger erhalten habe, sei ein Schreiben von Januar 2019, welches von der X. AG stammte, vorgelegt worden. Ein Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamtes an den Kläger sei ihm nicht bekannt.
22
Auch sechs Jahre nach dem Bekanntwerden von den „Abgasmanipulationen“ beim Motor EA 189 bestehen aus Sicht des Senats keine Anhaltspunkte dafür, dass für das Fahrzeug des Klägers eine Betriebsuntersagung bzw. Betriebsbeschränkung drohte bzw. droht. Aufgrund eines amtlichen Rückrufs des Kraftfahrt-Bundesamtes sollte beim Fahrzeug des Klägers ein Software-Update aufgespielt werden. Der Kläger erhielt aber kein Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamtes, in dem ihm eine Betriebsuntersagung bzw. Betriebsbeschränkung angedroht wurde. Damit fehlt ein wichtiger Umstand, durch den das sittenwidrige Verhalten bei anderen Automobilherstellern im Falle des Einbaus einer „unzulässigen Abschalteinrichtung“ begründet wurde (OLG Bamberg, Urteil vom 14.07.2021, Az. 8 U 249/20; OLG Bamberg, Urteil vom 26.05.2021, Az. 8 U 139/20; OLG Bamberg, Urteil vom 15.12.2021, Az. 8 U 129/21).
23
d) Auch die Verwendung eines sog. „Thermofensters“ im Motor der Beklagten führt zu keinem Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB. Insoweit fehlt es zumindest an einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung des Beklagten.
24
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung in einem Fahrzeug durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei bestimmten Temperaturen reduziert und unter Umständen auch ausgeschaltet wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für den Automobilhersteller handelnden Person ein sittenwidriges Gepräge zu geben (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19, Rdnr. 16, NJW 2021, 921, 923). Dabei kann es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs letztlich offen bleiben, ob eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist. Ein darin liegender Gesetzesverstoß wäre auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware als besonders verwerflich erscheinen zu lassen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19, Rdnr. 16, NJW 2021, 921, 923).
25
Es liegt auch keine Vergleichbarkeit mit der Konstellation der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Motoren des Volkswagen-Konzerns vor, die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 (Az. VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 ff.) zugrunde lagen. Durch den Volkswagen Konzern wurde die grundlegende strategische Entscheidung getroffen, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse von der Einhaltung der Grenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abzusehen und dem Kraftfahrt-Bundesamt zwecks Erlangung der Typengenehmigung mittels einer eigens für diesen Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig eine Einhaltung der Grenzwerte durch die speziell ausgerüsteten Dieselfahrzeuge vorzutäuschen. In diesen Fällen war die Software bewusst und gewollt so programmiert, dass die gesetzlichen Abgasgrenzen nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden. Dieses Verhalten zielte auf eine arglistige Täuschung der Typengenehmigungsbehörde ab (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19, Rdnr. 17, NJW 2021, 921, 923).
26
Beim Einsatz eines sog. „Thermofensters“ fehlt es an einem derartigen arglistigen Verhalten, welches die Qualifikation des Verhaltens des Automobilherstellers als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19, Rdnr. 18, NJW 2021, 921, 923). Das „Thermofenster“ weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert. Vielmehr arbeitet das „Thermofenster“ sowohl im Normalbetrieb als auch im Prüfstandbetrieb in gleicher Weise. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, wäre bei dieser Sachlage der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nur gerechtfertigt, wenn zusätzlich weitere Umstände hinzuträten, die neben einem Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az. VI ZR 889/20, Rdnr. 28, BeckRS 2021, 4148). Dies würde jedenfalls voraussetzen, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigen in Kauf nahmen (BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az. VI ZR 889/20, Rdnr. 29, BeckRS 221, 4148). Anhaltspunkte für derartige Umstände wurden durch den Kläger nicht schlüssig dargelegt.
27
Der Senat vermag auch keine Anhaltspunkte für die zu fordernden weiteren Umstände zur Begründung der besonderen Verwerflichkeit erkennen. Die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzungen hat nach den allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchsteller zu tragen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19, Rdnr. 19, NJW 2021, 921, 923). Seitens des Klägers wurde insbesondere nicht schlüssig dargetan, dass die Beklagte das Kraftfahrt-Bundesamt im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung arglistig getäuscht haben könnte.
28
e) Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht bei Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 17.12.2020 (Az. C 693/18, NJW 2021, 1216 ff.).
29
Das nunmehr ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs mag für die Zukunft die objektiven tatbestandlichen Voraussetzungen einer unzulässigen Abschalteinrichtung von den bislang bestehenden Zweifeln befreien. Diese Klärung ist indes nicht geeignet, eine bereits für den Zeitpunkt der Genehmigungszulassung des hier betroffenen Fahrzeugs bestehende subjektive Kenntnis der bei der Beklagten verantwortlichen Person rückwirkend zu begründen (OLG Koblenz, Urteil vom 08.02.2021, Az. 12 O 471/20, Rdnr. 37, BeckRS 2021, 1241; OLG Bamberg, Urteil vom 26.05.2021, Az. 8 U 139/20; OLG Bamberg, Urteil vom 14.07.2021, Az. 8 U 249/20). Durch den Kläger wurde das Fahrzeug im September 2014 erworben. Dessen EG-Typengenehmigung erfolgte deutlich früher. Dass bereits während dieses Typengenehmigungsverfahrens die nunmehr durch den Europäischen Gerichtshof mit Urteil vom 17.12.2020 geklärten engen Grenzen einer zulässigen Abschalteinrichtung erkennbar gewesen wären, ist weder aus dem Sachvortrag des Klägers noch aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs erkennbar. Der bewusste Einbau einer als unzulässig erkannten Abschalteinrichtung im Hinblick auf das „Thermofenster“ kann der Beklagten damit nicht angelastet werden (OLG Koblenz, Urteil vom 08.02.2021, Az. 12 U 471/20, Rdnr. 37, BeckRS 2021, 1241; OLG Bamberg, Urteil vom 19.04.2021, Az. 8 U 113/20, BeckRS 2021, 29894, Rdnr. 45; OLG Bamberg, Urteil vom 15.12.2021, Az. 8 U 129/21).
30
f) Gleiches gilt für die Abschaltung der Harnstoffeinspritzung sowie die behauptete „Aufheizstrategie“. Der bloße Umstand, dass Emissionswerte im Fahrzeugbetrieb durch eine gesteuerte und insbesondere auch im Prüfstand wirksame Variierung beeinflusst werden, ist nicht geeignet, das Urteil der Sittenwidrigkeit zu tragen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.09.2021, Az. 6 U 25/21, juris; OLG Bamberg, Urteil vom 14.07.2021, Az. 8 U 37/21, Rdnr. 30, BeckRS 2021, 44004). Insoweit gelten die vorstehenden Ausführungen zum „Thermofenster“ entsprechend.
31
Allein die Existenz einer Abschaltung der Harnstoffeinspritzung bzw. eine „Aufheizstrategie“ lässt nicht auf die Verwerflichkeit des Gesamtverhaltens des Herstellers schließen. Selbst wenn es sich hierbei um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG handelnd sollte, war dies für die auf Seiten der Beklagten handelnden Personen nicht von vorneherein offensichtlich. Vielmehr ist in Betracht zu ziehen, dass der Hersteller die in Rede stehenden Regelungen unabhängig von einer auf Täuschung im Prüfstand angelegten Strategie für bestimmte im normalen Fahrbetrieb, aber auch im Prüfzyklus eintretende Situationen für zweckmäßig und zulässig gehalten hat (OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.09.2021, Az. 6 U 25/21, Rdnr. 142, juris; OLG Bamberg, Urteil vom 15.12.2021, Az. 8 U 129/21). Vielmehr bedürfte es weiterer Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung und der Typengenehmigung, die einen Gesetzesverstoß in Form des Einsatzes dieser Regelungen durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Der Senat vermag keine Anhaltspunkte für diese zu fordernden weiteren Umstände zur Begründung der besonderen Verwerflichkeit erkennen. Ebenso vermag der Senat in diesem Zusammenhang auch keine Gefahr einer drohenden Betriebsbeeinträchtigung bzw. Betriebsbeschränkung des Fahrzeugs des Klägers erkennen. Auch fehlen Anhaltspunkte für eine durch die Beklagte beabsichtigte Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes bei der Implementierung dieser Regelungen.
32
3. a) Ein Schadensersatzanspruch des Klägers folgt auch nicht aus anderen deliktischen Anspruchsgrundlagen.
33
b) Zur Überzeugung des Senats sind im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für ein betrügerisches Verhalten im Sinne im Sinne von § 263 StGB erkennbar. So fehlen insbesondere nähere Darlegungen, welcher Irrtum bei dem Kläger konkret kausal erregt worden sein soll und welche subjektiven Vorstellungen er bei Vertragsschluss gehabt habe.
34
c) Auch steht dem Kläger gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den §§ 6, 27 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG zu. Bei diesen Vorschriften handelt es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Weder die §§ 6 und 27 EG-FGV noch Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG dienen dem Schutz vor der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit (OLG Bamberg, Urteil vom 14.07.2021, Az. 8 U 37/21, BeckRS 2021, 44004, Rdnr. 35). Selbst wenn diese Vorschriften vorliegend durch Verwendung einer Motorsteuerungssoftware verletzt sein sollten, so könnte dieser Umstand isoliert einen Schadensersatzanspruch des Fahrzeugkäufers nicht begründen (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rdnr. 73 f., NJW 2020, 1962, 1971). Vielmehr verfolgen die Normen gesamtgesellschaftliche Ziele, wie die Weiterentwicklung des Binnenmarktes sowie die Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus. Dagegen gehört das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, weder zum Aufgabenbereich von § 6 Abs. 1, § 7 Abs. 1 EG-FGV noch zum Aufgabenbereich von Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG (BGH Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798, 2799, Rdnr. 12 ff.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.09.2021, Az. 6 U 25/21, Rdnr. 197, juris; OLG Bamberg, Urteil vom 15.12.2021, Az. 8 U 129/21; OLG Bamberg, Urteil vom 14.07.2021, Az. 8 U 73/21, BeckRS 2021, 4404, Rdnr. 35).
III.
35
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
36
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
IV.
37
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die zugrundeliegenden Rechtsfragen durch zahlreiche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, denen der Senat inhaltlich gefolgt ist, geklärt sind.