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ArbG München, Endurteil v. 19.01.2022 – 38 Ca 11103/20
Titel:

tarifliche Eingruppierung, Anspruch auf Eingruppierung, Entgeltgruppe, Werkstätten für behinderte Menschen, Streitwertfestsetzung, Differenzvergütung, Zahlungsantrag, Gruppenleiter, Kostenentscheidung, Arbeitsvertrag - Parteien, Rechtsmittelbelehrung, Darlegungs- und Beweislast, Elektronischer Rechtsverkehr, Berufungsbegründungsschrift, Stellenbeschreibung, Sitzungsniederschrift, Klageabweisung, Ausbildung, Sozial- und Erziehungsdienst, Qualifikation

Schlagworte:
Klagezulässigkeit, Arbeitsgerichtsbarkeit, Örtliche Zuständigkeit, Unbegründetheit, Eingruppierung, Qualifikation, Differenzvergütungsanspruch
Rechtsmittelinstanzen:
LArbG München, Urteil vom 14.02.2023 – 7 Sa 165/22
BAG Erfurt, Urteil vom 12.06.2024 – 4 AZR 208/23
Fundstelle:
BeckRS 2022, 59316

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 4.077,01 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um die tarifliche Eingruppierung des Klägers und um Differenzvergütung.
2
Der Kläger ist seit 01.07.1994 bei der Beklagten beschäftigt, als Fachkraft zur Arbeits- und Berufsförderung – auch Gruppenleiter genannt – im Bereich Hygienemontage in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung.
3
Auf das Arbeitsverhältnis sind die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst anzuwenden. Dies war zunächst der BAT, nunmehr der TVöD, hier zudem der VKA Sozial- und Erziehungsdienst.
4
Der Kläger ist in Teilzeit tätig und erhält neben dem Tabellenentgelt eine Meisterzulage, ein Leistungsentgelt, eine Überleitungszulage und einen Essensgeldzuschuss.
5
Die Beklagte hat den Kläger in die Entgeltgruppe S. 7 des VKA eingruppiert. Der Kläger hält eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe S 8b für zutreffend und hat dies erstmals mit Schreiben vom 14.04.2016 geltend gemacht und sodann im Laufe der Zeit in den Jahren 2019 und 2020 wiederholt.
6
Die Entgeltgruppe S 8b lautet:
„…
2. Handwerksmeisterinnen/Handwerksmeister, Industriemeisterinnen/Industriemeister oder Gärtnermeisterinnen/Gärtnermeister als Gruppenleiterin/Gruppenleiter in Ausbildungs- oder Berufsförderungswerkstätten oder Werkstätten für behinderte Menschen.
(Hierzu Protokollerklärung Nr. 1)
…“
7
Die Entgeltgruppe S. 7 lautet:
„Beschäftigte mit abgeschlossener Berufsausbildung als Gruppenleiterin/Gruppenleiter in Ausbildungs- oder Berufsförderungswerkstätten oder Werkstätten für behinderte Menschen.
(Hierzu Protokollerklärung Nr. 1)“
8
Der Kläger ist ausgebildeter Feinmechaniker und „staatlich geprüfter Maschinenbautechniker“, verfügt also über einen Techniker-Abschluss. Zudem hat der Kläger eine sonderpädagogische Zusatzqualifikation für Gruppenleiter/innen in Werkstätten für Behinderte und ist geprüfte Fachkraft zur Arbeits- und Berufsförderung in Werkstätten für behinderte Menschen.
9
Mit der Klage verlangt der Kläger die Eingruppierung in die Entgeltgruppe S 8b Fallgruppe 2 und die Zahlung von Differenzvergütung für den Zeitraum Januar 2017 bis August 2020, jeweils unter Berücksichtigung von Tariferhöhungen und Höherstufung. Zunächst hat er diese Differenzvergütung mit 18.988,78 € brutto beziffert, später reduziert mit 4.077,01 € brutto und hat die Klage im Übrigen zurückgenommen.
10
Im Verfahren hat der Kläger eine Stellenbeschreibung für seine Stelle vorgelegt. Unter „Kenntnisse, Abschlüsse“ ist geregelt: „Abschluss als MeisterIn oder TechnikerIn bzw. Geselle/FacharbeiterIn oder HeilerziehungspflegerIn, ArbeitserzieherIn, eine sonderpädagogische Zusatzqualifikation (oder eine vergleichbare Qualifikation), die in angemessener Zeit nachgeholt werden kann. …“
11
Der Kläger trägt vor, eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe S 8b sei zutreffend, da er über einen Techniker-Abschluss verfüge. Dieser sei der Meister-Qualifikation gleichzustellen. Allein dies reiche aus für die Eingruppierung in die Entgeltgruppe S 8b aus. Nicht erforderlich sei, dass seine Stelle eine Meisterstelle sei bzw. wie die Beklagte dies subjektiv einordne.
12
Seine Stelle sei jedoch auch als eine Meisterstelle einzuordnen. Es obliege nicht der Beklagten, festzulegen was aus ihrer Sicht Meisterstellen seien und was nicht. Die durch die Beklagte einseitig vorgenommene Qualifikation von Meisterstelle in ihrem Betrieb sei nicht überzeugend. Warum im Gegensatz zur Küche oder im Rahmen von Reinigungstätigkeiten im Bereich der Hygienemontage keine höheren Anforderungen an die Auftragsbearbeitung gestellt werde, sei unklar. Die von der Beklagten aufgestellten Anforderungen an eine Meisterstelle erschienen konstruiert und seien nicht geeignet, um eine Eingruppierung der Tätigkeit als sog. Meisterstelle vorzunehmen.
13
Der Kläger beruft sich auch auf einen ehemaligen Kollegen, Herrn H., der im Jahr 2018 in seinem Bereich als Gruppenleiter eingestellt wurde, über eine Meister-Qualifikation verfügt hat, und von der Beklagten ausweislich des vorgelegten Arbeitsvertrags in die Entgeltgruppe S 8b eingruppiert wurde.
14
Der Kläger beantragt zuletzt,
1.
festzustellen, dass der Kläger in die Entgeltgruppe S 8b Fallgruppe 2 der Entgeltordnung VKA zum TVöD einzugruppieren ist.
2.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.077,01 € brutto nebst fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
15
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
16
Die Beklagte trägt vor, die Eingruppierung in die Entgeltgruppe S. 7 sei zutreffend.
17
Maßgeblich sei nicht die Qualifikation des Klägers – zumal der TVöD einen „Meister“ verlange und Techniker nicht ausdrücklich nenne – sondern die Anforderungen, die die Beklagte an die Stelle habe.
18
Es handele sich in der Regel bei den Gruppenleiterstellen bei der Beklagten nicht um Meisterstellen, mit wenigen Ausnahmen.
19
Eine Meisterstelle bei der Beklagten sei gekennzeichnet durch z.B.
- hohe technische Anforderungen an die Gruppenleitung, z.B. durch den Einsatz von großen bzw. komplexen Maschinen oder Geräten sowie deren Bedienung/Programmierung;
- erhöhte Verletzungsgefahr für die Mitarbeiter/innen mit und ohne Behinderung, sei es durch Maschinen, Geräte, Arbeitsumgebung oder Arbeitsmittel wie z.B. Reinigungs-, Desinfektionsmittel;
- hohe technische und organisatorische Komplexität der Kundenaufträge; Erstellung von Angeboten inklusive Preisverhandlungen.
20
In den Abteilungen Küche/Hauswirtschaft, Garten- und Landschaftsbau und Gebäudeservice seien insgesamt sechs Gruppenleitungen mit Meisterstelle in die Entgeltgruppe S 8b eingruppiert, von insgesamt 22 Gruppenleitungen im Betrieb in M., der Rest sei in die Entgeltgruppe S. 7 eingruppiert.
21
Aus der vorgelegten Stellenbeschreibung ergebe sich gerade nicht, dass die Beklagte für die Stelle des Klägers die Qualifikation als Meister verlange.
22
Herr H. habe bei der Einstellung die Entgeltgruppe S 8b verlangt. Um einen Engpass in der Abteilung zu lösen habe man ihm ein entsprechendes Angebot gemacht.
23
Für den Zeitraum Januar 2017 bis August 2020 ergebe sich nur ein Betrag von ca. 3.300,00 € bei einer monatlichen Differenz von ca. 75,00 €. Nachdem der Kläger den Zahlungsantrag reduziert hat, hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Betrag nicht nachvollziehbar sei.
24
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

25
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I.
26
Die Klage ist zulässig. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 a) ArbGG eröffnet. Das Arbeitsgericht München ist örtlich zuständig gemäß §§ 12, 17 ZPO.
II.
27
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger kann von der Beklagten keine Eingruppierung in die Entgeltgruppe S 8b verlangen. Daher steht ihm auch nicht der geltend gemachte Differenzvergütungsanspruch zu.
28
1. Für einen Anspruch auf Eingruppierung in die Entgeltgruppe S 8b hätte der Kläger darlegen und beweisen müssen, dass ausschließlich diese Eingruppierung zutreffend ist. Dies ist ihm nicht gelungen.
29
a) Zwar nennt die Entgeltgruppe S 8b „staatlich geprüfter Techniker“ nicht, sondern lediglich „Meister“. Es kann jedoch mangels anderweitiger Angaben unterstellt werden, dass diese Abschlüsse gleichwertig bzw. gleichzustellen sind.
30
b) Entgegen der Auffassung des Klägers muss seine Eingruppierung in die Entgeltgruppe S 8b nicht bereits deshalb erfolgen, weil unabhängig von den Anforderungen und der ausgeübten Tätigkeit die Eingruppierung allein aufgrund eines Meistertitels – und mit diesem vergleichbaren Technikertitel – zu erfolgen hätte.
31
Der TVöD und der VKA müssen ausgelegt werden. Eine Auslegung von Tarifverträgen erfolgt nach Wortlaut, Sinn und Zweck, Systematik und Entstehungsgeschichte.
32
Zwar spricht für einen Ausreichenden der Qualifikation, ohne die Anforderungen an die ausgeübte Tätigkeit zu betrachten, dass die Fallgruppe 2 der Entgeltgruppe S 8b nicht „in entsprechender Tätigkeit“ oder Ähnliches verlangt, oder eine Tätigkeit „als Meister“. Jedoch gilt im TVöD der Grundsatz, dass die Eingruppierung tätigkeitsbezogen erfolgt, das heißt es kommt darauf an, ob die Tätigkeit eine bestimmte Qualifikation verlangt. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass von diesem Grundsatz gerade und ausschließlich in der Entgeltgruppe S 8b Fallgruppe 2 hiervon abgewichen werden sollte, ohne dass sich aus der Formulierung weitere Hinweise hierfür ergeben.
33
Daher ist nach Auslegung alleine das Vorliegen der Qualifikation als Meister bzw. Techniker nicht ausreichend für die Eingruppierung in die Entgeltgruppe S 8b.
34
c) Der Kläger hat nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass die Beklagte als Anforderung an seine Stelle einen „Meister“ verlangt.
35
Dies ergibt sich nicht aus der Stellenbeschreibung, denn diese erwähnt neben Meister und Techniker auch „Gesellen“.
36
Der Kläger hat auch nicht hinreichend dargelegt, dass für seine Tätigkeit als Gruppenleiter in der Hygienemontage eine Meisterqualifikation und daher gleichgestellt eine Technikerqualifikation erforderlich ist. Das Vorbringen des Klägers hierfür ist nicht ausreichend. Nicht maßgeblich ist, ob der Kläger selbst seine Qualifikation als Meister/Techniker als erforderlich ansieht. Vielmehr hätte er darlegen müssen, dass seine Tätigkeit ausschließlich mit einer Meister-/Technikerqualifikation ausgeübt werden kann. Bei einer – wie vorliegend – abweichenden Beurteilung zwischen der Beklagten und dem Kläger ist nicht die Beurteilung des Klägers die maßgebliche, sondern die der Arbeitgeberin.
37
Wenn die Arbeitgeberin wie vorliegend entschieden hat, dass Gruppenleiter in der Hygienemontage, ebenso wie andere Gruppenleiter in anderen Abteilungen, auch von Handwerkergesellen verrichtet werden können, ist dies maßgeblich für die Eingruppierung. Der Kläger kann seine abweichende Auffassung im vorliegenden Rechtsstreit nicht über die Auffassung der Beklagten stellen.
38
Das Vorbringen des Klägers, mit dem er die Anforderungen und Schwierigkeiten seiner Tätigkeit mit denen der Gruppenleiter aus anderen Abteilungen vergleicht, ist nicht hinreichend substantiiert. Zudem hat die Beklagte Gruppenleiter aus den anderen Abteilungen teilweise in die Entgeltgruppe S 8b und teilweise in die Entgeltgruppe S7 eingruppiert sind. Es ergibt sich daher nicht, dass zwingend und ausschließlich eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe S 8b die richtige ist.
39
Der Kläger hat gerade nicht behauptet, dass alle Gruppenleitungen der anderen Abteilungen in die Entgeltgruppe S 8b eingruppiert seien und ausschließlich die Gruppenleitungen seiner Abteilung in die Entgeltgruppe S 7. Dies wäre jedoch erforderlich, um ggf. zu einer Umkehr bzw. Modifizierung der Darlegungs- und Beweislast zu kommen.
40
d) Allein aus der Tatsache, dass die Beklagte in der Vergangenheit den Kollegen des Klägers Herrn H. als Gruppenleiter in die Entgeltgruppe S 8b eingruppiert hat, kann der Kläger nicht herleiten, dass auch für ihn eine Eingruppierung in diese Entgeltgruppe erfolgen muss.
41
Aufgrund der Vertragsfreiheit können sich Arbeitsvertragsparteien auch vertraglich auf eine höhere Entgeltgruppe einigen. Eine Rechtsfolge für andere Arbeitnehmer/innen erwächst hieraus nicht.
42
2. Da die Beklagte keine Eingruppierung in die Entgeltgruppe S 8b vornehmen musste, steht dem Kläger auch der geltend gemachte Differenzvergütungsanspruch nicht zu.
43
Aus den genannten Gründen war die Klage insgesamt abzuweisen.
III.
44
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
IV.
45
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG.
46
Da unklar ist, wie der Kläger den Differenzvergütungsbetrag errechnet hat und die zugrunde gelegte Differenz pro Monat nicht mitgeteilt hat – und somit der 36-fache Unterschiedsbetrag nicht abstrakt ermittelt werden konnte – ist für beide Klageanträge entsprechend § 42 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 S.1 2. Halbsatz GKG als Streitwert zusammen der Nennbetrag des Zahlungsantrags von 4.077,01 € anzusetzen.