Inhalt

LG München I, Endurteil v. 30.06.2022 – 5 HK O 5649/21
Titel:

Anforderungen an Abberufung (mit sofortiger Wirkung) eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft aus wichtigem Grund

Normenketten:
AktG § 84 Abs. 4, § 87 Abs. 1 S. 1
BGB § 626
ZPO § 256
Leitsätze:
1. Ein wichtiger Grund für den Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied ist dann gegeben, wenn die Fortsetzung des Organverhältnisses bis zum ordnungsgemäßen Ende der Amtszeit – hier knapp 15 Monate nach dem Ausspruch des Widerrufs – für die Gesellschaft unzumutbar ist. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für eine Änderung der Vergütung der Mitglieder des Vorstands ist ausschließlich der Aufsichtsrat zuständig. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Aufsichtsrat kann seine Kompetenz in Bezug auf die Festsetzung der Bezüge nicht auf ein anderes Vorstandsmitglied übertragen oder diesem anstelle des Aufsichtsrats Vollmacht erteilen, weil diese Zuständigkeiten nicht abbedungen werden können. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Bemühen um Aufklärung und um Rechtsrat spricht gegen ein subjektiv nicht am Gesellschaftsinteresse ausgerichtetes, eigen- oder fremdnütziges Handeln des Vorstandsmitglieds und lässt dessen Pflichtverletzung nicht grob erscheinen, da hieraus ersichtlich wird, dass das Vorstandsmitglied nicht verantwortungslos handeln wollte, sondern sich um Absicherung seines Vorgehens bemüht hat. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aktiengesellschaft, Vorstandsmitglied, Organstellung, Vorstandsdienstvertrag, Kündigung, Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied, wichtiger Grund, Pflichtverletzung, Einbehalt von Gehaltszahlungen, Fortdauer der Organstellung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 31.07.2024 – 7 U 4535/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 59223

Tenor

I. Der Beschluss des Aufsichtsrates der Beklagten vom 1.4.2021 auf Widerruf der Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied der Beklagten wird für unwirksam erklärt.
II. Es wird festgestellt, dass das zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehende Vorstandsanstellungsverhältnis durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 1.4.2021 nicht aufgelöst worden ist.
III. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 132.682,50 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 3.5.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 1.6.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 1.7.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 2.8.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 1.9.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 1.10.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 2.11.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 1.12.2021 und
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 3.1.2022
zu bezahlen.
IV. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 
V. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. 
VI. Das Urteil ist in Ziffer I. vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 10.000,--, im Übrigen in Höhe von 105 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. 
VII. Der Streitwert wird auf € 287.000,-- festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der Abberufung des Klägers als Vorstandsmitglied sowie einer außerordentlichen Kündigung eines Vorstandsdienstvertrages.
I.
2
1. Der Kläger war zunächst seit dem 1.7.2001 bei der damals noch in der Rechtsform der Aktiengesellschaft geführten Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Arbeitnehmer beschäftigt, bevor er mit Wirkung zum 1.1.2003 zum Vorstand bestellt wurde. Mit Beschluss des Aufsichtsrats vom 26.6.2017 kam es zu einer erneuten Bestellung des Klägers zum Vorstand für den Zeitraum vom 27.6.2017 bis zum 26.6.2022. Am 26.6.2017 schlossen die Parteien einen Vorstandsdienstvertrag (Anlage K 1), der unter anderem folgende Bestimmungen enthielt:
„§ 2
Aufgaben und Pflichten des Vorstandsmitgliedes
(1) Herr ... hat die Geschäfte der Gesellschaft gemeinsam mit den anderen Vorstandsmitgliedern nach Maßgabe der Gesetze, der Satzung der Gesellschaft, einer Geschäftsordnung für den Vorstand, des Geschäftsverteilungsplans, dieses Vorstandsvertrages und der Beschlüsse des Aufsichtsrates zu führen.
(2) Herr ... vertritt als Vorstand die Gesellschaft satzungsgemäß. Er ist berechtigt, stets die Gesellschaft bei Rechtsgeschäften mit sich selbst als Vertreter eines Dritten zu vertreten.
(3) Der Vorstand wird die Aufgaben als Vorstand gewissenhaft und mit Best möglichem Einsatz im Rahmen der gesetzliche Rechte und Pflichten erfüllen.
...
§ 4
Bezüge:
(1) Der Vorstand erhält für die Laufzeit dieses Vertrages ein jährliches Festgehalt von EUR 158.910,00 (in Worten: Euro Einhundertachtundfünfzigtausendneunhundertzehn) das – vermindert um Bezüge aus anderen Beteiligungsgesellschaften der S. S.A. Luxembourg – in 12 gleichen Monatsraten jeweils zum Monatsende ausgezahlt wird. Besteht das Dienstverhältnis nicht während des gesamten Kalenderjahres, gilt dies zeitanteilig.
...
§ 5
Reisekosten, Sonst., dienstliche Aufwendungen und Relocation Cost
...
Ab 1.1.2018 ist es geplant, dass der Lebensmittelpunkt von Herrn ..., USA sein wird, um das USA Geschäft von S. weiter auszubauen.
...
§ 6
Kraftfahrzeugbenutzung
(1) Dem Vorstand wird für die Dauer seiner Tätigkeit als Vorstand ein Budget von EUR 18.000,00 pro Kalenderjahr zur Verfügung gestellt, von dem er auf Wunsch nach Maßgaben der form car policy (Anlage 3) ein Kraftfahrzeug leasen kann. Wird keine Leasingoption gewählt, wird der Betrag von EUR 18.000,00 proportional als monatliches, zusätzliches Bruttogehalt ausbezahlt (= EUR 1.500,00 pro Monat).
...
§ 12
Vertragsdauer
(1) Der Vorstandsvertrag tritt am 27.06.2017 in Kraft und ist auf die Dauer bis zum Ablauf des 26.06.2022 befristet. Er endet damit am 26.06.2022, ohne dass es einer Kündigung bedarf.
...
(3) Das Recht zur fristlosen Kündigung dieses Vertrages aus wichtigem Grund bleibt für beide Parteien unberührt.
...“
3
Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des Vorstandsdienstvertrages wird in vollem Umfang auf Anlage K 1 Bezug genommen.
4
Der Kläger übte seit dem Jahr 2018 seine Tätigkeit für die Beklagte von den Vereinigten Staaten von Amerika aus. Er erhielt zudem eine jährliche Tantieme in Höhe von zuletzt USD 177.821,07.
5
2. Die Beklagte hatte die Lohnabrechnungsfirma L. beauftragt, die jeden Monat im Auftrag der Beklagten nach erfolgter Abrechnung eine Datei in das C.portal hochlud, was dann nach dem Vier-Augen-Prinzip freigegeben wurde und den Auszahlungsvorgang der Bank steuerte. Dabei erfolgte die Auszahlung nur über eine einzelne Datei, weshalb die Gehaltsauszahlungen nur im Ganzen an alle Mitarbeiter einschließlich der Vorstandsmitglieder erfolgen konnte. Im März 2021 sollten entsprechend einer Auswertung des Abschlussprüfers der Beklagten bezüglich des Geschäftsjahres 2020 für das bereits ausgeschiedene Vorstandsmitglied Dr. E. A. sowie das Vorstandsmitglied A. S. und den Vertriebsmitarbeiter C. N. Bonuszahlungen angepasst und reduziert werden. Die Gehälter der weiteren rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beklagten waren von diesen Maßnahmen nicht betroffen.
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Der Kläger versandte am 30.3.2021 um 17:27 Uhr eine E-Mail (Anlage D 3) unter anderem an den seinerzeitigen Mitvorstand, Herrn J. M. in englischer Sprache, in der er [in deutscher Übersetzung] unter anderem Folgendes mitteilte:
„Liebe Alle,
ich fragte L. nach Einzelheiten der Gehälter. Bevor dies nicht im Detail geprüft worden ist, werde ich die Gehälter nicht freigeben – ich möchte für mich und die Gesellschaft vermeiden, etwas Illegales zu tun.
Wenn einer von Euch A. und mich mit den Details versorgen könnte, wird dies den Prozess beschleunigen.
Danke“
7
Herr Ma. antwortete darauf in englischer Sprache unter anderem [in deutscher Übersetzung] wie folgt:
„... in Übereinstimmung mit dem Gesellschafter und unter Beachtung der mir vom Aufsichtsrat gegebenen Vollmacht ist es eine rechtlich abgesicherte und faire Entscheidung des Managements, die Bonuszahlungen an A. S. (5.000,00 €), E. A. (25.000,00 €) und C. N. (464,00 €) anzupassen, wobei den erbetenen Anpassungsberechnungen der Abschlussprüfer der Gesellschaft gefolgt wird.
...“.
8
Der Kläger erwiderte hierauf in einer E-Mail vom 30.03.2021 um 22:42 Uhr (Anlage B 3) folgendermaßen:
„Ich handele, um das Unternehmen und den Vorstand zu schützen, damit in Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen des deutschen Rechts gehandelt wird. Dies ist mein Ziel, nichts anderes ...“.
9
Zudem wies der Kläger darauf hin, dass das Audit nicht final abgestimmt sei und weder A. [scil.: das Vorstandsmitglied A. S.] noch er selbst einen Entwurf gesehen hätten; das Audit sei erst beschlossen, wenn der gesamte aus drei Mitgliedern bestehende Vorstand die endgültige Fassung unterzeichnet hätten. Dann erst sei die Zeit zur Anpassung von Boni oder Gehälter.
10
Ebenfalls am 30.3.2021 um 17:02 Uhr hatte Frau O. L. B. den Kläger per E-Mail [Anlage B 3] die Freigabe der Zahlungen durch den Kläger erbeten. Am selben Tag um 22:42 Uhr bat der Kläger Herrn J. Le. – damals Justiziar bei der E., der Muttergesellschaft der Beklagten – um rechtliche Überprüfung, erhielt darauf aber keine Antwort. Die Auszahlung der Gehälter in Höhe von insgesamt € 193.610,81 erfolgte nicht durch die Beklagte; vielmehr veranlasste am 31.03.2021 S. F. SAS die Bezahlung aus eigenen Mitteln. Die Beklagte erstattete diesen Betrag dann an ihre französische Schwestergesellschaft zurück.
11
Hinsichtlich der näheren Einzelheiten dieses E-Mail-Verkehrs wird im vollen Umfang auf das Anlagenkonvolut B 3 Bezug genommen.
12
2. In seiner Sitzung vom 1.4.2021, an der alle drei Mitglieder teilnahmen, fasste der Aufsichtsrat der Beklagten den einstimmigen Beschluss, den Kläger als Vorstand der Beklagten aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung abzuberufen. Zudem wurde der Aufsichtsratsvorsitzende in einem weiteren, einstimmig gefassten Beschluss ermächtigt, eine außerordentliche Kündigungserklärung zur Beendigung des Vorstandsdienstvertrages des Klägers mit der Beklagten vom 26.6.2017 im Namen des Aufsichtsrates für die Beklagte zu unterzeichnen. Dem Kläger, der von diesen Beschlüssen bereits vorab telefonisch unterrichtet worden war, wurde der Beschluss des Aufsichtsrates über die Abberufung und Kündigung sowie die Erklärungen über die Abberufung als Vorstand und die Kündigung des Vorstandsdienstvertrages elektronisch an dessen geschäftliche E-Mail-Adresse übermittelt; der beigefügte Beschluss enthielt nicht die Unterschriften aller Aufsichtsratsmitglieder. Die entsprechenden Dokumente wurden dem Kläger im Nachgang nochmals postalisch am 5.4.2021 zugestellt. Mit E-Mail vom 22.10.2021 bot der Kläger zum wiederholten Male seine Arbeitsleistung an.
II.
13
Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, sowohl für den Widerruf der Organstellung als auch für die außerordentliche Kündigung fehle es an den formellen und materiellen Wirksamkeitsvoraussetzungen. Die Kündigung erweise sich bereits mangels wirksamer Beschlussfassung und Ermächtigung als unwirksam. Bei der Kürzung der Bezüge der Herren Dr. A., S. und N. habe die Beklagte jedenfalls einzelne Vorstandsmitglieder übergangen, was der Bedeutung und den Aufgaben eines Vorstandsmitgliedes widerspreche. Das unterlassene Hinzuziehen des Vorstands zur Beratung im Zusammenhang mit der Anpassung der Gehälter verletze das Recht des Vorstands zur geschäftlichen Leitung des Unternehmens. Durch die Verringerung der Auszahlung habe der Kläger eine legale Gehaltspolitik im Unternehmen zugunsten aller Angestellten gewährleistet und die Position des Vorstandes im Betrieb abgesichert. Dabei sei er nur von einer vorübergehenden Blockade ohne tiefgreifende Auswirkungen auf die Belegschaft ausgegangen. Für eine einseitige Durchsetzung der Interessen seiner Vorstandskollegen zu Lasten der übrigen Angestellten fehle substantiierter Nachweis der Beklagten; der Kläger hätte genauso Partei für andere Arbeitnehmer außerhalb des Vorstands ergriffen, was schon der Einsatz auch für Herrn N. zeige. Die Unmöglichkeit der Blockade der Auszahlung an einzelne Mitarbeiter stelle sich als ein von der Beklagten verschuldeter Umstand dar, der dem Kläger nicht zur Last fallen dürfe. Wiederholungsgefahr lasse sich angesichts der Mitteilung in der E-Mail vom 30.3.2021, in der sich der Kläger offen für Einsicht zeige, nicht bejahen. Durch eine ordnungsgemäße Beteiligung des Vorstands hätte die Beklagte die Freigabeverweigerung von vornherein verhindern können.
14
Aus denselben Gründen liege auch kein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung des Vorstandsdienstvertrages vor; der Kläger habe bei seiner Entscheidung ausschließlich das Unternehmenswohl im Blick gehabt. Angesichts dessen stehe ihm auch ein Anspruch auf Zahlung der geschuldeten Vergütung in Höhe von € 14.752,40 brutto aus Annahmeverzug zu. Aufgrund der Abberufung als Vorstand müsse der Kläger die Kündigungserklärung so verstehen, dass ihn die Beklagte unter keinen Umständen weiter beschäftigen wolle, weshalb ein Angebot der Dienste durch den Kläger ohnehin entbehrlich sei.
15
Der Kläger beantragt daher:
I. Der Beschluss des Aufsichtsrates der Beklagten vom 1.4.2021 auf Widerruf der Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied der Beklagten wird für unwirksam erklärt.
II. Es wird festgestellt, dass das zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehende Vorstandsanstellungsverhältnis durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 1.4.2021 nicht aufgelöst worden ist.
III. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 132.682,50 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 3.5.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 1.6.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 1.7.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 2.8.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 1.9.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 1.10.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 2.11.2021,
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 1.12.2021 und
- aus € 14.742,50 brutto seit dem 3.1.2022
zu bezahlen.
III.
16
Die Beklagte beantragt demgegenüber:
Klageabweisung.
17
Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen darauf, der Aufsichtsrat habe wirksam die Organstellung widerrufen und den Vorstandsdienstvertrag ebenso wirksam außerordentlich gekündigt, weil für beide Maßnahmen jeweils ein wichtiger Grund vorgelegen habe und die Erklärungen auch wirksam umgesetzt worden seien. Die bewusste Verweigerung der Freigabe von Gehältern auch an Arbeitnehmer, deren Gehaltshöhe – anders als in Bezug auf die Auszahlungshöhe gegenüber den Herren Dr. A., S. und N. – nicht als unrichtig erachtet worden sei, bedeute eine Verletzung der Pflichten des Klägers als Vorstandsmitglied mit einer Beeinträchtigung des Tagesgeschäfts der Beklagten wie auch dem Eintritt rechtlicher, finanzieller sowie i-materieller Risiken für die Beklagte im Hinblick auf ihre Rechtsbeziehungen zu ihren Arbeitnehmern sowie zu Behörden. Ein anzuerkennendes, sachliches Interesse des Klägers lasse sich nicht erkennen. Die fehlende Bereitschaft zur Auszahlung der unstreitigen Gehälter belege vielmehr, dass der Kläger Arbeitnehmer für persönliche Interessen instrumentalisiere, um eigene Differenzen mit dem damals neu ernannten Vorstandskollegen, Herrn Ma., auszutragen und eine vorteilhafte Abrechnung von Bonuszahlungen für die langjährigen Vorstandskollegen Dr. A. und S. zu erreichen. Dies mache eine Zusammenarbeit der Beklagten mit dem Kläger bis zum Ende der Amtszeit unzumutbar. Aus demselben Grund stelle dieses Verhalten auch einen die außerordentliche Kündigung rechtfertigenden wichtigen Grund dar. Angesichts der Schwere der Dienstpflichtverletzung und der fehlenden Einlenkungsbereitschaft sei der Beklagten eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses für mehr als ein weiteres Jahr bis zum Vertragsende am 26.6.2022 nicht zumutbar. Herr Ma. sei als Vorstandsvorsitzender aufgrund eines Beschlusses des Aufsichtsrats vom 1.6.2016 für sämtliche Personalangelegenheiten bis zu € 100.000,- und für sämtliche Banktransaktionen bis zu € 200.000,- ohne vorherige Zustimmung des Aufsichtsrates zuständig gewesen. Angesichts der Wirksamkeit der Kündigung könne der Kläger auch keine Gehaltsansprüche geltend machen.
IV.
18
Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31.03.2022 (Bl. 64/67 d.A.).

Entscheidungsgründe

19
Die im Wege zulässiger objektiver Klagehäufung erhoben Klagen sind zulässig und ganz überwiegend begründet.
I.
20
Die sich den gegen Widerruf der Organstellung richtende Klage ist zulässig und begründet.
21
1. Die Klage ist als Gestaltungsklage zulässig, weil der Kläger die rückwirkende Wiederherstellung seiner Bestellung zum Organ begehrt, indem er sich auf das Fehlen eines wichtigen Grundes beruft. Dies beruht auf der Überlegung, dass im Falle einer Beschlussfeststellung, an deren Wirksamkeit hier kein vernünftiger Zweifel besteht, der Widerruf aufgrund von § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG a.F. wirksam ist und es einer gerichtlichen Gestaltung bedarf, um diese Wirkung zu beseitigen (vgl. OLG Hamm AG 2010, 789, 792; OLG Stuttgart AG 2013, 599, 600 Koch, AktG, 16. Aufl., § 84 Rdn. 72; Fleischer in: BeckOGK AktG, Stand: 1.2.2022, § 84 Rdn. 166; Mertens/Cahn in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 84 Rdn. 135; Oltmanns in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 84 Rdn. 27).
22
2. Die Klage ist begründet, weil ein wichtiger Grund für den Widerruf im Sinne des § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG a.F. nicht angenommen werden kann. Aufgrund dieser Norm kann der Aufsichtsrat die Bestellung zum Vorstandsmitglied widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein solcher Grund ist aufgrund von § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG a.F. namentlich die grobe Pflichtverletzung. Hiervon kann angesichts der Besonderheiten der hier gegebenen Konstellation nicht ausgegangen werden.
23
a. Ein wichtiger Grund ist dann gegeben, wenn die Fortsetzung des Organverhältnisses bis zum ordnungsgemäßen Ende der Amtszeit – hier also knapp 15 Monate nach dem Ausspruch des Widerrufs – für die Gesellschaft unzumutbar ist. Bei der Prüfung, ob ein wichtiger Grund vorliegt, sind alle Umstände des Einzelfalls gegeneinander abzuwägen; dabei sind auch die amtsbezogenen Interessen des betroffenen Vorstandsmitglieds zu berücksichtigen (vgl. BGH NZG 2007, 189 = AG 2007, 125 = ZIP 2007, 119 = WM 2007, 164 = DB 2007, 158 = BB 2007, 174 = DZWIR 2007, 157 = NZI 2007, 168; OLG Frankfurt NZG 2015, 514, 515 = AG 2015, 363, 365 = ZIP 2014, 519, 521 = DB 2015, 730, 731; OLG Stuttgart AG 2013, 599, 603; Kort in: Großkommentar zum AktG, 5. Aufl., § 84 Rdn. 140; Koch, AktG a.a.O., § 84 Rdn. 54; Mertens/Cahn in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., § 84 Rdn. 121; Ihrig/Schäfer in: Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, 2. Aufl., § 9 Rdn. 132; a.A. Fleischer in: BeckOGK AktG, a.a.O., § 84 Rdn. 134; Spindler in: Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl., § 84 Rdn. 131; Schockenhoff ZIP 2017, 1785, 1787, die nur auf die Interessen der Gesellschaft abstellen wollen). Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabes lässt sich vorliegend ein wichtiger Grund nicht bejahen.
24
b. Zwar wird ein Verstoß gegen die Kompetenzordnung innerhalb einer Aktiengesellschaft regelmäßig als grobe Pflichtverletzung einzustufen sein (vgl. Mertens/Cahn in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., § 84 Rdn. 125; OLG Hamburg ZIP 1991, 1430, 1432 f. für die vergleichbare Situation bei der GmbH).
25
(1) Vorliegend hat der Kläger tatsächlich die aktienrechtlichen Zuständigkeiten bei seiner Überprüfung der Gehaltszahlungen nicht hinreichend beachtet. Für eine Änderung der Vergütung der Mitglieder des Vorstands ist nämlich ausschließlich der Aufsichtsrat zuständig, wie sich aus der eindeutigen Regelung in § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG ergibt, wonach der Aufsichtsrat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds dafür zu sorgen hat, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft stehen und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen. Zudem betrifft die Vorstandsvergütung den Inhalt des Vorstandsdienstvertrages, bei dessen Abschluss die Gesellschaft aufgrund von § 112 AktG durch den Aufsichtsrat vertreten wird. Daher kann auch die Beschlussfassung des Aufsichtsrates vom 1.6.2016, mit der dem Vorstandsvorsitzenden die Ermächtigung erteilt wurde, ohne vorherige Zustimmung in allen Personalangelegenheiten bis zu € 100.000,- und für sämtliche Banktransaktionen bis zu € 200.000,- zu handeln, keine andere Beurteilung rechtfertigen. Für die Festsetzung der Höhe der Bonuszahlungen an Herrn S. und Herrn Dr. A. fehlt dem Vorstandsvorsitzenden – wie auch dem Gesamtvorstand – daher die Kompetenz. Eine Übertragung der Zuständigkeit auf den Vorstandsvorsitzenden kann in dem Verzicht auf das Zustimmungserfordernis als Mittel der Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat nicht gesehen werden. Von daher war die Verweigerung der Auszahlung der Boni an die beiden Vorstandskollegen pflichtwidrig. Eine Zuständigkeit des Klägers als Vorstandsmitglied bestand vorliegend ausschließlich für den Vertriebsmitarbeiter, Herrn N.
26
(2) Auch unter Beachtung dieses Grundsatzes muss hier eine grobe Pflichtverletzung dennoch wegen der Besonderheiten des Falles verneint werden.
27
(a) Es muss namentlich berücksichtigt werden, dass die Kürzung der Vergütung jedenfalls nach den dem Kläger unstreitig vorliegenden Informationen durch die E-Mail seines Vorstandskollegen J. Ma. nicht gerechtfertigt war. Dieser hatte darin mitgeteilt, dass der Gesellschafter – also ein Aktionär – mit dieser Maßnahme einverstanden war. Weder der Aktionär als solcher noch die Hauptversammlung sind indes dafür zuständig, über die Voraussetzungen der Kürzung von Bonuszahlungen an Vorstandsmitglieder zu entscheiden – dies liegt entsprechend den obigen Ausführungen aufgrund der zwingenden Regelung in § 87 Abs. 1 AktG über die Festsetzung der Bezüge allein in der Kompetenz des Aufsichtsrates. Eine Zustimmung auch des Aufsichtsrates konnte der Kläger der E-Mail von Herrn Ma. vom 30.3.2021, 12:15 Uhr indes nicht entnehmen. Dieser wies darin nämlich nur auf die ihm vom Aufsichtsrat erteilten Vollmachten im Zusammenhang mit der Anpassung der Vergütung der Herren S. und Dr. A. hin. Der Aufsichtsrat kann indes seine Kompetenz in Bezug auf die Festsetzung der Bezüge nicht auf ein anderes Vorstandsmitglied übertragen oder diesem anstelle des Aufsichtsrats Vollmacht erteilen, weil diese Zuständigkeiten nicht abbedungen werden können. Der Aufsichtsrat verzichtete auf sein Zustimmungserfordernis, wie die Beklagte im Schriftsatz vom 29.4.2022 vorgetragen hat. Eine Übertragung der Entscheidungskompetenz weg vom Aufsichtsrat hin zum Vorstand stünde indes in Widerspruch zu Grundstrukturen der Kompetenzverteilung innerhalb des Aufsichtsrates und könnte daher keine Wirksamkeit entfalten; es handelt sich dabei nicht um dispositives Gesetzesrecht. Dann aber konnte der Kläger berechtigte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kürzung haben, die die beiden Vorstandsmitglieder betraf. Das Ausscheiden eines Vorstandsmitgliedes ändert nichts an der grundlegenden Kompetenzverteilung innerhalb einer Aktiengesellschaft. Auf die fehlende Zustimmung des Aufsichtsrates zu der Kürzung hatte der Kläger persönlich im Rahmen seiner Anhörung nach der Erörterung der Sach- und Rechtslage hingewiesen, was sich sein Prozessbevollmächtigter als Tatsachenvortrag im Termin vom 31.3.2022 zu eigen gemacht hat. Angesichts dessen und des Inhalts des E-Mail-Verkehrs vom 30.3.2021 kann nicht davon ausgegangen werden, der Kläger hätte positive Kenntnis von einer Zustimmung des Aufsichtsrates gehabt. Bereits dies spricht gegen eine grobe Pflichtverletzung.
28
(b) Die Versagung der Auszahlung der Bezüge der beiden Vorstandsmitglieder wie auch der Bezüge aller anderen Arbeitnehmer beruhte indes auch auf einem Fehler der Beklagten bei der Organisation der Lohnabrechnung. Nach dem von der Beklagten nicht bestrittenen und damit gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden geltenden Vortrag des Klägers bestand bei der Beklagten nicht die Möglichkeit, einzelne Gehaltszahlungen zurückzubehalten. Dies stellt einen deutlichen Organisationsmangel dar, der den Vorstand in seiner Gesamtverantwortung für die Belegschaft trifft. Dabei wurde allerdings die Grundlage für die Problematik der Auszahlung der Gehälter für den Monat März 2021 deutlich früher gesetzt – nämlich im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit der L. Weiterhin kann nicht außer Betracht bleiben, dass sich der Kläger beim Justiziar der Muttergesellschaft E., Herrn J. Le., absichern wollte, indem er in der E-Mail vom 30.3.2021, 22:42:10 Uhr um Beratung bat, wenn sein in der E-Mail dargelegter Standpunkt falsch sein sollte. Dabei wies er darauf hin, er stehe Einsichten sehr offen gegenüber, die auf der Kenntnis des deutschen Rechts beruhten. Auch diese Nachfrage zeigt jedoch, dass der Kläger nicht verantwortungslos handeln wollte, sondern um eine juristische Absicherung seines Vorgehens bemüht war. Dem ist aber zu entnehmen, dass der Kläger willens ist, derartige Fehler in Zukunft zu vermeiden. Gerade die Nachfrage bei Herrn Le. zeigt, dass er willens war, aus Verstößen der Vergangenheit, die im Zusammenhang mit der Einstellung einer Praktikantin entsprechend den Schilderungen des Klägers am Ende des Termins Konsequenzen zu ziehen. Daher fragte er um Rechtsrat, den er aber nicht erhielt, weshalb er eine Entscheidung traf, die dann aber nicht als „grob pflichtwidrig“ eingestuft werden kann.
29
(3) Es wird von der Kammer auch im Rahmen einer Güterabwägung nicht verkannt, dass sich die Blockade negativ auf das Ansehen der Beklagten auswirken kann, wobei dies namentlich im Verhältnis zu den auf pünktliche Gehaltszahlungen angewiesenen Mitarbeitern gelten kann und dass der Betrag, für den die Zuständigkeit des Vorstandes gegeben war, mit € 464,00 in Relation zum Gesamtbetrag der monatlichen Gehaltszahlung von € 193.610,81 sehr gering ist und die offenen Fragen im Folgemonat zweifelsohne einer Klärung hätten zugeführt werden können. Ungeachtet dessen sieht die Kammer allerdings keinen wichtigen Grund im Sinne des § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG a.F. angesichts des Bemühens des Klägers, noch vor Fälligkeit eine Lösung herbeizuführen, in dem er sich an den Vorstandsvorsitzenden und insbesondere an die Lohnabrechnungsfirma und den Justiziar wandte, um eine Lösung der technischen und rechtlichen Probleme zu erzielen. Allerdings gab es bei beiden Ansprechpartnern unstreitig keine Reaktion. Gerade deshalb lässt sich die Pflichtverletzung nicht als grob einordnen. Eine Unzumutbarkeit der Organstellung vermag die Kammer daher nicht zu bejahen.
30
Die von der Beklagten behauptete einseitige Bevorzugung der beiden Vorstandskollegen des Klägers wurde – worauf bereits der Kläger schriftsätzlich hingewiesen hatte – von der Beklagten nicht näher substantiiert; ein Beweisangebot wurde nicht unterbreitet, warum der Kläger lediglich die Interessen seiner Vorstandskollegen S. und Dr. A. im Blick gehabt haben soll.
31
Angesichts dessen war der Beschluss des Aufsichtsrats über den Widerruf der Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied für unwirksam zu erklären.
II.
32
Die auf Feststellung der Nichtauflösung des zwischen den Parteien bestehenden Vorstandsdienstvertrages gerichtete Klage ist zulässig und begründet.
33
1. An der Zulässigkeit der Feststellungsklage im Sinne des § 256 ZPO bestehen keine Zweifel.
34
a. Bei der Frage der Beendigung oder Nichtbeendigung eines Vorstandsdienstvertrages handelt es sich um ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO, weil es dabei um die Beziehungen zwischen zwei Personen geht, die subjektive Rechte enthält.
35
b. Ebenso muss das Interesse an der alsbaldigen Feststellung bejaht werden, weil die Beklagte von der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung ausgeht und somit eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit für das subjektive Recht des Klägers besteht (vgl. nur Zöller-Greger, ZPO, 34. Aufl., § 256 Rdn. 7) und nur über eine Feststellungsklage mit Rechtskraft entschieden die bestehende Unsicherheit beseitigt wird, ob der Vorstandsdienstvertrag beendet ist oder nicht.
36
2. Die Klage ist auch begründet, weil der zwischen den Parteien bestehende Vorstandsdienstvertrag vom 26.06.2017 durch die außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vom 1.4.2021 nicht beendet wurde. Nach dieser Vorschrift kann das Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden kann. Von einer derartigen Situation kann vorliegend nicht ausgegangen werden.
37
Da es bei der Prüfung eines wichtigen Grundes, insbesondere auch auf die Schwere des Pflichtenverstoßes samt seiner subjektiven Vorwerfbarkeit ankommt, fehlt es an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB (vgl. hierzu Mertens/Cahn in: Kölner Kommentar zum AktG a.a.O., § 84 Rdn. 156). Vorliegend muss von einer vereinzelten Pflichtverletzung des Klägers ausgegangen werden, der auch kein Vorsatz zugrunde lag. Angesichts der Unmöglichkeit, nur einzelne Gehaltszahlungen aufzuhalten. Da ein wichtiger Grund für den Widerruf der Organstellung nicht bejaht werden kann, muss auch vom Fehlen eines wichtigen Grundes für die Beendigung des Vorstandsdienstvertrages ausgegangen werden. Somit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen unter I. 2. b. Bezug genommen werden.
38
Daher hatte der Feststellungsantrag Erfolg.
III.
39
Die ohne jeden Zweifel zulässige Zahlungsklage ist mit Ausnahme eines geringen Teils des Zinsanspruchs begründet, weil dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung der monatlichen Vergütung für den Zeitraum von April 2021 bis einschließlich Dezember 2021 in Höhe von € 14.742,50 brutto pro Monat, also von insgesamt € 132.682,50 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus den monatlich geschuldeten Vergütungsbeiträgen entsprechend der vertraglichen Fälligkeitsregelung zusteht.
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1. Der Anspruch des Klägers ergibt sich in der Hauptsache aus §§ 615 Satz 1, 293 ff. BGB. Nach § 615 Satz 1 BGB kann der Dienstverpflichtete die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein, wenn der Berechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug kommt. Somit setzt die Anspruchsgrundlage in Verbindung mit § 293 ff. BGB voraus, dass ein Dienstverhältnis vorliegt, der Verpflichtete seine Dienste angeboten und der Dienstberechtigte sie nicht angenommen hat.
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1. a. Die Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage müssen vorliegend bejaht werden.
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(1) Zwischen den Parteien bestand ein wirksamer Vorstandsdienstvertrag im Sinne des § 611 BGB, der durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten nicht beendet wurde, wie oben unter II. 2. begründet wurde. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen in vollem Umfang Bezug genommen werden.
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(2) Die Schuldnerin befand sich in Annahmeverzug im Sinne der §§ 293 ff. BGB, weil bereits davon auszugehen sein wird, es bedurfte keines Angebots des Klägers. In dem Ausspruch der Kündigung liegt nämlich zugleich die Erklärung des Dienstberechtigten, er werde die Leistung nicht annehmen (vgl. BAG NJW 2012, 2905, 2906 = NZA 2012, 971, 972 = AP BGB § 615 Nr. 128).
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b. Aufgrund von § 615 Satz 1 kann der Dienstverpflichtete die vereinbarte Vergütung verlangen. Der Umfang des Anspruchs umfasst folglich die geltend gemachte Festvergütung in Höhe von € 13.242,50 brutto pro Monat entsprechend der Regelung in § 4 Abs. 1 des Vorstandsdienstvertrages sowie einen weiteren monatlichen Betrag von € 1.500,00 brutto für die unterbliebene Geltendmachung der Leasing-Option für die Kfz-Benutzung entsprechend § 6 Abs. 1 des Vorstandsdienstvertrages.
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2. Die Entscheidung über die Zinsen ergibt sich aus §§ 280 Abs. 1, 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB.
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a. Der Beklagte befand sich auch ohne Mahnung mit diesen Zahlungen der monatlichen Vergütung in Verzug.
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(1) Da der Vorstandsdienstvertrag in § 4 Abs. 1 eine Fälligkeitsregelung der Gestalt enthält, dass die Vergütung am Ende des Monats fällig wird und dies im Vertrag nicht näher definiert wurde, muss entsprechend der Regelung in § 192 Abs. 2 BGB darunter der letzte Tag des Monats verstanden werden. Damit wird die Vergütung jeweils am 3o. oder 31. eines jeden Monats fällig. Verzugszinsen werden dann ab dem ersten Tag des Folgemonats geschuldet werden. Verzug tritt nämlich nur dann ein, wenn der Dienstberechtigte an dem Fälligkeitstag nicht leistet. Fällt der Fälligkeitstag nun auf einen Samstag, Sonn- oder Feiertag, verschiebt sich der Zeitpunkt der Fälligkeit auf den nächsten und der Eintritt des Verzugs auf den übernächsten Werktag gemäß §§ 286 Abs. 3, 193 BGB (vgl. BAG AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 176). Diese Erwägungen gelten aber auch für die Vergütung des Monats Juni, bei der Fälligkeit am Tag nach der (vermeintlichen) Beendigung des Vorstandsdienstvertrages eingetreten ist, so dass die Verzinsung ab dem 19.6.2018 auszusprechen war.
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(2) Dabei sind die Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB aus der in Geld geschuldeten Bruttovergütung zu zahlen. Die Verpflichtung zur Zahlung des Bruttoentgelts stellt nämlich in vollem Umfang eine Geldschuld des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer dar. Ist Inhalt der Vergütungsvereinbarung eine Geldleistung, lautet die Verpflichtung des Dienstverpflichteten auf Zahlung einer bestimmten Summe Geldes des sogenannten Bruttobetrages. Die „vereinbarte Vergütung“ im Sinne des § 611 BGB ist mangels abweichender Regelung der Vertragsparteien ein Bruttoentgelt, das regelmäßig öffentlich-rechtlichen Abzügen unterliegt. Die arbeitsrechtliche Vergütungspflicht beinhaltet indes nicht nur die Nettoauszahlung, sondern umfasst auch die Leistungen, die nicht in einer unmittelbaren Auszahlung an den Dienstverpflichteten bestehen. Dementsprechend kann die Klage auf Entgeltzahlung auch auf den Bruttobetrag gerichtet werden. Bei der Zwangsvollstreckung aus einem derartigen Urteil ist der gesamte Betrag beizutreiben. Abzug und Abführung von Gehaltsbestandteilen betreffen nur die Frage, wie der Arbeitgeber seine Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer erfüllt. Der Dienstberechtigte nimmt insoweit eine Aufgabe der Finanzbehörden wahr; dadurch ist sichergestellt, dass der Dienstverpflichtete Teile der Arbeitsvergütung in der steuerrechtlich vorgeschriebenen Weise verwendet. Einer vollständigen Auszahlung der Vergütung an den Arbeitnehmer steht zwar regelmäßig entgegen, dass es sich bei den der Einkommensteuer unterliegenden Einkünften um solche aus nicht selbständiger Arbeit im Sinne der §§ 2 Abs. 1 Nr. 4, 19 EStG handelt. Dabei wird die Einkommensteuer nach § 38 Abs. 1 EStG durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben; gleichwohl ist die einbehaltene Lohn- bzw. Einkommensteuer ein dem Arbeitnehmer verschaffter Vermögenswert, wobei der Arbeitnehmer Schuldner der Steuer ist. Die Abführung an das Finanzamt durch den Dienstverpflichteten nach § 41 a EStG erfolgt zugunsten des Dienstverpflichteten als Vorauszahlung auf dessen zu erwartende Einkommensteuerschuld. Materiell handelt es sich somit um eine Leistung an den Dienstverpflichteten, die nur aus formellen Gründen des Steuerrechts zur Vereinfachung des Verfahrens vom Dienstberechtigten unmittelbar an das Finanzamt erbracht wird. Eine Veränderung des materiellen Charakters der Zahlung an den Dienstverpflichteten ist damit nicht verbunden. Dementsprechend erhält dieser die abgeführte Steuer unter Umständen im Wege der Veranlagung teilweise oder ganz erstattet. Folglich wird dem Dienstverpflichteten nicht nur der Nettobetrag vorenthalten, wenn der Dienstverpflichtete das Entgelt nicht bezahlt. Demgemäß kommt der Beklagte mit der gesamten Bruttovergütung in Verzug, wenn er nach dem Eintritt der Fälligkeit nicht leistet (vgl. BAG NJW 2001, 3570, 3571 = ZIP 2001, 1929, 1930 f. = DB 2001, 2196 f. = BB 2001, 2270 ff. = NZA 2001, 1195 = RdA 2012, 177 f. = AP BGB § 288 Nr. 4; Ernst in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl., § 288 Rdn. 15; Feldmann in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2019, § 288 Rdn. 30; Palandt-Grüneberg, BGB, a.a.O., § 288 Rdn. 6; a.A. nicht überzeugend Löwisch RdA 2002, 182 ff.; Hanau Anm. zu AP BGB § 288 Nr. 4).
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b. Der Zinssatz beträgt aufgrund der Regelung in § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Die Regelung in § 288 Abs. 2 BGB mit dem höheren Zinssatz von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ist vorliegend nicht anwendbar, weil an dem Rechtsgeschäft ein Verbraucher beteiligt ist. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft ist ähnlich wie der Geschäftsführer einer GmbH nicht Unternehmer, handelt also nicht im Rahmen einer selbstständigen beruflichen Tätigkeit im Sinne des § 14 Abs. 1 BGB, sondern im Rahmen des vereinbarten Dienstverhältnisses mit der Aktiengesellschaft. Daran vermag auch die organschaftliche Stellung als Vorstand nichts zu ändern, nachdem diese vom Vorstandsdienstvertrag zwingend zu trennen ist. Wesentlich ist weiterhin der Gedanke, dass der Vorstand im Gegensatz zum selbstständig beruflich Tätigwerdenden nicht das unmittelbare unternehmerische Risiko seiner Tätigkeit trägt. Auch die Orientierung eines Teils der Vergütung am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens vermag daran nichts zu ändern. Ebenso wenig rechtfertigt die größere Selbstständigkeit des nicht weisungsgebunden agierenden Vorstands im Vergleich zum Geschäftsführer der GmbH eine andere Beurteilung (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.2.2012, Az. I-16 U 177/10; OLG Hamm AG 2007, 910, 911 f. = MDR 2007, 1438, 1439; Micklitz in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 13 Rdn. 61).
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Daher war auch der Klage mit Ausnahme eines Teils der Zinsen stattzugeben.
51
Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Klägers vom 17.6.2022 bietet keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, weil die Voraussetzungen von § 156 ZPO nicht erfüllt sind.
IV.
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1. Die Entscheidung über die Kosten resultiert aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Da der Kläger nur mit einem kleinen Teil seiner Zinsforderung unterlegen ist, muss von einer verhältnismäßig geringfügigen zu viel Forderung ausgegangen werden, mit der zudem kein Kostensprung verbunden war und durch die auch keine höheren Kosten verursacht wurden.
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2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht hinsichtlich Ziffer I. des Tenors auf § 709 Satz 1 ZPO und in Richtung auf den Zahlungsantrag und die Kosten auf § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
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3. Die Entscheidung über den Streitwert hat ihre Grundlage in §§ 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO. Dabei war für den Feststellungsantrag bezüglich des Vorstandsdienstvertrages im Ausgangspunkt die Gehaltsforderung bis zum Ende des Vertrages anzusetzen, die sich nach § 4 Abs. 1 des Vertrages auf € 219.171,83 beläuft, nachdem der Monat Juni 2022 nur pro rata temporis anzusetzen ist. Hinzu kommt die jährliche Tantieme, die zuletzt mit USD 177.821,07 angesetzt wurde. Unter Berücksichtigung eines Feststellungsabschlages von etwa 20% erachtet die Kammer für den Feststellungsantrag einen Wert von € 277.000,00 für angemessen. Da die Zahlungsklage wirtschaftlich identisch mit dem Feststellungsantrag ist, führt diese nicht zu einer Erhöhung des Streitwerts. Hinsichtlich des Widerrufs der Organstellung war der Streitwert auf € 10.000,- festzusetzen. Diese beiden Streitwerte sind aufgrund von § 5 ZPO zu addieren.