Titel:
Sittenwidrigkeit, Sachverständigengutachten, Abschalteinrichtung, Sekundäre Darlegungslast, Unzulässigkeit, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Greifbare Anhaltspunkte, Substantiierung, Landgerichte, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Rücknahme der Berufung, Gelegenheit zur Stellungnahme, Parallelverfahren, Gerichtsgebühren, Aussicht auf Erfolg, Kostenverzeichnis, Unsubstantiiert, Entscheidung des Berufungsgerichts, Nebenbestimmung, Unzulässige Einwirkung
Schlagworte:
Sittenwidrigkeit, Abschalteinrichtung, Zykluserkennung, Prüfstand, Schadensersatzanspruch, Thermofenster, Sekundäre Darlegungslast
Vorinstanz:
LG München II vom 03.12.2021 – 2 O 2846/21
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 31.03.2022 – 1 U 85/22
BGH Karlsruhe, Urteil vom 24.07.2024 – ZR 586/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 59172
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 03.12.2021, Az. 2 O 2846/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 30.596,- € festzusetzen.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
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Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin zeigt in der Berufungsbegründung weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht entscheidungserhebliche Fehler oder Versäumnisse des Landgerichts auf.
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1. Die Klägerin trägt vor, die Verwendung des Thermofensters sei sittenwidrig, weil die Beklagte kein Sachverständigengutachten über dessen Zulässigkeit eingeholt habe und diesbezüglich auch nicht an die Kommission herangetreten sei. Die Abschalteinrichtung, welche die AGR-Rate und die Harnstoffeinspritzung im SCR-Katalysator drossele, funktioniere auf dem Prüfstand nicht genauso wie im Straßenbetrieb. Weil sie durch ihre extrem eng gefassten Parameter fast ausschließlich auf dem Prüfstand anspringe, handele es sich um eine Zykluserkennung. Auch das OBD und der Umstand, dass dem KBA nicht die konkrete Bedatung des Thermofensters überlassen worden sei, belege den Vorsatz und die Sittenwidrigkeit. Erstinstanzlich hatte die Klägerin weiter unter anderem vorgetragen, die Beklagte habe die Motorsteuerungssoftware mit einer Fahrkurvenerkennung und einer „Akustikfunktion“ ausgestattet. Das Landgericht habe den klägerischen Vortrag zu Unrecht für unsubstantiiert gehalten. Es hätte ein Sachverständigengutachten zu der Frage einholen müssen, ob die Beklagte eine unzulässige Abschalteinrichtung in das Abgaskontrollsystem eingebaut habe. Ein KBA-Rückruf sei für die Substantiierung nicht notwendig. Das Fahrzeug sei mit einem erheblichen Mangel behaftet, der zur Versagung der Prüfplakette führen müsse. Die Beklagte trage eine sekundäre Darlegungslast, dass die Abschalteinrichtungen legal seien und welches ihrer Organe Kenntnis von der Manipulation gehabt habe. Ohne Zugang zu den Quellcodes der Motorsteuerungs-Software, die von der Beklagten als Betriebsgeheimnis behandelt werde, könne die Klägerin nicht weiter zu deren Mechanismus vortragen. Die Beklagte habe ihrer Darlegungslast nicht genügt, weshalb der klägerische Vortrag als zugestanden gelte.
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2. Die Rügen der Klägerin greifen nicht durch.
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2.1. Die Klägerin hat keinen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus § 826 BGB, aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB oder aus § 831 BGB wegen einer behaupteten unzulässigen Zyklus- bzw. Prüfstandserkennung in der Motorsteuerung ihres Fahrzeugs. Der diesbezügliche Vortrag ist weiterhin unsubstantiiert, wie bereits das Landgericht zu Recht ausgeführt hat. Überdies hat die Beklagte die ohnehin weitgehend nur pauschal erhobenen Vorwürfe überzeugend entkräftet.
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2.1.1. Dem Senat sind aus Parallelverfahren zahlreiche Auskünfte des KBA bekannt, die auf Anfragen von Gerichten ergangen sind, ob in diversen mit dem Motor EA 288 ausgestatteten Fahrzeugtypen der Beklagten das Emissionskontrollsystem unzulässige Abschalteinrichtungen aufweise, insbesondere in Form einer Zyklus- / Fahrkurvenerkennung, die dazu führe, dass auf dem Prüfstand unter den Bedingungen des NEFZ gegenüber dem vergleichbaren Betrieb auf der Straße eine erhöhte Menge Harnstoff zugeführt werde, während die Schadstoffemissionen im Realbetrieb höher seien. Das KBA teilte dort jeweils mit, dass der bloße Verbau einer Prüfstandserkennung nicht unzulässig sei, solange die Funktion nicht als Abschalteinrichtung im Sinn von Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 genutzt werde. Letzteres sei bei keinem der untersuchten Fahrzeuge mit Motoren der Reihe EA 288 der Fall gewesen. Eine Verringerung der AGR-Rate bei Erreichen der Betriebstemperatur des SCR-Katalysators werde durch die dort erfolgte Abgasnachbehandlung kompensiert. Da auch bei Deaktivierung der Fahrkurvenerkennung die Grenzwerte im Prüfstandsbetrieb nicht überschritten würden, sei die Funktion nicht als unzulässige Abschalteinrichtung anzusehen. Entsprechend seien weder Nebenbestimmungen angeordnet worden, noch gebe es behördlich angeordnete Rückrufe wegen als unzulässig eingestufter Abschalteinrichtungen.
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2.1.2. Unstreitig existiert kein Rückrufbescheid des KBA in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug. Der Rückruf-Code 23Z7 betrifft das Modell T6. Weshalb von diesem Modell auf das klägerische Fahrzeug Rückschlüsse gezogen werden können, legt die Klägerin nicht näher dar. Die Übereinstimmung im Motortyp EA 288 und der Schadstoffklasse Euro 6 reicht hierfür nicht aus, wie die aus den von der Klägerin vorgelegten „Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA 288“ mit der dort ersichtlichen unterschiedlichen Behandlung der verschiedenen EA 288-Motoren durch die Beklagte zeigt. Der Rückrufgrund beim Modell T6 lautete: „Konformitätsabweichung führt zur Überschreitung des Euro-6-Grenzwertes für Stickoxide.“ Eine bloße Konformitätsabweichung kann für sich alleine aber nicht die objektive Sittenwidrigkeit begründen. Nunmehrige freiwillige Software-Updates lassen keinen Rückschluss auf ein sittenwidriges Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, juris Rn. 21).
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2.1.3. Die Beklagte hat weiter detailliert und plausibel unter Bezugnahme auf die Ergebnisse des Berichts der Untersuchungskommission Volkswagen dargelegt, dass das Emissionskontrollsystem ihrer Fahrzeuge mit dem Motor EA 288 keine unzulässige Zykluserkennung beinhaltet, insbesondere nicht in Form einer unterschiedlichen Zuführung von AdBlue zur Optimierung des Emissionsverhalten in Prüfstandssituationen.
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2.1.4. Auch die von der Klägerin angeführten Applikationsrichtlinie (s.o.) stellen keinen Beleg dafür dar, dass die Beklagte eine Zykluserkennung in den Motor EA 288 mit dem Ziel installiert hat, die Abgasreinigung auf dem Prüfstand zu optimieren, nicht aber im realen Betrieb. Es ist darauf hinzuweisen, dass die in der Applikationsrichtlinie genannten Aspekte mit dem KBA abgestimmt sind, so dass ein Vorwurf der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nicht erhoben werden kann. Aus der Applikationsrichtlinie ergibt sich nicht, dass nur im Prüfstand die AGR-Rate bis zum Erreichen der Betriebstemperatur des SCR-Katalysators erhöht wird, nicht aber im Realbetrieb. Dasselbe gilt für die Behauptung, dass lediglich auf dem Prüfstand AdBlue zu einem Zeitpunkt vor Erreichen der Arbeitstemperatur zugeführt werde. Die Beklagte verweist zu Recht darauf, dass sich auch aus dem Untersuchungsbericht der Kommission „Volkswagen“ aus dem April 2016 ergibt, dass eine unzulässige Einwirkung auf die Ad-Blue-Einspritzung auf dem Prüfstand nicht gegeben ist.
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2.2. Ebenso wenig besteht ein deliktischer Schadensersatzanspruch wegen der im Grundsatz unstreitigen Implementierung eines sog. Thermofensters in die Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Auf die jüngsten Entscheidungen des BGH zu dieser Frage (Urt. v. 19.01.2021 aaO, juris-Rn. 16 ff für den vergleichbaren Fall des Dieselmotors OM 651 in einem Fahrzeug der Daimler AG; v. 09.03.2021 – VI ZR 889/20, juris-Rn. 27 ff für Software-Update beim Motor EA 189) kann verwiesen werden. Aus dem Vortrag der Klägerin lassen sich auch insoweit keine greifbaren Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten auf Seiten der Beklagten gewinnen, weshalb die Beklagte keine sekundäre Darlegungslast trägt. Es kommt deshalb nicht entscheidend darauf an, ob das im streitgegenständlichen Fahrzeug installierte Thermofenster eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung darstellt.
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. In diesem Fall ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).