Titel:
Sittenwidrigkeit, Abschalteinrichtung, Klagepartei, Arglistige Täuschung, Sekundäre Darlegungslast, Greifbare Anhaltspunkte, Besondere Verwerflichkeit, Unzulässigkeit, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Berufungsrücknahme, Abgasskandal, Nutzungsentschädigung, Substantiierter Vortrag, Stoffgleichheit, Darlegungs- und Beweislast, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Bewusster Gesetzesverstoß, Substantiierungsanforderungen, Gerichtskostengesetz, Zurückweisung
Schlagworte:
Sittenwidrigkeit, Arglistige Täuschung, Unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Typgenehmigung, On-Board-Diagnosesystem, Stoffgleichheit
Vorinstanz:
LG Traunstein, Endurteil vom 30.06.2020 – 1 O 859/19
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 05.04.2022 – 18 U 4479/20
BGH Karlsruhe, Urteil vom 07.08.2024 – VIa ZR 641/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 59132
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 30.06.2020, Az. 1 O 859/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 30.06.2020 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Dies zeigt die Berufungsbegründung nicht auf. Das Landgericht hat die auf Schadensersatz gerichtete Klage wegen des Erwerbs eines angeblich vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Pkw Mercedes Benz B 200 CDI mit einem Motor des Typs OM 651 im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen.
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1. Das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§§ 826, 31 BGB) hat die Klagepartei nicht nachvollziehbar dargelegt.
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a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 Rn. 15 m.w.N.). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, welche die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH a.a.O.).
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In dem vorstehend zitierten, grundlegenden Urteil zum Diesel-Abgasskandal vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 433/19) hat der Bundesgerichtshof die Sittenwidrigkeit damit begründet, dass der Fahrzeughersteller bei der Motorenentwicklung die strategische Entscheidung getroffen habe, die Typgenehmigung durch arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge sodann in den Verkehr zu bringen und dabei die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt auszunutzen. Ein solches Verhalten stehe einer bewussten arglistigen Täuschung derjenigen, die ein solches Fahrzeug erwerben, gleich (BGH a.a.O., Rn. 25).
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Demgegenüber hält der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 19.01.2021 (Az. VI ZR 433/19 Rn. 17) fest, dass der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen sei, die der grundlegenden Entscheidung vom 25.05.2020 zum VW-Motor EA189 zugrunde gelegen habe, bei der die Software bewusst und gewollt so programmiert gewesen sei, dass die gesetzlichen Abgaswerte nur auf dem Prüfstand, nicht aber im normalen Fahrbetrieb eingehalten würden (Umschaltlogik). Bei dem Einsatz eines Thermofensters fehle es an einem derartigen arglistigen Verhalten des beklagten Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setze jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehle es hieran, sei bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trage die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen die Klagepartei als Anspruchsteller (BGH a.a.O., Rn. 19).
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b) Gemessen an diesen Grundsätzen ergibt sich im Streitfall Folgendes:
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Soweit die Klagepartei das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen an ihrem Fahrzeug behauptet und hierfür zum Beweis die Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Einvernahme von Zeugen angeboten sowie die Vorlage von Unterlagen beantragt hat, hat das Landgericht zu Recht von einer Beweisaufnahme abgesehen. Konkreter nachvollziehbarer Vortrag der Klagepartei, aus dem sich das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbunden mit einem sittenwidrigen Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen, insbesondere einer arglistigen Täuschung oder eines bewussten Gesetzesverstoßes ergeben könnte, fehlt.
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aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20, Rn. 20). Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat (BGH a.a.O., Rn. 21 m.w.N.). Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt (BGH a.a.O., Rn. 22 m.w.N.). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte vorliegen (BGH a.a.O.).
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bb) Selbst unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe fehlen vorliegend greifbare Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten im oben dargelegten Sinne. Entgegen der Ansicht der Klagepartei hat das Landgericht die Substantiierungsanforderungen nicht überspannt.
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(1) Der Verweis der Klagepartei auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19, verhilft der Berufung nicht zum Erfolg. Anders als im Kaufrecht, wo ein Sachmangel bereits in jeder – im Ergebnis – unzulässigen Abschalteinrichtung vorliegen kann, muss die Klagepartei im Rahmen des § 826 BGB eine unzulässige Abschalteinrichtung darlegen, aus deren Vorhandensein mit ausreichender Wahrscheinlichkeit auf die notwendigen subjektiven Vorstellungen der Verantwortlichen der Beklagten geschlossen werden kann (s.o.). Die Substantiierungslast, d.h. die erforderliche Darlegung greifbarer bzw. hinreichender Anhaltspunkte, ist mithin vorliegend aus Rechtsgründen höher.
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Mit ihrem wiederholten Verweis auf eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten verkennt die Klagepartei, dass sie – wie dargelegt – als Anspruchstellerin im Rahmen des § 826 BGB nach allgemeinen Grundsätzen vollumfänglich darlegungs- und beweisbelastet für sämtliche Anspruchsvoraussetzungen einschließlich der Sittenwidrigkeit ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, NJW 2021, 921, Rn. 19). Der Verweis auf eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten geht mithin fehl, da eine solche allenfalls nach hinreichend substantiiertem Vortrag der Klagepartei eingreifen könnte, woran es im Streitfall – wie nachstehend im Einzelnen noch ausgeführt wird – jedoch fehlt. Die Bezugnahme der Klagepartei auf Entscheidungen anderer Gerichte vermag über fehlenden substantiierten Vortrag im hiesigen Verfahren nicht hinwegzuhelfen.
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(2) Entgegen der Ansicht der Klagepartei lassen sich aus ihrem Vorbringen, wonach das Fahrzeug im Realbetrieb auf der Straße die gesetzlichen Grenzwerte überschreite, keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung ableiten.
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Selbst wenn man unterstellt, dass die Werte im Fahrbetrieb von den der Zulassung zugrunde gelegten Emissionswerten nach oben hin abweichen, ergibt sich daraus noch nicht, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden sein muss. Denn es liegt auf der Hand, dass die Überschreitung der Werte im Straßenverkehr darauf zurückzuführen sein kann, dass der Motor im realen Fahrbetrieb aufgrund der konkreten Verkehrsverhältnisse deutlich mehr Schadstoffe emittiert als in einem zu Vergleichszwecken festgelegten, standardisierten Fahrzyklus auf dem Prüfstand. Dergleichen ist auch bei Herstellerangaben zum Kraftstoffverbrauch allgemein bekannt. Da der europäische Gesetzgeber für die Schadstoffnormen Euro 5 und Euro 6 die Messung allein im Prüfstandbetrieb festgelegt hatte und erst zwischenzeitlich für Neufahrzeuge Messungen im Normalbetrieb vorschreibt, kommt es gerade nicht darauf an, dass das streitgegenständliche Fahrzeug im Normalbetrieb die der Zulassung zugrunde liegenden Werte im NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) nicht einhält. Auch der Bundesgerichtshof hat den Hinweis auf Diskrepanzen zwischen Stickoxidemissionen unter Prüfstandbedingungen, die zur Erlangung der Typgenehmigung nach damaliger Rechtslage (dort wie hier: Euro-5-Norm) noch allein maßgeblich waren, und unter normalen Betriebsbedingungen auf der Straße nicht als greifbaren Anhaltspunkt für die Verwendung unzulässiger Steuerungsstrategien genügen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20, Rn. 23).
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(3) Soweit die Klagepartei das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer sog. „Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung“ rügt, die nur auf dem Prüfstand aktiv sei, fehlt es ebenfalls an greifbaren Anhaltspunkten für ein sittenwidriges Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen.
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(i) So ist schon nicht ersichtlich, dass das Kraftfahrtbundesamt (KBA) die gerügte Funktion grundsätzlich und unabhängig von ihrer Relevanz für die Einhaltung der Stickoxidgrenzwerte auf dem Prüfstand beanstandet hätte. Wie dem Senat aus Parallelverfahren bekannt ist und die Klagepartei selbst vorträgt (S. 26 der Berufungsbegründung; Bl. 462 d.A.), nimmt das KBA nur dann eine unzulässige Abschalteinrichtung an und ordnet einen verpflichtenden Rückruf an, wenn ohne die Funktion die gesetzlichen Grenzwerte auf dem Prüfstand nicht mehr eingehalten werden. Dass dies bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug der Fall wäre, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Vielmehr ist das Fahrzeug – wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat – gerade nicht von einem verpflichtenden Rückruf des KBA betroffen, sondern es wird für das Fahrzeug eine freiwillige Servicemaßnahme der Beklagten angeboten.
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Entgegen der Behauptung der Klagepartei lässt sich ein amtlicher Rückruf des Fahrzeugs auch nicht dem auf S. 24 der Berufungsbegründung eingeblendeten Auszug aus der Rückrufdatenbank des KBA entnehmen (Bl. 460 d.A.). Denn danach sind nur Fahrzeuge mit Baujahr 2008 – 2011 von diesem Rückruf betroffen sowie Fahrzeuge der B-Klasse nur insoweit, als in diesen ein Dieselmotor OM 640 verbaut ist. Diese Voraussetzungen treffen auf das streitgegenständliche Fahrzeug Mercedes Benz B 200 TDI, das über einen Dieselmotor OM 651 verfügt und erstmals am 16.05.2012 zugelassen wurde, nicht zu. Überdies geht aus dem in Bezug genommenen Auszug aus der Rückrufdatenbank in Übereinstimmung mit dem Vortrag der Beklagten hervor, dass sich die Beanstandungen des KBA gegenüber der Beklagten nur auf bestimmte Fahrzeuge und nicht auf einen Motortyp insgesamt beziehen, wie durch die von der Beklagten als Anlage BB 01 vorgelegte amtliche Auskunft des KBA nochmals bestätigt wird.
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Im Übrigen setzt das Angebot einer freiwilligen Servicemaßnahme wie im vorliegenden Fall voraus, dass das Fahrzeug und seine Software amtlich untersucht und dabei keine unzulässige Abschalteinrichtung durch das KBA festgestellt worden ist. Dies ergibt sich aus den von der Beklagten vorgelegten amtlichen Auskünften des KBA gemäß Anlagen BB 02 und BB 03 sowie aus der Website des KBA unter „Fragen & Antworten zu Software-Nachrüstungen“. Gleiches ist dem ebenfalls über die Website abrufbaren und als Anlage K 34 vorgelegten Ergebnisbericht zur „Wirksamkeit von Software-Updates zur Reduzierung von Stickoxiden bei Dieselmotoren“ (Stand 10.01.2020, S. 14) zu entnehmen, der hierzu im Einzelnen – insbesondere zu den durchgeführten Prüfungen einschließlich Fahrten im realen Straßenverkehr (RDE) vor Genehmigung des freiwilligen Software-Updates – weitere Erläuterungen enthält. Aus dem Rückruf anderer Fahrzeuge kann die Klagepartei daher bezogen auf das streitgegenständliche Fahrzeug nichts weiter ableiten.
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(ii) Die von der Klagepartei angesprochene „Konditionierung“ (S. 27 f. der Berufungsbegründung, Bl. 463 f. d.A.) ist Teil des gesetzlich vorgeschriebenen Prüfprozesses und scheidet deshalb als Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Manipulation aus. Das Vorliegen einer Prüfstanderkennungssoftware behauptet die Klagepartei pauschalierend, ohne dass hierfür in Bezug auf das konkrete Fahrzeug weitere Anhaltspunkte ersichtlich sind.
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(iii) Im Übrigen erscheint die Auffassung der Beklagten, die Ausgestaltung des geregelten Kühlmittelthermostats sei mit Blick auf ein besonders positives „Tradeoff“ zwischen Stickoxiden und Partikelemissionen in definierten Betriebszuständen bei Fahrbeginn (S. 34 der Berufungserwiderung; Bl. 603 d.A.) und damit aus Gründen des Motorschutzes zulässig, jedenfalls vertretbar. Dies folgt schon daraus, dass – wie dargelegt – die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung vom KBA in einer Reihe von Fahrzeugen wie auch im streitgegenständlichen Fahrzeug nicht beanstandet worden ist. Anders als bei der Umschaltlogik des EA 189 kann daher auch nicht unterstellt werden, dass die Verwendung der geschilderten Funktion der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung auf einer strategischen Grundsatzentscheidung beruht haben muss, die nur auf höchster Ebene erfolgt sein kann. Hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands der Beklagten sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Grundsätze der sekundären Darlegungslast greifen insoweit nicht ein.
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(4) Soweit die Klagepartei behauptet, dass das vorhandene Thermofenster, das ihrem (bestrittenen) Vorbringen zufolge bei kühleren Temperaturen ab 17 °C ein Zurückfahren der Abgasrückführung und jedenfalls bei einer Umgebungstemperatur von 5 °C eine signifikante Reduktion derselben bewirke (S. 29 der Berufungsbegründung; Bl. 465 d.A.), eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle, rechtfertigt dies den Vorwurf der Sittenwidrigkeit ebenfalls nicht.
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Wie oben dargelegt, reicht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Einsatz eines Thermofensters – dessen Unzulässigkeit unterstellt – für sich genommen nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zu begründen. Anhaltspunkte dafür, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des Thermofensters in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, zeigt die Klagepartei im Streitfall auch in der Berufungsbegründung nicht auf.
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Gegen ein besonders verwerfliches Verhalten der Beklagten sprechen wiederum die vom KBA durchgeführten Überprüfungen und die fehlende Beanstandung des Fahrzeugs. Hinzu kommt, dass die Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des von allen Herstellern eingesetzten und mit dem Schutz des Motors begründeten Thermofensters angesichts der kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a VO (EG) Nr. 715/2007 als unsicher anzusehen ist. Auch in dem im Internet abrufbaren Bericht der vom Bundesverkehrsministerium eingesetzten Untersuchungskommission „Volkswagen“ ist von der Unschärfe dieser Ausnahmevorschrift die Rede, die auch weite Interpretationen zulasse (S. 123). Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt aber für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten – ebenso wie für den erforderlichen Schädigungsvorsatz – nicht (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721, Rn. 31 f.). Die vom EuGH nunmehr mit Urteil vom 17.12.2020 (Rechtssache C-693/18, NJW 2021, 1216) vorgenommene Auslegung der vorgenannten Vorschrift vermag an einer zum damaligen Zeitpunkt jedenfalls vertretbaren Einschätzung der Beklagten nichts zu ändern.
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Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht daraus, dass die Klagepartei darüber hinaus jedenfalls eine fehlende Offenlegung des Thermofensters hinsichtlich des konkreten Temperaturbereichs durch die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren behauptet (S. 74 der Berufungsbegründung; Bl. 510 d.A.). Auch aus einer etwaigen unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters gegenüber dem KBA folgen keine Anhaltspunkte dafür, dass für die Beklagte tätige Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Selbst wenn die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren – erforderliche – Angaben zu Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 13.10.2021 – VII ZR 179/21, Rn. 17; BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721, Rn. 26). Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297, Rn. 24), sind mithin nicht ersichtlich (ebenso BGH a.a.O.).
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(5) Aus dem Verweis der Klagepartei auf ein Verfahren in den USA (S. 53 der Berufungsbegründung; Bl. 489 d.A.) lässt sich angesichts der fehlenden Vergleichbarkeit der für den US-Markt hergestellten Fahrzeuge und Motoren mit den für den europäischen Markt produzierten Fahrzeugen, die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen und Schadstoff-Grenzwerten unterliegen, für das streitgegenständliche Fahrzeug nichts weiter ableiten.
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(6) Ein unzulässiger Eingriff in das On-Board-Diagnosesystem ergibt sich entgegen der Ansicht der Klagepartei nicht daraus, dass dieses keine Fehlermeldung bei einer (behauptet) unzureichenden Abgasreinigung anzeigt. Vielmehr ist es selbstverständlich, dass die Systeme in einem Pkw aufeinander abgestimmt sind und bei programmierungsgemäß arbeitenden Komponenten Fehlermeldungen nicht erscheinen. Im Übrigen überwacht das OBD-System nur die abgasbeeinflussenden Systeme, wirkt aber auf diese nicht ein. Unterbliebene Fehlermeldungen durch das OBD-System haben solange keinen Indizcharakter, als keine hinreichend greifbaren Anhaltspunkte für eine damit verschleierte unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen.
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2. Ein Anspruch der Klagepartei aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB scheitert bereits daran, dass es an der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden fehlt (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, Rn. 18 ff.).
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3. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV steht der Klagepartei nicht zu, da der von ihr geltend gemachte Schaden nicht in den Schutzbereich der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV fällt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rn. 72 ff.; Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, Rn. 10 ff.). Der Senat schließt sich insoweit den überzeugenden Ausführungen des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs an, der auch die Voraussetzungen einer unionsrechtlichen Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV in Bezug auf § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 geprüft und verneint hat. Diese Ansicht wird vom VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs geteilt (vgl. BGH, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 326/21), der außerdem zutreffend dargelegt und begründet hat, warum die Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 19. Dezember 2019 ebenfalls keinen Anlass gibt, an der Annahme eines „acte clair“ zu zweifeln (vgl. BGH a.a.O., Rn. 3).
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4. Auf die Ausführungen der Klagepartei zur Berechnung der Nutzungsentschädigung kommt es angesichts der vorstehenden Erwägungen nicht mehr an.
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Zur Vermeidung weiterer Kosten regt der Senat die Zurücknahme der offensichtlich unbegründeten Berufung an. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz).