Titel:
Kein Anspruch auf Schadensersatz wegen des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in ein Dieselfahrzeug (hier: Mercedes-Benz B 200 CDI)
Normenketten:
BGB § 31, § 826
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. auch zum Motor OM 651 grundlegend BGH BeckRS 2021, 33038; BeckRS 2021, 38651 sowie KG BeckRS 2024, 4584; OLG Brandenburg BeckRS 2023, 42525; OLG Bamberg BeckRS 2023, 41941; BeckRS 2024, 9113; BeckRS 2023, 41942 (mwN in Ls. 1); OLG Celle BeckRS 2024, 5732; OLG Köln BeckRS 2023, 44815; OLG Stuttgart BeckRS 2023, 35690; BeckRS 2022, 40422 (mwN in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Erkennt die Motorsteuerungssoftware, ob nur die Antriebsachse rotiert, der Lenkradeinschlag nicht mehr als 15 Grad beträgt und Radio sowie Multimedia-Einheit ausgeschaltet sind, kann dies ggf. zusammen mit einer ebenfalls per se nicht aussagekräftigen Überschreitung von Grenzwerten im realen Fahrbetrieb den Schluss auf ein sittenwidriges Verhalten der Herstellerin, sei es in Form der Verwendung einer sog. Umschaltlogik, sei es durch bewusste Verwendung einer sonstigen unzulässigen Abschalteinrichtung unter billigender Inkaufnahme des Gesetzesverstoßes nahelegen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, OM 651, unzulässige Abschalteinrichtung, Prüfstanderkennung, Motorsteuerungssoftware, Antriebsachse, Lenkradeinschlag, Radio, Multimedia-Einheit
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 09.03.2022 – 18 U 4479/20
LG Traunstein, Endurteil vom 30.06.2020 – 1 O 859/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 07.08.2024 – VIa ZR 641/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 59072
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 30.06.2020, Aktenzeichen 1 O 859/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Traunstein ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 23.170,67 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger, der am 28.06.2012 nach eigener Darstellung einen vom sog. Diesel-Abgasskandal betroffenen Pkw Mercedes-Benz B 200 CDI mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (EU 5) als Gebrauchtfahrzeug erworben hat, nimmt die Beklagte als Herstellerin auf Schadensersatz Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie auf Feststellung des Annahmeverzugs und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Anspruch. Das streitgegenständliche Fahrzeug unterliegt keinem verpflichtenden Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA), es wird lediglich ein freiwilliges Software-Update angeboten. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstands und der Anträge in erster Instanz wird im Übrigen auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Traunstein vom 30.06.2020 (Bl. 408/409 d.A.) Bezug genommen.
2
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da sich dem Klägervortrag eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nicht entnehmen lasse. Dieser gehe nicht näher darauf ein, welche Manipulation konkret bei der Software des streitgegenständlichen Pkw vorliegen solle. Ferner werde auch nicht konkret dargestellt, was im Einzelnen für das Vorliegen eines Schädigungsvorsatzes durch die Organe oder Mitarbeiter der Beklagten spreche. Im Falle eines rein freiwilligen Software-Updates spreche die Entscheidung des Kraftfahrtbundesamtes dafür, dass die Abweichung der Motorsoftware noch in einem moderaten Bereich liege, der es als hinnehmbar erscheinen lasse, dass eine nicht unerhebliche Zahl der betroffenen Fahrzeuge keine Anpassung an die zutreffenden Einstellungen erhalte. Bei einer solchen moderaten Abweichung sei es durchaus denkbar, dass bei der Einschätzung der zum Motorschutz erforderlichen Parameter von den Organen oder Mitarbeitern der Beklagten versehentlich Fehler begangen worden seien, was im vorliegenden Fall für die Begründung eines Schadensersatzanspruches nicht ausreichend wäre. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 410/413 d.A.) verwiesen.
3
Gegen dieses Urteil hat die Klagepartei form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Wegen des Berufungsvorbringens der Klagepartei wird auf die Berufungsbegründung vom 30.08.2020 (Bl. 437/566 d.A.) Bezug genommen.
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Traustein, 1 O 859/19, verkündet am 30.06.2020 und zugestellt am 30.06.2020,
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 31.300,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.03.2019 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 8.129,33 sowie einer weiteren im Termin zu benennenden Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Mercedes Benz B 200, 1,8 mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
- 2.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 21.03.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
- 3.
-
Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.256,24 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.03.2019 zu zahlen.
Hilfsweise das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Traunstein, 1 O 859/19, verkündet am 30.06.2020 und zugestellt am 30.06.2020, aufzuheben und zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen.
5
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
6
Auf die Berufungserwiderung der Beklagten vom 06.11.2020 (Bl. 570/613 d.A.) wird Bezug genommen.
7
Der Senat hat mit Beschluss vom 09.03.2022 (Bl. 614/624 d.A.) darauf hingewiesen, dass und aus welchen Gründen er beabsichtige, die Berufung der Klagepartei gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Mit Schriftsatz vom 30.03.2022 (Bl. 626/629 d.A.), auf den Bezug genommen wird, ist die Klagepartei der beabsichtigten Vorgehensweise entgegengetreten.
8
Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 30.06.2020, Aktenzeichen 1 O 859/19, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
9
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweisbeschluss des Senats vom 09.03.2022 Bezug genommen. Richterin am Oberlandesgericht H., die an dem Beschluss vom 09.03.2022 nicht mitgewirkt hat, nunmehr aber anstelle von Richter am Oberlandesgericht N. mit zur Entscheidung berufen ist, tritt dem Beschluss in vollem Umfang bei.
10
Die Ausführungen in der Gegenerklärung der Klagepartei vom 30.03.2022 geben zu einer Änderung keinen Anlass. Der Senat hält auch nach nochmaliger Prüfung daran fest, dass die Klagepartei das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§§ 826, 31 BGB) nicht nachvollziehbar dargelegt hat. Greifbare Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten fehlen.
11
1. Soweit die Klagepartei auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25.11.2021 – III ZR 202/20 verweist, kann sie hieraus mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte für das vorliegende Verfahren nichts weiter ableiten. Insbesondere hatte der dortige Kläger greifbare Anhaltspunkte vorgetragen, die den Verdacht begründeten, das Fahrzeug weise eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer unzulässigen Prüfstanderkennung auf. Nach den bindenden tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die dortige Beklagte nicht in Abrede gestellt, dass die Motorsteuerungssoftware erkennen könne, ob nur die Antriebsachse rotiert, der Lenkradeinschlag nicht mehr als 15 Grad beträgt und Radio sowie Multimedia-Einheit ausgeschaltet sind. Vorliegend fehlen jedoch – wie im Hinweisbeschluss bezogen auf die einzelnen Behauptungen der Klagepartei näher dargelegt – entsprechende Anhaltspunkte, die ggf. zusammen mit einer ebenfalls per se nicht aussagekräftigen Überschreitung von Grenzwerten im realen Fahrbetrieb den Schluss auf ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten, sei es in Form der Verwendung einer sog. Umschaltlogik, sei es durch bewusste Verwendung einer sonstigen unzulässigen Abschalteinrichtung unter billigender Inkaufnahme des Gesetzesverstoßes nahelegen könnten. Insbesondere geht die Klagepartei auch weiterhin nicht auf den Umstand ein, dass für das streitgegenständliche Fahrzeug nach Prüfung durch das KBA eine freiwillige Servicemaßnahme angeboten wird. Ebenso wenig setzt sie sich mit dem Vorliegen einer möglicherweise unzutreffenden, aber vertretbaren Rechtsauffassung auf Seiten der Beklagten auseinander.
12
2. Entgegen der Auffassung der Klagepartei ist eine Zurückweisung der Berufung nicht nach § 522 Abs. 2 ZPO Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO ausgeschlossen.
13
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BGH, Beschluss vom 22.09.2015 – II ZR V 310/14, ZIP 2016, 266, Rn. 3; Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 543 Rn. 11). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten bestehen u.a. dann, wenn die Rechtsfrage vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird, oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden (BGH a.a.O. m.w.N.). Bezugspunkte sind einerseits die in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO als selbständiger Zulassungsgrund definierten Kriterien der Fortbildung des Rechts und der Wahrung der Rechtseinheit, andererseits die Praxis der Instanzgerichte oder nachhaltige Bedenken im Schrifttum gegen höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. Zöller/Heßler a.a.O.).
14
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die aufgeworfenen Rechtsfragen lassen sich – wie im Hinweisbeschluss ausgeführt – auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zweifelsfrei beantworten. Der Senat wendet diese Rechtsprechung vorliegend auf den konkreten Fall an.
15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
16
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
17
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG, § 3 ZPO bestimmt.