Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 08.11.2022 – B 5 K 21.171
Titel:

Ruhestandsversetzung eines Lehrers

Normenketten:
BeamtStG § 26 Abs. 1
BayBG Art. 65 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Der Dienstherr muss sich zumindest in den Grundzügen darüber bewusst sein, in welcher Hinsicht Zweifel am Gesundheitszustand des Beamten bestehen und welche ärztlichen Untersuchungen zur endgültigen Klärung erforderlich sind. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Dienstunfähigkeit bezieht sich auf die Erfüllung der Dienstpflichten des Amts im abstrakt-funktionellen Sinn, das heißt jenen Aufgabenbereich, der einem bestimmten Amt im statusrechtlichen Sinne bezogen auf die konkrete Behörde zugeordnet ist. Dauernd dienstunfähig ist der Beamte dabei nicht nur dann, wenn es ihm nicht möglich ist, seinen Arbeitsplatz aufzusuchen, sondern auch dann, wenn es ihm nicht möglich ist, eine bezogen auf sein Amt vollwertige Dienstleistung zu erbringen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein im Zurruhesetzungsverfahren verwendetes (amts-)ärztliches Gutachten darf sich nicht darauf beschränken, nur ein Untersuchungsergebnis mitzuteilen. Es muss auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe enthalten, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Entscheidung über die Zurruhesetzung erforderlich ist. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fehlverhalten eines Lehrers, psychische Erkrankung als Ursache, Frage der Dienstfähigkeit (verneint), Lehrer, vorzeitige Ruhestandsversetzung, Ruhestandsversetzung, dauernde Dienstunfähigkeit, psychische Erkrankung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 09.08.2024 – 3 ZB 23.3
Fundstelle:
BeckRS 2022, 59015

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.  

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen seine vorzeitige Ruhestandsversetzung durch die Beklagte mit Bescheid vom 21.01.2021.
2
1. Der am … geborene Kläger stand seit dem 01.08.2010 als Studienrat (Lehramt am Gymnasium mit der Fächerverbindung Biologie und Chemie) im Dienst der Beklagten. Im Jahr 2007 hatte er die erste Staatsprüfung mit der Note 3,26 abgeschlossen, im September 2009 die zweite Staatsprüfung mit der Note 3,55. Am 01.08.2010 wurde er zum Studienrat (Besoldungsgruppe A 13) ernannt. Seit dem 15.02.2012 stand er im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit.
3
Der Kläger hatte sich mit Schreiben vom 07.04.2010 bei der Stadt … um Übernahme in ein Studienratsverhältnis am städtischen Gymnasium beworben. Mit Beschluss des Personalausschusses der Stadt … vom 12.05.2010 wurde der Kläger ab Beginn des Schuljahres 2010/2011 für die Fächerverbindung Biologie/Chemie in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 13/14 ab dem 01.08.2010 eingewiesen und als Lehrkraft am städtischen Gymnasium unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe als Studienrat eingestellt.
4
Nach der Probezeitbeurteilung vom 09.01.2012 (Beurteilungszeitraum 01.08.2010 bis 15.02.2012) habe sich der Kläger rasch am Gymnasium eingefügt. Mit seiner ruhigen und überlegten Art komme er bei Schülern, aber auch bei deren Eltern gut an. Mit dem Kollegium und der Schulleitung arbeite er reibungslos zusammen. Sein Unterricht sei gewissenhaft vorbereitet und werde schülergerecht durchgeführt. Er sei belastbar und hoch motiviert. Daraufhin beschloss der Personalausschuss des Stadtrats der Stadt … am 11.01.2012, dass der Kläger mit Wirkung vom 15.02.2012 in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen werde. Die entsprechende Urkunde wurde dem Kläger am 14.01.2012 ausgehändigt.
5
In der periodischen Beurteilung 2014 (eröffnet am 08.05.2015) erhielt der Kläger das Gesamturteil VE, d.h. eine Leistung, die den Anforderungen voll entspricht. In den ergänzenden Bemerkungen heißt es, dass der Kläger mit seinen Klassen Exkursionen unternehme und sie zur Teilnahme an Wettbewerben mit beachtenswerten Erfolgen motiviere. Das Gesamtergebnis wurde damit begründet, dass Unterricht und Erziehung die Hauptaufgaben einer Lehrkraft seien und deshalb bei der Bildung des Gesamturteils zentrale Bedeutung hätten. Der Kläger stehe mit seinem umfangreichen Fachwissen der Schule jederzeit bei Veranstaltungen zur Verfügung. Ihm übertragene Aufgaben erfülle er stets zuverlässig.
6
In der periodischen Beurteilung 2019 erzielte er erneut das Gesamtprädikat VE. In den ergänzenden Bemerkungen heißt es, dass der Kläger hilfsbereit und engagiert sei und seine Schüler immer wieder zu erfolgreichen Teilnahmen an Wettbewerben motivieren könne. Im Unterricht und Prüfungssituationen sei er sehr gut vorbereitet, er solle sich jedoch flexibler zeigen und sich trauen, spontan auf das Lehrer-Schüler-Gespräch einzugehen. Vor allem in höheren Jahrgangsstufen komme es manchmal zu Beschwerden von Schülern und Eltern hinsichtlich seiner Unterrichtsführung und Notengebung. Hier müsse der Kläger weiter an seinem Erscheinungsbild gegenüber den ihm anvertrauten Schülern arbeiten. Für die Forscherklassen der Unterstufe habe er sich sehr eingesetzt. In der Begründung des Gesamtergebnisses wurde erneut auf die zentrale Bedeutung von Unterricht und Erziehung als Hauptaufgaben einer Lehrkraft verwiesen. Der Kläger verfüge über umfangreiches Fachwissen und bereichere damit das Schulleben. Wenn es notwendig sei, sei er stets bereit, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen. Sein Erscheinungsbild bei Schülern und Eltern solle er weiter verbessern.
7
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 24.01.2020 mit, dass mit Verfügung vom selben Tag gegen ihn wegen des Verdachts eines innerdienstlichen Dienstvergehens im Sinne des § 47 Abs. 1 Satz 1 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) ein Disziplinarverfahren nach Art. 19 Abs. 1 des Bayerischen Disziplinargesetzes (BayDG) eingeleitet worden sei. Ausgangspunkt seien laut internem Aktenvermerk vom selben Tag im Wesentlichen drei Punkte: (geschlechterbezogene) Grenzüberschreitungen (Schülerinnen fühlten sich durch anzügliche Bemerkungen belästigt), Schüler fühlten sich durch Notengebung ungerecht behandelt und atmosphärische Störungen (Erzeugung eines Klimas der Angst). Zu diesem Thema habe bereits am 05.06.2018 mit dem derzeitigen Bevollmächtigten und dem Kläger persönlich ein Personalgespräch stattgefunden. Der Verdacht eines Dienstvergehens wurde in diesem Aktenvermerk auf zwei unterschiedliche Vorkommnisse gestützt.
8
Vom 29.01.2020 bis zum 26.06.2020 war der Kläger durchgehend dienstunfähig erkrankt.
9
Mit Datum vom 27.02.2020 legten verschiedene Kollegen des Klägers Stellungnahmen vor, die in einem Geheft zur Überprüfung der Dienstfähigkeit des Klägers aufgrund qualitativer und quantitativer Häufung von Vorwürfen zusammengestellt wurden. Das Verhalten des Klägers gebe danach seit Jahren Anlass zu Beschwerden. Die von zahlreichen Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern vorgebrachten Vorwürfe zielten immer wieder auf die gleichen Inhalte ab und würden immer wieder erhoben. Der Unterricht sei so gestaltet, dass die Schüler voller Angst daran teilnehmen würden. Manche Schüler würden sich bereits am Morgen der Tage, an denen sie bei dem Kläger Unterricht hätten, wegen Übelkeit vom Unterricht abmelden. Selbst Schüler der Oberstufe seien bereit, ein Jahr zurückzutreten, um den Kläger zu umgehen. Die Schüler fühlten sich durch die Notengebung ungerecht behandelt. Der Kläger bevorzuge bei Abfragen bestimmte Lieblingsschüler, die leichte Fragen gestellt bekämen, wobei dabei häufig Mädchen betroffen seien. Bestimmte Mädchen würden im Unterricht bevorzugt. Das Verhalten gegen Schülerinnen sei immer wieder von Anzüglichkeiten geprägt, die das Maß überstiegen. Schülerinnen würden gegen ihren Willen zum nächsten Unterricht begleitet. Arbeitsblätter würden Mädchen nach Hause gefahren. Schülerinnen fühlten sich durch anzügliche Bemerkungen belästigt und bloßgestellt. Die Schulleitung habe in zahllosen Gesprächen immer wieder versucht, den Kläger zu einer Änderung seines Verhaltens zu bewegen. Letztlich würden alle Versuche daran scheitern, dass der Kläger alle Kritik stets zurückweise. Seine Notengebung belege er bei Nachfragen mit akribisch genauen Aufzeichnungen aller gestellten Fragen einschließlich der von den Schülern gegebenen Antworten. Die Akribie und Pedanterie wiesen auf eine unsichere Lehrerpersönlichkeit hin und seien weder von Vorschriften gefordert noch aus pädagogischen Gründen besonders sinnvoll, weil sie eine scheinbare Gerechtigkeit widerspiegelten, die es nicht gebe. Seit dem Jahr 2018 hätten sich Umfang und Schwere der Vorwürfe in einem Maß gehäuft, dass die Schulleitung die Personalverwaltung informiert und um Unterstützung gebeten habe. Trotz eines Personalgesprächs beim Personalreferenten sei es zu einer Häufung der Beschwerden gekommen. Am 30.03.2019 habe sich eine Mutter über die ungerechte Notenvergabe und vor allem die Behandlung ihres Sohnes (lauter, abweisender Ton) beschwert. Dasselbe Verhalten habe der Kläger der Mutter gegenüber an den Tag gelegt. Am 20.05.2019 habe laut Beschwerde der Mutter eine Schülerin an Übungen nicht teilnehmen dürfen, weil sie einen Wahlzettel nicht abgegeben habe. Laut Kläger müsse man Druck ausüben, damit Schüler Zettel rechtzeitig abgeben würden. Der Kläger habe den Vorwurf der Mutter bestätigt. Am 22.10.2019 hätten sich Eltern über das Verhalten des Klägers gegenüber ihrer Tochter (9. Klasse) beschwert. Der Kläger habe vor der Klasse gesagt, dass er von der Schülerin geträumt habe. Sie habe weiße Socken und Adiletten getragen, eine Dose Bier in der Hand gehabt und habe sich vor ihm die Nägel lackiert. Da sei er schweißgebadet aufgewacht. Die Klasse habe dazu gelacht, das Mädchen sich außerordentlich unwohl gefühlt. Nach der Abfrage habe es eine Notenbesprechung mit dem Kläger gegeben, die Schülerin habe alleine zu ihm kommen sollen, was sie nicht gewollt habe. Sie habe eine Freundin mitnehmen wollen, was der Kläger aber untersagt habe. Schüler dürften Noten anderer Schüler nicht erfahren, deswegen habe sie alleine kommen müssen. Im November 2019 hätten mehrere Kinder der 5. Klasse die Forscherklasse wechseln wollen, weil der Kläger ihnen Angst mache. Am 18.02.2020 habe eine Mutter der Schulleitung berichtet, dass sie an diesem Tage ihre Tochter weinend angetroffen habe, als sie ihr die Sporttasche in die Schule gebracht habe. Der Kläger habe sie wiederholt als verwirrt und verpeilt bezeichnet. Er habe geäußert, dass ihr Bild erscheine, würde man bei Google diese Begriffe eingeben. Die Mutter habe zudem in der Sprechstunde den Kläger gebeten, ihr das Bild zu zeigen, das er von ihrer Tochter gemacht habe. Dies habe der Kläger verweigert. Er habe ebenso verweigert, das Foto auf seinem Handy in ihrem Beisein zu löschen. Da Vorwürfe geschlechterbezogener Grenzüberschreitungen, wie sie derzeit aufträten, seit vielen Jahren die Unterrichtstätigkeit des Klägers begleiten würden, sei bereits am 13.02.2014 in Anwesenheit der damaligen Personalratsvorsitzenden und des damaligen stellvertretenden Schulleiters mit dem Kläger die Vereinbarung geschlossen worden, dass er grundsätzlich keine Einzelgespräche mit Schülerinnen führen dürfe, eine deutliche räumliche Distanz zu Schülerinnen bei Gesprächen einhalten solle und unbedingt jegliche Redensart vermeiden solle, die in irgendeiner Weise zweideutig ausgelegt werden könne. Es dürften keine Diskussionen und Nachforschungen mit Schülern über diese Problematik stattfinden. Am 05.06.2018 habe man dem Kläger die Problematik erneut ausführlich erörtert. Mit seinem Verhalten habe der Kläger gegen die dienstliche Weisung verstoßen.
10
Der Kläger zeige zunehmend auch Nachlässigkeiten im dienstlichen Verhalten, beispielsweise lieblose oder sinnlose Bemerkungen in Zeugnissen, unpünktliches Erscheinen im Unterricht, nachlässige Erledigung dienstlicher Aufgaben. Zudem habe er in der Klasse 9a im ersten Halbjahr keine einzige Stegreifaufgabe im Fach Chemie geschrieben. Dies verstoße gegen die Absprache der Fachschaft. Die Schulleitung habe ihn daher von den mündlichen Abiturprüfungen in der Oberstufe abgelöst, ihn nicht weiter in den Abiturklassen eingesetzt und ihn in der Unterstufe abgelöst. In diesem Schuljahr habe man ihn erstmals wieder in der Unterstufe eingesetzt. Dies habe dazu geführt, dass jetzt nach wenigen Wochen des neuen Schuljahres bereits mehrfach Schülerinnen darum gebeten hätten, den von ihm geleiteten Kurs wechseln zu dürfen. Am 06.12.2019 habe man ihn daher aus dieser Klasse genommen und in eine Klasse der Mittelstufe versetzt. Man könne den Kläger weder in der Ober- noch in der Unterstufe ohne erhebliche Probleme einsetzen. Daher bleibe nur die Mittelstufe, mit der Konsequenz, dass von den 15 Mittelstufenklassen 12 Klassen den Kläger im Unterricht haben müssten und damit nahezu letztlich alle Schüler in ihrer Schullaufbahn zwei oder drei Jahre lang vom Kläger unterrichtet werden müssten. Dies sei ein von keiner Seite zu akzeptierender Zustand, weil gerade auch in diesen Klassen massive Vorwürfe gegen sein Verhalten im Unterricht erhoben würden. Schüler der 8. Klassen hätten berichtet, dass sie solche Angst vor dem Unterricht bei dem Kläger und vor seinen Abfragen hätten, dass sie sich gegenseitig im Unterricht an den Händen hielten. Sein Einsatz sei pädagogisch nicht mehr vertretbar. Zusammenfassend halte die Schulleitung den Kläger für nicht mehr geeignet für den Lehrerberuf, da er den Anforderungen eines Lehrers, seinen Dienst zuverlässig zu verrichten und einen verantwortungsvollen Umgang und ein einwandfreies Verhalten gegenüber den ihm anvertrauten Schülerinnen und Schülern zu pflegen, nicht mehr gerecht werden könne. Eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger erscheine undenkbar.
11
Mit Schreiben vom 03.03.2020 wandte sich die Beklagte an das Landratsamt …, Fachbereich Gesundheitswesen, und führte aus, dass der Schulleiter des Gymnasiums mit Schreiben vom 28.02.2020 ausführlich dargelegt habe, dass er den Kläger aufgrund der aufgeführten Vorfälle als nicht (mehr) geeignet für die weitere Ausübung des Lehrerberufs halte. Es bestünden Zweifel an der Dienstfähigkeit des Klägers. Auf die Anlage werde verwiesen. Aus Gründen der Fürsorgepflicht sei zu prüfen, ob das Sozialverhalten des Klägers krankheitsbedingte Ursachen haben könnte. Der Kläger werde bis zum Abschluss der Untersuchung vorläufig von seinen Pflichten entbunden. Die Sichtweise der Schulleitung werde von Seiten der Personalverwaltung aufgrund der Eindrücke aus dem Personalgespräch am 05.06.2018 und dem Gespräch anlässlich der Aushändigung eines Schreibens am 24.01.2020 bestätigt. Es falle auf, dass der Kläger devot auftrete und entweder nicht oder nicht angemessen kommuniziere. Es sei außerdem ungewöhnlich, dass ein Personalgespräch in keiner Weise zu einer positiven Veränderung geführt habe, sondern die Grenzüberschreitungen eine nicht hinnehmbare Steigerung erfahren hätten. Es werde gebeten, den Kläger zur Frage der Dienstfähigkeit baldmöglichst amtsärztlich zu untersuchen. Dabei sei auch darauf einzugehen, ob gegebenenfalls eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung vorliege und welche Art der Behandlung empfohlen werde. Für die Einholung entsprechender Fachgutachten durch den Amtsarzt werde Kostenübernahme zugesichert. Der Kläger sei seit dem 30.01.2020 dienstunfähig erkrankt. Davor seien keine auffälligen krankheitsbedingten Fehlzeiten zu verzeichnen gewesen. Dem Schreiben lag ein Formblatt mit diversen Fragen an den Begutachtungsarzt bei.
12
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 02.04.2020 legte der Kläger eine persönliche Gegenvorstellung zu den im Disziplinarverfahren erhobenen Vorwürfen vor. Darauf wird Bezug genommen.
13
In dem von Klägerseite vorgelegten ärztlichen Attest des …, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 30.06.2020 zur Vorlage beim Gesundheitsamt teilte der behandelnde Arzt mit, dass der Kläger sich in der Rekonvaleszenzphase einer schweren depressiven Episode befinde. Demgemäß bestehe noch eine erhöhte Vulnerabilität für einen Relaps. Es sollte zum jetzigen Zeitpunkt aus fachärztlicher Sicht noch keine Konfrontation mit dem anhängigen Arbeitsplatzkonflikt stattfinden.
14
Der Kläger selbst teilte in einem Schreiben an das Landratsamt … vom 12.08.2020 mit, dass sich an der schweren Depression nichts geändert habe. Der Heilungsprozess benötige Zeit. Sein behandelnder Arzt befinde sich gerade im Urlaub. Sein nächster Termin bei ihm sei am 15.10.2020. Nach der Bewertung des Krankheitsverlaufs durch … versuche er, den für ihn zuständigen Amtsarzt, …, zeitnah schriftlich zu informieren. Wie … als Arzt sicherlich wisse, fielen den Menschen, die, wie der Kläger, unter einer schweren Depression litten, viele Vorgänge des alltäglichen Lebens schwer. Dazu gehöre für ihn auch die Kommunikation mit dem Gesundheitsamt. Er bitte daher um Nachsicht.
15
… vom Fachbereich Gesundheitswesen, Landratsamt …, informierte die Beklagte mit E-Mail vom 22.09.2020 über den mehrfachen, erfolglosen Versuch, den Kläger zu einer Begutachtung am Landratsamt … vorzuladen. Verzögerungen hätten sich zunächst durch die Corona-Pandemie ergeben. Anschließend habe er mehrfach versucht, den Kläger zu kontaktieren. Nach dem Urlaub des … habe dieser am 07.09.2020 ein Telefongespräch mit dem behandelnden Facharzt des Klägers geführt. Dieser habe die bisherige Behandlung geschildert und angegeben, den Kläger bis 20.09.2020 wieder einbestellen zu wollen. Sie hätten vereinbart, dass der behandelnde Arzt … bis spätestens 27.09.2020 über diese Sprechstunde informieren würde.
16
Die Beklagte forderte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 22.09.2020 unter Verweis auf Art. 65 Abs. 2 Satz 2 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG) erneut auf, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen.
17
Mit Schreiben vom 05.10.2020 wandte sich der behandelnde Psychiater des Klägers an den Amtsarzt … Der Kläger befinde sich danach seit dem 18.03.2020 wegen einer erstmalig aufgetretenen schweren depressiven Episode in seiner psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung. Zuletzt habe er ihn am 01.10.2020 konsultiert. Angesichts einer massiven Insomnie mit typischem Früherwachen habe er eine Behandlung mit dem klassischen, den Schlaf stabilisierenden Antidepressivum Amitriptylin eingeleitet. Wegen der ausgeprägten Grübelneigung und dem Antriebsverlust habe er außerdem noch Fluoxetin verordnet. Auch mit dieser Kombination sei der Besserungsverlauf – wie bei der Schwere des Syndroms zu erwarten gewesen sei – recht zögerlich. Erst im Juli sei es zu einer spürbaren Remission der Symptomatik gekommen. Ab da seien ausführlichere verhaltenstherapeutisch orientierte Gespräche möglich gewesen. Dabei habe der Kläger von einem Arbeitsplatzkonflikt berichtet, der Anfang des Jahres kulminiert sei und die Depression ausgelöst habe. Man habe ihm da eröffnet, dass nicht nur ein Disziplinarverfahren eingeleitet werde, sondern auch staatsanwaltliche Ermittlungen erfolgten. Letztere seien aber nach nur einer Woche wieder eingestellt worden. Damit könne korrespondieren, dass er auch im Rahmen der fachlichen Exploration kein Vergehen habe herausarbeiten können. Es ließen sich in seiner ausgeprägten Symptomatik keine Schuldgedanken eruieren, was ansonsten psychopathologisch naheliegend wäre. Nach der inzwischen erreichten und anhaltenden Besserung gehe er von einer Wiederherstellung des status quo ante aus. Prädisponierende Faktoren, zum Beispiel in seiner Persönlichkeit, die der Heilung seiner Depression entgegenstehen könnten, habe der behandelnde Arzt nicht festgestellt. Sein Lehramt in den Fächern Biologie und Chemie sei ihm eine Ressource und der Unterrichtsalltag bedeute keinesfalls Disstress für ihn.
18
Unter dem 08.10.2020 erstattete der Amtsarzt … nach persönlicher Untersuchung des Klägers vom 06.10.2020 zwischen 13:00 und 15:10 Uhr sowie der Beiziehung eines fachärztlichen Attestes des … vom 05.10.2020 und einem Telefonat mit dem behandelnden Psychiater vom 28.08.2020 ein Gutachten zur Dienstfähigkeit des Klägers. Darin führte er aus, dass führend zwei Diagnosen aus dem neurologisch-psychiatrischen Formenkreis zugrunde liegen würden, die in funktioneller Hinsicht erhebliche Auswirkungen hätten auf die Stimmung, den Antrieb, die Konzentrationsfähigkeit und die Fähigkeit zu normalem Alltagsleben, insbesondere bei Eintreffen multipler äußerer Reize. Die funktionellen Beeinträchtigungen seien mit der Ausübung des Berufs eines Gymnasiallehrers definitiv nicht vereinbar. Es sei aktuell von Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Geeignete Tätigkeiten, für die der Kläger eingesetzt werden könne, seien gegenwärtig nicht erkennbar. Es sei nicht davon auszugehen, dass innerhalb der nächsten sechs Monate die volle tätigkeitsbezogene Leistungsfähigkeit wiederhergestellt werde.
19
Nach Mitteilung der Beklagten, dass man beabsichtige, gegen den Kläger das Zwangspensionierungsverfahren einzuleiten, wandte sich dieser mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 09.11.2020 gegen die beabsichtigte Ruhestandsversetzung. Mit einer Genesung des Klägers innerhalb der nächsten sechs Monate sei zu rechnen. Es bestehe eine positive Zukunftsprognose dergestalt, dass der Kläger innerhalb dieser Zeit die volle tätigkeitsbezogene Leistungsfähigkeit wieder erreiche. Hierzu verweise man auf das ärztliche Attest des … vom 05.10.2020. Gleichzeitig beantragte er die Mitwirkung der Personalvertretung und der Gleichstellungsbeauftragten.
20
Der Personalausschuss des Stadtrates der Stadt … beschloss in seiner Sitzung vom 11.11.2020 einstimmig, dass der Kläger aufgrund des Gutachtens des Landratsamts … vom 08.10.2020 gemäß Art. 65 Abs. 3 BayBG in Verbindung mit § 26 Abs. 1 BeamtStG wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt würde. Sofern der Kläger keinen Antrag auf Ruhestandsversetzung stelle, werde die Verwaltung ermächtigt, ein Zwangspensionierungsverfahren nach Art. 66 BayBG durchzuführen.
21
Nachdem der Kläger die Möglichkeit zur Stellung eines Antrags auf Ruhestandsversetzung innerhalb offener Frist ungenutzt hatte verstreichen lassen, teilte die Beklagte dem Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 19.11.2020 mit, dass man beabsichtige, den Kläger gemäß Art. 66 BayBG in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen und gab diesem Gelegenheit zur Äußerung.
22
Mit Schreiben vom 15.12.2020 beteiligte die Beklagte den Personalrat im Zuge des Ruhestandsversetzungsverfahrens. Dieser teilte mit Schreiben vom 16.12.2020 mit, dass aufgrund der vorliegenden Gutachten der Gesamtpersonalrat keine Einwendungen gegen die beabsichtigte Maßnahme erheben werde. Die ebenfalls mit Schreiben vom 15.12.2020 beteiligte Gleichstellungsbeauftragte teilte mit Schreiben vom 18.12.2020 mit, dass auch sie keine Einwände gegen die beabsichtigte Ruhestandsversetzung habe.
23
Mit Bescheid vom 21.01.2021 wurde der Kläger mit Ablauf des Monats Januar 2021 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt (Ziffer 1). Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 dieses Bescheids wurde angeordnet (Ziffer 2). Zur Begründung bezog sich die Beklagte im Wesentlichen auf das amtsärztliche Gutachten des Landratsamtes … vom 08.10.2020. Aus diesem ergebe sich, dass innerhalb der nächsten sechs Monate die volle tätigkeitsbezogene Leistungsfähigkeit nicht erreichbar sei. Der Vortrag des Bevollmächtigten des Klägers, dass keine dauernde Dienstunfähigkeit vorliege, vermöge nicht zu überzeugen. Die sofortige Vollziehbarkeit der Ziffer 1 des Bescheides werde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) im öffentlichen Interesse angeordnet. Seitens der Beklagten bestehe ein dringendes Interesse, die Stelle eines Studienrats für die Fächer Biologie und Chemie nachzubesetzen, um einen geordneten Dienst- und Unterrichtsbetrieb zu gewährleisten.
24
2. Mit Schriftsatz vom 17.02.2021, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag, ließ der Kläger über seinen Bevollmächtigten Klage erheben mit dem Antrag:
die Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 21.01.2021 aufzuheben.
25
Zur Begründung ließ dieser im Wesentlichen ausführen, dass zum einen vor einer amtsärztlichen Untersuchung eine Begründung dieser Untersuchung und die Übermittlung eines Fragenkataloges notwendig, aber nicht erfolgt sei. Dies könne nachträglich nicht geheilt werden. Der angefochtene Bescheid sei daher bereits aus formellen Gründen rechtswidrig. Im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung habe … dem Kläger ein vorgefertigtes Schriftstück vorgelegt, in dem sich der Kläger mit der Gutachtenerstellung im Auftrag der Stadt … einverstanden erklären sollte. Der Kläger habe sich unter Druck gesetzt gesehen, dieses Schriftstück zu unterzeichnen. Er habe es aber vorher nur kurz lesen können. Der Kläger habe nicht gewusst, welche Fragen der Gutachter an ihn stellen würde und welche medizinischen Angaben gemeint seien, die der Gutachter machen müsse, damit die Beklagte in die Lage versetzt werde, eine fundierte Entscheidung zu treffen. Unter Übergabe eines Schreibens seines Psychiaters habe der Kläger den Amtsarzt gebeten, sich mit diesem in Verbindung zu setzen. Der behandelnde Psychiater … habe bereits eine schwere depressive Episode diagnostiziert gehabt. Diese sei erstmalig am 30.01.2020 aufgetreten nach einem Anhörungsschreiben der Beklagten vom 24.01.2020 wegen des Verdachts eines innerdienstlichen Vergehens. Herr … habe aber keine Veranlassung gesehen, hier einen Zusammenhang zu sehen und sich mit dem behandelnden Psychiater zu verständigen. Bereits aus diesem Grund sei die Untersuchung medizinisch fehlerhaft. … habe auch nicht medizinisch aufgeklärt, was die Ursache für die Depression des Klägers sei.
26
Bereits außergerichtlich habe sich der Kläger zwischenzeitlich gegen das Zwangspensionierungsverfahren gewandt und ausführen lassen, dass eine positive Zukunftsprognose bestehe. Der Kläger habe außerdem die Mitwirkung von Personalvertretung und Gleichstellungsbeauftragter beantragt. Beide hätten sich mit dem Kläger nicht in Verbindung gesetzt. Man bestreite die ordnungsgemäße Beteiligung mit Nichtwissen.
27
Ein in einem Ruhestandsversetzungsverfahren verwendetes amtsärztliches Gutachten dürfe sich zudem nicht – wie hier geschehen – darauf beschränken, lediglich ein Untersuchungsergebnis mitzuteilen. … verweise in seiner Stellungnahme auch auf von der Beklagten dem Gutachtenauftrag beigefügte Darstellungen. Diese seien dem Kläger nicht bekannt. Im Rahmen der Akteneinsicht bei der Beklagten am 12.03.2020 habe der Bevollmächtigte Kenntnis von einer Reihe von Stellungnahmen anderer Lehrkräfte erlangt.
28
Zusammenfassend sei festzuhalten, dass Ausgangspunkt für die Dienstunfähigkeit des Klägers seit 30.01.2020 der Umstand sei, dass die Beklagte mit Verfügung vom 24.01.2020 gegen den Kläger wegen des Verdachts eines innerdienstlichen Dienstvergehens ein Disziplinarverfahren eingeleitet habe. Dieser Umstand habe beim Kläger anfangs zu einer schweren depressiven Episode geführt, die behandlungsbedürftig gewesen sei. Aufgrund dieser Behandlung sei der Kläger auf dem Weg der Besserung. Dies ergebe sich aus dem Attest des … vom 05.10.2020.
29
Mit Schriftsatz vom 16.03.2021 beantragte die Beklagte:
Die Klage wird abgewiesen.
30
Der Amtsarzt habe in seine Begutachtung alle vom Kläger benannten ärztlichen Belege einfließen lassen und darüber hinaus mit dem behandelnden Facharzt des Klägers telefonische Rücksprache genommen. Weitere ärztliche Atteste seien vom Kläger weder im außergerichtlichen Verfahren noch mit der eingereichten Klagebegründung vorgelegt worden. Der Amtsarzt habe mit Gutachten vom 08.10.2020 völlig eindeutig festgestellt, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauerhaft unfähig im Sinne von § 26 Abs. 1 BeamtStG sei. Daher habe der Personalausschuss des Stadtrats … in seiner Sitzung am 13.01.2021 die Ruhestandsversetzung des Klägers wegen Dienstunfähigkeit beschlossen.
31
Mit Beschluss des Gerichts vom 01.09.2022 wurde der zuständige Amtsarzt … zur Erläuterung seines Gutachtens zur mündlichen Verhandlung geladen.
32
Hinsichtlich des weiteren Akteninhalts wird auf die Gerichtssowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen. Bezüglich des Vorbringens der Beteiligten sowie des Gutachters in der mündlichen Verhandlung, in der die Beteiligten ihre schriftlich gestellten Anträge wiederholten, wird auf das Protokoll vom 08.11.2022 verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
33
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Verfügung der Stadt … vom 21.01.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
34
Der angefochtene Bescheid vom 21.01.2021 begegnet weder in formeller noch in materiell-rechtlicher Hinsicht rechtlichen Bedenken.
35
Die Beklagte ist ohne Rechtsfehler zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger dauernd dienstunfähig im Sinne des § 26 Abs. 1 BeamtStG ist und eine anderweitige Verwendung nach § 26 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 und 3 BeamtStG nicht in Betracht kommt.
36
1. Die Beklagte war als Ernennungsbehörde für die Entscheidung über die Ruhestandsversetzung zuständig, Art. 66 Abs. 2 Satz 2, Art. 71 Abs. 1 Satz 1, Art. 18 Abs. 2 BayBG. Dem Kläger wurde die beabsichtigte Ruhestandsversetzung durch die Beklagte mit Gründen mitgeteilt, Art. 66 Abs. 1 BayBG. Der Kläger hatte über seinen Bevollmächtigten die Gelegenheit zur Erhebung von Einwendungen i.S.d. Art. 66 Abs. 2 Satz 1 BayBG, die er mit Schriftsatz vom 09.11.2020 geltend machte. Eine Mitwirkung des Personalrats nach Art. 76 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Satz 3 des Bayerischen Personalvertretungsgesetzes (BayPVG) erfolgte ausweislich der vorgelegten Behördenakten ebenso antragsgemäß wie die Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten, die jeweils keine Einwände gegen die beabsichtigte vorzeitige Ruhestandsversetzung erhoben.
37
Auch die Tatsache, dass dem Kläger im Vorfeld der amtsärztlichen Untersuchung ein Fragenkatalog nicht übersandt wurde, führt zu keinem formellen Mangel der angegriffenen Ruhestandsversetzung. Nach Art. 65 Abs. 2 Satz 1 BayBG ist der Beamte oder die Beamtin verpflichtet, sich nach Weisung des oder der Dienstvorgesetzten ärztlich untersuchen zu lassen, wenn Zweifel über die Dienstunfähigkeit bestehen. Formelle Erfordernisse in Vorbereitung auf die Untersuchung stellt die Vorschrift nicht auf. Zwar darf der Dienstherr hierbei dennoch nicht einfach nach der „lapidaren Überlegung“ vorgehen, der Betroffene wisse schon „worum es gehe“. Sowohl in der Untersuchungsanordnung als auch im ärztlichen Untersuchungsauftrag ist aber dem Bestimmtheitsgrundsatz ausreichend Rechnung getragen, wenn hinreichend deutlich gemacht wird, in welcher Hinsicht Zweifel am körperlichen Zustand oder der Gesundheit des Beamten bestehen und welche Fragen im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung geklärt werden sollen. Aus der Untersuchungsanordnung selbst müssen dementsprechend grundsätzlich Informationen zu Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung hervorgehen, sodass der Untersuchungsrahmen dem freien Ermessen des (Amts-)Arztes entzogen ist. Dem Beamten muss die Möglichkeit eingeräumt werden, die Anordnung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Dementsprechend muss sich der Dienstherr bereits im Vorfeld des Erlasses nach entsprechender sachkundiger ärztlicher Beratung zumindest in den Grundzügen darüber bewusst sein, in welcher Hinsicht Zweifel am Gesundheitszustand des Beamten bestehen und welche ärztlichen Untersuchungen zur endgültigen Klärung erforderlich sind (BeckOK BeamtenR Bayern/Buchard, 26. Ed. 1.9.2022, BayBG Art. 65 Rn. 18.2 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 14.3.2019 – 2 VR 5.18; BayVGH, B.v. 7.6.2019 – 3 CE 19.916; B.v. 18.2.2016 – 3 CE 15.2768). Dem Kläger war hier durch die vorangegangenen Schriftwechsel – auch durch die Korrespondenz seines behandelnden Psychiaters mit dem zuständigen Amtsarzt – als auch durch persönliche Gespräche in Anwesenheit seines Bevollmächtigten und die über diesen erfolgte Akteneinsicht am 12.03.2020 hinreichend bekannt, vor welchem Hintergrund er sich zur amtsärztlichen Untersuchung einfinden sollte. Die konkret zu stellenden Fragen brauchten ihm danach im Vorfeld nicht bekannt sein. Dem Erfordernis, dass der zu Untersuchende sich im Klaren darüber sein müsse, in welcher Hinsicht Zweifel an seinem körperlichen Zustand oder der Gesundheit bestehen und welche Fragen im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung geklärt werden sollen, wurde hier genüge getan.
38
2. Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht erweist sich die angegriffene Zurruhesetzungsverfügung als rechtmäßig. Die Beklagte ist rechtsfehlerfrei zu der Einschätzung gelangt, dass beim Kläger eine dauernde Dienstunfähigkeit i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG vorliegt.
39
a) Nach § 26 Abs. 1 BeamtStG ist ein Beamter in den Ruhestand zu versetzen, wenn er wegen seines körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) ist. Als dienstunfähig kann auch angesehen werden, wer infolge einer Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat, wenn keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer Frist, deren Bestimmung dem Landesrecht vorbehalten bleibt, die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Art. 65 Abs. 1 BayBG bestimmt für diese Frist einen Zeitraum von sechs Monaten. Von der Versetzung in den Ruhestand soll abgesehen werden, wenn eine anderweitige Verwendung möglich ist, § 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG. Die Dienstunfähigkeit bezieht sich auf die Erfüllung der Dienstpflichten des Amts im abstrakt-funktionellen Sinn, das heißt jenen Aufgabenbereich, der einem bestimmten Amt im statusrechtlichen Sinne bezogen auf die konkrete Behörde zugeordnet ist (vgl. Baßlsperger in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand November 2021, § 26 BeamtStG Rn. 14). Dauernd dienstunfähig i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG ist ein Beamter, wenn sich die Dienstunfähigkeit in absehbarer Zeit nicht beheben lässt (vgl. Baßlsperger in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, § 26 BeamtStG Rn. 23), d. h. wenn die Wiedererlangung der Dienstfähigkeit in absehbarer Zeit unwahrscheinlich ist (vgl. BVerwG, U.v. 30.8.1963 – VI C 178.61 – BVerwGE 16, 285 ff.). Dauernd dienstunfähig ist der Beamte dabei nicht nur dann, wenn es ihm nicht möglich ist, seinen Arbeitsplatz aufzusuchen, sondern auch dann, wenn es ihm nicht möglich ist, eine bezogen auf sein Amt vollwertige Dienstleistung zu erbringen (vgl. Baßlsperger a.a.O., § 26 BeamtStG Rn 15). Der Prognosezeitraum beträgt wie bei der in der Regel erleichterten Prognose des § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG sechs Monate, wobei hinsichtlich des Beginns maßgeblich auf den Zeitpunkt der ärztlichen Stellungnahme abzustellen ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.5.1994 – 3 CS 94.255). Für die Prognose ist weiter zu beachten, dass zunächst ausgehend von den amtsbezogenen Anforderungen ein leistungseinschränkender Sachverhalt festgestellt werden muss, zu dem dann eine Prognosewertung abgegeben werden muss. Zwischen den festgestellten Amtsanforderungen und dem sich nach dem leistungseinschränkenden Sachverhalt ergebenden Prognosebild muss sich eine Diskrepanz ergeben (vgl. Baßlsperger a.a.O., § 26 BeamtStG Rn. 12).
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Bei der Dienstunfähigkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der uneingeschränkten Nachprüfung der Verwaltungsgerichte unterliegt. Für die Feststellung der gesundheitsbedingten Einschränkungen der Leistungsfähigkeit eines Beamten kommt dem Dienstherrn kein der Kontrollbefugnis der Gerichte entzogener Beurteilungsspielraum zu (BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 2 C 37.13 und U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – jeweils juris). Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Prüfung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, vorliegend somit bei Erlass der Ruhestandsversetzungsverfügung vom 21.01.2021. Die materielle Rechtmäßigkeit der Ruhestandsversetzung hängt mithin von den Kenntnissen ab, die der zuständigen Behörde zu diesem Zeitpunkt zur Frage der Dienstunfähigkeit zur Verfügung standen (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.2009 – 2 C 46/08; BayVGH, B.v. 12.8.2005 – 2 B 98.1080 – jeweils juris). Zu diesem Zeitpunkt durfte die Beklagte nach den ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln zu Recht annehmen, dass der Kläger dienstunfähig im Sinne von § 26 Abs. 1 BeamtStG Art. 65 BayBG war.
41
Die Versetzung eines Beamten in den vorzeitigen Ruhestand wegen (dauernder oder prognostischer) Dienstunfähigkeit setzt die Feststellung seiner krankheitsbedingten Leistungseinschränkungen voraus. Diese Beurteilungsvorgänge erfordern in aller Regel besondere medizinische Sachkenntnisse, über die nur ein Arzt verfügt. Dabei wird amtsärztlichen Gutachten gegenüber privatärztlichen Gutachten nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung ein Vorrang eingeräumt (u.a. BayVGH, B.v. 28.11.2016 – 3 ZB 13.1665 – juris). Dieser Vorrang findet seine Rechtfertigung in der Neutralität und Unabhängigkeit des Amtsarztes. Im Gegensatz zu einem Privatarzt, der ggf. bestrebt ist, das Vertrauen des Patienten zu ihm zu erhalten, nimmt der Amtsarzt von der Aufgabenstellung her seine Beurteilung unbefangen und unabhängig vor. Er steht so Beamten und Dienstherrn gleichermaßen fern.
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Die gutachterliche Stellungnahme soll dem Dienstherrn die Prognoseentscheidung darüber ermöglichen, ob der Beamte zur Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten dauernd unfähig ist, ob er im Fall der Dienstunfähigkeit anderweitig verwendet werden kann und ob er ggf. begrenzt dienstunfähig ist. Zugleich muss das Gutachten dem Beamten ermöglichen, sich mit den Feststellungen und Schlussfolgerungen des Arztes und der darauf basierenden Entscheidung des Dienstherrn auseinanderzusetzen, um diese ggf. substantiiert anzugreifen (BayVGH, U. v. 25.1.2013 – 6 B 12.2062 – juris). Wie detailliert eine ärztliche Stellungnahme danach jeweils sein muss, kann nicht abstrakt beantwortet werden, sondern richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles. Ärztliche oder amtsärztliche Gutachten stellen allerdings nur eine medizinisch-fachliche Hilfestellung zur Beurteilung der Dienstunfähigkeit dar, auch wenn ihr Ergebnis faktisch maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung der Behörde hat. Die letztendliche rechtliche Würdigung und Einschätzung der Dienstfähigkeit muss daher der für die Ruhestandsversetzung zuständigen Behörde vorbehalten bleiben, da nur sie die konkreten Amtsanforderungen mit dem diagnostizierten Gesundheitszustand des Beamten in Relation setzen kann. Den Gesundheitszustand des Beamten muss daher der Arzt feststellen und medizinisch bewerten, die Schlussfolgerungen hieraus für die Beurteilung der Dienstfähigkeit zu ziehen ist dagegen Aufgabe der Behörde und ggfs. des Gerichts. Der Arzt wird lediglich als sachverständiger Helfer tätig, um den zuständigen Stellen diejenige Fachkenntnis zu vermitteln, die für deren Entscheidung erforderlich ist (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 2 C 37.13 unter Verweis auf BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 sowie B.v. 6.3.2012 – 2 A 5.10 – jeweils juris).
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Ein im Zurruhesetzungsverfahren verwendetes (amts-)ärztliches Gutachten darf sich daher nicht darauf beschränken, nur ein Untersuchungsergebnis mitzuteilen. Es muss auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe enthalten, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Entscheidung über die Zurruhesetzung erforderlich ist. Danach muss das Gutachten sowohl die notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt, das heißt die in Bezug auf den Beamten erhobenen Befunde, darstellen als auch die aus medizinischer Sicht daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die Fähigkeit des Beamten, seinen dienstlichen Anforderungen weiter zu genügen (vgl. BVerwG, U.v. 19.03.2015 – 2 C 37.13 – unter Verweis auf BVerwG, U.v. 30.10.2013 – 2 C 6.12 – sowie B.v. 13.03.2014 – 2 B 49.12 – jeweils juris).
44
b) Gemessen an diesen Maßstäben ist die Beklagte im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Ruhestandsversetzungsverfügung vom 21.01.2021 zu Recht von der Dienstunfähigkeit des Klägers ausgegangen. Eine hinreichende medizinische Tatsachengrundlage, um eine Entscheidung über die Dienstfähigkeit des Klägers zu treffen, lag mit dem amtsärztlichen Gutachten des … vom Fachbereich Gesundheitswesen des Landratsamts … vom 08.10.2020 für die Beklagte vor. Der begutachtende Amtsarzt führte nach einer am 06.10.2020 durchgeführten Untersuchung des Klägers zunächst aus, dass dieser seit 29.01.2020 bis 26.06.2020 durchgehend dienstunfähig erkrankt gewesen sei. Nach einer kurzen Zusammenfassung des Sachverhalts legte er dar, dass führend zwei Diagnosen aus dem neurologisch-psychiatrischen Formenkreis zugrunde liegen würden, die in funktioneller Hinsicht erhebliche Auswirkungen hätten auf die Stimmung, den Antrieb, die Konzentrationsfähigkeit und die Fähigkeit zu normalem Alltagsleben, insbesondere bei Eintreffen multipler äußerer Reize. Die funktionellen Beeinträchtigungen seien mit der Ausübung des Berufs eines Gymnasiallehrers definitiv nicht vereinbar. Zumindest als Teilursache seien die Erkrankungen für das Verhalten des Klägers plausibel verantwortlich, allerdings würden diejenigen Symptome, die nun zur Diagnose führten, vom Kläger als für den Zeitraum vor Januar 2020 als nicht vorhanden geschildert. Gleichlautend sei die Darstellung im fachärztlichen Attest des behandelnden Psychiaters. Inwieweit in Anbetracht der juristischen Dimension des Falles die Darstellungen des Klägers in der jetzigen Untersuchungssituation bzw. gegenüber seinem Facharzt zutreffend seien, könne nicht überprüft werden. Insofern sei festzustellen, dass die Diagnosen geeignet seien, zumindest teilweise das Verhalten, sofern es in den Darstellungen zutreffend wiedergegeben sei, zu begründen. Es lasse sich jedoch ex post die Angabe des Klägers, er habe die zur Diagnose führenden Symptome vor Januar 2020 nicht gehabt, nicht belastbar widerlegen. Ungeachtet einer Wertung der Darstellung des zwischenmenschlichen Verhaltens einerseits und des Dementis des Klägers andererseits, seien die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers gegenwärtig erheblich und würden mittel- bis langfristig eine Tätigkeit als Gymnasiallehrer ausschließen. Die vorliegenden Erkrankungen hätten erhebliche Auswirkungen auf die Fähigkeit zur sozialen Integration, die Konzentrationsfähigkeit, die Stimmungslage und den Antrieb. Der Kläger sei gegenwärtig nicht arbeitsfähig, auch Tätigkeiten ohne Publikumsverkehr oder Zeitdruck wären aktuell nicht durchführbar. Es sei aktuell von Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Geeignete Tätigkeiten, für die der Kläger eingesetzt werden könne, seien gegenwärtig nicht erkennbar. Weitere Untersuchungen anderer (Fach-)Ärzte seien aktuell entbehrlich. Es sei nicht davon auszugehen, dass innerhalb der nächsten sechs Monate die volle tätigkeitsbezogene Leistungsfähigkeit wiederhergestellt werde. Zumindest eine Teildienstfähigkeit sei aber aus medizinischer Sicht in einem längeren Zeitraum anzunehmen, nicht aber innerhalb der nächsten sechs Monate. Zur Verbesserung der Situation bzw. Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt die ambulante Therapie durch den psychotherapeutisch tätigen Psychiater angezeigt. Mittel- bis langfristig werde diese Behandlung voraussichtlich durch weitere Maßnahmen einschließlich Rehamaßnahmen zu ergänzen sein, die aktuell aber aufgrund ihres Settings kontraproduktiv wären. Ein Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz werde grundsätzlich für sinnvoll erachtet. Eine Nachuntersuchung sei dann angezeigt, wenn es im Verlauf, etwa durch therapeutische Maßnahmen, zu einer Änderung des Krankheitsbildes mit Auswirkung auf die Dienstfähigkeit gekommen sei.
45
In der mündlichen Verhandlung führte der Gutachter und Amtsarzt zur Erläuterung seines Gutachtens ergänzend aus, dass das Verhalten des Klägers zum Untersuchungszeitpunkt mit der durch seinen Psychiater gestellten Diagnose gut vereinbar gewesen sei. Der Kläger sei bei der Untersuchung in seinen Aussagen überlegt vorgegangen in der Hinsicht, dass es bereits wegen seines Verhaltens im Vorfeld Konflikte gegeben habe und er deswegen die Geschehnisse dargestellt habe, wie es aus seiner Sicht aus juristischem Blickwinkel sinnvoll gewesen sei. Als Diagnosen habe eine depressive Störung im Raum gestanden und die Darstellungen hätten darüber hinaus auch zu einer Angststörung gepasst. Dabei konnte der Gutachter auch plausibel darlegen, dass er diese konkreten, namentlich zu benennenden Diagnosen in dem Gutachten nicht ausdrücklich aufgeführt habe, weil er es als seine Aufgabe verstanden habe, eine funktionelle Diagnose zu erstellen. Die namentliche Benennung habe er für die Bewertung in diesem Rahmen als nicht wesentlich erachtet und er habe sich zudem für nicht berechtigt gehalten, die konkreten Diagnosen gegenüber dem Dienstherrn zu nennen.
46
Als beim Kläger im Untersuchungszeitpunkt vorliegende Symptome nannte der Gutachter u.a. Schlafstörungen, Verspannungen, Traurigkeit, die aber durch Angst verdrängt würde, und eine verminderte Konzentrationsfähigkeit. Der Kläger habe sich nach eigener Schilderung zunächst nicht in der Lage gesehen, den Amtsarzt aufzusuchen, habe ihm auch nicht die Tür öffnen können, als er zwecks Terminvereinbarung beim Kläger geklingelt habe. Er habe sich schwer belastet gefühlt, weil die Untersuchungssituation ihn überfordert habe. Der Gutachter führte weiter aus, dass die über den Kläger berichteten Grenzüberschreitungen gegenüber Schülerinnen zwar durch eine bestehende Depression verstärkt, nicht aber grundlegend verursacht werden könnten. Außerdem seien bereits ab 2014 Auffälligkeiten im Verhalten gegenüber Schülerinnen dokumentiert, eine Depression habe aber laut nicht widerlegbarer Angaben des Klägers erst seit Januar 2020 bestanden. Aus diesen Gründen seien die Verhaltensweisen des Klägers auch nur teilweise durch die diagnostizierte Erkrankung erklärbar. Auf Frage des Gerichts erläuterte der Gutachter schließlich, dass er die Beauftragung eines externen Psychiaters nicht für erforderlich erachtet habe, weil für die Erstellung einer Prognose zur Dienstfähigkeit des Klägers innerhalb der nächsten sechs Monate die erkennbare Symptomatik hinreichend gewesen sei. Letztlich habe der Kläger im Gespräch selbst diverse, im Untersuchungszeitpunkt bestehende Leistungseinschränkungen in Bezug auf seine Lehrertätigkeit angegeben: Mehrere gleichzeitig auf ihn einstürzende Reize würden ihn vollkommen verunsichern und vergesslich machen, z. B. wenn er sich mehreren Kindern und deren unvorhersehbarem Verhalten gleichzeitig gegenüber sehe. Auch bei Radfahren über 15 km/h würden zu viele Reize auf ihn einstürzen, ihn verunsichern und überfordern. Der Kläger habe sich laut den Ausführungen des Gutachters in der mündlichen Verhandlung nach eigenem Bekunden die Tätigkeit in einem Klassenzimmer mit mehreren Schülern im Untersuchungszeitpunkt noch überhaupt nicht vorstellen können.
47
Konkrete Anhaltspunkte, die Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Amtsarztes oder an der Stimmigkeit und Nachvollziehbarkeit seiner Ausführungen geben würden, hat die Klägerseite nicht vorgebracht und sind auch für das Gericht nicht ersichtlich. Mit der Bezugnahme des Klägers auf die Ausführungen seines behandelnden Therapeuten vom 07.09.2020 und 05.10.2020, die dieser in einem ärztlichen Schreiben vom 27.10.2022, das in der mündlichen Verhandlung vorgelegt wurde, nochmals wiederholt hat, hat er die medizinischen Feststellungen des Amtsarztes nicht substantiiert in Frage gestellt. Der behandelnde Psychiater attestierte dem Kläger für den maßgeblichen Zeitpunkt zwar eine zwischenzeitlich eingetretene anhaltende Besserung seiner psychischen Gesundheit. Jedoch ist Auftrag seines behandelnden Arztes nicht die Beurteilung der Auswirkungen einer Erkrankung auf die Dienstfähigkeit, sondern lediglich die Behandlung bzw. Heilung einer bestehenden Erkrankung. Insofern ist zu berücksichtigen, dass dem Amtsarzt hinsichtlich der Beurteilung der Dienstunfähigkeit gegenüber anderen Fachärzten besondere Sachkunde zukommt (vgl. BVerwG, B.v. 8.3.2001 – 1 DB 8/01 – juris Rn. 12; U.v. 5.6.2014 – 2 C 22/13 – BVerwGE 150, 1 juris Rn. 20). Darüber hinaus wurde bereits ausgeführt, dass den Ausführungen des behandelnden Arztes aufgrund seiner größeren Nähe und dem bestehenden längerfristigen Vertrauensverhältnis zum Beamten ein deutlich geringerer Beweiswert zukommt als dem neutralen Urteil eines Amtsarztes. Dieser Grundsatz ist vorliegend von besonderer Bedeutung insofern, als das Bild, das die Ausführungen des Gutachters ergeben, durch das vom Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vorgelegte „Gedächtnisprotokoll“, das der Kläger nach seinen Ausführungen im unmittelbaren Anschluss an die amtsärztliche Untersuchung erstellt haben will, bestätigt und abgerundet wird. Dieses Bild weicht im Ergebnis erheblich von den Ausführungen seines behandelnden Arztes ab. Im Rahmen dieses – zu den Akten genommenen – neunseitigen Schreibens des Klägers vom 06.10.2020 erwähnt dieser selbst immer wieder, dass er – auch im Untersuchungszeitpunkt – unter medikamentöse Behandlung erfordernden Angstzuständen und einer massiv negativen Stimmungslage leide. So führt er beispielsweise aus, dass er sich während der amtsärztlichen Untersuchung sehr unwohl fühle, sich wie in einem Stasi-Verhörraum vorkomme und nach Fluchtwegen aus dem Raum suche. Durch die Bemerkung des Amtsarztes, er solle sich ruhig umsehen, habe er gefühlt, wie Panik in ihm aufsteige. Er hoffe, dass das Lorazepam, das er eine halbe Stunde zuvor eingenommen habe, wirke und die Angst unterdrücke. Trotzdem beginne ihm schwindelig zu werden. Als der Amtsarzt um Vorlage des Impfpasses gebeten und gleichzeitig darauf hingewiesen habe, dass der Kläger aber ja nicht wegen eines Impfvergehens zur Untersuchung habe kommen sollen, habe der Kläger allein wegen des Wortes „Vergehen“ gespürt, dass die Panik fast da sei, aber irgendwie noch zurückgehalten werde. An anderer Stelle führt er aus: „Spüre einen Schub in mir, bin wieder klar bei Sinnen und erkläre…“. Das Gespräch mit dem Amtsarzt habe er als „Duell“ empfunden. Auf Seite vier des Gedächtnisprotokolls heißt es weiter: „Was nun folgt ist eine detaillierte Beschreibung der Symptome meiner Krankheit. Als Beginn der Depression nenne ich den 24. Januar 2020, dem Freitag an dem mir eröffnet wurde, dass juristisch gegen mich vorgegangen wird. Dass ich ab da nur schwer einschlafen konnte. Und am nächsten Morgen antriebslos war. Dass kreißende Gedanken starke Angst und Panik in mir ausgelöst haben. Dass eine tiefe Traurigkeit mich überkommen hat. Diese aber von der Angst überdeckt wird und mich im Alltag lähmt und mir das Leben erschwert. Dass meine Hausärztin Fr. … einen Verdacht auf eine Depression diagnostiziert und meine Suche nach einem Psychiater beginnt. Dass ich den Beruf vorerst nicht ausüben kann und daher krankgeschrieben bin. Dass Ende März durch meinen Psychiater … eine schwere Depression diagnostiziert wird und die medikamentöse Behandlung beginnt. Dass sich später eine Gesprächstherapie anschließt. Dass die Krankheit über die Monate zwar besser wird, zu viele Sinneseindrücke aber eine Panik und Angst auslösen.“ Der Bericht des Klägers schließt mit der Formulierung: „15.35h. Ich verlasse wankend das Gebäude des Landratsamtes. Merke, dass das Medikament nicht mehr wirkt. Zittere. Die Angst ist wieder da!“
48
c) Auch unter Berücksichtigung der oben dargestellten Anforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung an die Formalien und den Inhalt gutachterlicher Stellungnahmen bestehen vorliegend trotz des zugegebenermaßen knapp gehaltenen amtsärztlichen Gutachtens keine durchgreifenden Bedenken, dass der Behörde eine ausreichende medizinische Tatsachengrundlage vorgelegen hat, um eine Entscheidung über die Dienstfähigkeit des Klägers treffen zu können. Zu berücksichtigen sind insbesondere die beim Kläger konkret vorliegenden Erkrankungen und seine dadurch bedingten Einschränkungen. Denn je schwerwiegender eine Erkrankung und deren Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit eines Beamten sind (die Dienstunfähigkeit gleichsam auf der Hand liegt und für jeden offensichtlich ist), desto weniger ausführlich müssen die Feststellungen des Amtsarztes sein. Wenn letztlich für die Behörde nur eine Entscheidung in Frage kommt, nämlich die der Feststellung der Dienstunfähigkeit, ist keine (bloß aus formalen Gründen) umfangreiche Stellungnahme des Amtsarztes mehr erforderlich.
49
Die erkennende Kammer sieht in diesen Fällen immer das Spannungsverhältnis zwischen den Anforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung an gutachterliche Stellungnahmen einerseits und den Rechten der untersuchten Beamten und die insoweit bestehende ärztliche Schweigepflicht des Amtsarztes andererseits. Deshalb sollen Art. 67 Abs. 1 BayBG auch nur die tragenden Feststellungen und Gründe des Gutachtens und nicht das komplette Gutachten an die Behörde bekanntgegeben werden, soweit deren Kenntnis für diese unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für die von ihr zu treffende Entscheidung erforderlich ist. Dieses Spannungsverhältnis angemessen aufzulösen, gestaltet sich in der Praxis oftmals schwierig und die Frage, ob eine ausreichende medizinische Tatsachengrundlage für die von der Behörde zu treffenden Entscheidung über die Dienst- und Restleistungsfähigkeit eines Beamten noch gegeben ist, kann jeweils nur im konkreten Einzelfall beantwortet werden.
50
Vorliegend bestand eine solche hinreichende medizinische Tatsachengrundlage mit den Ausführungen des Amtsarztes. Dabei kommt es bei der Beurteilung der Dienstunfähigkeit nicht allein und ausschlaggebend auf Art und Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigungen, den objektiven ärztlichen Befund und dessen medizinische Qualifikation als solche an, sondern vielmehr darauf, ob der Beamte aufgrund seiner gesamten Konstitution zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist (vgl. BayVGH, B.v. 30.11.2015 – 3 ZB 13.197 – juris Rn. 6). Dies war hier in Anbetracht der langen Fehlzeit des Klägers sowie seines fehlenden positiven Leistungsbildes der Fall.
51
d) Die Beurteilung der Dienstfähigkeit erfordert schließlich eine anhand konkreter tatsächlicher Umstände zu treffende Prognose (vgl. BGH, U.v. 4.3.2015 – RiZ (R) 5/14 – juris Rn. 45), dass der Beamte infolge der Erkrankung zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig sein wird (vgl. BVerwG, U.v. 14.8.1974 – VI C 20/71 – BVerwGE 47, 1 – juris Rn. 28).
52
Ausgehend von den oben dargestellten amtsärztlichen Feststellungen durfte die Beklagte die nach § 26 Abs. 1 BeamtStG erforderliche negative Prognose im Hinblick auf die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit des Klägers treffen. Darauf beruhend ist auch die getroffene Rechtsfolgenentscheidung der Versetzung des Klägers in den Ruhestand rechtlich nicht zu beanstanden. Wie sich aus dem Gutachten vom 08.10.2020 sowie den Ausführungen des Amtsarztes im Verhandlungstermin ergibt, kam für den Kläger weder eine anderweitige Verwendung i.S.d. § 26 Abs. 2 BeamtStG noch die Übertragung einer geringerwertigen Tätigkeit i.S.d. § 26 Abs. 3 BeamtStG in Betracht. Auch § 27 Abs. 1 BeamtStG, wonach von der Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit abgesehen werden soll, wenn der Beamte unter Beibehaltung des übertragenen Amtes die Dienstpflichten noch während mindestens der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit erfüllen kann, scheidet im vorliegenden Fall aus, da der Kläger, wie festgestellt, die erforderliche Leistungsfähigkeit zur Erfüllung seiner Dienstpflichten nicht (mehr) besitzt. Unschädlich ist dabei insbesondere, dass der Kläger zwar vom 29.01.2020 bis 26.06.2020 durchgehend krank geschrieben war, dann aber keine weitere Krankschreibung vorgelegt hat, sondern lediglich wegen der zwischenzeitlich erfolgten Suspendierung keinen Dienst mehr getan hat. Wie bereits ausgeführt ist die Feststellung der Dienstunfähigkeit nicht zwingend mit einer Krankschreibung verknüpft. Die in Art. 65 BayBG und § 26 BeamtStG genannten Zeiträume sind dabei lediglich eine Entscheidungshilfe. Vielmehr ist es für die Feststellung einer dauernden Dienstunfähigkeit auch ausreichend, wenn es dem Beamten nicht möglich ist, eine bezogen auf sein Amt vollwertige Dienstleistung zu erbringen, auch wenn es ihm möglich war, seinen Arbeitsplatz aufzusuchen (vgl. Baßlsperger a.a.O., § 26 BeamtStG Rn 15). Für den in diesem Fall ebenfalls maßgeblichen Prognosezeitraum der folgenden sechs Monate kam – wie dargelegt – der Amtsarzt zu der nicht zu beanstandenden Einschätzung, dass innerhalb dieses Zeitraums beim Kläger ein ausreichendes Restleistungsvermögen nicht zu erwarten gewesen ist. Dies wird bestätigt durch die Ausführungen des Klägers in seinem Gedächtnisprotokoll über den Untersuchungstag, aus dem sich ergibt, dass der Kläger aufgrund seiner depressiven und Angstsymptomatik auch unter Einnahme von Lorazepam gerade so in der Lage gewesen ist, die Begutachtung durchzustehen.
53
Mithin erweist sich der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 21.01.2021 als rechtmäßig, sodass die Klage abzuweisen war.
II.
54
Als unterlegener Beteiligter hat der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
55
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 f. der Zivilprozessordnung (ZPO). Wegen der allenfalls geringen Höhe der durch die Beklagte vorläufig vollstreckbaren Kosten ist die Einräumung von Vollstreckungsschutz nicht angezeigt.